Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 1
"Carsten, wo bleibst du?", rief Daniela Mücke aus dem Flur. "Wir müssen los!"
Im Schlafzimmer hockte Kriminalhauptkommissar Carsten Andresen im Unterhemd am Fußende des breiten Bettes, sein Handy in der Hand. Er schloss die Facebook-App, wo er sich einige Kommentare zu einem Post in der SG-Fan-Gruppe durchgelesen hatte.
"Komme gleich!", rief er lustlos, legte das Smartphone neben sich und stand auf, um ein frisches Hemd aus dem Schrank zu holen.
An seinem letzten Urlaubstag würde er sich viel lieber mit Daniela und einem Bier vor den Fernseher setzen oder auf der Terrasse die letzten Sonnenstrahlen genießen, als zu Verenas Lesung zu gehen.
Aber Daniela freute sich nun mal darauf, und obendrein hatte sie seinem Kollegen Lutz Weichert fest zugesagt, dass sie kommen würden. Allerdings ohne es vorher mit ihm, Carsten, abgesprochen zu haben. Gegen den bittenden Blick seiner Freundin war er jedoch machtlos gewesen. Wie so oft. In ihren Händen wurde aus dem hartgesottenen Kommissar ein weicher Klumpen Wachs. Normalerweise konnte er damit gut leben, doch heute .
Seufzend schaute er aus dem Fenster, während er das zugeknöpfte Hemd in seine Hose stopfte. Die Sonne strahlte von einem blauen Himmel. Ein Septemberabend wie aus dem Bilderbuch. Dieses Phänomen häufte sich in der letzten Zeit. Tagsüber blieb es bedeckt und trüb, abends jedoch verschwanden alle Wolken, als hätten sie Feierabend. In seiner Vorstellung steckte sich die Sonne jetzt gerade die Daumen in die Ohren, wedelte mit den Fingern und streckte feixend die Zunge heraus.
"Carrr-sten!"
Wenn Daniela seinen Namen mit drei R aussprach, wurde es ernst. Mit einem brummelnden "Komme ja schon!" trat er auf den Flur.
Direkt vor der Wohnungstür standen die ausgehfein gemachte Daniela, ihre Tochter Antonia, genannt Toni, sowie Andresens eigener Nachwuchs. Desirée hatte sich zu einer jungen Dame entwickelt, stellte er wieder einmal fest. Die blonden Locken hatte sie mit einem Zopfgummi gebändigt, der hartnäckige Babyspeck, unter dem sie lange gelitten hatte, war verschwunden, und statt löchriger Jeans und ausgelatschter Turnschuhe trug sie eine schwarze Hose, ein lässiges Blusenshirt und dazu goldglitzernde Sandalen mit Keilabsatz.
Andresen seufzte leise. Wo waren die Jahre geblieben? Und wozu hatte sie sich so in Schale geworfen? Desirée kam nicht mit zur Lesung, sondern sollte an diesem Abend den Babysitter machen. Oder vielmehr den Pubertier-Sitter.
Auch Antonia hatte sich entwickelt. Sie war vom aufgeweckten Grundschulkind zum Kaktus mutiert. Stachelig und unnahbar. Die Zwölfjährige und ihre Mutter zofften sich bei jeder Gelegenheit. Zuletzt hatte sich Toni darüber beschwert, dass sie nicht allein zu Hause bleiben durfte. Da sie es aber genoss, wenn sie Zeit mit der so erwachsenen und coolen Desirée verbringen durfte, war der Streit nicht eskaliert.
Carsten Andresen war dankbar dafür, dass er diese anstrengende Phase bei seiner Tochter damals nicht so hautnah mitbekommen hatte. Zu jener Zeit lebten seine Ex-Frau Marianne und er bereits lange getrennt. Aber er erinnerte sich deutlich an die Telefonate mit Marianne, in denen sie ihm das unangemessene Verhalten des Teenagers in den buntesten Farben geschildert hatte. Beneidet hatte er sie keine Sekunde lang. An den Wochenenden, die sie bei ihm verbrachte, war Desirée recht pflegeleicht gewesen. Vermutlich, weil er ihr mehr erlaubt hatte als ihre Mutter.
"Carsten, ich und Desirée wollen den dritten Harry-Potter-Film gucken!", rief eine begeisterte Antonia ihm zu. "Auf Netflix."
"Desirée und ich", verbesserte Daniela automatisch, während sie sich im Spiegel betrachtete und eine widerspenstige dunkle Haarsträhne zur Räson brachte.
"Nee, du bist doch gar nicht da", feixte Antonia.
Andresen begrüßte seine Tochter mit einem Küsschen auf die Wange. "Hallo, Liebes. Toni hat sich schon den ganzen Tag auf den Abend mit dir gefreut."
"Hi, Paps." Desirée zwinkerte der Zwölfjährigen zu. "Wir werden es uns so richtig gemütlich machen."
Er nickte wissend. "Davon bin ich überzeugt. Auf dem Tisch steht Knabberzeug, und im Kühlschrank findet ihr Limo."
"Cola?", fragte Antonia begierig.
Andresen nickte. "Selbstverständlich."
"Aber du trinkst nicht mehr als zwei Gläser, verstanden?" Daniela fixierte ihr Töchterchen mit strengem Blick. "Sonst kannst du nicht schlafen."
Desirée legte einen Arm um Antonias Schultern. "Ich pass auf, keine Sorge."
"Ja, Mama, keine Sorge. Sag mal, wann fängt diese Vorlesung eigentlich an?"
"Du kannst es wohl nicht erwarten, dass wir verschwinden", bemerkte Andresen.
Antonia grinste nur.
"Es heißt Lesung, mein Schatz", belehrte Daniela ihre Tochter, "nicht Vorlesung."
"Aber da wird doch vorgelesen, oder etwa nicht?"
"Doch, schon."
"Und wieso heißt es dann Lesung und nicht Vorlesung?"
"Weil man Unterricht an Universitäten Vorlesungen nennt und das zu Verwechslungen führen könnte", antwortete Daniela. Sie nahm Andresens Jackett vom Garderobenhaken und warf es ihm zu. "Nehme ich jedenfalls an."
Antonia verschränkte die Arme, und obwohl sie kleiner war als ihre Mutter, gelang es ihr, sie von oben herab anzusehen. "Also du weißt es nicht."
Daniela ging nicht darauf ein. Sie warf einen Blick auf die Uhr und wandte sich an Andresen. "Wir müssen jetzt wirklich los, Carsten, Margarete wartet."
"Ich weiß."
"Ach, Oma kommt auch mit?", wunderte sich Desirée. "Ich wusste gar nicht, dass sie neuerdings auf Krimis steht. Sonst liest sie doch nur Liebesschmonzetten und so was."
Daniela lächelte. "Sie kam selten genug raus in der letzten Zeit. Ich habe sie also gefragt, ob sie mitkommen möchte, und sie schien großes Interesse zu haben."
"Grüßt sie ganz lieb von mir, ja?", bat Desirée. "Ist viel zu lange her, dass ich sie gesehen habe. Ich rufe sie morgen mal an."
"Gute Idee", meinte Andresen und stieß seinen rechten Arm durch den Jackettärmel. "Mann, hab ich eine Lust!"
Danielas Hand legte sich auf die Türklinke. "Es wird bestimmt nett. Immerhin spielt Verenas neuer Krimi auf dem Campingplatz in Holnis. Wir sind also ganz dicht am Tatort."
"Hoffentlich hat sie sich nicht unseren Fall damals als Vorlage genommen", unkte Andresen. Vor wenigen Jahren hatten seine Kollegen und er im Ostseecamp auf der Halbinsel Holnis in einem kniffligen Mordfall ermittelt, und Verena Christen hatte an der Seite von Andresens Kollege Weichert alles hautnah mitbekommen.
"Bestimmt nicht", beruhigte ihn Daniela. "Schriftsteller verfügen doch über eine blühende Fantasie. Sie wird sich etwas Eigenes ausgedacht haben. Und nun komm." Sie öffnete die Tür und schenkte den beiden Mädchen ein Lächeln. "Viel Spaß, ihr zwei. Und denkt dran, nach dem Film ist Kinderbettzeit."
"Ja-ha!", stöhnte Antonia. "Das hast du jetzt schon dreimal gesagt. Und ja, bevor du es zum zwanzigsten Mal wiederholst: Ich werde mir artig die Zähne putzen, ehe ich ins Bett gehe. Und mich waschen."
"So ist es recht, mein Goldkind." Daniela drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und winkte Andresen. "Gehen wir."
Sie traten aus der Hausscheibe, in der sie seit einem Jahr zusammenlebten. Andresen mochte die Gartenstadt Weiche, die ihre gemeinsame neue Heimat geworden war. Es war eine ruhige, sehr grüne Gegend, in der mehrere Kinder in Antonias Alter wohnten. Die Busanbindung war gut, es gab Einkaufsmöglichkeiten, Spielplätze und sogar ein Freibad in unmittelbarer Nähe. Wenige Jahrzehnte zuvor hatte sich hier die Briesen-Kaserne befunden, die deutsche und amerikanische Soldaten beherbergte. Daran erinnerte allerdings nichts mehr.
Auch die Straßennamen in der Gartenstadt hatten mit der militärischen Geschichte der Gegend rein gar nichts am Hut. Sie orientierten sich stattdessen an Getreidesorten und Schmetterlingsarten. Sie selbst wohnten im Distelfalterhof, einer ruhigen Sackgasse. Daniela genoss besonders das kleine Stück Garten, das zu dem Reihenhaus gehörte. Dort pflanzte sie Blumen und Kräuter, zupfte Unkraut und stutzte die Büsche. Einzig aufs Rasenmähen hatte sie keine Lust, das war seine Aufgabe. Carsten übernahm das ganz gern, zumal das Rasenstück eine überschaubare Größe hatte und die Arbeit daher schnell erledigt war.
"Jetzt fehlt uns nur noch ein Hund", hatte er gesagt, nachdem sie eingezogen waren, doch Daniela hatte dieses Ansinnen sofort im Keim erstickt, obwohl auch Antonia von dem Gedanken begeistert gewesen war.
"Kommt nicht infrage. Früher oder später bleibt die Arbeit an mir hängen, das kenne ich noch aus meiner Kindheit. Wir hatten ebenfalls einen Hund, und nach kürzester Zeit wollten weder mein Bruder noch ich bei jedem Wetter mit ihm rausgehen. Es gab ständig Zoff deswegen. Außerdem machen Hunde Dreck und Lärm. Nein, vielen Dank, das könnt ihr vergessen."
Margarete Andresen stand wartend am Straßenrand, als sie den Twedter Plack erreichten. Die Rentnerin bewohnte hier eine freundliche und altersgerechte Zwei-Zimmer-Wohnung mit kleinem Balkon. Carsten hielt direkt neben ihr, und prompt tauchten graue Locken an der offenen Autotür auf.
"Ihr seid ja beinahe pünktlich", sagte seine Mutter zur Begrüßung, und kletterte mit leisem Stöhnen auf die Rückbank. Es klang, als quäle sie sich in einen Mini-Cooper, dabei war Andresens Mercedes eigentlich sehr...
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