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Das Wandern ist des Möders Lust - Doro Kagels neuester und persönlichster Fall! Vier Frauen und drei Männer, die sich über ein Online-Portal kennengelernt haben, wollen gemeinsam über den Küstenpfad von Wolgast nach Wismar wandern. Dünenwege, Steilküsten, die blaue Ostsee - was idyllisch beginnt, verwandelt sich in einen Albtraum, denn immer mehr erhärtet sich der Verdacht, dass sie verfolgt werden. Als einer der Wanderer ermordet aufgefunden wird, überschlagen sich die Ereignisse.Zwei Wochen später: Im Zuge der Ermittlungen begibt sich die Journalistin Doro Kagel auf dieselbe Route, im Schlepptau ihren Sohn Jonas. Gemeinsam befragen sie Kellner, Wirte, Polizisten - und einige Mitglieder der Wandergruppe erscheinen dabei in einem ganz neuen Licht ...Noch mehr packende Küstenspannung? Dann empfehlen wir Ihnen auch die anderen Krimis um Doro Kagel oder Eric Bergs Stand Alones »Schattenbucht« und »Totendamm«. Darf's etwas mehr Sonne sein? Dann lesen Sie »Roter Sand«, den ersten Band der spannenden Gran-Canaria-Reihe um Kommissar Fabio Lozano.
»Du willst auf Wanderschaft gehen?« Meinem Mann Yim fiel fast der Kochlöffel aus der Hand, und er musste die Lippen aufeinanderpressen, um nicht zu lachen.
Ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Das Sportlichste an mir war die Geschwindigkeit, mit der ich ein Glas Prosecco leerte. Gelegentlich machten wir Radtouren, die mein Gesäß noch eine Woche danach reflektierte, und als Wanderung bezeichnete ich es bereits, wenn wir von unserem Dorf die paar Kilometer bis zum Wismarer Stadtrand spazierten. Ende Juni, also in etwa zehn Tagen, wollte Yim dort sein neues Fischrestaurant eröffnen.
»Ich habe gerade wenig zu tun«, sagte ich und spähte in den Topf, in dem ein Fischragout schmorte. »Außer, deine künftige Speisekarte rauf und runter zu probieren, was ich bereits dreimal getan habe. Und jedes Mal habe ich ein Kilo zugenommen.«
»Es steht dir gut.«
»Noch zwei solche Wochen, und ich muss mir ein halbes Dutzend neuer Etuikleider kaufen. Übrigens, die Wettervorhersage für die nächsten zehn Tage ist ziemlich günstig. Wenn nicht jetzt, wann dann? Außerdem mache ich es nicht zu meinem Privatvergnügen, sondern für den Job.«
Na ja, Letzteres stimmte nur halbwegs. Als Gerichtsreporterin war es eigentlich nicht meine Aufgabe, Mordfällen nachzuspüren, zumal der, um den es mir ging, erst wenige Tage alt und noch nicht aufgeklärt war.
Sieben Frauen und Männer waren auf eine mehrtägige Wanderung gegangen, nur sechs von ihnen hatten überlebt. Eine Person aus der Gruppe war im Wald ermordet worden. Ein Szenario für einen Gruselfilm - oder für das Buch über wahre Kriminalfälle, das ich zu schreiben gedachte. Gerade die Aktualität hatte meinen Verleger angespitzt, der in unserem letzten Gespräch meinte, ein laufender Fall sorge für den nötigen Pep. Man konnte sicherlich darüber streiten, ob die vierzehn Toten auf zweihundertsiebzig Seiten, die ich bisher in dem Buch versammelt hatte, bereits genug Pep boten. Aber es war mein erstes Projekt dieser Art. Journalistische Artikel hatte ich als Gerichtsreporterin bereits Hunderte veröffentlicht, aber ein Buch zu schreiben, war immer mein heimlicher Traum gewesen. Die diffuse Gefahr, im letzten Moment daran zu scheitern, waberte beständig durch meinen Körper, mal nah am Herzen, mal in der Magengrube, die meiste Zeit jedoch in den Windungen meines Gehirns. Ich wollte meinen Verleger glücklich sehen, und mein Verleger wollte sich auch glücklich sehen, also war es beschlossen.
»Normalerweise lieferst du mir nicht drei Argumente, bevor du etwas tust«, scherzte Yim. »Kommt mir so vor, als wolltest du eher dich selbst überzeugen und weniger mich.«
Ich schmunzelte. »Da ist was dran, leider. Ich habe so etwas noch nie gemacht, noch dazu alleine.«
»Ich würde gerne mitkommen.«
Ich schmiegte mich an Yim, der nach Kokos und Zitronengras duftete. »Wir wissen beide, dass das nicht geht. Die Eröffnungsfeier ist in weniger als vierzehn Tagen, und du hast bis dahin allerhand um die Ohren.«
Seine Hände streichelten meinen Rücken auf und ab. »Was ist das überhaupt für ein Fall?«
»Na, der Pilgermord drüben in Neuburg, fünfzehn Kilometer hinter Wismar.«
»Pilgermord« - so dramatisch hatte der Boulevard den Fall getauft. Allerdings nicht hundertprozentig zutreffend. Pilgerfahrten hatten eigentlich religiöse Ziele, etwa die Wanderung auf dem Lutherweg nach Worms, auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela oder auf dem Paulusweg in die Türkei. Der Wanderweg, dem die Bürokratie den romantischen Namen E 9 gegeben hatte, war durch und durch weltlicher Natur. Er war Teil einer zwölftausend Kilometer langen europäischen Fernwanderstrecke vom Baltikum bis nach Portugal und verlief auf deutschem Boden zwischen Usedom und Ostfriesland. An der Ostsee endete er in Warnemünde, nicht weit von Lübeck.
Dennoch, in diesem speziellen Fall sah ich dem Boulevard das Schaumschlagen nach. Im einundzwanzigsten Jahrhundert durfte man das Pilgern nicht mehr so eng auslegen, vor allem nicht in Europa, wo Christen Zen-Gärten anlegten, die Sommersonnenwende in Stonehenge feierten oder sich hinduistische Schriftzeichen auf den Rücken tätowieren ließen. Das Wandern hatte eine meditative Komponente bekommen, ähnlich dem Fasten. Ursprünglich hatte es mal reinigende, mal stärkende, mal reflektierende Eigenschaften gehabt, und so konnte ein jeder die Haustür hinter sich zuknallen und auf einem x-beliebigen E-Irgendwas an die fünfhundert Kilometer zum Strand von Soundso pilgern, um dort ein Nacktbad zu nehmen.
Außerdem hörte sich Pilgermord besser an als Wanderermord oder Waldmord oder Ferienhausmord. Trotzdem war die Resonanz nicht besonders groß gewesen, von der Schlagzeile in einem großen deutschen Nachrichtenblatt einmal abgesehen. Am nächsten Tag waren bereits andere Verbrechen wichtiger, ein suspendierter Polizist, der seine Familie erschossen hatte, ein Clankrieg in Hamburg .
Ob in einem halben Jahr, wenn mein Buch erschien, der Fall noch heiß genug sein würde, war höchst unsicher. Natürlich hing es auch davon ab, ob meine Schilderung etwas Neues, Aufregendes oder Tiefgehendes böte. Damit, ein paar Akten zu studieren, den Tatort zu besichtigen und zwei, drei, meinetwegen auch fünfzehn Interviews zu führen, war es nicht getan.
Yim beschwerte sich. »Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, dass du alleine durch einen Wald läufst, wo gerade erst jemand ermordet wurde.«
»Der Täter wird ja wohl kaum noch hinterm Busch sitzen.«
»Trotzdem, Doro, so geht das nicht. Ich werde mir die ganze Zeit Sorgen machen und die Doraden in der Pfanne anbrennen lassen.«
Um Yim - und mir selbst auch - einen Gefallen zu tun, durchforstete ich noch am selben Tag mein Adressbuch auf der Suche nach Personen, die in Frage kamen, mich zu begleiten. Sie mussten sowohl Zeit für eine mehrtägige Wanderung haben als auch entsprechendes Schuhwerk, sprich: eine gewisse Erfahrung und Leidensfähigkeit. Jemand, für den ein Hühnerauge bereits ein Grund für einen Krankenschein war, kam nicht infrage. Ferner musste der Wille vorhanden sein, sich für eine Woche vom Lebenspartner und dem heimischen Sofa zu lösen. Nicht zu unterschätzen war die nötige Toleranz, mich länger als ein paar Stunden um sich zu haben. Dutzendweise schieden die Kandidaten aus.
Erst beim Buchstaben S wurde ich fündig. Meine Freundin Sylvia fuhr jeden Sommer ins Allgäu, nach Österreich oder Südtirol zum Bergwandern. Seit ihrer Scheidung war sie vermögend und arbeitslos, eine seltene Kombination, vor allem in Berlin, außerdem verstanden wir uns prächtig. Leider weilte sie gerade auf Korsika, wie sie mir begeistert am Telefon erzählte. Und Viktor, mein frühverrenteter Cousin, der ebenfalls sämtliche Kriterien erfüllte, hatte den Fuß in Gips. Ich legte auf und stellte mich auf eine einsame Wanderung ein, was fast schon wieder etwas Meditatives an sich hatte.
Vielleicht war genau das der tiefere Grund gewesen, weshalb sich drei von sieben Leuten der Wandergruppe ohne Begleitperson auf den Weg gemacht hatten. Weil sie auf der Suche nach etwas waren oder vor etwas davonliefen. Für beide Motive waren Menschen, die man liebte und immer um sich hatte, meiner Erfahrung nach nur hinderlich. Die einen lenkten, ohne es zu wollen, von der Suche ab, die anderen riefen, ebenso unabsichtlich, permanent die Erinnerungen wach, die man verdrängen wollte. Alle meinten es gut, aber alle erreichten genau das Gegenteil. Abgesehen davon, war das Alleinsein ein Zustand, den viele Menschen mieden, sei es aus Gewohnheit oder Veranlagung. Nicht wenige ängstigten sich sogar davor, und so war das Wandern in einer Gruppe Gleichgesinnter, wenngleich Fremder, auf die man sich nach Belieben schneller oder weniger schnell einlassen konnte, ein guter Kompromiss. Im besten Fall kamen neue Freundschaften dabei heraus, im schlimmsten lief man am Ende eben doch allein.
Für mein Vorhaben kam das nicht in Frage, ich musste zeitlich und örtlich flexibel sein und die Reise auf Schusters Rappen notfalls abbrechen und an anderer Stelle wieder aufnehmen können. Eventuell musste ich auch mal länger an einem Ort verweilen, als normale Wanderer das tun. Was mir vorschwebte, war nicht nur die übliche Kriminalberichterstattung - wer wurde wo, wann, wie und warum ermordet? Ich wollte vielmehr vollständig in die Materie des Wanderns eintauchen. Ich wollte verstehen, was die Menschen dazu brachte, säkulare oder religiöse Pilgerreisen zu unternehmen, oder besser, sie auf sich zu nehmen. Und das alles sowohl ganz allgemein als auch auf den konkreten Fall bezogen, also auf die Personen besagter Wandergruppe. Normalerweise hatte ich für meine Artikel etwa dreißigtausend Zeichen zur Verfügung, eine Handvoll Seiten also, und das war im Journalismus schon viel. Um zwei Dutzend Wörter führte ich mit den zuständigen Redakteuren manchmal sogar Kriege. Bei einem Buch hingegen fielen zehn, zwanzig oder sogar dreißig zusätzliche Seiten nicht sonderlich ins Gewicht. Ich durfte daher mal so richtig im Thema schwelgen, was im Journalismus als eine der Todsünden gilt.
Als ich am nächsten Tag meinen Rucksack packte, stieß ich auf das erste Hindernis, auf das vor mir schon Millionen und Abermillionen Pilger gestoßen waren: Das Ding war voll, bevor ich die Hälfte der unbedingt benötigten Sachen verstaut hatte. Ich war zwar intelligent genug, zu begreifen, dass »unbedingt benötigt« ein dehnbarer Begriff war, aber nicht kreativ genug, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Auch nachdem ich die Liste dreimal durchforstet und so manches wieder gestrichen hatte, platzte der Rucksack noch aus...
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