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Die Bibel kennt eine Reihe von Berufungserzählungen. Sie deutet in ihnen jeweils einen "Anfang": den "Anfang" einer mit Gott gelebten Geschichte, eines von ihm erhaltenen Auftrags. Es genügt hier an den Prototyp aller Berufungserzählungen zu erinnern, die Geschichte des Samuel im Heiligtum von Schilo mit seiner prägnanten Antwort auf den Ruf Gottes: "Rede Herr, Dein Diener - Deine Dienerin hört" (1 Sam 3,10). Solch einen Anfang erzählen können - nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Menschen -, setzt voraus, dass man bereits seit einer geraumen Zeit mit dieser Berufung und aus ihr lebt. Der Erzählfaden kann dann in umgekehrter Richtung abgespult werden: Ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind, färbt das Heute den Anfang. Was sich zwischen gestern und heute abspielte, unsere Lebens- und Glaubenskrisen und das Wachsen unserer Berufungserfahrung, kann so in unserem geistlichen Gedächtnis auftauchen und für unser Morgen fruchtbar gemacht werden. In meinem Beitrag soll es vor allem um unser Heute gehen, allerdings in der Perspektive eines "Anfangs", der noch nicht alle seine Versprechen eingelöst hat und sich deshalb je hier und jetzt in seiner Zerbrechlichkeit, aber auch in seiner verborgenen, zukunftsweisenden Kraft zeigen und entwickeln kann.
Geben wir zu, dass unsere Gesellschaft und unsere kirchliche Pastoral kaum mit solchen Berufungserfahrungen rechnet. Unseren Mitmenschen erzählen wir spontan, was wir tun, definieren uns im Hinweis auf unsere haupt- und nebenberuflichen Aktivitäten. Unsere christliche Berufung identifizieren wir mit bestimmten kirchlichen Diensten und verengen häufig unseren Blick auf ihren sichtbaren gesellschaftlichen Aspekt. Manche Gläubigen sagen das ganz spontan: "Er hat die Berufung zum Priestertum, sie hat die Berufung einer Ordensfrau; "ich aber habe keine", fügen sie dann, manchmal mit ein wenig Bedauern, hinzu. Die Ständetheologie, wie sie vor allem in den römischen Synoden zwischen 1987 und 2001 entwickelt wurde, hat diese Reflexe eher noch verstärkt und die Pastoral in ein komplexes Rollenspiel verwandelt, das eine präzise Abgrenzung von Diensten und Aufgaben voraussetzt. Gleichzeitig haben jedoch unsere existierenden "Lebensformen" und "Lebensstände" in Gesellschaft und Kirche ihre klassische Stabilität verloren. Viele Sinnangebote und Glaubensformen tragen nicht mehr; was nicht wenig Entmutigung, geistliche Resignation (acedia) und manchmal dramatische Lebenskrisen erzeugt.
Eine "Rückbesinnung" auf die Anfänge eines Engagements, auch in Glaube und Kirche, wird hier - oftmals ganz plötzlich - zu einer inneren Notwendigkeit. Grundsätzliche Fragen melden sich: Warum bin ich Christin oder Christ und welche tatsächliche Erfahrung entspricht dieser Wahl? Und eng mit dieser Frage verbunden: Welchen Sinn gebe ich meinem Menschsein zwischen meiner Geburt und meinem zukünftigen Tod? Vergessene Unterscheidungen können dann neu sinnvoll werden. Das Zweite Vatikanische Konzil kennt bei weitem nicht nur kirchliche "Rufe und Sendungen". Es erinnert uns zuallererst an unsere "christliche Berufung" - die aller Getauften -, die auf der Wahl beruht, sich mit Christus Jesus zu identifizieren, ihn "nachzuahmen" oder ihm "nachzufolgen". Im Blick auf alle Menschen spricht das Konzil sodann von der "menschlichen Berufung" und geht so weit, die spezifisch christliche Berufung (und natürlich all unsere Aufgaben und Aktivitäten) zu dezentrieren und konstitutiv in den Dienst an der menschlichen Berufung aller unserer Zeitgenossen zu stellen.
In den soeben angedeuteten, individuellen und kollektiven Krisenzeiten kann es notwendend werden, sich diesen grundsätzlichen Unterscheidungen und den mit ihnen verbundenen Warum- und Wie-Fragen zu stellen. Stellen wir uns wirklich solche Fragen - in welcher Form auch immer -, dann kann der Begriff der "Berufung" plötzlich ein neues Relief bekommen. Hinter diesem Substantiv, das so häufig ein "Haben" oder ein gesellschaftlich-kirchliches Resultat bezeichnet, steht nämlich ein Verb bzw. ein "Handeln": In der Erfahrung der Berufung ist der, den wir "Gott" nennen, selbst in geheimnisvoller Weise "Subjekt" eines Rufens - "Berufung" genannt. Was können wir uns von dieser Erfahrung erzählen (I.)? Wie können wir sie heute wahrnehmbar machen (II.) und welche geistliche Reifung macht sie möglich (III)?1
In der Berufungsgeschichte des Samuel findet sich die zu Beginn bereits zitierte Antwort: "Rede HERR, denn dein Diener hört". Vom Priester Eli sozusagen vorformuliert, enthält sie eine Deutung der kritischen Situation der Tempelinstitution von Schilo; sie besteht einfach darin, das Gespräch zwischen den beiden Protagonisten und Rivalen der Erzählung, Eli und Samuel, zu "unterbrechen" und entschieden Gott selbst das Wort zu überlassen. Ich bin der Überzeugung, dass sich in der soeben skizzierten Krisensituation ein "Kairos" anbietet, der den Tiefendimensionen unserer Berufung eine neue Chance gibt: Wir können uns heute von unseren Krisenerfahrungen "unterbrechen" lassen und tatsächlich auf Gott hören.
Dies ist die erste Frage, die wir uns stellen müssen. Ich zitiere hier einen Text von Martin Heidegger zum menschlichen Gewissen, der uns trotz des ihm zugrunde liegenden Individualismus, einiges zeigen kann: "Was ruft das Gewissen dem Angerufenen zu? Strenggenommen - nichts. Der Ruf sagt nichts aus, gibt keine Auskunft über Weltereignisse, hat nichts zu erzählen. Am wenigsten strebt er danach, im angerufenen Selbst ein 'Selbstgespräch' zu eröffnen. Dem angerufenen Selbst wird 'nichts' zu-gerufen, sondern es ist aufgerufen zu ihm selbst, das heißt zu seinem eigensten Seinkönnen" (Sein und Zeit, § 56).2
Dieses Zitat gibt uns zu verstehen, dass der Ruf nicht in erster Linie diesen oder jenen Aspekt unseres Daseins in der Welt betrifft, mag er noch so wichtig sein, sondern das Ganze unseres Lebens. Dieses geheimnisvolle Ganze unseres Lebens ist "nichts" von dem, was uns normalerweise in unseren Selbstgesprächen beschäftigt. Wenn wir auf den Ruf so achten wie auf ein Geschehen, ein Gefühl oder Bild, einen Einfall oder Gedanken, "die uns so durch den Kopf gehen", hören wir tatsächlich "nichts". Aber wenn wir uns der Ganzheit unseres Lebens zwischen Geburt und Tod öffnen, obwohl sie sich uns entzieht, hören wir den Ruf, der uns auffordert, bei uns selbst zu sein. Genau dies zeigt sich in der Samuelgeschichte, wenn Gott ihn zweimal mit seinem Namen ruft: "Samuel, Samuel!" - "Hier bin ich!", antwortet er. Paulus beschreibt dieselbe Erfahrung im Blick auf Abraham und Sarah: "Er ist unser aller Vater [.] - im Angesicht des Gottes, dem er geglaubt hat, des Gottes, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft." (Röm 4,17)
Es ist bei weitem nicht selbstverständlich, diese Stimme, die unser Leben zu einem Ganzen macht, in allem, was uns provisorisch erscheint, zu hören. Tatsächlich macht uns die Perspektive des Todes taub. Unsere europäische Kultur verleiht dem Lebensende eine Macht, die es nicht hat, und lässt die Menschen - so der Hebräerbrief - "durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen" sein (Hebr 2,15). Aber dem Tod diese Macht zu geben, ist trügerisch, sagt die Bibel. Denn das Leben wäre dann ein vergiftetes Geschenk und würde sein Versprechen nicht halten. Eine schreckliche Vorstellung, weil sie den schwachen Boden, auf den sie fällt, unmerklich durchdringt und es uns noch schwerer macht, einfach dem zu vertrauen, was wir empfangen haben. Christus löscht den Tod nicht aus, aber, wie der Hebräerbrief sagt: Durch seinen eigenen Tod hat er ihn entmachtet und diejenigen befreit, die Sklaven des Todes waren (vgl. Hebr 2,14-15). Der Tod, der seine trügerische Macht verloren hat, kann nun zusammen mit der Geburt zum Boten werden, der jedem von uns lautlos sagt: Du hast nur ein Leben!
Alles hängt dann davon ab, ob wir diese Botschaft als eine Aufforderung deuten, gegen den Tod zu kämpfen - als ob es sich um einen "Feind" handelte, den "letzten Feind", wie Paulus sagt (vgl. 1 Kor 15,25ff.) - und die Grenzen, die mir das Leben setzt, immer weiter herauszuschieben. Oder ob wir die wortlose Stimme - Du hast nur ein Leben! - als Gottes Stimme hören, die wir nicht deshalb als solche wiedererkennen, weil sie den Tod einfach aufheben würde, sondern weil sie ihm den "Stachel" nimmt (vgl. Hos 13,14; 1 Kor 15,55) und den, der sie hört, auf das einmalige Wunder seiner Geburt verweist,...
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