Schweitzer Fachinformationen
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Auf dem Meer leuchten die Sterne so hell, wie ich es selten zuvor erlebt habe. Es ist Neumond, und lediglich ein in der Ferne blinkender Leuchtturm sorgt für etwas Lichtverschmutzung in der nächtlichen Dunkelheit. Ich halte Wache, zusammen mit vierzehn anderen Frauen, während der Rest der Crew schläft. In unserer vierstündigen Schicht tragen wir die Verantwortung für das Segelschiff. Das macht mich ganz nervös, weil ich noch keine Ahnung habe, was ich hier überhaupt genau mache und was meine Aufgaben sind. Aber wenn ich in die Sterne schaue, die so schön funkeln, spüre ich in mir eine tiefe Ruhe.
Plötzlich ziehen am Horizont Wolken auf. Der Himmel flackert. Es blitzt, aber es donnert nicht. »Das ist Wetterleuchten«, erklärt Conni, unsere Kapitänin. Wenn sich Gewitterzellen entladen, entstehen Fallwinde, die sich sternförmig über die Ostsee ausbreiten. Durch die Winddreher müssen wir ständig die Segel neu ausrichten - brassen -, um auf Kurs zu bleiben. Dafür ziehe ich mit meinem ganzen Körpergewicht am Seil. Meine Handflächen fühlen sich mit jedem Mal wunder an. In den kurzen Pausen bis zur nächsten Böe bestaunen alle schweigend den Nachthimmel. Ich sehe drei Sternschnuppen, aber immer wenn ich mir etwas wünschen will, heißt es wieder: »An die Brassen!«
Das erste Mal überhaupt segle ich auf einem Traditionssegelschiff, der Brigg Roald Amundsen: vier Tage auf der Ostsee von Rostock nach Sassnitz, nur mit Frauen. Wir haben mehrere Mutter-Tochter-Gespanne und ein paar beste Freundinnen, die nur dabei sind, weil sie einen Eindruck davon bekommen möchten, warum ihre Liebsten ihr Herz an die See verloren haben, zu der sie selbst, so wie ich, nur wenig Bezug haben. Für mich beginnt diese Erfahrung nämlich eher holprig.
Im Schnelldurchlauf bekommen meine Wachkameradinnen und ich erklärt, was wir wissen müssen. Da wären also die zwei hohen Masten und der Klüverbaum, ein Rundholz, das wie eine Speerspitze weit über das Schiff hinausragt. So weit komme ich noch mit. Dann aber wird es komplizierter. Um die Position der Segel zu verändern, muss ich alle 130 Tampen, so heißen die Enden der Seile, richtig zuordnen können. Die Seefahrtsbezeichnungen finde ich dabei einfach nur verwirrend. Es kommt mir vor, als würde auf diesem Schiff eine andere Sprache gesprochen werden, die ich nicht im Geringsten verstehe. Aber ich höre das ja auch alles zum ersten Mal. »Seht ihr die Toppnanten?«, fragt Sandra, unsere Wachleiterin, während wir ihr wie Schafe über Deck nachlaufen. »Ähm, wohin sollen wir gucken?«, flüstert Liz. »Habe ich mich auch gefragt«, antworten Marie und ich im Chor. Und ich bin so erleichtert, dass nicht nur ich mich so komplett lost fühle. Bisher ist mein einziges Erfolgserlebnis, dass ich Backbord und Steuerbord besser auseinanderhalten kann als links und rechts.
Ich habe überhaupt keinen Bezug zum Segeln. Zwar bin ich in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen und habe als Kind viele Sommerferien an der Ostsee verbracht, allerdings eher am Strand oder auf dem Campingplatz. Meine Großeltern haben mich ein paarmal auf ihrem Motorboot mitgenommen, um auf Flüssen, Kanälen und Wasserstraßen zu schippern. Wenn wir in einer Schleuse waren, war das immer das Highlight für mich. Aber das ist mit Segeln auf traditionellen Segelschiffen nicht vergleichbar. Selbst auf einer Jacht zu segeln, soll laut den anderen Crewmitgliedern nicht wirklich vergleichbar sein. Aber wie bin ich überhaupt hier gelandet?
Durch einen großen Zufall. Ich habe mich nach meinem Volontariat beim Frauenmagazin Emotion gerade erst als Journalistin selbstständig gemacht und meiner ehemaligen Chefin geschrieben, dass ich gerne auch als Freie wieder für sie arbeiten würde. Ihre Antwort: »Hättest du eventuell Zeit und Lust, für uns ziemlich kurzfristig im August auf einen Segeltörn zu gehen?« Dass ich noch nie zuvor segeln war, fände sie besonders spannend, und ich habe immer Lust auf neue Erfahrungen, bei denen ich vielleicht auch neue Seiten an mir entdecken kann.
Emotion will Frauen dazu ermutigen, ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Eine Vision, mit der ich mich voll und ganz identifizieren kann. Mein Weg in den Journalismus ist alles andere als geradlinig. Zwar bin ich direkt nach dem Abi nach Hamburg gezogen, um an einer privaten Hochschule Journalistik zu studieren, doch brach ich das Studium dort trotz meines Stipendiums ab. Es fühlte sich einfach nicht stimmig an. Ich war unglücklich mit der Lehrweise und hatte den Eindruck, nur meine Zeit abzusitzen. Ein Journalistikstudium kann ein Weg in den Journalismus sein, aber es war nicht meiner. Auch wenn Kommiliton:innen die Sorge äußerten, dass ich aufgrund meiner Entscheidung wohl nie wieder Fuß im Journalismus fassen würde. Ich beschloss, erst mal Kulturanthropologie und im Nebenfach Religionswissenschaften zu studieren. Einfach aus der Neugierde heraus, ohne auch nur eine Vorstellung davon zu haben, was ich beruflich damit am Ende anfangen werde.
Im Pflichtpraktikum wollte ich dem Journalismus noch eine Chance geben. Herausfinden, ob ich damals mit meinem Traum, Journalistin zu werden, so falschlag oder ob es nicht doch etwas für mich ist.
Ich landete beim Emotion-Magazin, wo ich am ersten Tag komplett unerwartet auf eine ehemalige Kommilitonin traf, die meine Entscheidung damals nicht verurteilt hatte und sich freute, dass unsere Wege sich erneut kreuzten. Nach dem Praktikum, ohne das ich wohl nie in die U-Bahn gestiegen wäre, in der ich meinen Mann kennenlernte, wurde mir eine Stelle als studentische Aushilfe angeboten und schließlich auch die Ausbildung zur Redakteurin: ein Volontariat. Schnell durfte ich komplett eigenverantwortlich arbeiten, in meinem Tempo wachsen und mich ausprobieren. Besonders Themen, in denen es auf Feinfühligkeit und Empathie ankommt, landeten häufig auf meinem Tisch.
Am liebsten schreibe ich über Themen, in denen es um Schicksale und Menschen geht, über Themen, die aufrütteln, aber auch Hoffnung machen. Vermittlerin zwischen zwei Welten zu sein oder denen Gehör zu verschaffen, die sonst selten gehört werden, treibt mich an. Aber auch meine Neugierde, selbst neue Erfahrungen zu machen und die Welt um mich herum besser zu verstehen, in der es immer unterschiedliche Perspektiven und Lebensrealitäten gibt.
Und da bin ich also, im Auftrag von Emotion, um als Nichtseglerin darüber zu berichten, wie es so ist, auf einem traditionellen Segelschiff. Nur unter Frauen.
Auf dem Schiff merke ich schnell, dass diese Segelerfahrung wie ein Brennglas auf meine Schwachpunkte wirkt: Ich bin ungeduldig und kann schlecht akzeptieren, etwas nicht sofort zu verstehen. Dabei muss ich das gar nicht bis ins Detail, auf diesem Törn werden keine Vorkenntnisse erwartet. Hier an Bord heißt es, dass Neugierde viel wichtiger sei. Die alte Brigg ist eine Art Segelschulschiff, das vom Verein »LebenLernen auf Segelschiffen e. V.« betrieben wird. Wir sollen nur gut zuhören, dann einfach machen. »Entspannt euch!«, hören wir immer wieder von den erfahreneren Seglerinnen, die sich alle gut in uns Neulinge hineinversetzen können und zugeben, dass sie nach Monaten auf dem Festland auch immer etwas Zeit bräuchten, um wieder reinzukommen und sich zurechtzufinden.
»Backbord-Gordinge bereit machen!«, ruft Conni, unsere Kapitänin. Ich halte den richtigen Tampen fest, sodass dieses Seil mir nicht mehr entwischen kann, und antworte unsicher: »Backbord-Gordinge sind klar?« Unsere Kapitänin sagt: »Wisst ihr was? In der Stimme kann man jede Unsicherheit und alle Selbstzweifel heraushören, die man im Laufe des Lebens angehäuft hat.« Diese Lektion will ich unbedingt mitnehmen. Ich habe mir angewöhnt, manchmal leiser und zurückhaltender zu sein, weil ich nicht auffallen oder herausstechen möchte. Hier kann ich wieder lernen, laut, bestimmt und selbstbewusst zu sein.
Die Frauen aus der Stammcrew erzählen mir, was sie an ihrem Hobby so sehr begeistert. Anna zum Beispiel ist Rechtsanwältin und segelt seit zehn Jahren, weil sie es genießt, einfach nur Anweisungen zu befolgen, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Das Schiff ist ihre Abkürzung ins Hier und Jetzt. Auch mir fällt auf, dass ich, seit ich an Bord bin, an nichts anderes denke. Dabei checke ich sonst selbst sonntagabends um 22 Uhr noch Mails. Das alles spielt hier keine Rolle. Ich komme einfach nicht dazu. Weil ich mich in dieser für mich neuen Welt erst mal...
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