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Die Leute hier werden alles Mögliche über mich erzählen, lauter Geschichten mit ähnlichen Schlagzeilen. Gewalt und Probleme lägen mir in den Genen, ich sei der Sohn meines Vaters, und es habe ja so kommen müssen. Sie werden meine Geschichte sogar jenen erzählen, die sich gar nicht dafür interessieren, die zufällig vorbeikommen, einen Bekannten im Dorf besuchen oder sich die Gegend anschauen wollen. Aber keiner kennt die Geschichte wirklich, mit Ausnahme von Ramón. Und Agustina, wenn ich es recht bedenke, aber sie ist alles andere als neutral, ich war wie ein eigener Sohn für sie. Vor allem Ramón hätte das Recht gehabt, meine Geschichte zu erzählen, denn er lebte praktisch bei uns.
Er war der Erste, der wusste, dass ich krank war. Wirklich ernsthaft krank, nicht bloß ein Schnupfen. Ja, so hat diese Geschichte angefangen, mit einer fiesen, ziemlich abscheulichen Krankheit.
Und tückisch dazu, denn ich merkte es nicht sofort. Am Anfang spuckte und hustete ich nur, hatte Fieber, ich dachte, es wäre eine einfache Grippe. Nicht einmal das Rauchen gab ich auf. Don Confreixo verschrieb mir Antibiotika, aber es wurde nicht besser. Es ging mir dreckig. Eine Woche später schickte er mich in die Notaufnahme nach Lugo, und dort wurde ich auf den Kopf gestellt. CT der Lunge, dann des ganzen Körpers, die Ärzte wuselten um mich herum, diskutierten an meinem Bett über das weitere Vorgehen, neue Untersuchungen und Diagnoseverfahren, während ich unruhig wurde, als ich an den Haufen Arbeit zu Hause dachte: In ein paar Tagen wäre es Zeit für die Heuernte, ausgerechnet jetzt hatte einer meiner besten Traktoren den Geist aufgegeben, außerdem standen die Gesundheitskontrollen für das Vieh an, und das drohte haarig zu werden: In Terra Chá gab es noch immer einige Fälle von Katarrhalfieber, die uns die Exporte verhagelten. Schließlich entließ ich mich gegen den Rat der Ärzte selbst, bat sie, mich an meinen Hausarzt zu überweisen, wenn sie sich über die Diagnose und das weitere Procedere endlich geeinigt hätten. Aber ich spürte, dass es riskant war.
Gleich am nächsten Tag, in aller Früh nach dem Melken, rief Don Confreixo an.
»Tomás? Bist du zu Hause? Du musst heute Vormittag vorbeikommen, das Krankenhaus hat mich angerufen, ich habe die Ergebnisse.«
»Das geht nicht, Doktor. Heute steht die Kontrolle der Viehbestände an. Ich muss nach Orense, nach einem Traktor schauen. Ich bin schon spät dran.«
»Das war keine Frage, Tomás, du musst kommen, es ist dringend. Bitte.«
Gerade war Ramón gekommen, ich rannte zum Traktor, wehrte ihn mit einem »jaja« ab. Ich war auf hundertachtzig, weil ich wusste, dass ich meinen Plan, heute Morgen eine Menge wegzuschaffen, vergessen konnte.
Im Sprechzimmer setzte er seine Brille auf, die einen echten Arzt aus ihm machte, und öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder, ohne etwas zu sagen, holte nur tief Luft. Zwei- oder dreimal machte er den Karpfen, das ging mir auf die Nerven, also stieß ich hervor:
»Schlimm?«
»Ja.«
»Krebs?«
»Ja«, antwortete dieser Idiot.
Einfach so. Er schluckte schwer und sah mich an wie ein blinder Lemur, ich verstand, mit Samthandschuhen würde er mich nicht anfassen, da war ich hier an der falschen Adresse.
»Wie lange hab ich noch?«
Ich sagte es, ohne wirklich nachzudenken, denn in Filmen sagt man das immer, wenn man eine solche Nachricht bekommt. Mit angsterfülltem Gesicht. In Schwarz-Weiß pressen die Hauptdarsteller ihre Zähne zusammen und flüstern biblische Phrasen, dass man meint, sie hauchten ihr Leben aus.
»Das ist aber ein bisschen voreilig, Tomás! Wir wollen nicht über deine Überlebenschancen sprechen, sondern über deine Heilung.«
Ach, immerhin ließ er sich zu einer Ermunterung herab, dieser Quacksalber.
Ich schaute auf meine Hände, meine großen Bauernpranken, trotz allem ziemlich saubere Nägel, fand ich, und fragte mich, ob ich Zeit für einen Rioja haben würde, bevor ich wieder an die Arbeit ging.
Gemäß Protokoll machten wir Termine aus, die ich einzuhalten hatte, Don Confreixo kümmerte sich um alles, aber vermied es, mir in die Augen zu schauen. Er nestelte an meiner Akte herum und räusperte sich regelmäßig, rief Kollegen an, um schnell einen Termin bei einem renommierten Pneumologen für mich auszumachen.
In der Kneipe traf ich Ramón.
»Ich habe eine Rippenfellentzündung. Ich muss wahrscheinlich noch mal für ein paar Tage ins Krankenhaus, bekomme Antibiotika, und neue Röntgenbilder müssen gemacht werden, vielleicht sogar ein Eingriff. Frag Alberto, ob er dir zur Hand gehen kann, während ich in Lugo bin.«
Der Hof war kein Problem, der Alte wusste genauso gut wie ich, was zu tun war. Schwieriger war, was ich einpacken sollte: Ich hatte noch nicht einmal einen Schlafanzug. Ich schlief nackt. Oder in meinen Kleidern, wenn ich zu besoffen war.
Ich hatte also Zeit für einen Rioja. Trank sogar drei, während der Alte mich auf den neuesten Stand brachte, was die Felder anging.
So hatte es eigentlich angefangen. Den Rest werde ich versuchen, einfach zu erzählen. Denn vielleicht mag ich nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, aber auch nicht der Psychopath, für den die Leute mich halten. Ich habe mein Bestes gegeben, aber darauf bin ich nicht vorbereitet gewesen, und ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun können.
Beinahe war ich froh, endlich ins Krankenhaus zu gehen.
Der Schlafanzug war kein Problem gewesen, ich war wohl kein Einzelfall. Ich hatte den zwölfjährigen Waisenjungen gemimt, dem niemand einen Schlafanzug fürs Ferienlager einpackt, die Krankenpfleger hatten mir mitleidig ein großes Nachthemd gegeben, das hinten offen war. Jedes Mal, wenn ich aufstand, um pinkeln zu gehen, sah mein Zimmernachbar meinen Hintern, sosehr ich auch versuchte, das offene Hemd mit meiner linken Hand zusammenzuhalten. Aber da ich gleichzeitig mit der rechten Hand den Infusionshalter schieben musste und mich sowieso immer wie ein Elefant im Porzellanladen benahm, endete es damit, dass ich doch meinen Allerwertesten präsentierte, um nicht gegen das Bett zu stoßen, die Tür, den Stuhl, all die absichtlich dort aufgestellten Hindernisse, die mich den letzten Nerv kosteten und mir unter die Nase rieben, dass ich zu groß war, zu schwerfällig, zu dämlich.
Am liebsten hätte ich zu den Weißkitteln gesagt: Operiert mich. Schneidet mir alles raus, was rauszuschneiden ist: Lunge, Leber, Milz und Herz. Ich will dieses verdorbene Fleisch nicht mehr, in dem gegen meinen Willen etwas Grauenvolles wächst. Die Ärzte waren nicht alle dafür, sie brauchten zwei Tage für die Entscheidung, ja, sie würden mich schließlich aufschneiden, um diesen Dreck rauszuholen, der meine Lunge zerfraß.
Gleich nach dem Eingriff glaubte ich, es gehe mir gut. Ich hatte keine Schmerzen, sie setzten mir regelmäßig einen Schuss, zusätzlich sickerte durch die Morphinpumpe ein sedierendes Glück in meine Adern. Sie kümmerten sich um mich, das muss ich schon sagen. Die Krankenschwestern waren nett, aber dick und hässlich: nicht eine, die den Schnitt anhob, nicht mal eine, die mich heißmachte. Von den Strapsen und aufreizenden Dekolletés aus den Pornoheften keine Spur, sie rannten ununterbrochen durch das ganze Krankenhaus, kamen nur, um mich umzudrehen wie einen Crêpe und mir den Rücken mit irgendetwas Stinkendem zu waschen, so in der Art wie teures Kölnischwasser. Sie standen drauf, mir den Rücken zu waschen, ich wusste nicht, warum, hinterher fragten sie mich immer, ob ich mich »frischer« fühlte. Es brannte, aber ich sagte nichts, ich wollte ihnen nicht den Spaß verderben. Sie wuschen mir auch den Penis, aber mit Gummihandschuhen, kein Scherz, das machte mich überhaupt nicht scharf.
Abgesehen davon schien seit zwei Tagen die Sonne, und wir hatten eine Affenhitze, ungewöhnlich, selbst für die Jahreszeit. Kein Gewitter, auf meinem Plastiklaken schwitzte ich wie ein Bulle, und ich dachte an meine Felder, scheiße . Normalerweise hätte ich jetzt Heu machen müssen. Ich hoffte, Ramón würde mit den Feldern am Hang anfangen, da war es immer am schnellsten reif. Aber das wusste er besser als ich.
Ich hatte ihm verboten, mich zu besuchen, er sollte sich lieber um meine Felder kümmern, und ich wollte nicht, dass er mitkriegte, dass ich kränker war, als ich vorgab. Er kannte mich in- und auswendig, ich wusste, dass er sich alles zusammenreimen würde. Wegen einer Rippenfellentzündung schnitt man niemanden auf.
Was meinen Fall betraf, verstand ich gar nichts, obwohl man mir alles erklärte wie einem Schwachsinnigen. Ich war zum Analphabeten geworden. Nichts zu machen, dieses Fachchinesisch ging nicht in meinen Schädel. Das hier betraf jemand anderen, ich sah mich durch die Gänge gehen, essen und pinkeln, hatte das Gefühl, in einem Film zu sein und eine andere Person dabei zu beobachten, wie sie das erlebte, was ich erlebte: Der Kerl war stark, er spielte gut. Er würde den Oscar für den besten Krebskranken abräumen.
Ich lächelte sogar, als ich mich nackt und komplett mit Betadine® bepinselt im Spiegel sah, baumelnde Schläuche, um den Oberkörper ein Druckverband, es sah aus, als hätte ich super Brustmuskeln. Mit der Wunde würde ich den Mädchen erzählen können, ich sei Söldner in Zaire gewesen und hätte einen Machetenschlag abbekommen, der mich eine ganze Weile außer Gefecht gesetzt hätte. Die Sache war nur, dass ich nie mit Mädchen sprach.
Zwei Wochen später wurde ich an einem Vormittag aus dem Krankenhaus entlassen. Abends ging ich mit Ramón ein Estrella trinken, ich fühlte mich fit, nur ein bisschen langsam, wenn ich so drüber...
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