Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Johnny Depp wasn't here! (neither was Ricky Gervais!!)
Touristenwarnung vor einem Café in Barcelona
Ramallets, Foncho, Gensana, Gràcia, Vergés, Segarra - schöne, tönende katalanische Namen. Für mich allerdings einfach spanisch. Zu lesen waren sie an einem Herbstnachmittag des Jahres 1960 im Programmheft des Hamburger Volksparkstadions. Der deutsche Fußballmeister HSV spielte in einem Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona, und ich pilgerte zum ersten Mal ins Volksparkstadion, begleitet von meinem älteren Bruder, denn ich war erst zehn.
Solche Spiele, die heute ihre Bedeutung verloren haben, waren damals eine große Sache. Mit zweiundsiebzigtausend Menschen war das Stadion ausverkauft. Die genannten Namen standen für die Defensive des FC Barcelona. Der Sturm bestand, wie Kenner wissen, aus drei dem Wunderteam der fünfziger Jahre entlaufenen Ungarn, einem Brasilianer und einem Mittelstürmer aus Galicien. Der HSV verlor 2:3, aber das war nicht so wichtig. Ich hatte mich in die Stadionbroschüre vertieft und las immer wieder die Namen dieser Magier aus der Ferne. Irgendwann während der nächsten Monate schnitt ich ein Foto der Mannschaft des FC Barcelona aus einer Zeitung und klebte es mir über das Bett, gleich neben einem Foto von Real Madrid. Die hatten alles gewonnen, was es gab, und das immer wieder. Meine Liebe aber gehörte den zweiten Siegern, auch schon mal den Verlierern. Zwar war der schon damals steinreiche Club der katalanischen Hauptstadt nicht unbedingt das geeignete Objekt solcher Gefühle, aber das wusste ich noch nicht. So begann meine Liebesbeziehung mit Katalonien und seiner Metropole, und vielleicht war es ihr förderlich, dass ich von beidem selbst erst einmal gar keine Vorstellung hatte. Die bekam ich zehn Jahre später.
1970 war Spanien - für mich zumindest - ein fernes, von einer Mischung aus Romantik und Mord und Totschlag durchzogenes Märchenreich, weit im Westen Europas, hinter einer hohen Gebirgskette, den Pyrenäen, gelegen. Eigentlich hat sich daran nichts geändert. Wenn man sich auf der Fahrt durch Südfrankreich hinter Narbonne der spanischen Grenze nähert, meint man angesichts der immer kargeren Landschaft heute noch, es sei ein Ende erreicht. Und doch beginnt dahinter ein Riesenreich, das sich eigentlich bis hinunter nach Feuerland erstreckt.
Der genuin spanische Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, der Bürgerkrieg von 1936 bis 1939, reihte sich lückenlos in dieses sentimentale Bild ein. Dieser Bürgerkrieg ist nicht nur gewissermaßen der ideale Gesamtbürgerkrieg aller Zeiten, denn es standen sich wirklich zwei Spanien mit gefletschten Zähnen gegenüber. Er ist auch bis heute wie kaum ein anderer historisiert, fotografiert, literarisiert worden, und neben dem republikanischen Bollwerk Madrid spielt Barcelona mit seinem anarchistisch-trotzkistischen Revolutionsintermezzo die Hauptrolle.
Mein Vater hatte meine Parteinahme vorweggenommen. Er schätzte den Diktator Franco, der diesen Krieg gewonnen hatte, und schimpfte mit nie versiegendem Zorn über die besiegten »Roten« - die perfekten Stellvertreter für seinen Hass auf Kommunisten und alles, was er und seine bürgerlich-deutschen Zeitgenossen dafür hielten. Dabei war er, weit gereist wie kaum ein anderer aus der Generation der um 1910 Geborenen, seltsamerweise kaum jemals in Spanien gewesen. Das Land war, wie für viele Konservative seiner Zeit, auch für ihn ein spitzer Gegenstand, an dem sich seine Wut auf alles Linke stets aufs Neue entzündete. Ich staunte, denn es herrschte doch Friedhofsruhe, und ein uralter Diktator lag seit unvordenklicher Zeit wie ein Grabstein auf dem Land. Meine Sympathie gehörte, selbstverständlich, den Verlierern des Bürgerkriegs. Ich musste irgendwann dorthin, und nach dem Abitur, im Sommer 1970, ergab sich die Möglichkeit, mit zwei Freunden per Anhalter nach Barcelona zu fahren.
Die Fahrt dauerte mehrere Tage. Europa verfügte zu jener Zeit noch über kein nennenswertes Autobahnnetz. Wir reisten auf uralten Reiserouten, über die westliche Schweiz, den Genfer See, das Rhonetal abwärts nach Lyon und dann durch die Provence (Via Domitia!). Der freiheitlich anarchische Geist Barcelonas erreichte mich irgendwo zwischen Arles und Nîmes: Dort nahm mich ein Postangestellter in einem Auto der vorsintflutlichen Marke Panhard mit und erklärte mir, er sei Kommunist und der Meinung, Reichtum sei für alle da (seltsam: keine Hörner, keine Hufe, kein Schwefelgestank, ein ganz normaler, lustiger Franzose!).
In der Provence hatte ich mich von meinen Freunden getrennt. Per Anhalter reiste es sich nicht so gut zu dritt. Wir verabredeten uns auf ein Wiedersehen in der Jugendherberge von Barcelona, in ein paar Tagen. Am spanischen Grenzübergang Port Bou sah man zum ersten Mal die berühmten Lackhelme, die Kopfbedeckung der gefürchteten Guardia Civil, die ich für eine Art übriggebliebene SS hielt. Sie waren auch sehr streng, wollten 300 D-Mark sehen, ohne die man nicht einreisen durfte. Man lieh sich das zusammen und gab es nach erfolgreichem Grenzübertritt wieder zurück. So ließen sie mich hinein. Ein niederländisches Pärchen nahm mich dann mit, und zwei Stunden später, es war längst Nacht, ließen sie mich mitten in der fremden Stadt aus dem Auto. Ich war todmüde, der Boulevard, auf dem man mich abgesetzt hatte, war menschenleer. Eine steinerne Bank mit weißer Mosaikoberfläche und einer darüber an einer fein ziselierten Eisenkonstruktion aufgehängten, merkwürdig geformten Straßenlaterne lud zum Ausruhen ein. Die Bank war seltsam rundlich und sehr bequem. Ich legte meinen Rucksack unter meinen Kopf und schlief sofort ein. Spät in der Nacht weckten mich zwei Guardias. Halbtot vor Schreck und Schläfrigkeit gab ich ihnen meinen Pass. Sie schauten hinein, dann teilten sie mir mit, wo die Jugendherberge sei, und ließen mich weiterschlafen. Für SS-Männer waren sie seltsam friedlich gestimmt. So schlief ich wieder ein und erwachte, als es hell wurde und die Straßen sich mäßig bevölkerten. Ich betrachtete meine Schlafstätte, fand sie irgendwie surreal und ahnte nicht, dass ich meine erste Nacht von Barcelona auf einem der Baudenkmäler verbracht hatte, die der Architekt Antoni Gaudí seiner Heimatstadt hinterlassen hat. Die Bänke schmücken heute noch den Passeig de Gràcia, den verkehrsreichen Boulevard, der, von der Plaça de Catalunya ausgehend, den Eixample, oder spanisch Ensanche, die nördlich des mittelalterlichen Stadtkerns gelegene, im 19. Jahrhundert gebaute Stadterweiterung, in nordsüdlicher Richtung durchläuft und die mittelalterliche Altstadt mit dem oberhalb gelegenen Viertel Gràcia verbindet. Wenn ich sie sehe, wird mir warm ums Herz.
Meine beiden Freunde traf ich am nächsten Tag pünktlich zur Fernsehübertragung des WM-Jahrhundertspiels zwischen Italien und Deutschland in der Jugendherberge. Während der folgenden Tage liefen wir vor allem durch die Vorstädte um die Sagrada Família, die sich damals noch in dem embryonalen, verglichen mit ihrem heutigen Bild aber tief beeindruckenden und rätselhaften Zustand befand, in dem Gaudí sie hinterlassen hatte, als er 1926 von einer Straßenbahn überfahren wurde. Zwei Türme standen, und das Geburtsportal, eine Stein gewordene Pflanze voller Vögel, war auch zu besichtigen. Staubig war es, sehr heiß, und zum ersten Mal machte ich Bekanntschaft mit dem Geruch des iberischen Südens: heißes, stark riechendes Olivenöl und Fisch. Jahrelang, eigentlich bis heute, war das Kriterium für Olivenöl nicht die Frage, ob es mehr oder weniger jungfräulich und kaltgepresst ist. Am besten gefällt mir, wenn es in der Pfanne jenen starken Duft entfaltet, der mich in einer nicht unbedingt Proust'schen Epiphanie zurückführt zu meinen ersten spanischen Stunden in Barcelona.
Ansonsten hingen überall Plakate, und in den Rückfenstern der Taxis prangte das Porträt des Staatschefs. »Die Gewerkschaften grüßen den ersten Arbeiter des Volkes« - ein Spruch wie aus Nordkorea schmückte die Transparente über der riesigen Avenida del Generalísimo Franco. Die geniale Art und Weise, in der diese riesige, schnurgerade, von oben links nach unten rechts verlaufende Straße die ganze Stadt aufschließt, habe ich erst viel später verstanden, als sie, ihrer Funktion entsprechend, wieder Diagonal hieß. Was sich mir allerdings schon bei unseren damaligen Wanderungen durch die oberhalb der parallel zum Meer verlaufenden Achse der Gran Via de les Corts Catalanes gelegenen Stadtviertel einprägte, war die Tatsache, dass jede Straßenkreuzung einen kleinen Platz bildete, der zum Verweilen einlud. Das Prinzip des Eixample hatte ich begriffen, bevor sich mir diese geniale Stadterweiterung (so die nüchterne Übersetzung) erschloss.
Den Generalísimus habe ich dann auch noch gesehen. Irgendwie hatten wir erfahren, dass er an einem jener Tage in der Kathedrale eine Messe hören wollte. Der Platz vor der finsteren, in meiner Erinnerung pechschwarz dräuenden Kirche war voller Menschen. Wir standen mittendrin und konnten aufgrund unserer den Durchschnitt der Anwesenden mühelos überragenden Körpergröße gut sehen. Hinter uns erstreckte sich eine lange, perspektivisch sich verbreiternde Gasse. Die Spanier waren unter der Diktatur nicht gewachsen. Endemischer Hunger und Unterernährung? Nur sechzehn Jahre nach Francos Tod teilte der Schriftsteller Javier Marías in einem Essay zum Thema der dramatischen Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild seiner Landsleute die Tatsache mit, dass während der ersten zwanzig Jahren der Demokratie nach...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.