Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Willow
New York glänzt wie flüssiges Gold. Es ist einer der Momente, in denen man vergisst, wie schmutzig, wie laut, hektisch und manchmal sogar übel riechend diese gigantische Stadt sein kann. Denn jetzt gerade ist sie atemberaubend schön.
Wortwörtlich atemberaubend. Ich halte die Luft an, bis meine Lungen fast bersten, während ich auf dem kalten, glatten Beton knie, die Kamera fest in meinen Händen. Der Sucher ist mein Fenster zur Welt, und in diesem Moment existiert nichts anderes als das Bild, das ich festhalten will. Die Geräusche der Stadt hüllen mich ein wie eine warme Decke. Das unaufhörliche Rauschen der Autos, das gelegentliche Hupen und das Stimmengewirr der vielen Menschen, die an mir vorbeilaufen, verschwimmen zu einem beruhigenden Hintergrundgeräusch.
Die Dämmerung senkt sich auf die Stadt, taucht sie in ein goldenes Licht, das alles um mich herum zum Leuchten bringt. Die Hochhäuser wirken wie riesige, glitzernde Monumente, deren Schatten sich in den Pfützen auf dem Gehweg spiegeln. Es ist dieser magische Moment, den ich einfangen muss - der Augenblick, in dem sich das Licht mit der Architektur vereint, über glänzende gläserne Fassaden fließt und die Stadt ihre ganz eigene Geschichte erzählt.
Ich rücke ein wenig nach rechts, bis der Bildausschnitt im Sucher genau so ist, wie ich ihn mir vorstelle. Meine Gedanken sind fokussiert auf die Komposition, das Zusammenspiel von Licht und Schatten. Ich lasse meine Finger über die Kamera gleiten, ich justiere die Blende und die Verschlusszeit. Vertraute Bewegungen, die ich schon tausendmal gemacht habe. Das Klicken der Kamera beruhigt mich, es ist ein Geräusch, das mich seit Jahren begleitet, das mir Sicherheit gibt.
Ein Paar geht an mir vorbei, ihr Lachen hallt in mir nach. Sie sind ganz in ihre eigene Welt versunken, in dieser Millionenmetropole gibt es für sie nur einander. Ihr Anblick zaubert ein Lächeln auf meine Lippen. Als sie an mir vorüber sind und ich ihre Rücken sehe, drücke ich noch mal ab. Einmal, zweimal. Halte den Moment zwischen ihnen fest, der so alltäglich und doch so besonders ist. Für das Projekt, an dem ich gerade arbeite, kann ich die Fotos von diesen Fremden nicht nutzen, aber der Augenblick war zu schön, um ihn einfach vorüberziehen zu lassen. Ich habe ihn eingefangen, nicht nur für mich, sondern auch für meine Instagram-Follower.
Die beiden sind weg, um die nächste Häuserecke verschwunden. Das letzte Licht des Tages bricht sich in den Fensterscheiben der Gebäude und wirft lange, dramatische Schatten auf den Asphalt. Ich halte die Luft an und drücke den Auslöser. Mit einem Klicken fängt meine Kamera den Moment ein, und für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Zeit stillzustehen.
Ich werfe einen schnellen Blick auf das Display, und ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Perfekt. Genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich stehe auf und streiche mir eine Haarsträhne zurück, die der Wind mir ins Gesicht geweht hat. Obwohl der Tag fast zu Ende ist, pulsiert die Energie durch meinen Körper - die Energie der Stadt, ihr stetiger Herzschlag, den ich als Echo bis in meine Fingerspitzen und Zehen spüre. Hier, inmitten der Hektik und des Trubels, in diesem ewigen Fluss von Bewegung und Licht, bin ich ganz in meinem Element. Ich halte fest, was für andere nur flüchtig ist. Zwischen den glitzernden Fassaden und den endlosen Straßen fühle ich mich lebendig. Hier kann ich die Schönheit sichtbar machen, die sich in jedem Winkel dieser Stadt verbirgt.
Es wird langsam dunkler, das goldene Licht schwindet, die Lichter der Hochhäuser beginnen zu flimmern. Ich atme tief ein, nehme die Atmosphäre in mich auf. Es ist dieser Kontrast, den ich liebe - zwischen Tag und Nacht, zwischen Licht und Schatten. Es ist, als würde die Stadt in diesen Momenten ihre wahre Seele offenbaren, und ich bin diejenige, die sie erkennt.
Nachdem ich die Kamera und die verschiedenen Objektive ganz behutsam in der Tasche verstaut habe, nehme ich mir noch kurz Zeit, auf Instagram zu gehen und ein paar Eindrücke vom heutigen Shooting zu posten. Noch so etwas, was mir das Gefühl gibt, lebendig zu sein: Mich mit meinen Followern zu vernetzen, mit Leuten aus aller Welt in Kontakt zu stehen und mich als Teil eines wunderbaren, großen Ganzen zu fühlen - niemals allein zu sein.
Mein Handy klingelt und unterbricht die Story, die ich gerade aufnehme.
»Hey, wie läuft's?«, fragt mein Chef ohne Begrüßung.
»Perfekt.« Ich strahle übers ganze Gesicht, während ich die Schnallen meiner Kameratasche mit einer Hand schließe. »Die Bilder sind im Kasten. Genau so, wie ich sie haben wollte. Das Licht hat optimal mitgespielt. Ich mache mich zu Hause gleich an die Bearbeitung.«
»Ähm, ja. Bevor du nach Hause fährst, kannst du noch kurz hier vorbeischauen? Geht um dein nächstes Projekt.«
»Welches nächste Projekt?«
»Eben. Muss ich dir erzählen. Aber nicht am Telefon.«
»Was .« Weiter komme ich nicht, er hat aufgelegt. Seufzend verdrehe ich die Augen. Typisch David, immer zu beschäftigt, um sich auch nur einen Moment ineffizienten Plauderns zu gönnen. Aber er hat mich richtig neugierig gemacht.
Mit einem letzten Blick auf die Skyline mache ich mich auf den Weg zurück zum Redaktionsgebäude, um meinem Chef die Details über das neue Projekt aus der Nase zu ziehen, für das er mich einteilen will.
David Harrington - der große Boss, der Chefredakteur. Er ist so etwas wie mein Mentor, seit ich bei Elemental als Fotografin angefangen habe.
»Komm rein. Setz dich.« Er winkt mich herein, ohne von seinem Monitor aufzuschauen. Die verglaste Front seines Eckbüros gibt den Blick frei auf die unzähligen Lichter der Hochhäuser, Straßen und Autos. Auf die Stadt, die niemals schläft.
Statt mich auf den Lederstuhl ihm gegenüber an den Schreibtisch zu setzen, gehe ich am bodentiefen Fenster entlang und schaue auf den sich träge durch die Stadt wälzenden Hudson River, in dem sich die Lichter der Wolkenkratzer spiegeln. Die Redaktionsräume von Elemental haben eine unfassbare Lage - ganz oben in einem Hochhaus im Herzen von Manhattan, nicht weit vom Ufer des Hudson River. David hat mir mal erzählt, dass die Nähe zum Fluss aus seiner Sicht die Verbundenheit mit der Natur symbolisiere, die selbst hier inmitten der urbanen Umgebung zu spüren sei, und sich eben darin die Ausrichtung des Magazins manifestiere - Medientypen-Blabla eben. Große Worte, die man so auf den Punkt bringen kann: Man hat von den Redaktionsbüros aus einen Hammerausblick auf New York, und die Lage ist verdammt teuer, was sich Elemental aber leisten kann - genauso wie die sogenannten Kreativbereiche mit dschungelartigen Pflanzen und lässigen Loungemöbeln, eine Galerie, in der regelmäßig Ausstellungen von Fotografien und Kunstwerken stattfinden, die in der Zeitschrift gefeaturt werden, und ein modernes Fotostudio, in dem wir Fotografinnen und Fotografen arbeiten und alle Vorbereitungen für unsere Projekte direkt vor Ort erledigen können.
Das Tippen auf der Tastatur ist das einzige Geräusch, dass das Büro erfüllt. Mein Gesicht spiegelt sich in der Scheibe, große blaue Augen schauen unter einem dichten dunkelbraunen Pony hervor. Auf der Nase thront meine Brille mit großen, kreisrunden Gläsern und filigraner Metallfassung.
Kurz ertappe ich mich bei dem Verlangen, gegen die Scheibe zu hauchen und die Konturen der Skyline mit dem Finger nachzuzeichnen, so wie ich früher als Kind Herzen oder Sternchen auf den Badezimmerspiegel oder das Wohnzimmerfenster gemalt habe.
»Du weißt schon, dass es ein kleines bisschen ablenkend ist, wenn du hier so rumhampelst, oder?« Er schmunzelt und rollt mit dem Designer-Bürostuhl ein Stück zur Seite, damit er an seinem Monitor vorbeischauen kann.
Ich lasse mich jetzt doch auf den Lederstuhl fallen, auf dem ich schon oft gesessen habe, stütze die Ellenbogen auf die Tischplatte und das Kinn auf die verschränkten Finger. »Erleuchte mich, großer Meister. Was ist mein nächstes Projekt? Es muss ja was Verrücktes sein, wenn du mir die Details nicht einfach mailst.«
Er hebt eine Augenbraue und lehnt sich zurück, wobei seine Hände hinter dem Kopf verschwinden. Seine grauen Augen mustern mich. »Verrückt ist relativ. Aber es ist auf jeden Fall anders als alles, was du bisher gemacht hast.« Er tippt etwas in sein Tablet ein und schiebt es mir dann über den Tisch zu. Darauf sind Fotos von dichten Wäldern, schimmernden Seen und rauen Bergspitzen zu sehen. »Die Adirondacks«, sagt er, als würde das alleine schon genügen.
»Hä?«, entgegne ich geistreich und ziehe das Tablet näher an mich heran. »Okay, und weiter?«
»Eine Fotoreportage. Du wirst dorthin reisen und mir die verdammt besten Bilder liefern, die je in den Adirondacks geschossen worden sind. Es ist eine große Sache, Willow, ein anspruchsvolles Naturfotografieprojekt.«
Irritiert blinzle ich und starre dann auf die Bilder. »Natur? Ernsthaft? Natur, wie in . Landschaften, Bäume, äh . Pflanzen und so Zeug, Tiere, Steine? Sprechen wir von der Art von Natur? Ich bin keine Naturfotografin.«
»Gerade deswegen.«
Absolut nervenaufreibend, wenn er so drauf ist, wenn er mich ganz ruhig anschaut, als wäre das eine Prüfungssituation und als würde er geduldig darauf warten, dass mir die richtige Antwort selbst einfällt.
Er weiß ganz genau, dass Naturfotografie echt nicht mein Ding ist. Ich mache alles Mögliche - Architektur,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.