Schweitzer Fachinformationen
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Seit ihrem ersten Kuss war er jedem Streit aus dem Weg gegangen. Im Laufe der gemeinsam verbrachten Monate, die sich zu Jahren aneinanderreihten, hat er sich eine Leidensmiene angewöhnt, um ihr stumme Vorwürfe zu machen. Das ärgerte sie so, dass sie ihn immer häufiger durch gemeine Äußerungen provozierte. Jedes Mal, wenn er sich dann feige wegduckte, statt seinen Mann zu stehen, wuchs ihre Verachtung für ihn. Zuletzt hatte ihre Verachtung eine Dimension erreicht, dass sie bei seinem Anblick nur noch dürre, sarkastische Worte für ihn übrighatte.
Jetzt ist alles anders. Ihr Reptilienhirn hat das Kommando übernommen und die toughe, selbstbewusste Verena in einen fernen Winkel ihres Bewusstseins verbannt. Todesangst führt die Regie.
"Du gehst heute nirgendwo hin!" Sein Blick flackert, jeden Moment wird er ihr an die Gurgel gehen.
"Okay, aber bitte reg dich nicht so auf."
Sie senkt die Augen, in diesem Moment bereit, sich ihm vollständig zu unterwerfen.
"Ich rege mich auf, solange ich will! Viel zu lange habe ich geschwiegen und mir deine Frechheiten gefallen lassen! Damit ist jetzt Schluss!"
Seine Faust kracht gegen die Wand. Sie zuckt zusammen. Ein Zittern erfasst ihren Körper.
"Und zwar ein für alle Mal!"
Verena wagt es nicht, den Blick zu heben. Auch so weiß sie, dass er grinsend ihre Unterwürfigkeit genießt. Später wird sie es vielleicht schaffen, ihn dafür zu hassen.
"Ist das klar?"
Sie ist erstarrt, stellt sich tot. Grob packt er sie unterm Kinn und hebt ihren Kopf an.
"Ob das klar ist!"
Panisch nickt sie. In seinen Augen glitzert etwas, das sie noch nie gesehen hat und nie wieder sehen will.
"Gut!"
Er lässt ihr Kinn los. Sofort senkt sie erneut den Blick. Erstarrt steht sie vor ihm, wagt es nach wie vor nicht, sich zu rühren. Verena glotzt auf seinen Bauch, als sie die Schwellung in seiner Hose erkennt. Erschrocken wendet sie den Blick ab. Ein großformatiges Wüstenfoto gerät in ihr Sichtfeld, eine Erinnerung an ihre Reise durch Namibia. Wie eine Ertrinkende an ein Stück Holz klammert sie ihren Blick an eine der schönsten Erinnerungen ihres Lebens. Innerlich fleht sie einen Gott, an den sie bisher nie glaubte, an, ihr zu helfen, seine Wut zu überstehen.
Seine Ohrfeige trifft sie unerwartet und mit solcher Gewalt, dass sie zu Boden stürzt. Er reißt das Bild von der Wand, zerschmettert es auf dem Boden.
"Damit ist es vorbei! Für immer."
Tränen strömen aus ihren Augen, während sie krampfhaft ihr Schluchzen unterdrückt. Er beugt sich zu ihr hinab, greift grob in ihre Haare und reißt Verena an ihnen hoch, bis sie vor ihm kniet.
"Wenn du gerade schon da unten bist", sagt er gehässig und öffnet seinen Hosenladen.
Die Leiche liegt wie drapiert auf einem Steinsarkophag. Das Blut ist von der Kehle die Seitenwände hinabgeflossen, dort zu dunkelroten Schlieren geronnen. Im Hintergrund, auf der gegenüberliegenden Seite der Absperrung, saugt eine junge Frau gierig an ihrer Zigarette. Ihr Blick hängt gebannt am Toten. Sie hat das Mordopfer gefunden. Wir werden sie gleich befragen, auch wenn das nichts bringen wird, liegt die Tat doch sicher etliche Stunden zurück. Tief Luft holend breche ich das Schweigen.
"Ein Schwarzer."
"Was soll das jetzt?"
Sabrina starrt mich mit gerunzelten Augenbrauen an.
"Nichts."
Ich zucke mit den Achseln.
"In knapp zwanzig Jahren Mordermittlung ist mir noch nie eine dunkelhäutige Leiche untergekommen, das ist alles."
"Bestimmt handelt es sich um eine rassistische Tat."
"Wie kommst du darauf? Nur weil das Opfer schwarz ist?"
Skeptisch sehe ich meine Kollegin an.
"Sabrina hat recht!"
Der Fotograf tritt in seinem Plastikoverall zu uns. Den Blick auf das Display seiner Digitalkamera geheftet, drückt er einige Knöpfe, dann streckt er uns den kleinen Bildschirm entgegen.
"Hier!"
"Scheiße!", fluche ich.
"Ich habe es doch gleich gesagt!", triumphiert sie.
Aus dem am Sarkophag hinabfließenden Blut hat jemand ein Hakenkreuz gemalt.
"Das war bestimmt der Mörder.", meint Sabrina.
"Sehe ich auch so", erwidert der Fotograf. "Wenn wir Glück haben, hat der Idiot dabei wenigstens einen Fingerabdruck hinterlassen."
Ich hebe meinen Blick. Die junge Frau gegenüber zündet sich eine weitere Zigarette an. Mir wird bewusst, wie schrecklich es für sie sein muss, hier im Angesicht einer Leiche zu stehen. Also schlage ich vor: "Sollen wir die Zeugin befragen, damit sie endlich gehen kann?"
"Frag sie ruhig, ich informiere Frau Riecke über das Hakenkreuz."
Wortlos umrunde ich die Absperrung. Die junge Frau sieht mich kommen, wirft nach einem letzten gierigen Zug ihre Kippe auf den Boden und tritt sie aus.
"Kein schöner Anblick, vermutlich Ihre erste Leiche?"
Sie verzieht das Gesicht zu einem müden Lächeln.
"Keineswegs, ich bin Krankenschwester, da sieht man öfters Tote, als einem lieb ist. Wenngleich denen nicht die Kehle durchgeschnitten wurde."
"Arbeiten Sie drüben im Katharinenhospital?"
Mit der Hand zeige ich in Richtung der kaum hundert Meter entfernten Gebäude.
Sie nickt. "Ich war auf dem Weg zur Arbeit, als ich ihn dort liegen sah."
"Kennen Sie ihn?"
"Nein."
"War außer Ihnen noch eine Person hier auf dem Friedhof?"
"Keine Ahnung, ich war müde und lief in Gedanken versunken vor mich hin, bis ich ihn entdeckte. Ich habe niemanden bemerkt."
"Haben Sie die Leiche berührt?"
Entsetzt schüttelt sie den Kopf.
"Wie nah sind Sie an den Toten herangetreten? Ich muss das wegen der Spurensicherung wissen."
"Nicht näher, als ich jetzt von ihm entfernt bin. Von hier aus habe ich die Notrufnummer gewählt. Der Beamte sagte, ich solle mich nicht von der Stelle rühren, also blieb ich stehen."
"Sie sind Krankenschwester. Haben Sie nicht versucht, ihm zu helfen?"
"Mir war gleich klar, dass der tot ist. Man sieht von hier aus deutlich den Schnitt durch die Kehle und dass er literweise Blut verloren hat. Ich brauchte nicht näher an ihn heranzugehen."
"Okay, das war's auch schon. Ihre Kontaktdaten haben wir ja, falls wir noch etwas wissen müssen. Sie können gehen."
Ich erwarte, dass sie es nach der langen Warterei eilig hat, wegzukommen. Sie wirft jedoch erneut einen Blick auf die Leiche, öffnet den Mund, schließt ihn wieder.
"Ist noch was?"
"Ja!" Mit einem Ruck reißt sie sich von dem verstörenden Anblick los und sieht mich an. "Hat der Mord etwas mit der Ausstellung zu tun?"
"Mit der Ausstellung?" Verblüfft starre ich in ihr hübsches Gesicht. "Mit welcher Ausstellung?"
",Wo ist Afrika'?"
Der Leichenfund hat sie stärker erschüttert, als ich dachte.
"Soll einer der Beamten Sie zum Arzt fahren? Schließlich findet man nicht alle Tage eine Leiche ..."
"Quatsch! Mir geht es gut! Ich frage mich einfach schon die ganze Zeit, ob sein Tod mit der Ausstellung ",Wo ist Afrika'?" dort drüben im Linden-Museum zusammenhängt."
Brüsk wendet sie sich ab, um hoch erhobenen Hauptes davonzustolzieren. Ratlos starre ich ihr nach. Warum sollte der Mord im Zusammenhang mit dieser Ausstellung stehen? Etwa nur, weil der Tote schwarz ist? Wahrscheinlich stammt er aus Allmersbach oder Bad Cannstatt. Lebte er noch, wäre er empört, von ihr als Afrikaner bezeichnet zu werden.
Aus sicherer Entfernung beobachtet er das riesige Polizeiaufgebot auf dem Hoppenlaufriedhof. Seine morgendliche Runde führt immer über den Friedhof zum dahinterliegenden Spielplatz und weiter durch den Stadtgarten zum Campus der Stuttgarter Universität. In einem anderen Leben belegte er selbst an der Uni Vorlesungen und Seminare. Dass ihn seine morgendliche Runde über den Campus der Uni führt, hat jedoch keine sentimentalen, sondern ganz praktische Gründe. Dank der vielen feiernden Studenten gibt es dort besonders viele Pfandflaschen und -dosen. An guten Tagen beträgt seine Ausbeute aus den Mülleimern des Spielplatzes und des Stadtgartens mehrere Euro. Zumindest wenn er früh genug unterwegs ist, um der Erste zu sein. Das kann er heute vergessen. Die Bullen haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als hätte er mit denen nicht schon genug Ärger! Hass wallt in ihm auf. Wenn er eine Knarre hätte, am besten ein Maschinengewehr, würde er jetzt hinübergehen und einige von ihnen umbringen. Aber leider hat er keine.
Beschwörungsformeln vor sich hin murmelnd, dreht er sich mehrmals um sich selbst. Seine Hände führen dabei eine exakt festgelegte Abfolge von Bewegungen aus. Langsam klingt sein Hass ab. Sein Blick streift über die Polizeifahrzeuge weiter die Rosenbergstraße entlang Richtung Hegelstraße. Andere könnten einfach dort entlanglaufen, um bei der Agip-Tankstelle in den Stadtgarten abzubiegen. Für ihn geht das jedoch nicht. Ihm wird nichts anderes übrig bleiben, als zu warten, bis die Bullen abziehen, um seine Morgenrunde genau in der festgelegten Reihenfolge zu Ende zu bringen, auch wenn es noch Stunden dauert und er mit Sicherheit keine einzige Pfandflasche mehr finden wird.
Als unter den Polizisten am Tatort die Nachricht die Runde macht, dass beim Toten weder Papiere noch ein Telefon gefunden wurden, stöhnen die Kollegen auf. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in weitem Umkreis die...
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