Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Hey, Sam, wir sind gerade durch die Berge gefahren, und es war einfach so wunderwunderschön. Und nein, ich hab dir keine Bilder gemacht. Die Fensterscheibe ist gefühlt vor zwanzig Jahren das letzte Mal geputzt worden.« Ich zögere. »Was ich dich eigentlich schon die ganze Zeit fragen wollte .« Eine Sekunde vergeht, dann noch eine. Ich hole tief Luft. »Geht's euch gut?«
Sofort schicke ich die Sprachnachricht ab, und ein nervöses Ziehen meldet sich in meinem Bauch. Weil ich mich ein klein wenig vor Sams Antwort fürchte.
Nein, stimmt nicht. Ich fürchte mich sogar ziemlich.
Ich hoffe, dass sie sagt: Klar geht's uns gut. Rechnen tue ich aber mit etwas ganz anderem.
Ich starre auf das Display, sehe, wie Sam online geht, meine Nachricht abhört, mir jetzt ebenfalls eine Message draufspricht, und mein Puls schießt in die Höhe.
Eigentlich ist das total unnötig. Gestern Abend war ja noch alles in Ordnung. Mein Dad hat mich in den Arm genommen und gesagt: Viel Spaß in Wales, Lily. Wir kommen schon zurecht hier. Mach dir keine Sorgen.
Aber ich weiß, wie schnell das umschlagen kann. Sobald Sams Antwort bei mir ankommt, fummle ich umständlich meine pinken Kopfhörer aus der Hosentasche, stecke sie mir in die Ohren und drücke auf Play.
»Lilyyyyyy!!«, höre ich ihre Stimme, und augenblicklich schwemmt meine Brust ein warmes Gefühl. Im Hintergrund nehme ich den Londoner Verkehrslärm wahr. »Natürlich geht's uns gut. Wir kommen hier wirklich ohne dich klar, okay? Dad ist aufgestanden, war schon im Jobcenter, und ich gehe jetzt in meine erste Einführungsveranstaltung an der Uni. Ist das nicht komplett verrückt? Ich und Uni? Bin grad auf dem Weg dorthin und muss jetzt in die U-Bahn. Also, äh . wir quatschen morgen! Bye!« Die Hintergrundgeräusche reißen abrupt ab, und ich bemühe mich, so leise wie möglich zu sprechen, weil die Frau auf den Sitzen links vor mir wiederholt hersieht.
»Deine erste Veranstaltung! Ich bin so stolz auf dich! Erzählst du mir dann, wie es war?«, raune ich. »Du musst. Keine Ausreden! Ich will alles wissen .« Während ich rede, schweift mein Blick nach draußen. »Ohooo mein Goooooott, ich habe gerade das Meer gesehen! Das Meer! Sam!«, rufe ich, vor lauter Aufregung rutscht mein Finger vom Display ab und die Sprachnachricht wird automatisch versendet. Ich kümmere mich nicht weiter darum und starre auf den glitzerblauen Meeresstreifen am Horizont. Ganz kurz taucht er auf, dann ist er wieder hinter einigen Bäumen verschwunden. »Ich glaube, wir kommen an. Ich melde mich aus dem Wohnheim! Hab dich lieb!« Hastig mache ich ein Kussgeräusch, ehe ich auch diese Nachricht abschicke und vorsorglich beginne, in dem Netz am Sitz vor mir die zerknautschte, halb gefüllte Wasserflasche und die leere Chipstüte hervorzukramen. Sie knistert so laut, dass die Frau von schräg gegenüber schon wieder zu mir schaut. Als sich unsere Blicke kreuzen, verziehe ich schuldbewusst das Gesicht und gebe ein fast lautloses »Sorry!« von mir.
Vermutlich hätte ich das mit den Sprachnachrichten lassen sollen. Wobei es sowieso nur ein oder zwei Messages waren . Na gut. Es waren fünf. Oder acht. Ich schwöre, es waren nicht mehr als acht!
Und meine Bemühungen, im Flüsterton zu sprechen, waren wohl nicht sonderlich erfolgreich, weil: Der Bus, in dem wir sitzen, stammt aus den 90ern. Dem Teil der 90er, in dem ich noch nicht geboren war. Es riecht durchdringend nach den Plastikverkleidungen und staubigen Sitzpolstern, und das Fahrgefühl ist hier in der vorletzten Reihe in etwa so, als säße man auf einer Power-Plate.
»Verzeihung. Ich wollte meiner Schwester viel Glück wünschen«, murmle ich in Richtung der Frau, weil sie mich immer noch ansieht. Dabei halte ich erklärend das Handy hoch.
Ich schätze sie auf Ende dreißig; sie ist klein und rundlich, trägt ihre dicken braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und hat einen leuchtend pinkfarbenen Lippenstift aufgetragen, der perfekt auf ihren Nagellack abgestimmt ist. Sie sieht schick aus. Nicht die Art von hippem Großstadt-Chic, sondern gepflegt und feminin und auch ein bisschen oldschool.
Lächelnd rutscht sie auf den Gangplatz, und die leichte Parfümwolke, die schon die ganze Zeit in meiner Nase liegt, wird intensiver. »Habe ich mir fast gedacht. Oder deiner besten Freundin.«
Wärme steigt mir in die Wangen. »Und Sie mussten sich das jetzt alles mit anhören. Sie hätten es mir sagen sollen, dann wäre ich leiser gewesen.«
Die Frau zuckt nur mit den Schultern. »Halb so wild.« Ich erkenne weiße Tierhaare auf ihrem schwarzen Cashmere-Cardigan. Er sieht unglaublich weich aus, und am liebsten würde ich die Hand ausstrecken und darüberstreichen. Bisschen weird, aber dieser Drang befällt mich immer, wenn ich etwas Flauschiges sehe.
»Du kommst nicht von hier«, stellt sie fest und mustert mich. Dabei schafft sie es trotzdem, freundlich und offen zu wirken.
»Übermorgen fange ich mein Masterstudium an der Bloomsbury an.«
»O wie schön, dann musst du unbedingt demnächst bei mir im Café vorbeischauen. Studenten bekommen Rabatte!«
Zwar bezweifle ich, dass ich mir selbst mit Rabatt in näherer Zukunft einen Kaffee in irgendeinem Laden leisten kann, aber ich nicke trotzdem. »Sehr gern.«
»Ich bin übrigens Frida.« Sie hält mir ihre Hand hin und wie aus Reflex schüttle ich sie. »Mir gehört das Black Cat unten am Pier.«
»Lily«, sage ich, etwas überrumpelt. »Freut mich.« Und das tut es wirklich. Zu Hause in London kommt man nicht so leicht mit jemandem ins Gespräch. Man ist dort quasi nur von Fremden umgeben und kennt meist nicht mal seine unmittelbaren Wohnungsnachbarn. Auf der Straße oder in der U-Bahn sieht man sich nicht an, und keinesfalls spricht man miteinander, sondern tut das, was alle tun - auf sein Handy starren.
»Na dann. Herzlich willkommen in Marchlyn Falls!« Ihr goldenes Charm-Armband klimpert, als sie mir noch einmal zuwinkt und sich anschließend an ihren Fensterplatz zurückzieht.
Während ich meine Habseligkeiten in den Rucksack aus altem Jeansstoff stopfe, überkommt mich ein ungewohntes Gefühl. Es ist federleicht und fluffig und ein bisschen so, als würde ich gleich abheben und schweben können. Vielleicht wird doch noch alles gut. Vielleicht kann ich London, mein altes Leben, all die . Dinge, die passiert sind, endlich hinter mir lassen und neu anfangen.
Auch deswegen bin ich in diesem Bus, der gerade den letzten Hügel hinab in den Ort überwindet. Die Straße ist kurvig, und ich kann es kaum erwarten, hier rauszukommen und mir frische Luft um die Nase wehen zu lassen. Weil mir seit einigen Stunden etwas flau im Magen ist. Okay, mir ist schlecht. Also so richtig Ich-muss-die-Augen-schließen-und-tief-durchatmen-schlecht. Das passiert mir in Bussen immer. Trotzdem habe ich ein Ticket über National Express gebucht, statt mir ein teures Zugticket zu leisten. Aus einem simplen Grund: Ich bin komplett pleite. So pleite, dass ich mir, nachdem ich mir die Fahrkarte gegen meine letzten Bargeldreserven am Schalter geholt hatte, nur noch eine Tüte Chips, einen Schokoriegel und ein Wasser bei Boots kaufen konnte. Die drei Sachen gab es nämlich bei den superbilligen Meal-Deals, und die sind meine besten Freunde. Besonders, seit ich nicht mehr darauf vertrauen kann, dass meine Kreditkarte mir auch nur einen Penny gibt. Um jeden Preis möchte ich den peinlichen Moment vermeiden, wenn die Karte am Lesegerät trotz mehrmaliger Versuche abgelehnt wird und einen dieser genervte Blick der Verkäufer trifft.
Vielleicht bin ich auch einfach nur hungrig, gestehe ich mir ein, als mein Magen ein lautes, nicht enden wollendes Knurren von sich gibt. Ich ziehe einen Kaugummi aus der Hosentasche. Das regt die Speichelproduktion an, habe ich mal irgendwo gelesen, und das wiederum soll gegen Hunger helfen.
Wie von selbst tastet meine Hand in den Rucksack zu meinem Geldbeutel, der verräterisch leicht zwischen meinen Fingern liegt. Bis auf ein paar wenige Münzen ist er leer.
Du kannst dir nicht einmal mehr etwas zu essen kaufen. Das ist dir schon klar, oder?
Und kurz, ganz kurz, flackert nun doch Panik in mir auf. Wie soll ich das überhaupt anstellen? Tagelang nichts essen, bis ich einen Job gefunden habe? Meine neuen Kommilitonen anschnorren, obwohl wir uns noch nicht mal kennen? An einer verdammten Privatuni? Sie werden meinen, dass ich sie auf den Arm nehmen möchte.
Oder dass ich eine Betrügerin bin.
Aber das bist du ja auch, nicht wahr?
Ich schlucke schwer. »Hör auf«, flüstere ich mir leise zu, während ich nach unten auf meinen Rucksack starre. Meine Lippen bewegen sich tonlos, als ich die zwei Wörter wie ein Mantra wiederhole.
Ich muss das endlich alles hinter mir lassen. Ich habe London, die wenigen Bekannten, die ich während meines Bachelorstudiums in Psychologie gefunden habe, meinen Dad und meine jüngere Schwester zurückgelassen und quasi alles, was ich besitze, verkauft, um hier neu anfangen zu können.
Und das werde ich auch.
Entschlossen hebe ich den Kopf und beiße die Zähne zusammen. Draußen fliegen die ersten Häuser von Marchlyn Falls an uns vorbei. Hübsche Reihenhäuser mit Garten und einem großen Wohnzimmerfenster vorn raus. Gemähter Rasen wechselt sich mit gestutzten Hecken, sauberen Kieswegen und vermutlich handgetöpferten Schmuckornamenten ab, die zwischen Herbstblumen hervorragen. Ein Mann...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.