Schweitzer Fachinformationen
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Der Mann, der sich schon so lange James Blaylock nannte, dass er manchmal das Gefühl hatte, wirklich so zu heißen, lehnte sich an die Wand und trank einen Schluck Mangosaft. Trotz der geöffneten Fenster, durch die salzige Luft hereinströmte, war es im Sitzungssaal des Hotel Estación heiß. 1928 von der Eisenbahngesellschaft im neoklassizistischen Stil erbaut und später renoviert, war es mit seinen drei Stockwerken, der blassen Fassade und dem offenen, rundum laufenden Säulengang ein Paradebeispiel für zeitlose Eleganz.
Blaylock trank den Saft aus und stellte das Glas auf das Tablett eines vorbeieilenden Kellners. Er holte eine Zigarre aus seiner leichten Leinenjacke, zündete sie an und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war kurz nach neun. In weniger als einer halben Stunde würde der Zugriff stattfinden. Higgins von der Botschaft hatte ihn gefragt, ob er bei der Aktion im Hafen dabei sein wolle. Blaylock hatte den Kopf geschüttelt. Dann vielleicht draußen im Dschungel, hatte Higgins gefragt. Wieder hatte Blaylock abgelehnt. Sie hielten ihn für einen Feigling. Das war ihm egal. Die Aktion im Hafen interessierte ihn nicht, und Fidels Abgang auch nicht. Worauf Blaylock neugierig war, war der Gesichtsausdruck von Salinas, wenn er kapierte, was gerade passiert war. Diesen Anblick würde sich Blaylock um nichts in der Welt entgehen lassen.
Er knöpfte seine Jacke auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er lebte seit Jahren in Kolumbien und hatte sich noch immer nicht an das mörderische Klima gewöhnt. Hier, in Buenaventura, dem wichtigsten Pazifikhafen des Landes, war die Hitze besonders drückend. Er lehnte sich aus dem Fenster und betrachtete die Lichter der Bars und Restaurants, die die Promenade säumten. Weiter hinten, in der Dunkelheit, lag das Hafengebiet mit seinen Lagerhallen, Kränen und Zollgebäuden.
Er warf die halbgerauchte Zigarre über die Brüstung ins Meer und schlenderte zum Büffet. Es gab Würstchen, gebratene Schweineschwarten, rote Bohnen, Spiegeleier und gegrilltes Meerschweinchen. Er nahm sich von allem etwas, stopfte sich ein paar Servietten in die Brusttasche seines Hemdes und mischte sich unter die Gäste. Die meisten kannte er. Manche nur aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung, manche persönlich. Hauptsächlich Minister und Lokalpolitiker, denen er bei anderen Feiern, bei Botschaftsempfängen und Vernissagen begegnet war. Die amtierende Miss Kolumbien war anwesend, ebenso einige ihrer Vorgängerinnen. Er entdeckte zwei bekannte Autoren, einen Maler und eine Sängerin, deren aktuelle Single auf Platz zwei der Hitparade war. Er genoss sein Essen und wischte sich die Finger an den Servietten ab. Dann war er bereit für Konversation. Der peruanische Kulturattaché der hiesigen Botschaft, ein kleiner Mann mit imposantem Schnurrbart, kam auf ihn zu, nahm ihn am Ellbogen und fragte: "Was macht die Arbeit?"
Blaylock lächelte. "Wie immer. Das Leben eines Juristen ist nicht gerade spannend." Er zwinkerte dem Kulturattaché zu, was ihm ein verschwörerisches Nicken einbrachte. Der Attaché interessierte sich so sehr für Kultur wie Blaylock sich für die Rechtsprechung interessierte.
Er wünschte seinem Kollegen noch einen schönen Abend, machte sich auf die Suche nach einem Glas Saft und lehnte sich, nachdem er fündig geworden war, an die Wand, um einen Blick auf Salinas zu erhaschen. Der große, schlanke Kolumbianer, dem man sein Alter - die heutige Feier fand zu Ehren seines fünfzigsten Geburtstages statt - nicht ansah, trug einen perfekt sitzenden Anzug aus heller Seide und ein blaues, am Kragen offenes Hemd. Um seinen gebräunten Hals hing eine Goldkette mit einem Medaillon der Jungfrau Maria. Blaylock gestand sich neidlos ein, dass der alte Mistkerl sich gut gehalten hatte. Er wirkte fit, agil und intelligent. Die junge blonde Schönheit neben ihm war Carmen, seine dritte Frau. Sie wich ihm nicht von der Seite. Salinas begrüßte seine Gäste, wechselte mit jedem ein paar Worte, trank Champagner, rauchte seine kubanischen Zigarren und schien bester Laune. Plötzlich löste sich aus der Menge eine junge Frau, die ein zu enges schwarzes Kleid trug. Sie ging auf Salinas zu und hängte sich an seinen Arm. Blaylock kannte sie. Juanita, Salinas' Tochter aus zweiter Ehe und Fidels Frau. Fidel hatte ihnen versprochen, dass es mit ihr keine Probleme geben würde, und sie hatten ihm geglaubt. Doch das hier sah nach einem Problem aus. Blaylock ging näher an die Gruppe heran.
"Papa, er ist immer noch nicht hier", sagte Juanita.
Salinas ließ seinen Blick über die Menge schweifen, runzelte die Stirn und sagte: "Wenn er in zehn Minuten nicht auftaucht, werde ich ihn anrufen."
"Es ist schon Viertel nach neun", sagte Juanita. "Wenn er nicht in zwei Minuten hier ist, braucht er gar nicht mehr zu kommen."
Blaylock schaute beiläufig zur Bar. Jeder wusste, dass Juanita um spätestens elf im Bett lag. Er hatte sie noch nie nach zehn am Abend auf einer Party gesehen. An der Bar hatten sich drei junge blonde Frauen eingefunden, die Cocktails tranken und absolut hinreißend aussahen. Fidel, dachte Blaylock, du bist ein Glückspilz. Die Vorliebe des Chemikers für Rubias war bekannt, und die Tatsache, dass er seiner Frau nicht treu war, störte niemanden. Solange er sich nicht scheiden ließ, war alles in Ordnung. Blaylock prostete den Schönheiten zu und bedauerte Fidel ein wenig. Heute würde er sich nicht in diese weichen Arme schmiegen können.
Wieder ein Blick auf die Omega: Zwanzig nach neun. Noch zehn Minuten. Als sie Fidel vor drei Wochen mit dem halben Kilo geschnappt hatten, konnten sie ihr Glück zuerst nicht fassen. Fidel war nicht nur der Schwiegersohn von Ernesto Jaime Salinas, einem der größten Drogenbosse eines an großen Drogenbossen nicht gerade armen Landes, sondern auch sein Chemiker, der aus der Coca-Paste das begehrte weiße Pulver herstellte. Nach der ersten Stunde des Verhörs war von der Hochstimmung nicht mehr viel übrig gewesen. Guillermo Zuazo, den man aufgrund eines Muttermales, das wie der Kopf von Castro ausschaute, Fidel nannte, hatte wenig zu erzählen. Er war zwar Salinas' Schwiegersohn, aber der Alte vertraute ihm keine geschäftlichen Details an. Sie hatten ihm hart zugesetzt, ohne Erfolg. Schließlich hatten sie ihm gedroht. Du rückst mit einer brauchbaren Information raus oder wir lassen dich laufen und bringen das Gerücht in Umlauf, dass du deinen Patrón bestohlen hast, um ein bisschen was nebenbei zu verdienen. Was zufälligerweise stimmte. Fidel war blass geworden und hatte erst zu stammeln, dann zu weinen begonnen. Blaylock und seine Kollegen konnten ihm das nicht verübeln. Sie alle kannten die Geschichten. Diebe und Verräter wurden bei lebendigem Leib in Säurefässer gesteckt. Pablo Escobar, möge er in der Hölle verrotten, hatte es vorgemacht und begeisterte Nachahmer gefunden. Nach zwei Stunden hatte sich der Chemiker plötzlich die Tränen aus dem Gesicht gewischt und gelächelt. Sí, sí, er hätte da etwas, eine kleine Information nur, aber sie hätte, wie hieß das Wort, Substanz. Das Wort hieß nicht Substanz. Es hieß Lagerhalle. Und diese Lagerhalle befand sich im Hafen von Buenaventura und war angeblich randvoll mit Kokain. Toneladas, hatte er geflüstert. Toneladas.
Blaylock wandte sich wieder Salinas und seiner Tochter zu. Mittlerweile hatte sich zwischen den beiden eine hitzige Diskussion entfacht.
"Er benimmt sich schon die ganze Zeit so seltsam", sagte Juanita.
Salinas strich ihr über den Kopf, küsste sie auf die Stirn und sagte: "Warum gehst du nicht nach Hause, Corazón? Ich bin sicher, er kommt ziemlich spät. Wahrscheinlich arbeitet er noch."
Juanita machte einen Schmollmund. "Ich warte", sagte sie. "Wenn er genug Zeit hat, den ganzen Tag mit diesen Gringos zu verbringen, wird er auch ein paar Minuten für seine Frau übrig haben."
Verdammt, dachte Blaylock und warf einen Blick auf seine Uhr. Noch vier Minuten. Er hoffte, dass seine Leute pünktlich waren und auf dem Rollfeld alles glatt ging.
"Was für Gringos?", fragte Salinas und packte seine Tochter bei den Schultern.
"Die drei Männer, mit denen er Kaffee trinken geht."
Salinas führte seine Tochter in eine ruhige Ecke und winkte zwei Männer zu sich, die sich im Hintergrund gehalten hatten. Der eine war um die dreißig, muskulös und hinkte mit dem linken Bein, der andere war mindestens achtzig, hatte einen Schädel wie ein mit Pergament bespannter Totenkopf und hielt sich kerzengerade. Blaylock kannte beide. Der Junge war Jesús Maria Dos Santos, Salinas' Mann fürs Grobe. Bei dem anderen handelte es sich um Hans Krefeld, dessen dubiose politische Vergangenheit dazu geführt hatte, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg aus Österreich geflüchtet war und sich seit Jahrzehnten in Südamerika aufhielt. Er fungierte als Berater für...
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