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DATUM: 23. Mai 2014
ORT: Kopenhagen
Auch wenn es heute kaum vorstellbar ist, gab es eine Zeit, in der Ben Bergeron nicht mein Trainer war. Bei den CrossFit Games Europe Regional im Jahr 2014 trat ich ganz ohne Trainer an. Ich hatte schon zweimal an den Games teilgenommen und war bereit für ein drittes Mal.
Ich stehe auf der Startmatte und warte auf den Start von Event 5. In der Gesamtwertung befinde ich mich auf dem ersten Platz, aber es fühlt sich nicht so an. Als ich die Kletterseile anstarre, die am anderen Ende des Parcours baumeln, überkommt mich ein überwältigendes Angstgefühl. Dies ist das Wettkampfevent, das über mein Weiterkommen oder Ausscheiden entscheidet.
Event 5 besteht aus zehn Legless Rope Climbs, also Seilklettern ohne Beine. Mehr nicht. Es gibt kein Ausweichen. Ich bin stark und fit und muss keine der Wettkampfdisziplinen fürchten - bis auf diese. Seilklettern ist mir schon immer schwergefallen. Im Training war ich nicht im elfminütigen Zeitlimit geblieben. Zu meiner Bestürzung hatten die meisten Frauen in den vorhergehenden drei Läufen den Parcours mit Leichtigkeit geschafft. Ich habe es mir ausgerechnet: Wenn ich dieses Event nicht schaffe, qualifiziere ich mich dieses Jahr nicht für die CrossFit Games.
Als ich auf der Startmatte stehe, schnürt sich mir der Magen zu.
Der Buzzer ertönt. Ich vergesse für einen Moment meine Angst und mit steigendem Adrenalinspiegel renne ich auf mein Seil zu. Ich erklettere ein Seil und - woah! - habe das Gefühl zu fliegen! Ich fühle mich großartig! Ich bin schneller wieder auf den Beinen, als ich gedacht hätte, und schaffe noch ein Seil. So weit, so gut - ich komme viel schneller voran als erwartet. Ich erklimme mein drittes und viertes Seil und, wow, vielleicht schneide ich in diesem Event doch noch gut ab!
Und dann trifft es mich. Beim fünften Seil spüre ich, wie der Zug im Bizeps und der Griff in den Unterarmen nachlassen. Ich schaffe es bis nach oben, aber ich muss stärker kippen und kleinere Züge machen. Am sechsten Tau merke ich, dass ich in Schwierigkeiten bin - der Aufstieg verlangt mir alles ab. Ich muss mich zwischen den Seilen immer länger ausruhen, was die in mir aufsteigende Panik noch mehr anfacht. Ich schaue mich nach den anderen Sportlerinnen um und sehe, dass sie sich alle immer noch ohne Pause durch den Parcours bewegen. Ich weiß, ich brauche mehr Pausen, aber ich kann nicht aufhören. Sonst falle ich zu weit zurück.
Ich wusste es damals nicht, aber das siebte Seil würde den Verlauf meines ganzen Lebens verändern.
Ich schaffe es fast bis nach oben - es fehlen keine 30 Zentimeter mehr. Alles brennt, aber ich muss es nach oben schaffen. Jeder Rope Climb zählt. Ich darf diesen hier nicht verpatzen. Ich bin so nah dran - alles, was ich tun muss, ist, mit einer Hand loszulassen und den Querträger zu berühren. Ich spüre, dass die Kraft dazu nicht reicht, aber ich muss es versuchen. Sie muss reichen. Bitte reich aus. Ich lasse los und recke mich mit allem empor, was ich habe, aber ich schaffe es nicht. Ich rutsche das ganze Seil hinunter, die Handflächen beider Hände brennen vor Reibung, an den Fingern bilden sich Blasen.
Ich falle auf die Knie, vergrabe das Gesicht in den Händen und fange an zu weinen, mitten auf dem Wettkampfparcours. Es sind noch mehr als drei Minuten für den Rest der Strecke übrig, aber ich habe das Gefühl, bereits versagt zu haben. Meine Gedanken rasen. Ich weiß: Wenn ich dieses Seil nicht schaffe und das Event nicht beende, verliere ich meine Chance auf eine Qualifikation für die CrossFit Games. Der Gedanke daran ist so fürchterlich, dass es sich anfühlt, als wäre es bereits entschieden. Ich habe inzwischen begriffen, dass ich es nicht schaffen werde, und bin am Boden zerstört. Nach dem Event rutsche ich auf der Anzeigetafel vom ersten auf den sechsten Platz - raus aus der Platzierung für die CrossFit Games.
Ben Bergeron war zu dieser Zeit nicht mein Trainer, aber ich hatte bereits ein paarmal mit ihm gearbeitet und wir waren Freunde. Nachdem ich die Qualifikation für die Spiele verpasst hatte, bekam ich eine Nachricht von ihm: »Ich weiß, dass es dir momentan vielleicht nicht so vorkommt, aber das könnte das Beste sein, was dir je passiert ist.« Das Beste, was mir je passiert ist?! Ich war echt sauer auf ihn. Wie konnte er so etwas über ein Erlebnis sagen, das mich völlig fertiggemacht hatte? Ich brauchte eine Woche, um auf seine Nachricht zu antworten. Inzwischen lachen wir darüber . weil er recht hatte.
Nach den Regionals hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Man konnte den Eindruck haben, dass ich es nicht zu den Games geschafft hatte, weil ich körperlich versagt hatte. Aber ich wusste, dass das nur ein Teil der Geschichte war. Ja, an meinen Legless Rope Climbs musste ich arbeiten. Aber an meinem Denken auch. Später im Jahr begann ich, mit Ben als meinem Vollzeitcoach zu arbeiten. Ich zog von Island nach Boston, um mit ihm in seinem Gym CrossFit New England (CFNE) zu trainieren.
Mich an Bens Konzepte zu gewöhnen, fühlte sich an, als müsste ich mit der linken Hand schreiben lernen. Seine Herangehensweise war in jedem Bereich anders als alles, was ich jemals erlebt hatte. CFNE war eine CrossFit-Halle, aber es kam mir eher wie eine Eliteuniversität vor. Einmal, nach einer besonders frustrierenden Trainingseinheit, riss ich mir den Gewichthebergürtel vom Leib, warf ihn gegen die Wand und stürmte nach draußen. Ben gab mir eine Minute, bevor er hinterherkam. Mit seiner üblichen stoischen Ruhe trat er auf mich zu und sagte: »So was machen wir hier nicht.« Mir wurde sofort klar, dass er recht hatte - so benehmen wir uns hier nicht.
So ist das mit Ben. Er legt großen Wert auf die Entwicklung des Charakters, weil er glaubt, dass bessere Menschen bessere Sportler sind. In diesen ersten Monaten sprachen wir unter anderem über positives Denken und bewusstes Reagieren auf bestimmte Ereignisse, sei es eine unsauber ausgeführte Kniebeuge oder im Auto verschütteter Kaffee. Ich erkannte, mit welcher Liebe er sich um seine Familie, seine Freunde und die Mitglieder seines Gyms kümmerte. Allein indem ich in seiner Nähe war, lernte ich, an mich selbst zu glauben und dabei mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben. Ben sprach ständig über die richtige Denkweise - vor dem Training, nach dem Training und manchmal auch während des Trainings. Er brachte mir bei, worauf ich schauen und was ich ausblenden sollte. Da ich damals bei seiner Familie wohnte, sprachen wir auch außerhalb des Gyms über die innere Einstellung - im Auto, am Esstisch, überall.
Mit der Zeit wirkte das auf mich ein. Ich wurde jeden Tag fitter, aber das wahre Wachstum fand in meinem Innern statt. Wir haben Thrusters und Pull-ups geübt und viele Seile erklettert, aber im Fokus stand eigentlich die Denkweise. Dank Ben wurde ich ein besserer Mensch. Anfangs konnte man es kaum bemerken, aber mit der Zeit wurde unübersehbar: Je mehr ich charakterlich wuchs, desto besser wurde ich als Sportlerin.
Man kann unmöglich Zeit mit Ben verbringen, ohne ein besserer Mensch zu werden. Außer meinem Großvater kenne ich niemanden, der mit mehr Integrität lebt. Ben tut immer das Richtige. Er weiß, was ihm am wichtigsten ist, und er hat eine Reihe von unantastbaren Prinzipien, die er lebt, atmet und an andere weitergibt. Eines der ersten Dinge, die einem auffallen, wenn man CrossFit New England betritt, ist die Aufmerksamkeit, die alle Ben entgegenbringen. Wenn er spricht, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Die Sportler, egal ob Wettkämpfer oder einfache Mitglieder, hängen an seinen Lippen. Ben muss die Aufmerksamkeit des ganzen Raumes nicht einfordern, er hat sie einfach.
Die Leute schauen zu Ben auf und folgen seinen Anweisungen, weil er selbst ein Vorbild abgibt. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der härter, länger oder schlauer arbeitet und engagierter, leidenschaftlicher, detailorientierter oder enthusiastischer wäre. Ben strebt in seinem Leben ständig nach Spitzenleistungen und geht jede Sekunde eines jeden Tages mit gutem Beispiel voran.
Von Anfang an haben mich Bens hohe Ansprüche dazu gebracht, härter trainieren zu wollen. Ich weiß, dass ich damit nicht die Einzige bin. Alle, die zu Bens Training gekommen sind, haben schnell gemerkt: »Wow, okay, also das ist hartes Training.« Ich hatte gedacht, dass ich hartes Training kenne, aber Ben hat mir beigebracht, dass es einen Unterschied macht, ob man viel Arbeit in etwas steckt oder ob man alles gibt, was man hat. Er tut dies auf eine sehr subtile, ruhige Weise. Ben redet nie viel. Er wählt seine Worte sehr sorgfältig. Bekommt man also von ihm »gute Arbeit« oder »schön gemacht« zu hören, weiß man, dass man etwas Besonderes geschafft hat. Das Einzigartige an Ben ist, dass er es schafft, ohne Druck das Beste aus einem rauszuholen. »Ohne Druck« klingt leicht, aber es ist alles andere als leicht - sein Bestes zu geben, erfordert alles, wozu man fähig ist, und das ist schwer. Ben erwartet nie, dass...
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