Schweitzer Fachinformationen
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Ich lief die kleine, dunkle Seitenstrasse hinunter und trat in die lärmige, im Licht grosser Werbebildschirme geflutete Atmosphäre der Colinstrasse, einer von vielen Konsum- und Vergnügungsmeilen in diesem Teil der Stadt. Die Strasse war erst vor wenigen Jahren umbenannt worden nach irgendeinem Politiker der jungen Zeit. Dies war der modus operandi dieser Regierung, immerzu die treuesten Bücklinge zu beehren, zugleich wie jede Vergangenheit mit diesen politischen Modeerscheinungen überschrieben wurde. Auch Herrn Colins Name würde nicht lange währen, und in einigen Jahren würde auch sein Handeln als infam verklärt werden und stattdessen die Strasse nach dem neuen Liebling umbenannt werden. So würde dem Fussvolk auch der Eindruck übermittelt, dass sich die Regierung kontinuierlich bessere. Was sicherlich auch irgendwo eine masslose Überschätzung dieser Massen darstellte, die völlig in ihrer hedonistischen Pläsier- und Konsumsucht verloren waren.
Ich hätte zu anderen Zeiten vermieden, für den Weg bis zum Bahnhof das Tram zu benutzen, doch bei diesem Regen war es wohl das geringere Übel, wenn ich mir keine Erkältung einfangen wollte, die mich zu guten zwei oder drei Wochen sanitären Hausarrest verdonnern könnte. Der Grund für meine Abneigung, mit dem Tram zu fahren, konnte ich von der Haltestelle aus auf einem grossen, leuchtenden Bildschirm sehen, in Form einer der allgegenwärtigen Werbungen für das MILcom-System: "MILcom" stand für Molecular Interface Link communication, Hauptsache ein Name auf Englisch mit vielen Schlagworten, um all die Kleingeister zu beeindrucken. Es handelte sich hierbei um Mikrochips, welche unter die Haut implantiert wurden, und welche zur elektronischen Identifizierung dienten. Angeworben wurde natürlich vor allem der "praktische" Faktor kontaktloser Bezahlungen, die direkt mit dem Bankkonto verbunden waren, doch unsereins wusste genau, dass dies lediglich ein Kollateraleffekt eines zur Kontrolle und Überwachung erdachten Systems darstellte.
Derzeit wurde für das neue "MILcom NEX"-System geworben. Anstatt dass hierbei wie beim ursprünglichen System die Mikrochips in den Handrücken eingepflanzt wurden, implantierte man sie nun in das Hirn, und es war über die Netzhaut des rechten Auges verbunden, sodass der Chip über einen Augenscan gelesen werden konnte. Was genau der Vorteil von diesem neuen System sein sollte, war selbst denen, die sich den MILcom NEX-Chip einpflanzen liessen nicht ganz klar, es schien mehr, sie taten es aus Reflex, weil sie sich einfach voll und ganz dem Gehorsam gegenüber dem leuchtenden Bildschirm hingegeben hatten.
Doch wo schon das erste MILcom-System einige seltsame Nebenwirkungen gezeigt hatte, war dies beim MILcom NEX nochmals überspitzter: Vor allem Schlaganfälle häuften sich, aber auch sonstige Hirn- und Nervenerkrankungen. Die Medien berichteten natürlich nicht darüber, aber die Gerüchte waren hartnäckig. Zu viele Leute kannten jemandem, der sich das MILcom NEX-System einpflanzen liess und Nebenwirkungen erlitten hatte. Welche natürlich rein zufällig waren, wie jeder Arzt sofort bestätigte.
Der Zugang zu vielen Orten war nur noch den Trägern des MILcom-Chips gestattet, vor allem im Gastgewerbe und der Unterhaltungsindustrie. Einige wenige Betriebe gestatten weiterhin den "Chip-Verweigerern" den Zugang, was als sogenannter "fakultativer Zutritt" bezeichnet wurde, wofür sie auf recht grosszügige Subventionen verzichten mussten. Ihr folglich teureres und weniger reichhaltiges Angebot hielt folglich die gechippte Kundschaft fern und es hatte sich eine niedere Parallelgesellschaft von Ausgestossenen gebildet.
Zwar hatte die Regierung zeitweise mit der Idee kokettiert, keine solche Lokale zuzulassen oder gar die MILcom-Chips zu verordnen, doch die Möglichkeit einer ganzen Gesellschaftsschicht als konstanter Sündenbock für jegliche politische Verfehlung war letztlich attraktiver. Wenn es eines gab, was diese Regierung fürchtete, dann war es, dass die Fassade von Stärke und Übermacht bröckeln sollte, und stattdessen das wackelige Kartenhaus dahinter zum Vorschein käme.
Im Regen sah ich nun mein Tram der Linie 41 ankommen, welches mich zum Bahnhof bringen würde. Die ganze Zeit, die ich an der Haltestelle stand, kam ich nicht über das Gefühl hinweg, durch den ganzen Trubel hindurch beobachtet zu werden, als verfolgte mich in sicherer Distanz ein dunkler Schatten. Ich lief zur hintersten Tür und stieg in das völlig überfüllte "C"-Abteil.
In den Trams gab es neuerdings drei Abteile, zuvor waren es zwei gewesen: Ein grosses für die Chip-Träger, und ein kleines im hinteren Teil der Bahn für den Rest. In jenem hinteren Abteil gab es auch keine Sitze, Heizung oder Klimatisierung. Das grosse Abteil der Chip-Träger war nun ebenfalls in zwei geteilt, vorne das "A"-Abteil für die Träger des "MILcom NEX"-Chips, dahinter das "B"-Abteil für all jene mit dem normalen MILcom-Chip, und schliesslich das hintere "C"-Abteil. Dieser Zustand war allerdings ein wohl ungewollt praktischer Massstab für die Gesellschaft: Die ungechippten Abweichler, die immerzu als unbedeutende, asoziale Minderheit dargestellt wurden, waren überraschend zahlreich. Und das neue "A"-Abteil, welches sogar mit besseren Sitzen ausgestattet war, war meistens recht leer, und stattdessen füllte sich nun das "B"-Abteil.
Ich musste doch ein wenig in mich hinein kichern, wie ich die ganzen Leute sah, die sich einem braven Haustier gleich ihren Chip hatten verpassen lassen, und nun selber in ein minderwertiges, überfülltes Abteil gezwängt wurden, in Erwartung, dass sie wohl doch noch übers Stöckchen springen würden und sich den MILcom NEX-Chip einpflanzen liessen. Ich bezweifelte allerdings, dass diese Leute jemals begreifen würden, dass jedes Bisschen was sie den machtgeilen Bürokraten entgegenkamen diese nicht nur nie zufriedenstellen sollte, sondern sie nur noch gieriger nach Gehorsam und Unterwerfung machen würde.
Während ich im Tram sass, bekam ich erneut das Gefühl, beobachtet zu werden. Aus dem "B"-Abteil meinte ich, dass ein penetranter Blick direkt auf mich gerichtet war. Als ich aus dem Fenster einen Aufruhr sah, nutzte ich die Gelegenheit, ich stieg an der nächsten Haltestelle aus und lief direkt in die Menschenmenge.
Diese Leute waren vor der Hauptfiliale der NHB, der Nationalen Handelsbank, versammelt, am Fusse der Treppe, die zum Eingang führte. Ich hatte zufällig mitbekommen, dass diese Bank in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, und diese Leute waren wohl davon betroffen. Ich hatte zwar selbst ein Konto bei dieser Bank, welches ich für mein Geschäft benötigte, doch ich benutzte es lediglich, um die Miete und sonstige Rechnungen zu begleichen, ansonsten hatte ich mein Geld auf Bezahlkarten, welche mit Guthaben aufgeladen werden konnten, um alltägliche Zahlungen zu tätigen. Das maximale Guthaben war begrenzt und die meisten Leute verwendeten nur eine Karte, die sie regelmässig auffüllten, aber ich hatte mir einfach einen kleinen Stapel dieser Karten zugelegt, um so wenig Geld wie möglich auf dem Konto zu behalten. Es war schliesslich nicht unerhört, dass Konten unliebsamer Bürger willkürlich gesperrt wurden.
Die Menschenmenge war ziemlich erregt, offenbar waren die Auszahlungen aufgrund der Zustände begrenzt worden. Sie schrien immer lauter, dass sie ihr Geld wollten. Einige Polizisten in Schutzkleidung standen um die Masse herum, hatten aber scheinbar wenig Lust, gegen die aufgebrachten Bürger vorzugehen. Erst neulich war ein ähnlicher Aufstand wegen verspäteter Rentenzahlungen ziemlich ausgeartet, und die Polizei hatte sich trotz Schilden und Schlagstöcken letzten Endes zurückziehen müssen. Die Polizei selbst war unterbesetzt und unterbezahlt, die Moral der Wachmänner entsprechend tief. Es war ein weiterer Fall, wo die Fassade der Regierung bröckelte.
Als ein Bankmitarbeiter schliesslich hervortrat, begleitet von zwei Polizisten mit Plastikschilden, wurde das Geschrei lauter, einige warfen Flaschen und Steine in seine Richtung, welche die Polizisten mit den Schilden abwehrten. Ich bemerkte derweil, dass ein dunkel gekleideter Mann, der ebenfalls aus dem Tram ausgestiegen war, mir auch hierher folgte. Ich behielt ihn im Augenwinkel, aber die Menschenmasse war zu dicht, als dass er mir nahekommen konnte.
"Aber Herrschaften, beruhigen sie sich doch bitte", sagte der Bankmitarbeiter und gestikulierte um Ruhe, "wir wissen ja, dass diese Situation für sie unangenehm ist, aber haben sie bitte Gewissheit, dass ihre Konten bis fünfhunderttausend Franken abgesichert sind und-"
"Warum bekommen wir dann nur zweihundert am Tag?", schrie ein Mann dazwischen.
"Wie schon gesagt", fuhr der Mann von der Bank fort, "aufgrund der Liquiditätsverzögerungen hat es eine routinemässige Eingrenzung der Zahlungen gegeben, in Abwarten der Refinanzierung der Bankgesellschaft. Das sollte innerhalb der nächsten Tage stattfinden, und dann werden sie wieder unbegrenzten Zugriff auf ihre Konten haben."
"Wir scheissen...
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