Schweitzer Fachinformationen
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Muelle Prat, Valparaíso, Chile
»Dies ist ein historischer Moment.«
Gregor Elsner machte eine effektvolle Pause und bedachte sein Publikum mit einem bedeutungsschweren Blick. Zugegen waren Journalisten aller internationalen Medienhäuser und geladene Ehrengäste. Unter ihnen die Außenminister von Frankreich, Russland, Großbritannien, Indien und China, Botschafter aus weiteren zwanzig UNO-Mitgliedsstaaten sowie die CEOs der großen globalen Rohstoffkonzerne wie Pemay, Teufen, Belmont und Sintex. Alle hatten die Einladung angenommen. Niemand wollte sich dieses Ereignis entgehen lassen, das nicht weniger gewichtig angekündigt worden war als die Rede des deutschen Wirtschaftsministers.
Der Staatsakt fand im Hafen von Valparaíso statt, einem der ehemals größten Handelsknotenpunkte am Pazifik. Auf beiden Seiten des Ministers wehten die deutsche und die chilenische Flagge. Vor ihm lag am anderen Ende der Plaza Sotomayor die Armada de Chile, der im neoklassischen Stil erbaute Hauptsitz der chilenischen Marine. Im Hafenbecken hinter ihm thronte die Trias-Ex, ein Schwergutfrachter vom Typ Scan-Polaris. Mit seinen hundertsechzig Metern Länge und dreiundzwanzig Metern Breite ließ er die vor ihm auf dem Wasser schaukelnden Fischerboote wie Spielzeug aussehen.
Aber der eigentliche Blickfang der Feierlichkeit war das gelb verschalte Tauchgerät, das sich neben der Bühne befand. Der zwei Stockwerke hohe Apparat war auf einem Podest aufgebaut und sah aus wie ein flach gedrücktes U-Boot mit seitlichen Flügeln. Seine Form erinnerte entfernt an einen Mantarochen. Die Eleganz des Rumpfs wurde jedoch von einer Apparatur überschattet, die sich an der Spitze des Geräts befand. Es handelte sich dabei um eine Walze mit einem Durchmesser von etwa einem Meter, aus der dicht an dicht schlauchartige Ausstülpungen ragten. Sie sahen aus wie die zu kurz geratenen Arme eines Oktopus, nur, dass sich an ihren Enden etwa fußballgroße Öffnungen befanden.
»Durch einen Technologiesprung zur Industrie Vier Punkt Null hat ein neues Kapitel in der Rohstoffversorgung der Welt begonnen.« Gregor Elsner wies auf das Gerät an seiner Seite. »Mit einer neuen, intelligenten Fördermaschine, inspiriert von der Drohnentechnologie des Militärs, wird eine historische Wende eingeläutet: der Zugang zu unermesslichen Rohstoffmengen in der Tiefsee in mehr als fünftausend Metern Tiefe. Dank der neuen Technologie können die Bodenschätze nun wirtschaftlich und mit nur minimalem Impact auf die Umwelt gefördert werden. Damit entsteht eine neue, zuverlässige Rohstoffversorgung für die industrielle Entwicklung, die angesichts des weltweit ungebremst wachsenden Bedarfs dringend benötigt wird .«
Paul Margis sah auf die Uhr.
»Nervös?«, fragte Lennard Price, der neben ihm in der ersten Reihe saß.
Paul rückte sich zum gefühlt hundertsten Mal die Krawatte zurecht. Der Hemdkragen fühlte sich eng an.
»Ein bisschen«, sagte er.
»Ein bisschen?« Lennard hob die Augenbrauen. »Also, ich hätte einen ziemlichen Zirkus im Kopf, wenn ich gleich auf jedem Kontinent über die Bildschirme flimmern würde.«
Paul versuchte, nicht besonders beeindruckt zu wirken. Aber natürlich war er beeindruckt. Er hatte in letzter Zeit nahezu täglich für ein Interview oder ein Politmagazin vor der Kamera gestanden, das gehörte zu seinem Job. Aber das hier war ein ganz anderes Kaliber. Hinter den Stuhlreihen, die für Print- und Onlinemedien reserviert waren, befanden sich die Kameras von vierzehn Fernsehsendern: BBC, CNBC, EuroNews, Bloomberg, France24, Russia Today, China Central Television und so weiter. Über ein Dutzend Nachrichtenagenturen würden den Beitrag an Medienhäuser aus aller Welt verkaufen. Sein Gesicht würde heute Abend so ziemlich überall zu sehen sein.
»Danke für die beruhigenden Worte«, sagte er. »Jetzt fühl ich mich schon viel besser.«
»Gern geschehen.« Lennard reichte ihm ein kleines Päckchen.
»Was ist das?«
Sein Freund schob sich die Brille zurecht und zwinkerte ihm zu. »Mach auf!«
Das Päckchen fühlte sich leicht an. Paul löste die Schleife und öffnete den Deckel. In der Schachtel lag ein runder Anstecker. Er nahm ihn in die Hand. Die Abbildung darauf zeigte einen Mann, der auf einem kartoffelförmigen schwarzen Klumpen ritt und einen Cowboyhut schwingend dem Erdboden entgegenfiel. Als Kopf war ein schlecht ausgeschnittenes Foto von Paul eingeklebt. Darüber stand: »DROP THE BOMB!«
Paul musste grinsen. »Wer von euch Spinnern hat sich das denn ausgedacht?«
Ellis aus der hinteren Reihe lehnte sich nach vorne und flüsterte ihm zu: »Wir dachten, wenn du schon die Ehre hast, die Bombe platzen zu lassen, dann solltest du auch die passende Deko dazu tragen.«
Paul schüttelte amüsiert den Kopf. »Also wirklich, Jungs, ihr wollt mich mit Major Kong vergleichen? Der Typ reitet auf einer Atombombe.«
»Na eben, deine News sind ja nicht weniger explosiv«, meinte Lennard.
Paul sah auf sein Gesicht, das ihm vom Anstecker aus schief entgegengrinste. Wo hatten sie nur dieses Foto ausgegraben?
»Na ja, da hast du vielleicht ausnahmsweise sogar recht«, sagte er. »Aber wenn ich Kong sein soll, wer ist dann Dr. Seltsam? Etwa Maining?«
Gedämpftes Lachen.
»Wo ist der Doktor eigentlich?«, fragte Paul. »Ich habe ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen.«
Lennard sah nach hinten über die Sitzreihen hinweg. »Hier ist er jedenfalls nicht, aber du weißt ja, wie sehr er Menschenansammlungen hasst. Aber ich sehe gerade, dass sich dafür jemand anderes unter die Leute mischt.«
Paul warf ebenfalls einen Blick über die Schulter. Hinter den Sitzreihen entdeckte er Raul Esteban, den unabhängigen Beobachter von Ocean Shield, der gerade auf den Journalisten der New York Times einredete.
»Er kann's einfach nicht lassen«, bemerkte Lennard. »Hält wahrscheinlich wieder seinen üblichen Vortrag.«
»Sieht so aus.« Paul hatte die Litanei des Umweltaktivisten über unerforschte Arten, ungeklärte Wechselwirkungen und die unabsehbaren ökologischen Langzeitfolgen des Tiefseebergbaus auch schon über sich ergehen lassen müssen. Der Mann war wie ein Terrier. Hatte er sich einmal in etwas verbissen, ließ er sich kaum mehr abschütteln. Der Journalist sah allerdings nicht besonders interessiert aus.
Der Minister kam zu seinem Schlusswort. »Und damit beginnt eine neue Phase des Fortschritts und der internationalen Partnerschaft. Ich bin stolz, diesen wichtigen Moment heute gemeinsam mit unserem Partnerland Chile zu feiern, mit dem wir das Fördergebiet im Pazifik teilen.«
Paul legte den Anstecker zurück in die Schachtel.
»Willst du ihn nicht tragen?«, fragte Lennard mit gespielter Enttäuschung.
»Klar«, erwiderte Paul, »wenn du mich dafür auf deiner Hochzeit die Musik auswählen lässt.«
»Ich glaub, da würde ich lieber sterben, als einen Metal-Freak an die Anlage zu lassen. Vergiss es.«
Paul grinste. »Dacht ich's mir doch. Und übrigens: Stoner Rock ist kein Metal.«
Applaus brandete auf, als Elsner seine Rede beendet hatte. Der chilenische Minister für Bergbau betrat die Bühne.
»Sehr geehrte Damen und Herren, Deutschland und Chile blicken auf eine lange und ertragreiche Partnerschaft zurück. Als größter Kupferproduzent der Welt hat Chile maßgeblich zur Versorgung der deutschen Industrie beigetragen. Es freut mich, diese langjährige Partnerschaft nun ausbauen zu können. Der Bergbau ist in Chile seit jeher eine der wichtigsten Komponenten der Wirtschaft. Nun ist mit der Rohstoffförderung in der Tiefsee eine neue Epoche der fruchtbaren Zusammenarbeit angebrochen. Minister Elsner spricht zu Recht von einem historischen Tag. Der Tiefseebergbau ermöglicht eine umweltfreundliche und sichere Rohstoffgewinnung, von der die Bergbauindustrie bisher nur träumen konnte. Was aber unter Wasser gelingt, soll in Zukunft auch das Vorbild für die Produktion an Land werden. Chiles Kupferminen setzen bereits heute internationale Standards, was Sicherheit und Umweltschutz angeht. Diese werden nun durch ein neues und umfassendes Bergbaugesetz verschärft, damit sich auch die künftigen Generationen an einer intakten und gesunden Natur erfreuen können .«
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Solin hielt dem Wachmann seinen gefälschten Journalistenausweis hin und betrat die für die Öffentlichkeit abgesperrte Zone im Hafenbecken. Das Publikum applaudierte, als der chilenische Minister geendet hatte und die Bühne verließ. Solin stellte sich neben die Kameras, die die Fernsehteams für die Live-Übertragung aufgebaut hatten.
Ein Mann um die vierzig trat hinter das Rednerpult. Trotz seines Anzugs wirkte er sportlich und dynamisch. Ein gut aussehender Typ, soweit Solis das einschätzen konnte. Er erkannte das Gesicht von den Bildern wieder, die er zuvor studiert hatte. Paul Margis.
Solin hatte nicht viel Zeit gehabt, die Unterlagen über den Mann durchzugehen. Aber was er bisher gelesen hatte, klang vielversprechend. Margis hatte nach seinem Wirtschaftsstudium bei verschiedenen Banken als Trader gearbeitet und sich im Rohstoffhandel profiliert. Vor einigen Jahren hatte er angefangen, Politiker in Rohstofffragen zu beraten. Zuletzt den deutschen Staatssekretär für Rohstoffe. Vor zweieinhalb Jahren dann machte er den vollständigen Sprung in die Politik. Der Staatssekretär hatte ihn auf die Position eines Abteilungsleiters im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gebracht, um die Verhandlungen für die Förderlizenzen im Tiefseebergbau zu leiten.
Margis war das übliche Klischee des erfolgsverwöhnten Managers. Mit der Überheblichkeit eines Typen, der gewohnt war, dass die Dinge genau nach...
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