Prolog
Die Haustür klickte. Kein Schlüssel, nur das gedämpfte Schlagen in der Schlossmechanik. Margo hielt den Atem an. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte halb zwei. Das Display warf fahles Licht auf den Rand der Bettdecke, auf die dünne Linie ihrer Handknöchel. Schritte schoben sich durch den Flur. Ein Mantel strich an Holz, die schweren Sohlen blieben an der Kante des Teppichs hängen, da, wo der Läufer in der Mitte des Korridors immer einen Buckel bildete.
Er kam ins Schlafzimmer, drückte die Klinke nur so weit, bis die Tür vorbeischwang, blieb einen Moment in der Öffnung stehen. Schummerlicht vom Flur lag auf seinen Schultern. Der Geruch kam zuerst: Whiskey, Zitrus, kalte Nachtluft, Schweiß, etwas Metallisches. Er zog die Tür hinter sich zu. Dunkelheit klappte zu, nur der hellgraue Balken des Straßenlichts lag über dem Teppich, eine schräge Bahn bis zum Fußende.
Seine Finger tasteten an der Wand entlang, fanden keinen Schalter, ließen es sein. Er kannte den Weg. Schuhe lösten sich, ein Gürtel klappte. Stoff raschelte. Das Bett gab nach, als sein Gewicht auf die Matratze sank. Seine Hand suchte die ihre unter der Decke. Warm, schwer, feucht in der Handfläche. Sie hielt still. Seine Finger rutschten an ihre. Fingernägel kratzten leicht. Es blieb an ihr haften. Etwas Zähes. Sie zog die Hand weg, als würde sie das Kissen zurechtrücken.
Er drehte sich auf den Rücken. Der Atem pendelte, wurde tiefer, gleichmäßiger, unterbrochen von einem kurzen Husten, dann wieder ruhig. Margo lag auf dem Rücken, starrte in die Dunkelheit, die sich wie ein Tuch vor ihr spannt. Sie führte die Hand an die Bettkante, rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Es klebte. Ein feiner, dunkler Film auf ihrer Haut, der nicht wegging, wenn sie die Finger an der Bettdecke strich. Sie roch daran. Eisen.
Sie hob sich ein wenig, schob sich aus dem Bett, achtete auf das tiefe Atmen. Der Parkettboden war kalt. Im Bad flackerte das Nachtlicht am Fuß der Steckdose. Das Licht streifte Kacheln, verirrte Tropfen auf dem Spiegel, die er beim Händewaschen hinterlassen hatte, wenn er sich überhaupt die Hände gewaschen hatte. Margo hielt ihre Finger unter den Wasserhahn, drehte auf. Der dünne Strahl löste Rostspuren, wurde klar. Das Wasser färbte sich rosa, dann klar. Sie stand da, beide Hände am Waschbecken, der Atem flach. Das Rauschen im Haus blieb aus. Kein Summen von Rosas Staubsauger, kein Klappern von Geschirr, keine Schritte im unteren Flur. Seit drei Tagen fehlte dieses Geräusch. Seit drei Tagen keine Nachricht. Rosa antwortete immer. Kleine Häkchen auf dem Bildschirm, kurze Sätze, Bilder von zwei Kindern in Schuluniform, die Zahnlücke des Sohns, die geflochtenen Zöpfe der Tochter. Nichts mehr.
Sie trocknete die Finger an ihrem Schlafhemd. Weißer Jersey, weicher Kragen, ein Knopf fehlte, das Loch hing offen. Sie presste den Kragen zu, als könnte sie die Kälte aussperren, die unter der Badezimmertür kroch. Zurück im Schlafzimmer hockte sie am Rand des Bettes. Edward lag auf der Seite zu ihr, ein Arm über dem Laken, die Finger gekrümmt, die Nägel glänzten im schwachen Streiflicht, nicht sauber. Die feinen Rillen, in denen etwas steckte. Dunkle Ränder in der Halbhelle, die sich nicht als Schmutz aus der Küche deuten ließen. Nicht nach einer Nacht, die er angeblich in Besprechungen verbracht hatte. Seine Hände waren gepflegt, manikürt. Blut blieb darin hängen. Blut brauchte Druck, damit es unter die Nägel geriet.
Margo beugte sich vor, der Kopf direkt über seiner Hand. Sie tastete nicht. Sie sah. Eine rote Spur am Nagelmond des Zeigefingers. Eine dünne, getrocknete Linie am Mittelfinger. Fleischgewebe? Nein. Sie zwang den Gedanken weg. In ihr hob sich etwas. Nicht Panik. Etwas Ruhigeres, Härteres. Ein Punkt, der sich scharf stellte. Sie richtete sich auf. Das Bett gab leise nach, sein Atem stockte kurz, ging weiter.
Sie glitt an der Bettkante entlang. Ihre Fußsohlen fanden die Delle im Teppich. Am Fenster stand der Vorhang nicht ganz zu. Hinter dem Glas hingen graue Fäden von den Eichen. Spanisches Moos. Es bewegte sich im Wind, keine Böen, nur eine konstante Bewegung, als würde etwas immer wieder gegen die Scheibe streifen. Feuchte Luft stand vor der Dichtung. Die Kälte war anders als zu Hause im Januar. Nicht trocken, sondern klebrig, als lege sie sich auf die Haut. Der Garten lag still. Kein Insekt, kein Auto.
Ihr Handy lag auf dem Nachttisch. Sie nahm es, ohne auf die Uhr zu schauen. Nachricht. Sie öffnete den Chat mit Rosa. Die letzten Blasen standen noch da. "Mañana temprano, Señora." Drei Tage alt. Davor Fotos von Einkäufen, ein Witz über die Mango-Qualität im Supermarkt an der St. Charles Avenue. Leere. Sie scrollte höher, bis die Bilder kleiner wurden. Der Chat endete dort, wo er nun endete. Keine grauen Häkchen mehr.
Sie schloss Rosas Chat und öffnete den Ordner mit Fotos. Keine neuen Bilder von heute. Das Dunkel spiegelte ihren Blick im Display. Ihr eigenes Gesicht, blass, die Wangen eingefallen, die Augenhöhlen tief. Sie zog den Vorhang einen Spalt auf, ließ etwas Licht auf die Fläche fallen. Das Display blieb leer. Kein unverhofftes Lebenszeichen.
Der Teppich vor dem Bett hatte einen dunkleren Bereich. Nicht groß, nicht gleichmäßig konturiert. Margo kniete. Der Geruch war neutral. Sie strich mit der Hand unter das Bett, suchte den kühlen Holzrahmen, schob ihre Finger über die Leiste. Etwas Hartes stieß gegen die Fingerkuppe. Ein kleiner Gegenstand klemmte zwischen Lattenrost und Teppich. Sie griff danach. Eine Kette. Der Anhänger rutschte aus der Handfläche, schlug kurz gegen den Boden. Sie fing ihn. Ein ovaler Anhänger aus Metall, eingelassene Konturen, abgewetzte Kanten. Eine Dame mit Mantel, der Kopf gesenkt, ein Kind auf dem Arm, ein Kranz aus winzigen Punkten am Rand. Maria. Das Medaillon, das Rosa nie ablegte. Die Kette war gerissen; zwei Glieder standen offen, die Kanten scharf. Ein Haar steckte in einem Glied. Dunkel, nicht ihr eigenes, zu dick, zu lang.
Sie hielt den Anhänger mit zwei Fingern, damit die Kette nicht erneut entglitt, und schob ihn in die Tasche ihres Schlafhemds. Das Metall blieb kalt an der Haut. Das Gewicht war klein und schwer zugleich. Nicht wegen der Masse. Wegen der Bedeutung. Sie begrub die Hand in der Tasche, bis die Knöchel schmerzten.
Edwards Atmen weiter. Ein schnelles Zucken im Schlaf, ein unverständliches Murmeln, dann Ruhe. Sein Handy lag nicht auf seinem Nachttisch. Er ließ es gern aufgeladen im Arbeitszimmer. Er kontrollierte die Ladestände, die kleinen roten Symbole störten ihn. Ordnung. Kontrolle. Routine. Margo stand auf. Die Kälte des Bodens drückte sich in ihre Fersen. Sie ging zur Kommode, zog die zweite kleine Schublade ganz auf, dann wieder ein Stück zu. Unter der Papierlage mit Parfümproben lag der kleine Schlüssel mit dem schwarzen Kunststoffkopf. Eine Kerbe im Metall, die man nur spürte, wenn man darüberstrich.
Sie schloss die Schublade leise. Die Klinke der Schlafzimmertür blieb in ihrer Hand. Sie hörte wieder hin. Kein Wechsel im Atem. Der Flur lag schwarz vor ihr. Sie kannte jede Unebenheit. Der Kronleuchter in der Diele unten kreischte, wenn Luftzüge zu stark waren. Heute schwieg er. Das Haus wirkte gepresst, als hielte es den Atem.
Margo schob sich an der Wand entlang zum Arbeitszimmer am Ende des Flurs. Die Tür hatte ein neues Schließblech, das Edward vor einem Monat hatte einsetzen lassen. Der Schlüssel passte trotzdem. Das Schlüsselloch zögerte, der Metallstift gab nach, die Feder sprang. Ein leises Klicken. Sie drückte die Tür nur so weit auf, dass sie hindurchschlüpfen konnte, und schloss sie wieder, bis sie genau einrastete.
Sie ließ das Handy auf dem Schreibtisch vibrieren, um eine minimale Lichtquelle zu haben. Der Bildschirm sprang an. Sie senkte die Helligkeit auf den niedrigsten Wert. Der Raum gewann Kontur. Bücherwand, ein Globus, dicker Teppich, ein großflächiger Schreibtisch aus dunklem Holz. Auf der rechten Seite der Papierkorb unter dem Beistelltisch. Er war nicht voll. Obenauf zerrissene Papiere, nicht fein geschreddert, sondern in grobe Stücke gerissen. Sie kniete ihn nieder, legte die Stücke auf den Boden, drehte sie, bis sich Buchstaben trafen. "Rosa. Marta." Sie sortierte weiter. ".z."-ein Rest. "ez"-Endung. "Martinez." Ein offizielles Dokument, Wasserzeichen im Papier, der Stempel halb gerissen: "United States Citizenship and Immigration Services". "Employment Authorization Card". Das Foto fehlte, die Ecke war ab. Sie fügte eine Ecke an die andere, bis die Poren im Papier aneinanderpassten. Das Ablaufdatum war in wenigen Monaten. Der Name stand klar. Rosa Martinez. Warum lag das in Fetzen im Papierkorb?
Sie fotografierte jede Fläche, jede Kombination. Finger. Display. Klicken. Sie schaltete den Ton aus, suchte im Menü, bis der Schutterton verschwand. Jede Aufnahme kontrollierte sie kurz, das Bild scharf, der Text lesbar.
Auf dem Schreibtisch lagen zwei Mappen. Eine mit dem geprägten Logo der Firma, die Edward nach der Hochzeit gekauft hatte, eine Importfirma, die Kaffee, Holz, Textilien brachte, so stand es auf der Webseite. Die Mappe war neu; die Kanten waren noch nicht gebrochen. Sie öffnete sie. Obenauf ein Lieferschein. "San Pedro Sula - New Orleans". Datum: gestern. Ein weiterer Ausdruck: "Vertrag - Sonderlieferung - Non-Food". Eine Tabelle mit Positionen, "Container", "Zollnummer", "Gewicht". Nicht die übliche Aufstellung für Kaffee. Die Papiere rochen nach Toner, frisch. Ein gezeichneter Name unter der Spalte "Empfang". Edward Caldwell. Ein weiterer Satz Papiere mit dem Briefkopf einer honduranischen Firma, die sie nicht kannte. "Transporte y Servicios". Stempel, Unterschriften. Das Datum stach. Einen...