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Joachim Garstecki | Magdeburg
geb. 1942, Dipl.-Theol.,
verheiratet, drei Kinder
j.garstecki@t-online.de
Imshausen, ein kleines osthessisches Dorf zwischen Bebra und der ehemaligen Grenze zur DDR, ist Heimat der hessischen Adelsfamilie von Trott zu Solz. Seit über 700 Jahren sind ihre Vorfahren im Solztal ansässig. Im 20. Jahrhundert haben zwei Mitglieder der Familie Spuren hinterlassen, die bis heute weiterwirken: Vera von Trott zu Solz (1906-1991), Gründerin der Kommunität Imshausen, und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Adam von Trott zu Solz (1909-1944), Jurist und wegen seiner Beteiligung am gescheiterten Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und am 25. August 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet. Während Adam von Trott heute einen festen Platz in der Erinnerungskultur an den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime hat, ist das Lebenszeugnis seiner Schwester Vera von Trott nur wenigen Menschen bekannt, vor allem in geistlichen Gemeinschaften in Deutschland und in der Ökumene. Die hier vorgestellte Skizze folgt wichtigen Stationen ihres Lebensweges und unterstreicht ihre herausragende Bedeutung für die Kommunität Imshausen.8
Biografische Zugänge
Vera von Trott zu Solz wird am 1. Juni 1906 als drittes von acht Kindern des Oberpräsidenten von Brandenburg, August von Trott zu Solz und seiner Frau Eleonore geb. von Schweinitz in Potsdam geboren. Der Vater ist von 1909 bis 1917 preussischer Kultusminister. Mit dem Ruhestand des Vaters siedelt die Familie 1919 nach Imshausen über. Vera beendet ihre Schulzeit mit der Mittleren Reife 1922 in Kassel.
1927/28 nimmt sie an einem Jahreskurs der "Bibel- und Jugendführerschulung" am evangelischen Burckhardthaus in Berlin-Dahlem teil. Hier werden junge Frauen für die Arbeit mit Mädchen und Frauen in den Gemeinden ausgebildet. Von 1928 bis 1935 engagiert sie sich in der "Gutstöchterarbeit" ihrer Heimatregion. Ehrenamtlich tätige Frauen sollen mit Kindern und Jugendlichen von den Gütern Gemeinschaftserlebnisse schaffen, ein einfaches Leben einüben und Begegnungen mit der Bibel ermöglichen. Wichtige Erfahrungen sammelt Vera auch in ihrem Einsatz für die Dorfkinder in Imshausen.
1934 beginnt ein intensiver Briefwechsel mit Eberhard Eisenberg, einem befreundeten Pfarrer in Lohra bei Marburg. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, ausgelöst durch den Kirchenkampf des NS-Regimes um die Gemeinden, sucht sie nach Orientierung. Die 28-Jährige formuliert ihre Position: "Was ist das für eine Zeit heute, dieser Strom des Dämonischen, der offenbar oder vermaskiert über die Menschen weggeht und sie mitreißt [.]. Und das Schrecklichste ist, dass der 'alt böse Feind' selbst denen, die von Christus wissen, dauernd Sand in die Augen streut [.]."
Der Hass des NS-Regimes gegen die Juden veranlasst Vera 1935 zu kritischen Rückfragen an die Christen: "Was ist die Judenfrage jetzt tatsächlich für ein Fluch für uns geworden, zum Gericht! Und drängt doch nur hin, dass auch die Christusfrage Gericht für uns wird." Im Oktober 1938 trifft sie während einer Bahnfahrt nach Bebra auf eine Gruppe jüdischer Menschen, die nach furchtbaren Wochen sogenannter 'Schutzhaft' aus dem KZ Buchenwald entlassen wurden. Diese Begegnung erschüttert sie tief. Ihr Fazit: "Das tun wir. Wie können wir da noch weiter leben und arbeiten wie vorher?"
Dank der Unterstützung einer Tante kommt es 1937 zur Anmietung der "Untermühle", einem Gehöft zwischen Imshausen und Solz, für Veras Arbeit mit den Kindern. Ostern 1937 findet die erste Kinderfreizeit statt. Die Untermühle wird zum Experimentier-Labor für künftige gemeinschaftliche Lebensformen und fasziniert zahlreiche Interessierte aus der Region. Pfarrer aus der Michaelsbruderschaft machen die junge Hausgemeinde mit der 'Evangelischen Messe' vertraut.
1938 sucht Vera die Begegnung mit den Klöstern Fulda, Herstelle und Maria Laach. Sie will benediktinisch-monastische Traditionen kennenlernen und erkunden, was diese für die Gestalt künftiger Vergemeinschaftung bedeuten könnten. In der Untermühle entstehen neue Freundschaften im Austausch mit den Theologiestudenten Hans und Adolf Eisenberg. Es entwickelt sich eine lebenslange Beziehung zu Hans Eisenberg, ab 1945 "Bruder Hans". 1939 müssen die Kinderfreizeiten auf staatlichen Druck hin eingestellt werden.
Die ablehnende Haltung der Familie von Trott gegenüber dem NS-Regime bleibt in Imshausen nicht verborgen. Veras Bruder Adam baut ab 1938/39 Kontakte zu Regimegegnern auf und engagiert sich im "Kreisauer Kreis" um Helmut James Graf von Moltke, der eine künftige Neuordnung Europas nach dem Sturz des NS-Regimes anstrebt. "Wir bemühen uns um das Gleiche, ich in der Politik, Du in der Kirche", soll Adam einmal gegenüber seiner Schwester Vera gesagt haben. Trotz aller den Umständen geschuldeten Unschärfe bringt dieser Satz eine tiefe Gemeinsamkeit zum Ausdruck, ohne das Gemeinsame zu benennen.9
1941-1945 finden Kinder aus gefährdeten Städten im Bombenkrieg Zuflucht in der Untermühle und Soldaten auf Fronturlaub Hilfe und Orientierung. Ein "Verein der Freunde der Untermühle" wird 1949 gegründet; mittels Unterstützung verschiedener Hilfswerke wird 1950 das Imshäuser Herrenhaus erworben. Rund 50 Personen ziehen aus der Untermühle in das noch von Flüchtlingen bewohnte Herrenhaus im Trottenpark um. Für die nächsten 20 Jahre wird es zum Kinderhaus Imshausen.
Konturen künftiger Gemeinschaft
Die Zeichen der Zeit begünstigen geistliche Aufbrüche. 1937 hatte Dietrich Bonhoeffer "Nachfolge" veröffentlicht, ein Glaubensbuch zur Vergewisserung christusförmiger Existenz. Wenig später folgt seine Schrift "Gemeinsames Leben", eine Reflexion über das Leben, die Regeln und die Verheißungen einer christlichen Kommunität. Beide Bücher werden später Einfluss auf die Ausgestaltung des gemeinsamen Lebens haben. 1951 kommt es zu Begegnungen der Imshauser mit der Communauté de Grandchamp in der Schweiz und mit den Brüdern von Taizé in Burgund. Sie eröffnen Perspektiven für ein Engagement auf Lebenszeit. Das kommt Veras Suche nach einer verbindlichen Gestalt für ihr Leben und das der ihr anvertrauten Menschen entgegen. Früh hat sie die Entscheidung getroffen, mit ihrem ganzen Leben der Herrschaft Christi in der Welt zu dienen, dem regnum. Sie sieht diese Entscheidung immer wieder in Frage gestellt durch den Rückfall in den status naturae purae, den Zustand des rein natürlichen Menschen, den Widerpart der in Tod und Auferstehung Jesu erneuerten Schöpfung. Sie ist fest davon überzeugt, dass ein verbindliches Leben unter der Verheißung des Reiches Gottes nur gelingen kann, wenn es im Vertrauen auf die Gegenwart des Heiligen Geistes in Gemeinschaft gelebt wird. "Während die Sünde die Menschen trennt, verbindet allein die Nachfolge. Nur in ihr gibt es echte Gemeinschaft [.]. Wo immer es echte Gemeinschaft gibt, da ist Gemeinschaft derer, die durch Jesus Christus geeint sind", schreibt der Theologe Ernst Feil über Dietrich Bonhoeffer.10 Vera weiß etwas von der verborgenen Kraft solcher Gemeinschaft.
Die Kommunität entsteht
Die Frage, wie der Ruf in die Nachfolge als befreiender Weg zum wahren Mensch- und wirklichen Christsein in Gemeinschaft zu leben sei, lässt Vera nicht mehr los. Das Experiment nimmt einen unerwarteten Fortgang, als der Theologe Hans Eisenberg kurz vor Ostern 1945 als verwundeter Wehrmachtsoldat und Deserteur in die Untermühle kommt, untertaucht - und bleibt. Neben die bis dahin unangefochten schaltende und waltende "Hausfrau" tritt nun ein Mann, "Bruder Hans", mit dem Anspruch geistlicher Leitung. Frau Vera, wie sie fortan respektvoll genannt wird, nimmt die persönliche Herausforderung an, die Verantwortung für das Leben in der Untermühle mit Bruder Hans zu teilen - getreu ihrer Maxime, keine hehren Programme zu verfolgen, sondern immer genau das zu machen, was ihr vor die Füße gelegt wird. Aber damit beginnt auch eine konfliktreiche Beziehung zwischen diesen beiden grundverschiedenen Persönlichkeiten, die es nicht einfach haben, sich im "verzehrenden Eifer" um ihr Haus (Ps 69,10) über die konkreten Wege und Schritte in diesem Haus zu verständigen.
Ostern 1955, in einem von Bruder Hans geleiteten Gottesdienst, wird die Kommunität Imshausen geboren: Vera von Trott, Hans Eisenberg, Ursula Lohss und Peter Hönig legen ihre Verpflichtung auf Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam ab - ein Anfang, die Freiheit der Kinder Gottes zu leben in kommunitärer Entfaltung - und ein Stachel im Fleisch der Kirche dieser Zeit und an diesem Ort. 1961 folgen die nächsten Vier. Aber etwas ist anders an dieser Gemeinschaft als alles, was bis dahin als "normal" galt, die drei evangelischen Räte Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam in einer monastischen Prägung zu leben. In der Kommunität Imshausen versuchen das fortan Frauen und Männer gemeinsam, nicht separat und voneinander getrennt wie in den klassischen Orden. Das ist provozierend neu, ungewöhnlich, ja eigentlich unerhört! In Bezug auf die Verpflichtung zur Ehelosigkeit wirkt dieser Versuch nach menschlichem Ermessen wie die bewusste Inkaufnahme einer Sollbruchstelle. Aber genau an diesem Punkt kommt die geistliche Neugier und Glaubenszuversicht von Frau Vera ins Spiel: Wie kann das gehen, wie wird aus dem...
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