Schweitzer Fachinformationen
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»Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde und Förderer des Jensen-Museums Kleefeld, ich begrüße Sie herzlich zur Eröffnung unserer Ausstellung >Der Strom des Lebens - Leben am Wasser, Leben mit Wasser<.«
Dr. Franziska de Beer, die Museumsleiterin, hatte das Wort ergriffen. Der Geräuschpegel legte sich, die zahlreich an diesem Sonntagvormittag zur Vernissage erschienenen Gäste waren gespannt auf ihre Einführungsrede. Heute Abend wurde der zweite Teil der geplanten Ausstellungstrilogie »Der Strom des Lebens« eröffnet.
Das JMK war eine Institution, die sich der Erforschung der Flussniederung und ihrer Kulturlandschaft, den Marschen von Kleefeld, widmete. Eine über Jahrhunderte fruchtbare, von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft geprägte Region. Bevor Kleefeld von einem Monarchen im 17. Jahrhundert gegründet worden war, hatte hier nur amphibische Ödnis geherrscht. Die Landschaft, die dem täglichen Wechsel von Ebbe und Flut ausgesetzt war, musste erst einmal kultiviert werden. Viele Kilometer Deich waren notwendig gewesen, bevor das Terrain besiedelt werden und der Stadtbaumeister des Königs mit seiner Arbeit beginnen konnte.
Im Jensen-Museum wurde die Entstehungsgeschichte der Stadt und der umliegenden Marschen erzählt. Jens Jensen, ein umtriebiger Kleefelder Lateinlehrer, hatte die Sammlung im späten 19. Jahrhundert gegründet. Viele Objekte belegten, wie schwer es gewesen sein musste, Deiche zu errichten und den Boden zu kultivieren. Der Große Fluss beherrschte schon damals Land und Leute.
Auch heute Abend ging es um Wasser.
»Wir möchten in unserer Ausstellung zeigen, wie nachhaltig der Fluss das Leben der Menschen und die Entwicklung der Region geprägt hat. Für den Stadtgründer war die Lage am Strom vor fast vierhundert Jahren ausschlaggebend, lieferte er doch zum einen die notwendige Verbindung zu den Weltmeeren und zum anderen ins Binnenland zu den großen Städten, die bald zu wichtigen Handelspartnern wurden. Die Stadt Kleefeld hat sich bis heute ihre Prägung durch den Hafen und die Lage direkt an der Wasserkante bewahrt.«
Manche Ortsbezeichnungen ließen erahnen, dass hier in früheren Zeiten raue Gesetze herrschten, nach Norden erstreckte sich die Gerbersche, nach Süden die Siebrechtsche Wildnis. Die beiden Lehnsherren, nach denen diese Regionen benannt worden waren, gingen mit unrühmlichen Taten in die Geschichte ein, grausame Knechtschaft, Vergewaltigung und Hunger hatten deren Untertanen zu erleiden.
Franziska de Beer scherzte oft, dass sie am Rande der Wildnis lebe. Wie recht sie damit haben sollte, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.
Sie war wie immer vor öffentlichen Auftritten nervös, das hatte sie in all den Jahren, die sie ihren Beruf schon ausübte, nicht abgelegt. In Erwartung des bevorstehenden Frühlings trug sie einen cremefarbenen Hosenanzug, dazu helle Wildlederpumps. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Ihre äußere Erscheinung war ihr wichtig, perfekt gekleidet zu sein, gab ihr Schutz, wenn so viele Augenpaare auf sie gerichtet waren. Aber sie badete auch in der Menge des Publikums und letztlich in ihrem Erfolg, denn alle waren hier, um ihre Ausstellung zu sehen.
Sie war vor vier Jahren nach Kleefeld gezogen, da war sie eher an ein komfortables Großstadtleben gewöhnt gewesen als an Windstärke neun, Gummistiefel und Kohlfelder, aber sie hatte sich mit den etwas einsilbigen und oft verstockten Marschbewohnern ins Benehmen gesetzt, ja sogar einige von ihnen ins Herz geschlossen. Die ständige Bedrohung durch Wasser und Sturm hatte die Menschen hier über Jahrhunderte geprägt, das war selbst heute, in Zeiten von Küstenschutz und immer höher wachsenden Deichkronen, noch zu spüren. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten und Berührungsängsten war Dr. Franziska de Beer angekommen. Man schätzte ihre Arbeit, vor allem ihr Geschick, interessante Kooperationspartner nach Kleefeld zu holen. Seit Franziska die Leitung des JMK übernommen hatte, flossen die Gelder, und mit ihren Projekten hatte sie das Interesse der überregionalen Presse geweckt. Kleefeld in den großen Feuilletons, das hatte es zuvor noch nie gegeben.
Aber ihr Erfolg rief auch Neider auf den Plan.
Franziska de Beer bewohnte am Rande von Kleefeld einen hübsch renovierten Bungalow aus dem Jahr 1959. Er war der letzte in einer Reihe von Häusern, die an einem schmalen Seitenlauf des Großen Flusses lagen, der durch die Siebrechtsche Wildnis floss. Genau auf ihrer Grundstücksgrenze befand sich das Ortsschild, auf der einen Seite stand »Kleefeld«, auf der anderen »Siebrechtsche Wildnis«. Das Haus hatte ihr auf Anhieb gefallen, es war natürlich aus rotem Klinker, und es hatte einige sehr schöne zeittypische Details. Zum Vordereingang gelangte man über eine Terrasse mit weißen hölzernen Gartenmöbeln. Zur Straßenseite war die Terrasse mit einem Glasbild geschlossen, das aus einem Mosaik bunter Scheiben bestand, es zeigte ein Segelboot auf großer Fahrt. Es war ein Wunder, dass das Glasbild all die Jahre überstanden hatte.
Innen gab es ein großes Wohnzimmer mit riesigen Blumenfenstern. Franziska war vor allem von der nierenförmig geschwungenen Fensterbank begeistert. Das Haus war voller breiter Fensterbänke. Zwar hatte sie keinen Sinn für Topfblumen, aber dieses Haus bot endlich Platz für ihre kleinen Tierskulpturen. Sie besaß eine ansehnliche Sammlung von Bronzetieren.
Vom Esszimmer aus konnte sie weit in die Felder schauen. Zwischen Küche und Esszimmer waren aufwendig geschreinerte Einbauschränke erhalten, darin Schubladen mit samtausgelegten Unterteilungen eigens für Besteck. Franziska hatte das alte Familiensilber geputzt, schwere silberne Bestecke aus der wilhelminischen Zeit, jedes Teil versehen mit einem von Ranken eingerahmten »B«. Im ersten Frühjahr hatte sich das riesige Feld hinter ihrem Haus in einen leuchtenden gelben Teppich verwandelt: Raps, wohin sie nur schauen konnte. Aber fast noch mehr beeindruckt hatte sie das frisch gepflügte Feld, als sie im Herbst davor eingezogen war. Die großen, fettig glänzenden Schollen des Marschbodens schienen beinahe in ihr Esszimmer zu fluten. Am tief liegenden Horizont drehten fleißig die Windräder ihre Flügel. Eigentlich mochte sie diese gigantischen Stromproduzenten nicht, aber zu dieser Landschaft gehörten sie dazu.
Franziska griff in ihre rechte Hosentasche, wo sie das Netsuke spürte, einen kleinen rundlichen Hasen aus Elfenbein. Er lag schmeichelnd in der Hand und brachte ihr Glück bei wichtigen Auftritten oder beschützte sie in schwierigen Situationen, so dachte sie zumindest. Auf jeden Fall beruhigte sie der kleine Hase. Er war ihr immer das Lieblingsstück aus der Sammlung von Netsukes gewesen, die sich, seit sie denken konnte, in ihrem Elternhaus befunden hatte. Nun war diese Sammlung von kleinen Figuren, Hasen, Schildkröten, Drachen und japanischen Glücksgöttern, geschnitzt aus Wurzelholz, Büffelhorn und Elfenbein, in ihren Besitz übergegangen.
Franziska schaute ins Publikum, bevor sie weitersprach. »Besonders stolz bin ich auf den Wind-Wellen-Kanal. Er wurde eigens für unsere Ausstellung von den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Strömungsmechanik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg geplant und hier vor Ort aufgebaut. Für diese außerordentlich großzügige Unterstützung meinen ganz herzlichen Dank an die HSU, besonders an Herrn Professor Dr. Rainer Fahrenholz, den ich hiermit begrüßen möchte. In dem Wind-Wellen-Kanal können Wellen unterschiedlicher Stärke und Form simuliert werden. Unsere Besucherinnen und Besucher haben an einem Pult per Fernsteuerung die Möglichkeit, die Frequenzen des Wellenpaddels und die Windstärken zu bestimmen. Das zwanzig Meter messende Glasbecken stellt eine Art Miniaturmodell des unendlichen Meeres dar, gezähmt und mächtig zugleich. Aber dazu wird Ihnen nun Herr Professor Fahrenholz Näheres erzählen.«
Franziska de Beer richtete an alle Beteiligten, Sponsoren und Organisatoren ihre Dankesworte und überließ das Rednerpult Herrn Professor Fahrenholz. Sie steuerte den freien Platz neben ihrem Ehrengast an, der sich gerade erhob, um vor das Publikum zu treten. Sie nickte ihrem Kollegen freundlich zu.
Franziska de Beer war als Chefin des Museums stets darum bemüht, den Teamgeist ihrer Mannschaft zu fördern. Es gelang ihr fast immer, die Begabungen und Interessen jedes Einzelnen anzusprechen. Vor vier Jahren bestand die Belegschaft des Jensen-Museums aus einer Truppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alle auf ihre Weise ihre Meriten hatten, doch es herrschte kein Teamgeist, keine Identifikation mit der Institution, keine gemeinsame Idee. Das hatte sich unter Franziska geändert. Bei manchen Mitarbeitern hatte sie sogar das Gefühl gehabt, sie hätten nur darauf gewartet, unter neuer Führung so richtig durchzustarten.
Dazu zählte auf jeden Fall ihre rechte Hand in Sachen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Eliza Mendes, eine feurige Puerto Ricanerin, die, ohne ihr südländisches Temperament eingebüßt zu haben, in die norddeutsche Mentalität hineingewachsen war. Franziska war jeden Tag froh, eine so verlässliche und fähige Mitarbeiterin zu haben. Wenn sie morgens das Büro betrat, war Eliza meistens schon da und hatte ihren wundervollen Mokamo Dolce aufgesetzt, einen herrlichen Kaffee, der ein bisschen nach frischen Walnüssen und vor allem nach Schokolade schmeckte. Sie bekam ihn regelmäßig von ihrer Familie zugeschickt.
Eliza Mendes war in den frühen siebziger Jahren nach Deutschland gekommen, der Liebe wegen, wie sie immer betonte. Sie hatte ihren Mann Piet in San Juan, ihrer Heimatstadt, kennengelernt. Damals hatten Seemänner noch Gelegenheit gehabt,...
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