Schweitzer Fachinformationen
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Mallorca 1945
Der von Wärme geschwängerte Wind trug Saharastaub vor sich her und überzog Mallorca mit einer zarten terrakottafarbenen Puderschicht. Carla Delgado Ramis legte den mit getrockneten Aprikosen gefüllten Stoffbeutel in den Korb und setzte sich unter den Johannisbrotbaum. Ihr Blick schweifte über ihr Mandel- und Aprikosenfeld. Im Hintergrund verloren sich die sonst so klaren Bergspitzen der Tramuntana in einem orangegelben Himmel.
Die wackelige Sitzbank würde bald zusammenbrechen. Der nach dem Brand auf dem Feld errichtete Holzschuppen, in dem die Trockenfrüchte lagerten, wurde nur noch von der Wand der ehemaligen Bodega gestützt. Dem nächsten Sturm könnte er zum Opfer fallen.
Schon länger überlegte Carla, ob sie das Grundstück nicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen sollte. Eigentlich seit Antonia ihr den hervorragenden Reserva geschickt hatte. Wenn ihre Schwester auf Kuba der kargen Erde einen geschmackvollen Wein abringen konnte, müsste es Carla auf dem fruchtbaren Boden erst recht gelingen. Der Ertrag wäre höher. Sie könnte einen Arbeiter fest einstellen und bräuchte sich nicht weiterhin auf Saisonarbeiter verlassen. Die Kalkulation hatte sie bereits erstellt. Aber wie sollte sie ihrem Mann Francisco ihren Wunsch schmackhaft machen? Vielleicht gelänge es ihr diesen Abend beim Tanzen. Er würde in guter Stimmung und entsprechend zugänglich sein.
Carla erhob sich, ging zu ihrem fast abgeernteten Gemüsefeld und zog die letzten Möhren heraus. Sie wühlte mit bloßen Händen in der Erde nach Kartoffeln. Mehr als zwei förderte sie nicht zutage. Zusammen mit den reifen Paprikaschoten gab sie das Gemüse zu den Aprikosen in den Korb und kehrte zu ihrem Fahrrad zurück.
Obwohl der Loryc auf dem Hof stand, zog sie es vor, mit dem Rad zu fahren. So konnte sie für einen Plausch im Dorf halten. Zudem genoss sie die Bewegung, trotz der Schlaglöcher im Feldweg, die die Fahrt in ein kleines Abenteuer verwandelten. Sie radelte an verstreuten Weinfeldern mit jungen Pflanzen vorbei. Die Idee, mit anderen Weinbauern eine Kooperative für die Weinernte zu gründen, um sich die Maschinen und damit die Kosten zu teilen, setzte sich in ihren Gedanken fest wie ein Kieselstein im Profil ihrer Schuhe.
In Binissalem angekommen, bremste sie vor dem Haus ihrer Nachbarin Sofía. Das Rad lehnte sie im Hof an eine Viehtränke. Sie nahm die Stofftasche aus dem Korb und ging in die Küche. »Sofía? Wo steckst du?«
»Ich komme schon.«
Carla hörte es auf der Treppe poltern. Wenige Sekunden später betrat ihre Freundin den Raum. »Bon dia, guapa.« Sie küssten sich auf die Wangen.
»Hast du Näharbeiten für mich?« Sie hielt den Beutel in die Höhe. »Oder sind dir Trockenaprikosen lieber?«
»Deine Orellons sind prima.« Sie griff nach der Tasche und gab die Früchte in eine Schale. »Wie viele Eier brauchst du denn?«
»Ein Dutzend, wenn du hast.« Obwohl der Bürgerkrieg vorüber war, tauschten die Dorfbewohner, wann immer möglich, um das hart verdiente Bargeld zusammenzuhalten. Entsprechend karg sah es auf den Marktständen aus, was einen Besuch nur im Notfall lohnte.
»Habe ich.« Sofía ging zur Speisekammer, wo sie die Eier lagerte. »Ich habe Brote gebacken. Möchtest du eines? Quasi als Anzahlung für die nächste Näharbeit.«
»Sehr gerne.« Das sparte ihr Zeit und brachte Arbeit.
Sie plauderten noch ein wenig über die Leute im Dorf. »Sag, kennst du einen Baltasar Servera Font?«
»Nein, wer soll das sein?«
»Er wohnte in Sencelles und ich dachte, vielleicht bist du mit seiner Familie bekannt.« Carla kannte sie nicht, obwohl sie im Ort aufgewachsen war.
Sofía reichte ihr den Brotlaib. Die Eier packte sie in die Stofftasche.
»Stell dir vor, der junge Kerl eröffnet in Porto Cristo einen Souvenirshop.«
»Was ist ein Souvenirshop?« Sofía sah sie irritiert an. »Das hört sich spannend an.«
»Xisca behauptet, dass die Touristen in dem Geschäft mallorquinische Töpferwaren und Püppchen kaufen können oder auch Postkarten. Er hofft auf Ausländer, die die Tropfsteinhöhlen besichtigen. Sie soll zur Eröffnung hinfahren.«
Sofías Augen leuchteten. »Wie aufregend! Du musst sehr stolz auf dein Mädchen sein.«
Das war sie.
»Sie hat es von der Praktikantin zur Journalistin gebracht. Ich lese ihre Artikel immer zuerst! Wie geht es ihr?«
»Ausgezeichnet, sie ist ein wenig nervös wegen dieser Reportage.« Carla legte das Brot auf den Esstisch neben die Tasche. »Wir treffen sie heute in Palma beim Tanzen und fahren zusammen nach Hause. Vielleicht besuchen wir vorher noch Alba.« Ihre Schwägerin hatte sie länger nicht gesehen, und es lagen zwei fertige Kleider für Albas Tochter bereit.
»Dann grüß sie schön, und viel Spaß! Wohin fahrt ihr?«
»Ins Alhambra. Dort soll eine neue Musikgruppe aufspielen.« Carla freute sich auf den Abend. Es kam selten genug vor, dass sie zum reinen Vergnügen einen Ausflug unternahmen.
»Tanzt einen Tango für mich mit!«
Carla nahm ihre Sachen. »Ganz bestimmt.«
Zurück in ihrer eigenen Küche, bereitete sie eine Tortilla zu. Francisco kam zum Essen aus der Werkstatt herüber. Seit Carla heimlich den Entschluss gefasst hatte, auf Wein umzusteigen, trieb es sie um, die Zahlen erneut auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen. Es drängte sie fast, ihren Mann wieder in seine Steinmetzwerkstatt zurückzuschicken. Die Einnahmen seines neuen Auftrags würden Carlas Vorhaben ein gutes Stück vorantreiben. Dazu ein Kredit von der Bank, und es müsste gelingen.
Kaum hatte er die Wohnung verlassen, holte Carla ihre Kladde und rechnete, bis es in ihrem Kopf wie in einem Bienenstock schwirrte. Zufrieden klappte sie die Mappe zu. In sieben Jahren wären sie schuldenfrei. Momentan warf das Feld kein Geld ab. Niemand kaufte Mandeln oder Aprikosen. Sie saß immer noch auf der Hälfte der letztjährigen Ernte, die sie zum Tauschhandel benutzte. Ein Wechsel wäre ein Schritt in eine ertragreiche Zukunft.
Ein Blick auf die Uhr ließ sie zusammenfahren. Carla eilte in die Werkstatt. Der feine Steinstaub wirbelte durch die Luft, und das dunkle Haar ihres Mannes sah grau aus. »So nehme ich dich aber nicht mit zum Tanzen.«
Erschrocken fuhr er herum. Er schliff gerade einen Marmorblock in die gewünschte Form. »Wie spät ist es?«
»Vier Uhr.« Carla zeigte zum Wohnhaus. »Beeil dich, sonst suche ich mir einen anderen Kavalier.«
Er legte das Schleifgerät zur Seite. »Das wagst du nicht!«
»Stell mich besser nicht auf die Probe.« Lachend ging Carla über den Hof, direkt ins Badezimmer, um sich frisch zu machen.
Sie zog sich um, steckte ihr Haar am Hinterkopf nach der neuesten Mode fest und schlüpfte in ihre Tanzschuhe. Francisco betrat geduscht das Schlafzimmer. Seinen Anzug hatte sie ihm herausgelegt.
»Ich kontrolliere kurz die Kleider. Wir könnten bei Alba nach dem Tanzen zu Abend essen. Xisca ist bestimmt ebenfalls hungrig.«
»Eine ausgezeichnete Idee. Ich habe dir versprochen, den Auftrag gebührend zu feiern, und das tun wir auch.« Francisco knöpfte sein Hemd zu.
Carla half ihm mit den Manschettenknöpfen, bevor sie zu ihrer Nähecke ging, die Nähte der Sommerkleider kontrollierte und sie in einen Korb legte. So viel würde Lilia in den kommenden Wochen nicht mehr wachsen, und wenn doch, konnte sie die Säume auslassen, ein paar Zentimeter hatte sie einkalkuliert.
Francisco wartete an der Haustür. »Wer muss hier nun auf wen warten?«
Lachend stieg Carla ein. Die Luft wehte kühl in den Loryc. Sie zog ihr geblümtes Tuch enger um die Schultern. Einige Sprungfedern bohrten sich durch den Sitz in ihren Hintern. Sie rutschte an den Rand der Polsterung, wo sie noch fester war.
Die Fahrt ging durch die bezaubernden Straßen Palmas. Der Sonnenuntergang ließ die Sandsteine der Kathedrale in rötlichem Licht erstrahlen, auf der anderen Seite glitzerte das Mittelmeer.
Francisco parkte in der Nähe des Hotels Alhambra, in dem kulturelle Veranstaltungen stattfanden. An diesem Tag spielte eine Gruppe aus Barcelona.
»Was für ein wundervoller Abend. Wollen wir erst ein wenig spazieren gehen?«
Francisco stieg aus und öffnete Carla die Wagentür. »Gerne, wir waren ewig nicht mehr am Meer.«
»Stimmt. Das sollten wir öfter machen.« Versonnen blickte Carla auf die in der Abendsonne glitzernde Bucht hinaus. Arm in Arm schlenderten sie auf das Wasser zu. Ein leichter Wind ließ die Wellen tanzen. Wie Rubine blitzten die Wellenspitzen in der untergehenden Sonne, und die Luft schmeckte nach Salz.
Fast bedauerte Carla, dass sie zurück zum Hoteleingang spazierten. Dort standen einige Paare auf den ausladenden, von Säulen flankierten Stufen und warteten. Seitlich des Eingangs beherrschten hohe Fenster die Fassade. Carla sah in den beleuchteten Salón, in dem die Hotelgäste speisten. Die Kristallleuchter warfen ihr verschwenderisches Licht bis auf die Straße. Was für ein Kontrast zu ihrem dörflichen Leben. Das fiel ihr auch auf, sobald sie Alba besuchte. Hier schienen die Folgen des Bürgerkriegs nur mehr eine üble Mär, ein Gespinst der Fantasie.
Im Obergeschoss führte ein breiter Gang an der Balustrade entlang zu einer gläsernen Doppeltür. Geigenmusik drang leise nach draußen. »Oh, ein Tango.« Carla zog Francisco mit sich durch die Tür.
Die Pracht des Tanzsaals ließ sie kurz innehalten. Aufwendige Stuckarbeiten zierten die Decke. Die Leuchter warfen ein...
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