Schweitzer Fachinformationen
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1. Einleitung
In der liturgiewissenschaftlichen wie auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung wird die Frage nach der anthropologischen und kulturellen Bedeutung des Sonntags gestellt. Autoren verstehen das Engagement für Räume und Zeiten kultureller Art wie den Sonntag gar als Einsatz für den Schutz der Menschlichkeit einer Gesellschaft1. Die Frage nach der Bedeutung und der Gestaltung des Sonntags ist dabei auch für die Frage nach dem Selbstverständnis von Gemeinschaften und ihrer gemeinsamen Identität als ein Aspekt ihrer Kultur von Interesse. Im Zuge der Diskussionen um die Erweiterung politischer Bündnisse sowie großer ökonomischer Herausforderungen zeigt sich beispielsweise, dass allein wirtschaftliche Zusammenhänge nicht ausreichen, den Zusammenhalt von Staaten zu gewährleisten. Vielmehr spielen kulturelle Aspekte eine Rolle, die die einzelnen Gesellschaften in der Vergangenheit geprägt haben und bis heute prägen. Zu ihnen gehören auch vielfältige religiöse Dimensionen wie die Rolle des Sonntags und entsprechende kulturelle und rituelle Praktiken.
Unabhängig von der kulturellen Bedeutung handelt es sich beim Sonntag um ein Thema, das die Mitte der christlichen Existenz berührt. Der sonntägliche Gottesdienst ist seit Anbeginn des Christentums der zentrale Versammlungspunkt der Gemeinde. Sonntägliche Kultur und der Gottesdienst stehen dabei in kirchlicher und theologischer Perspektive in einer engen Verbindung2. Sie gehören zusammen und sind für das Leben der Kirche und ihre Wirkung in die Gesellschaft hinein wichtig.
Die aktuelle Diskussion über den Sonntag im deutschsprachigen Raum gilt oftmals nicht primär seiner theologischen Bedeutung, sondern in Kirche und Gesellschaft vor allem dem Erhalt des Ruhetags als einer gesamtgesellschaftlich kulturellen und sozialen Institution. Seit Anbeginn verbindet die Kirche die Sonntagspraxis der Kirchenglieder eng mit der eigenen Identität. Im Zuge eines veränderten Umgangs mit Festkultur in den europäischen Gesellschaften seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird der Sonntag als arbeitsfreier Tag mehrheitlich noch gesellschaftlich akzeptiert, unterliegt als kirchlicher Feiertag jedoch einem Bedeutungswandel. Die Gottesdienst feiernde Gemeinde der Gegenwart befindet sich inmitten gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, deren Auswirkungen als Individualisierung und Säkularisierung und mit Blick auf Sonntagskultur als "Erosion" beschrieben werden3. Faktisch gibt es kein unhinterfragtes Festhalten am Sonntagsgebot mehr, das ganz selbstverständlich mit dem Ruhen von beruflichen Tätigkeiten und der religiösen Begehung des Feiertags verbunden wäre4. Der Sonntagsgottesdienst muss sich neben vielen anderen Möglichkeiten der Gestaltung dieses Tages behaupten5. Der Einsatz für den Sonntag ist für die Kirche von daher als Vergewisserung der eigenen Identität zu verstehen. In der vorliegenden Arbeit wird aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive der Fokus auf die sonntägliche Liturgie als Gemeinschaftsgeschehen und deren Bedeutung für die religiös plurale Gesellschaft gerichtet, die sich im Spannungsfeld von gesellschaftlichen, kirchlichen und theologischen Fragestellungen ergibt.
1.1 Neuere Forschungsliteratur im Überblick
Zum Thema Sonntag sind in den letzten Jahren Beiträge aus unterschiedlichen theologischen und nichttheologischen Disziplinen erschienen, aus denen sich bestimmte Interessensschwerpunkte ablesen lassen. In diesem Abschnitt sollen neuere Arbeiten aufgeführt werden, die nach 1996 veröffentlicht wurden. Für diese zeitliche Begrenzung gibt es zwei Gründe: Im Jahr 1996 erschien zum einen mit der Verlautbarung des Apostolischen Stuhls zum Sonntag "Dies Domini" der bisher grundlegende kirchenamtliche Text zum Thema6. Im gleichen Jahr traf der Europäische Gerichtshof auf den Antrag Großbritanniens hin das Urteil, dass die ununterbrochene Arbeitsruhezeit nicht mehr den Sonntag einschließen müsste7. In der Folge trat die Liberalisierung der Sonntagsruhe in verschiedenen europäischen Staaten ein. Ebenfalls in diesem Jahr wurde in Österreich die erste regionale "Allianz für den freien Sonntag" gegründet, in der sich Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam für den Erhalt des arbeitsfreien Sonntags einsetzten8. Von da an ist eine im deutschsprachigen Raum vermehrte wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu beobachten.
Es kann hier nicht darum gehen, alle erschienenen Beiträge en détail und systematisch vorzustellen, vielmehr sollen die Hauptlinien neuerer Forschungen zum Thema Sonntag dargestellt werden. Weil die Arbeit vom Ansatz her interdisziplinär geprägt ist, werden nicht nur liturgiewissenschaftliche Publikationen berücksichtigt. Es geht darum, ein möglichst breites Bild sonntäglicher Kultur zu zeichnen und kulturelle Phänomene aufzuspüren. Das ist nur im Dialog mit anderen Disziplinen möglich.
Dass das Thema "Sonntag" von breitem gesellschaftlichem Interesse ist, lässt sich an den zahlreichen Beiträgen in großen Tageszeitungen und kirchlichen Zeitungen in den letzten Jahren ablesen. Anlass hierfür waren die Klagen der beiden großen Kirchen und die Urteile der Gerichte zu den verkaufsoffenen Sonntagen9. Die Argumentationen und rechtlichen Begründungen sind in den Beiträgen unterschiedlicher Art, im deutschen Raum stimmen sie weitgehend darin überein, dass die Arbeitsruhe am Sonntag zum Wohl der Allgemeinheit erhalten bleiben soll10.
Insgesamt lassen sich mit Blick auf wissenschaftliche Publikationen zum Sonntag in den vergangenen Jahren kulturgeschichtliche, ethnologische, sozialwissenschaftliche, liturgiewissenschaftliche und sozialethische Interessen erkennen. Mehrere kulturgeschichtliche Arbeiten zum Sonntag sind zu erwähnen. Zum einen ist hier der Erfolg zweier Ausstellungen zur Kulturgeschichte des Sonntags in den Jahren 2001 und 2002 zu nennen, deren Begleitbände ein buntes Bild vergangener Sonntagskultur zeichnen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Sonntagskultur in Ost- und Westdeutschland nach 1945 bis in die Gegenwart und den damit verbundenen kulturellen Umbrüchen11. Auf ein älteres Forschungsprojekt zur Sonntagskultur in Österreich geht der mit aktualisierten Beiträgen herausgegebene Band "Der Tag des Herrn. Kulturgeschichte des Sonntags" zurück. Hier stehen sozialethische, politische, kulturgeschichtliche und rechtshistorische Fragestellungen im Mittelpunkt des Interesses12. Von besonderer Bedeutung sind die Forschungsergebnisse des Schweizer Kulturhistorikers Urs Altermatt, der die Veränderungen der sozialen und kirchlichen Gestalt des katholischen Sonntags eingehend untersucht hat. In seinen Beiträgen verfolgt Altermatt die Verschiebung des Sonntags hin zum Wochenende im Kontext der Modernisierung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und der Pluralisierung sonntäglicher Kultur im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, in der die Arbeitszeit flexibilisiert wird. Altermatt setzt die Erosion des Sonntags mit den Umbrüchen im katholischen Milieu in Verbindung13.
Dass der Sonntag in vielfältiger Weise Kultur prägend gewesen ist, davon zeugen auch Literatur, Film und Musik. Einige neuere Beiträge versuchen diese Zeugnisse neu zu erschließen14.
Erwähnenswert sind ebenso neuere ethnologische Arbeiten, die den Sonntagsgottesdienst untersuchen, indem sie die Perspektive der Ritualteilnehmer auf das sonntägliche Gottesdienstgeschehen reflektieren15.
Die grundlegenden sozialwissenschaftlichen Arbeiten zum Sonntag stammen von Jürgen P. Rinderspacher und Irmgard Herrmann-Stojanow und bieten bis heute das aktuellste Material zum Thema16. Sie beschäftigen sich mit der kulturellen und sozialen Bedeutung des Rhythmus von Arbeitswoche und Wochenende sowie Freizeit und Arbeitnehmerinteressen. Sie versuchen dabei die Frage zu beantworten, welche gesellschaftlichen Konsequenzen sich aus dem Verlust des gemeinsamen Wochenendes ergeben.
Verhältnismäßig viele Publikationen beschäftigen sich aus kirchenhistorischer, liturgiehistorischer und -theologischer Perspektive mit der Frühgeschichte des christlichen Sonntags. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei v.a. das Verhältnis von jüdischem Sabbat und christlichem Sonntag17.
Eine herausragende Studie zum Gottes-Gedenken in der jüdischen und der christlichen Liturgie hat Stephan Wahle vorgelegt. Wahle zeigt auf, dass sowohl im jüdischen als auch im christlichen Gottesdienst das Gottes-Gedenken die Mitte bildet, dabei berücksichtigt er auch die jüdische Sabbat- und die christliche Sonntagliturgie18.
Die Studie von Andreas Poschmann beschäftigt sich nicht explizit mit dem Sonntag, sondern mit der Erneuerung der Liturgie in der Zeit der Liturgischen Bewegung im Leipziger Oratorium; sie ist hier aber dennoch zu nennen. Sonntäglicher Gottesdienst und Gemeindecaritas waren für die Oratorianer des heiligen Philipp Neri untrennbar miteinander verbunden und führten zu einer Reform der liturgischen Feier. Die Arbeit macht deutlich, wie eng die konkrete Gestalt der liturgischen Feier an die jeweiligen Lebensbedingungen der Menschen gebunden ist19. Die Sonntagsgemeinde wird schließlich als ursprünglicher Ort von Diakonia und Martyria reflektiert20.
Zwei liturgiewissenschaftliche Sammelbände zum Sonntagsgottesdienst sind in den vergangenen Jahren erschienen. Der Band "Sonntäglich. Zugänge zum Verständnis von Sonntag, Sonntagskultur und Sonntagspredigt", eine Festschrift für den langjährigen Vorsitzenden der "Arbeitsgemeinschaft für Homiletik", Ludwig Mödl, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kultur, Gottesdienst und Predigt und...
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