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Frank wurde von Schüssen geweckt und war schon halb zur Tür hinaus, ehe er merkte, dass er geträumt hatte. Er schloss kurz die Augen, schluckte und ging im Dunkeln zurück zum Bett. Setzte sich und atmete gleichmäßig, bis das Zittern aufhörte.
Wieder dieser Traum. So lebhaft und realistisch, weil es kein Traum war, nicht nur. Eine Erinnerung an Bäume und tote Augen in der Dunkelheit, Gelächter und Schüsse, die in seinen Ohren widerhallten, der Kupfergeschmack von Blut.
Er fuhr sich mit der Hand durch die schütteren Haare, stand wieder auf und ging hinaus in den Flur. Einen Moment lang lauschte er an Allies Tür, hörte aber nichts. Also hatte er wohl nicht geschrien. Erleichtert betrat er das Bad und machte das Licht an.
Er wusste nicht, ob er es tröstlich fand, dass er kein bisschen mehr wie der Mann aussah, der diesen Albtraum durchlebt hatte. Wie er da in seinen Boxershorts vor dem zersprungenen Spiegel stand, machte er nicht mehr viel her. Die sanfte Wölbung seines Über-fünfzig-Bauchs drohte, bald nicht mehr sanft zu sein, und mit seinem hageren Gesicht, den eingesunkenen Augen und grauen Haaren wirkte er gut zehn Jahre älter, als er war.
Rasch putzte er sich die Zähne, kehrte ins Schlafzimmer zurück und zog sich im Dunkeln an. Er brauchte keinen Strom, um seine Sachen zu finden, die immer am selben Platz lagen. Nachdem er ein Flanellhemd in seine Jeans gestopft hatte, schnürte er seine Boots und ging in die Küche. Wünschte, die zuckenden Traumbilder würden aufhören, in seinem Kopf herumzuspuken.
Er öffnete den Küchenschrank und nahm die Müslimischung heraus, die er immer von der Raststätte für Allie mitbrachte. Zusammen mit einer Schüssel und einem Löffel stellte er sie auf den Platz, von dem er annahm, dass sie dort saß, fand dann, dass es zu akkurat aussah, und verrückte alles ein bisschen. Er sah zum Kühlschrank hin, wie jedes Mal unsicher, ob er die Milch schon herausnehmen sollte oder nicht. Er wusste nicht, wie lange Allie schlief, und es wurde tagsüber heiß zu dieser Jahreszeit. Etwas anderes wäre es, wenn er das Gefühl hätte, sie einfach fragen zu können, aber verschlossen, wie sie war, würde sie das wohl als zudringlich empfinden. Er war genauso in ihrem Alter, dachte er mit einem schiefen Lächeln. Kein Wunder, dass Nick Schwierigkeiten mit ihr hatte; sein Sohn konnte es noch nie leiden, wenn man Dinge für sich behielt.
Der Anruf war vor gut einer Woche gekommen. Frank hatte gerade vor dem Fernseher gesessen und überlegt, ob er versuchen sollte, das Bild schärfer zu bekommen, indem er die verbogene Antenne richtete, als das Telefon klingelte. Im ersten Moment war er nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Nicht mal Telefonverkäufer wussten, wie man ihn erreichte.
Mit einem Anflug von fast vergessener Angst war er rangegangen. Das wurde nicht besser, als er die Stimme am anderen Ende hörte: ernst und gesetzt. Es klang offiziell. Erst als die Stimme stockte und seinen Namen nannte, begriff er.
»Nick«, sagte er.
Sein Sohn räusperte sich. »Ja. Also, hm, wie geht's dir so?«
Frank sah die Küche auf einmal mit Nicks Augen und fragte sich, warum er sie nicht ein bisschen hergerichtet, wenigstens ein Bild aufgehängt hatte. »Gut.«
Schweigen.
»Und du?«
»Viel zu tun mit den Jahresendberichten und alledem. Bei Emily das Gleiche, aber sonst ist sie wohlauf.«
Frank hatte nicht nach seiner Schwiegertochter gefragt; andererseits würde sie sich auch nicht nach ihm erkundigen.
Neues Schweigen. Frank merkte, wie sehr er sich danach sehnte, etwas sagen zu können. Eine Begleiterscheinung des langen Alleinlebens war, dass man verlernte, Small Talk zu machen.
»Hör mal.« Nicks Stimme wurde ein wenig tiefer, wie immer, wenn er selbstsicher klingen wollte. »Ich rufe an, weil ich dich um einen Gefallen bitten möchte. Wir sind gerade ein bisschen im Stress hier, und Allie, na ja, sie ist vierzehn, weißt du. Voll der Teenieterror oder wie man das nennt.«
Frank wusste nicht, wie man das nannte.
»Ich glaube, sie . na ja, es sind wahrscheinlich nur Wachstumsschmerzen oder so, aber sie hat in letzter Zeit ein bisschen Mist in der Schule gebaut. Sie hat sich geprügelt und . es ist einfach so, dass Emily und ich uns nur begrenzt um sie kümmern können in der jetzigen Situation. Und selbst wenn wir alle Zeit der Welt hätten, würde das nicht viel nützen, habe ich das Gefühl. Du weißt ja, wie das ist in dem Alter, die Eltern sind dein größter Feind.« Nick klang nervös, sprach immer schneller. Worum auch immer er ihn bitten wollte, es fiel ihm schwer, damit herauszurücken. »Also haben wir hin und her überlegt und gedacht, ob nicht vielleicht eine Luftveränderung das Beste wäre, verstehst du. Damit Allie mal . mal aus allem rauskommt und die Dinge mit anderen Augen sieht.«
Frank umklammerte das Telefon. Eine neue Furcht beschlich ihn, Furcht vor etwas, mit dem er absolut nicht umgehen konnte.
»Also, Emilys Eltern wohnen ja nun mal in Übersee und . und du bist ganz allein dort draußen, deshalb, na ja, wäre es vielleicht auch für dich gut?«
»Was wäre gut?«
»Wenn du . wenn sie eine Weile bei dir wohnen würde.«
Frank lehnte sich an die Spüle. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, suchte nach Ausreden. Was zum Teufel sollte er mit einem mürrischen Teenager anfangen, der gelangweilt hier herumhing? Er konnte ja kaum für sich selbst sorgen, wüsste nicht, was er mit ihr reden sollte, und das Haus . Die Küche sah auf einmal sehr viel schlimmer aus als einfach nur spartanisch. Der umherkriechende Schimmel hinter der Spüle, die Spinnweben in den Ecken, der schief stehende Kühlschrank; alles so unübersehbar und deprimierend, nur ein paar der zig Makel und Fehler in seinem Leben, von denen er wirklich nicht wollte, dass sein Sohn davon erfuhr.
»Nick, hör mal .«
»Du würdest uns wirklich einen Gefallen tun, Dad. Einen großen.«
Er hörte das Flehen in Nicks Stimme, das er so angestrengt hinter seiner Beherrschtheit zu verbergen suchte. Das letzte Mal, als er so mit ihm gesprochen hatte, hatten sie noch unter einem Dach gewohnt, und er war zu betrunken gewesen, um anders darauf zu reagieren, als ins Bett zu kriechen und sich tot zu stellen.
»Okay«, sagte er. »Okay, ab wann hattest du gedacht?«
Danach war alles ganz schnell gegangen, schneller, als er es gewohnt oder ihm lieb war. Und jetzt mussten sie sehen, wie sie zurechtkamen.
Wie jeden Morgen blieb er einen Augenblick auf der Veranda stehen. Sein Holzschindelhaus war klein und mehr als bescheiden, aber er hatte schließlich nicht die Absicht, irgendwen zu beeindrucken. Vor ihm, hinter der dunklen, gewundenen Linie der ungeteerten Zufahrt, erstreckte sich eine Fläche aus sanft schwankendem, langem braunem Gras, bis hin zu der gerade noch erkennbaren Rückseite der Raststätte, hinter der unsichtbar der Highway lag und der weite, vom ersten Schimmer des Morgengrauens zum Leben erweckte Horizont. Er atmete tief ein. Die Luft war bereits sehr warm und roch nach nichts als Erde. Manchmal, wenn es geregnet oder in der Nähe ein Buschfeuer gebrannt hatte, war es anders. Dann roch es lebendig und frisch oder nach Gefahr. Sonst immer nur nach Erde. In der Ferne wurden die Finger der um sich greifenden Morgenröte zusehends länger. Frank dachte nicht daran, aufs Quad zu springen oder ins Auto zu steigen. Er liebte seinen Morgenspaziergang, und es müsste schon ein ungewöhnlich betriebsamer Tag sein, wenn jemand vor dem Mittag vorbeikäme.
Von seinem Haus bis zur Raststätte war es nur knapp ein Kilometer, ein Kilometer trockene Steppe und harter Boden mit unregelmäßigen Erhebungen und plötzlichen Gräben. Frank kannte das Gelände mittlerweile ziemlich gut. Das Grasmeer mochte die Konturen verdecken, aber der immergleiche tägliche Spaziergang hatte alles Unvorhersehbare getilgt. Als er das Ganze vor fast zehn Jahren gekauft hatte, hatte der vorige Eigentümer ihm erzählt, dass das Wohnhaus als Keimzelle einer Farm gedacht gewesen sei, ehe das Land sich als zu rau und unzähmbar erwiesen habe. Was nicht gerade ein tolles Verkaufsargument gewesen war, aber Frank hatte die Vorstellung gefallen. Das Gras wuchs schnell, und der Boden darunter wehrte sich dagegen, geglättet oder irgendwie nutzbar gemacht zu werden. Viel Glück damit, irgendetwas anzupflanzen, das nicht schon von selbst dort wuchs. Die Raststätte und das Haus verschmolzen mit der Umgebung, die Beschaffenheit der Landschaft tarnte beides für das ungeübte Auge. Wenn man zur Tür hinaustrat, besonders um diese Zeit am Morgen, konnte man meinen, ringsherum auf eine endlose Grassteppe zu blicken, die Schlangen und sonst fast nichts beherbergte. Eine von Allies wenigen Fragen an ihn hatte gelautet, ob er je gebissen worden sei, doch er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich vor ihnen zu hüten.
Allie saß an die Wand gelehnt auf ihrem schmalen Bett. Sie hatte Franks schwere Schritte im Haus gehört. Hier und da war er stehen geblieben, doch sie hatte sich nicht gerührt. Erst als die Haustür hinter ihm zufiel, stand sie auf, wartete aber immer noch ein paar Augenblicke, ehe sie hinaus in den Flur ging.
Sie mochte ihr Zimmer nicht. Auch wenn Frank geputzt und versucht hatte, es ein bisschen wohnlicher zu machen mit den in eine Vase gestopften halb welken Blumen und eselsohrigen alten Büchern auf dem Nachttisch, kam doch nichts gegen den Staubgeruch von Vernachlässigung an, der das ganze Haus erfüllte. Es war ein Drecksloch mitten in der Pampa, und dass ihre Eltern glaubten, so etwas würde ihr guttun, zeigte nur, wie wenig...
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