Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Emma
Der See glitzert zwischen den Bäumen hindurch, immer wieder kann ich an den dunklen Stämmen vorbei einen Blick darauf erhaschen. Mein Herz schlägt bei diesem Anblick höher.
Das ist es. Das ist mein neues Zuhause.
Was für ein verrückter, abgedrehter Gedanke. Er zaubert ein seltsames Gefühl in meinen Bauch, eine Mischung aus vorfreudigem Kribbeln und - schlicht und ergreifend - Übelkeit. Hastig kämpfe ich die Zweifel nieder, die in mir aufsteigen wollen. Zweifel sind das Allerletzte, was ich gerade brauche. Und angesichts der wunderschönen Umgebung fällt es mir zum Glück leicht, sie zu besiegen und alle negativen Gefühle zu vergessen.
Ich kurble das Fenster des altersschwachen Jeeps herunter, den ich extra für meinen Neustart gekauft habe. Ja, kurble. Neumodischen Luxus wie elektronische Fensterheber besitzt diese alte Karre nicht. Genau genommen besteht der neumodischste Luxus, über den das Auto verfügt, in vier Reifen und einem Lenkrad.
Und das ist so auch völlig in Ordnung. Für ein edles Statussymbol hätte ich ohnehin keine Verwendung, denke ich schulterzuckend. Nicht hier und jetzt in diesem neuen Leben. Was ich brauche, ist ein praktisches Gefährt, das mich von A nach B bringt und dabei nicht auseinanderfällt.
Was Letzteres betrifft, kann ich mir allerdings nicht hundertprozentig sicher sein. Als hätte er meine Gedanken gelesen, gibt der Jeep in dem Moment eine Art asthmatisches Husten von sich.
Ich verdrehe die Augen und tätschele das Lenkrad. »Ist gut, Ralph. Nur noch ein paar Kilometer, dann haben wir es geschafft. Dann kannst du dir deine wohlverdiente Pause gönnen.«
Ralph, das steht auf dem verblichenen Sticker, der vorne auf der Stoßstange klebt und den ich auch nicht mit Seifenlauge, einem rauen Schwamm und viel Geduld abbekommen habe. Er scheint mit diesem Auto verwachsen zu sein, und so war dann auch klar, wie die Karre heißen soll. Ein Auto zu fahren, dass keinen Namen hat, bringt Unglück, davon bin ich überzeugt.
Ralph ruckelt gehorsam weiter. Er ächzt von Zeit zu Zeit lautstark, als ich ihn über die kurvigen, teils steilen Straßen zwinge. aber tapfer kämpft er sich vorwärts. Darüber, ob er mich irgendwann im Stich lassen wird, kann ich mir Gedanken machen, wenn es tatsächlich soweit ist. Über ungelegte Eier will ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen.
Warme Sommerluft strömt zum Fenster herein und trägt den Duft von Wald und Wiesen mit sich. Ein Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit, tief und genussvoll atme ich ein. Auf meinem linken Arm spüre ich die Sonnenstrahlen wie ein Streicheln auf meiner Haut. Ich strecke die Hand zum Seitenfenster hinaus, drehe sie im Fahrtwind hin und her und fühle mich, als könnte ich fliegen.
Als ich das Radio einschalte, dröhnt ein trommelfellzerfetzendes Gegröle aus den Boxen. Vielleicht werde ich noch herausfinden, wie man den Radiosender wechselt. Aber vielleicht zählt ein Radio, dass man einstellen kann, auch zu den neumodisch-luxuriösen Annehmlichkeiten, über die Ralph nicht verfügt. Aktuell ist alles, was ich auswählen kann, ein Heavy-Metal-Sender.
Keine Ahnung, was der Sänger da brüllt und kreischt, aber ich summe einfach gutgelaunt mit.
Die Navi-App meines Handys weist mir den Weg durch die atemberaubende Landschaft. Schier endlos sanft geschwungene, grüne Wiesen wechseln sich ab mit dunklen Wäldern, die so tief und dicht sind, dass sie wie verwunschene Orte aus einem Märchen wirken. Und über allem ragen die Berggipfel auf, schroff und karg zeichnen sie sich vor dem wolkenlosen Himmel ab; scharfe Konturen, wie mit einer Schere aus dem Blau geschnitten.
Noch einmal funkelt der See durch die Bäume, dann muss ich abbiegen und ihn hinter mir zurücklassen. Mein Ziel liegt nicht direkt am See, ich bin ja keine Millionärin. Berryfield ist eine Kleinstadt ein paar Kilometer von Lake Placid entfernt, in den Bergen versteckt.
So gut versteckt, dass die App Probleme hat, es zu finden. Immer wieder setzt sie aus. Ich klopfe mit dem Zeigefinger gegen das Display, als könnte ich sie so aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken, aber Pustekuchen. Vor lauter Überforderung ist sie einfach eingefroren, förmlich angsterstarrt.
»Anfänger«, brumme ich. Dann orientiere ich mich halt an den Schildern.
Hilfreich wäre es allerdings, wenn es davon ein paar mehr gäbe. Nicht nur welche, auf denen so was steht wie Achtung, hier kreuzen Elche, Füchse, Schwarzbären und Frösche die Fahrbahn, sondern gute, alte Wegweiser.
In der Hoffnung noch auf dem richtigen Weg zu sein, winde ich mich weiter durch die engen Kurven, wild entschlossen, mir die Laune nicht verhageln zu lassen. Wäre ja gelacht, wenn ich mein eigenes Zuhause nicht finden würde. Dass ich noch nie dort gewesen bin, nicht einmal für eine Besichtigung, sondern nur auf Grundlage einiger Fotos zugesagt und den Vertrag unterschrieben habe, verkompliziert die Sache nur unwesentlich. Wie kompliziert kann es schon sein, so eine Kleinstadt zu finden? So eine Ansammlung von Häusern übersieht man ja schließlich nur schwer, wenn man daran vorbeifährt.
Also juckele ich weiter, halte nach Ortsschildern Ausschau, staune über die Landschaft, summe leise und unmelodisch zum Metal-Krach aus dem Radio - und trete das Bremspedal im nächsten Moment bis zum Anschlag durch. Mein Körper reagiert von selbst, bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen kann.
Ein heftiger Ruck geht durch den Jeep, ich werde in den Gurt gepresst, so fest, dass mir der Atem wegbleibt. Mein erschrockener Aufschrei bleibt irgendwo zwischen Kehle und Mund stecken und geht im Quietschen der Reifen und Bremsen unter. Ein ohrenbetäubendes Hupen hinter mir geht mir durch Mark und Bein.
Oh, wow! Was genau war das? Schlagartig ist das Auto zum Stehen gekommen. Schwer atmend starre ich das kleine Wesen an, das plötzlich vor mir auf der Straße aufgetaucht ist.
Ein rundlicher Körper, flauschiges Fell. Still und starr kauert es auf dem Asphalt mitten auf der schmalen Fahrbahn. Seine dunklen Knopfaugen sind kugelrund, die Ohren flach am Kopf angelegt: ein Kaninchen.
Wieder dieses Hupen hinter mir, das mich zusammenzucken lässt. Aber mir ist der Schreck in die Knochen gefahren, meine Finger haben sich um das Lenkrad gekrampft, als hätten sie ein Eigenleben, und ich schaffe es nicht, meinen Blick vom zitternden Kaninchen loszureißen. Mein ganzer Körper kribbelt vor Schreck, bis in die Fingerspitzen und die Kopfhaut.
Eine Autotür wird aufgerissen und zugeknallt, Schritte knirschen über den Asphalt, ich kann es durchs offene Fenster hören. Jemand klopft energisch auf das Dach meines Jeeps, ein Schatten fällt auf mein Gesicht.
»Bist du komplett wahnsinnig? Was war denn das für eine Aktion? Herrgott, ich wär dir fast reingefahren.«
Die grobe Stimme reißt mich aus meiner Schockstarre, in die ich ebenso wie das Kaninchen verfallen bin. Ich funkle angriffslustig aus dem offenen Fenster und reiße die Tür dann einfach ohne Vorwarnung auf, so dass der Kerl zurückspringen muss, um nicht umgestoßen zu werden.
Ich beachte ihn gar nicht, sondern habe meinen Blick auf das Tier gerichtet, das immer noch seltsam lethargisch auf der Fahrbahn hockt. Da stimmt doch was nicht. Wäre ein Wildtier nicht längst geflohen? Nicht, dass ich anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Wald- und Wiesentiere wäre, auf den Straßen New Yorks findet man durchaus die ein oder andere Ratte, aber wilde Kaninchen doch eher nicht. Aber so ein Verhalten erscheint mir total ungewöhnlich.
Langsam gehe ich auf das Tier zu, das sich gar nicht bewegt, sich höchstens noch etwas kleiner zusammenkauert, und dessen Kulleraugen starr ins Leere schauen. Ist es verletzt? Es ist schwer zu sagen, aber mir scheint es so, als wäre da ein nass glänzender, dunkler Fleck im hellen Fell. Ganz langsam, um das Tier nicht noch mehr zu erschrecken, nähere ich mich.
»Ihr Urlauber werdet auch von Jahr zu Jahr verrückter. Bekommt euch die Höhenluft nicht?«, knurrt der Mann, der neben mir herstapft. Das Tier hat er noch gar nicht bemerkt, weil er so damit beschäftigt ist, sich über mich aufzuregen. »Fährst du jetzt dein Auto weg, oder soll das ein Dauerparkplatz werden? Sonst gibt's gleich einen Unfall. Wär ja gerade schon fast passiert. Hab ja nur so eben noch bremsen können.«
»Ist doch gut gegangen, oder?« Ich werfe ihm nur einen kurzen, verächtlichen Blick von der Seite zu. »Übrigens habe ich nicht grundlos gebremst, auch wenn du grober Klotz vielleicht aus irgendeinem Grund der Meinung bist, das wäre so was wie mein Hobby. Ich wollte einfach nicht dieses arme Kaninchen plattfahren.«
Jetzt erst fällt es ihm auf. Sein Tonfall wird weicher, eine Spur zumindest. »Hm. Trotzdem macht man keine Vollbremsung, wenn ein Tier über die Straße läuft. Lernt man doch schon in der Fahrschule. Hier zumindest. Vielleicht ist das in .«, er dreht den Kopf, schielt auf mein Nummernschild, »in New York anders, vielleicht lernt man da ja, wie man am effektivsten zu einer Gefahr für den Straßenverkehr wird.«
Entwaffnend strahle ich ihn an. »Also, ich habe jedenfalls gelernt, dass man kein Arschloch sein, keine Lebewesen überfahren und das Leben achten soll.«
»Das gilt aber auch für dein eigenes und das der anderen«, brummt er, doch jetzt ist jede Spur von Härte aus seiner Stimme verschwunden.
Während ich noch überlege, wie ich das Tier am besten untersuchen oder hochheben könnte, ohne einen Biss zu riskieren, ist er schon in Aktion getreten. Er hat sich neben das Kaninchen gekniet und hebt es jetzt ganz behutsam hoch, viel...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.