2. Kapitel.
Die Ableugnung des Problems
Inhaltsverzeichnis In der unmittelbaren Vergangenheit hat man in Westeuropa um das Problem sich gedrückt durch eine bloße Ableugnung seiner Existenz - einige waren ehrlich unwissend über die Existenz einer jüdischen Nation - einige hielten den Unterschied für einen der Religion nur - mehr gaben die Existenz einer Sondernation zu, aber hielten die herrschende Fiktion, daß sie nicht existiere, für notwendig für den modernen Staat.
Diese Unwissenheit oder Fiktion ist heute zusammengebrochen - teilweise durch die notwendige Reaktion der Wahrheit gegen jede Falschheit - teilweise durch die wachsende Zahl der Juden in westlichen Ländern - mehr durch das große Wachsen ihrer Macht.
Jedoch wiewohl diese alte »liberale« Fiktion über die Juden tot ist, weil angesichts der Tatsachen nicht funktionierend, kann doch manches für sie gesagt werden - sie brachte Frieden für eine Weile - sie hielt sich an Modelle aus der Vergangenheit - und war gegründet auf eine gewisse Wahrheit, nämlich, daß der Jude sehr rasch den oberflächlichen Charakter der Nation annimmt, in der er gerade lebt - überdies von den Juden selbst so gewünscht - Beispiel des alten jüdischen Pair, und sein Anspruch, »in Ruhe gelassen zu werden« - praktischer Beweis für das Versagen in seinem Falle.
Jedenfalls die alte »liberale« Fiktion jetzt völlig wertlos - das Problem wird zugegeben und muß gelöst werden.
Ich habe das Problem gestellt. Da ist eine Reibung zwischen den beiden Rassen - den Juden in ihrer Zerstreuung und jenen, unter denen sie leben. Diese Reibung wird akut. Sie hat ohne Unterschied in der Vergangenheit zu den schrecklichsten Konsequenzen geführt (und kann also auch jetzt dazu führen), furchtbar für die Juden, aber auch für uns schlimm. Darum ist dieses Problem dringlich, praktisch und ernst. Darum verlangt es gebieterisch eine Lösung.
Aber man mag mir - und in der Tat, man wird mir - gleich am Anfang begegnen mit der Leugnung, daß überhaupt ein solches Problem existiere. Das war die Haltung unserer unmittelbaren Vergangenheit, das ist die Haltung vieler der besten Männer heutzutage auf beiden Seiten des Abgrunds, der Israel von unserer Welt scheidet.
Ich muß diesem Einwand begegnen, ehe ich weitergehe, denn wenn er gesund ist, wenn in der Tat ein solches Problem nicht da ist (außer soweit Unwissenheit oder Bosheit es künstlich schaffen), dann braucht es keine Lösung. Alles, was wir zu tun haben, ist dann, die Unwissenden aufzuklären und die Bösartigen zurückzuweisen: die Unwissenden, die sich einbilden, es gebe eine fremde jüdische Nation unter ihnen, die Bösartigen, die Menschen behandeln, als wären sie Fremde, Menschen, die doch in Wirklichkeit genau wie wir selber und normale Mitbürger sind.
Ich spiele hier gar nicht an auf die Unmenge von Konventionen, Heuchelei und Angst, die vorgeben, eine Wahrheit nicht zu kennen, die sie sehr wohl kennen. Ich rede von der aufrichtigen Überzeugung, die noch bei vielen - im besonderen aus der älteren Generation - besteht, daß es kein jüdisches Problem gebe.
Es wird von einem gewissen Geistestypus ehrlich geleugnet, daß es so etwas gebe, wie ein jüdisches Volk; darum könne es eine Reibung zwischen ihm und seinen Wirten nicht geben: die ganze Sache sei ein Wahn. Wir wollen diese Geistesart prüfen und sehen, ob die Illusion auf unserer Seite ist oder nicht.
Es war die dem 19. Jahrhundert vertraute Haltung, und sie schmeichelte jener politischen Stimmung, in der es sich am meisten wohl fühlte: die negative Haltung, das jüdische Volk nicht anzuerkennen; eine Fiktion zu schaffen von einer einzigen Bürgerschaft an Stelle der Wirklichkeit, nämlich doppelter Untertanenpflichten; den Juden ein volles Mitglied jedweder Gemeinschaft zu heißen, der er zufällig angehörte während jedweden Zeitraumes, in welchem er zufällig dort sich aufhielt in seinen Wanderungen über die Erde. Das war die Haltung, die in politischer Hinsicht allem, was sich »modernes Denken« nannte, empfehlenswert erschien. Es war die Lehre, die die großen Männer der französischen Revolution empfohlen hatten. Es war die Haltung, die nahezu enthusiastisch das liberale England einnahm, das heißt alles, was im öffentlichen Leben Englands während der viktorianischen Epoche dominierte. Es war die Politik, die einstmals im ganzen Gebiet der westlichen Kultur uneingeschränkte Gunst genoß. Es war die Haltung, die der Westen den Oststaaten tatsächlich aufzudrängen versuchte, und die letzte Wirkung ihres rasch abnehmenden Kredits findet sich in gewissen Klauseln des Vertrags von Versailles: denn sie ist immer noch die offizielle Haltung aller unserer Regierungen.
Im Vertrage von Versailles und in den anderen auf den großen Krieg folgenden Verträgen wurden die Juden Osteuropas unter eine Art speziellen Schutzes gestellt, aber nicht in einer aufrichtigen und positiven Form. Das Wort »Jude« platzte niemals heraus - es wurde ersetzt durch das Wort »Minderheit« - aber die Absicht lag auf der Hand. Was zugrunde lag, war: »Wir, die westlichen Regierungen sagen, es gibt kein jüdisches Problem. Die Idee einer jüdischen Nation ist ein Wahn, und die Vorstellung, daß ein Jude etwas Verschiedenes sei von einem Polen oder einem Rumänen, ist eine Manie. Wenn ihr im Osten in dieser Hinsicht noch so im Finsteren lebt, so wollen wir jedenfalls eure Unwissenheit und eure Besessenheit davor bewahren, in Verfolgungen auszuarten.« Dieselben Männer, die diese Erklärungen abgaben, errichteten dann einen funkelnagelneuen, scharf abgegrenzten jüdischen Staat in Palästina, mit der Drohung im Hintergrund, mit Hilfe westlicher Waffen eine Mehrheit rücksichtslos zu unterdrücken.
Beide Aktionen waren die Folge jener unklaren Lage, die ich soeben geschildert habe (die Geschichte wird es das letzte Beispiel nennen), die, wiewohl in der öffentlichen Meinung sehr geschwächt, dennoch von einigen der Parlamentarier, die den Vertrag gestalteten, ehrlich eingenommen wurde und von der man sicherlich den Eindruck hatte, daß sie allen persönlich zum Vorteil gereiche: die Stellung, daß es keine jüdische Nation gibt, wenn das Eingeständnis einer solchen dem Juden ungelegen ist, aber daß es sehr wohl eine gibt, wenn das dem Juden zum Vorteil gereicht.
Die diese Stellung verteidigten, taten es von verschiedenen Gesichtspunkten aus, die alle als ebenso viele Stufen gelten können einer gewissen Betrachtungweise gegenüber dem jüdischen Volke. Es war bis vor kurzem die Haltung der großen Mehrzahl der gebildeten Franzosen, Engländer und Italiener. Sie war sozusagen die offizielle politische Haltung Westeuropas und seiner parlamentarischen Regierungen und anderer entsprechender Institutionen.
Das Äußerste in diesem Sinne leisten sich jene Leute, die sagen, der Jude sei nichts anderes als ein Bürger mit einer besonderen Religion. Ein Staat sei vorherrschend katholisch oder protestantisch, aber er könne kleinere Religionsgesellschaften in sich enthalten, eifrige Minoritäten, für die Platz gefunden werden müsse neben der mehr oder weniger indifferenten Majorität. Das katholische Frankreich habe eine wohlhabende hugenottische Minorität von 5 %. Das anglikanische England habe eine arme katholische Minorität von 7 %. Das protestantische Holland habe eine große Minorität - mehr als ein Drittel - von Katholiken und so fort. Für das Denken des 19. Jahrhunderts war es ein verhaßter Gedanke, daß religiöse Unterschiede (die es für nichts weiter hielt als Schattierungen einer zweifelhaften Privatmeinung) das Interesse des Staates beanspruchen sollten. Eine große Anzahl von Leuten hielten das Judentum nicht für eine Nation, sondern nur für eine Religion; und da sie von jeder Religion gleich dachten, schlossen sie, daß sie keine Minderung des Bürgerrechts einschließen könne.
Am andern Ende fand man Männer der Öffentlichkeit, welche die Endschwierigkeiten vollauf würdigten, die aus einer so entscheidungslosen Bereinigung der Sache sicherlich erstehen würden. Diese betrachteten die Juden als durchaus unterschiedene Nationalität, und als eine, die höchstwahrscheinlich mit den Bedürfnissen ihrer Wirte in Konflikt kommen werde; sie konnten sogar (privat) ihre Feindseligkeit gegenüber dieser Nation äußern. Nichtsdestoweniger hielten sie dafür, sie müsse im öffentlichen Leben behandelt werden, als ob sie nicht existiere. Diese Männer waren höchst emphatisch in ihren Privatbriefen und Unterhaltungen - daß das jüdische Problem nicht ein religiöses sei, sondern ein nationales. Trotzdem, sagten sie, sei es notwendig, heute dieses Problem zu maskieren durch eine Fiktion, und vorzugeben, der Jude sei gleich wie jeder andere auch, nur nicht in seiner Religion. Alle anderen Lösungen verlangten (so sagten sie) eine Kenntnis der Geschichte und Europas, die vom großen Publikum nicht zu erwarten sei; ferner seien die Juden so mächtig, daß, wenn sie die Fiktion aufrechterhalten wissen wollen, man ihnen diesen Gefallen tun müsse. In jedem Falle müsse man, in unserer Zeit wenigstens, zu diesem So tun als ob seine Zuflucht nehmen.
Der neuen und bereits feindlichen Haltung gegen die Juden, die nun überall in ganz Westeuropa so stark sich erhebt (zum Teil als Reaktion gegen die Stellung des 19. Jahrhunderts), kommt diese altmodische Art, die jüdische Nation einfach zu leugnen oder deren Existenz mit Hilfe einer Fiktion zu ignorieren, moralisch recht hassenswert vor, und wir wundern uns heutzutage, wie sie allgemeinen Beifall heischen konnte. Sie setzte eine Unwahrheit voraus, natürlich, und oft eine bewußte; und sie war auch ohne Würde;...