Schweitzer Fachinformationen
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Rosmond, der sechste Monat des Jahres
Es war schon beinahe Mitternacht und Flohall leuchtete, als seien alle Sterne vom Himmel gefallen. Lichter flackerten in den Straßen und Musik schwebte durch die Nacht. Hier und da huschten Gestalten durch die Dunkelheit - ein paar Nachzügler auf dem Weg zu einer Feier, eine Katze auf der Suche nach Beute oder kleine Schatten aus Tinte und Magie.
Tief in den Vierteln der Stadt, in der Bleiernen Gasse, stand in der Bibliothek der Druckerei Silbersilbe ein Mädchen am Fenster und blickte hinaus in die klare Sommernacht. Auf ihrer Hand saß etwas, das wie ein dicker schwarzgrauer Tropfen aussah. Der Tropfen bewegte sich und streckte zwei kleine Flügel von sich. Drei dunkle Schatten deuteten den Schnabel und die Augen an. Der Tintenvogel drehte den Kopf und sah das Mädchen kurz an, öffnete dann seine rauchigen Flügel und erhob sich in die Luft. Als er davonflatterte, blieben nur ein paar Tintentropfen in der Luft hängen und sanken langsam zu Boden.
Sepia betrachtete ihre Fingerspitzen. Heute schimmerten ihre Nägel schwarzgrün und die Tinte zog sich in Kringeln bis zu ihren Fingerknöcheln hoch. Seit sie erfahren hatte, dass Tintenmagie durch ihre Adern floss, wurden ihre Kräfte mit jedem Tag stärker. Noch vor einem Jahr hätte sie ihre Hände am liebsten versteckt, doch das war vorbei. Sepia liebte es jetzt, wie die Tinte je nach Stimmung ihre Farbe änderte. Nur hatte sie noch immer nicht ganz verstanden, wie diese Magie tatsächlich funktionierte.
Ein Klimpern holte sie aus ihren Gedanken und einen Augenblick später glitt ein kleiner Bleibuchstabe, ein S, über ihr Handgelenk und begann, um ihre Finger zu tänzeln.
»Na, bist du aufgeregt?«, fragte sie das magische kleine Werkzeug und der Buchstabe flitzte ihren Arm entlang und verschwand in ihrer Brusttasche.
»Ich hab's gleich!«, erklang hinter ihr nun eine Stimme und Sepia drehte sich um. Ihre beste Freundin Niki wühlte in einem großen Beutel und beförderte im hohen Bogen ein paar krümelige Zitronenkekse, ein blaues Stofftaschentuch und Papierknäuel auf den Boden.
Daneben stand ihr bester Freund Sanzio und sah kopfschüttelnd dabei zu. »Kommt schon, wir müssen runter«, drängte er und deutete zur Tür. »Es geht gleich los und im Gegensatz zu deiner Mutter weiß Silbersilbe nicht, wann man sich kurzfassen sollte. Er wird ganz sicher eine ewig lange Rede halten.«
»Silbersilbe!«
Wie um Sanzios Worte zu bestätigen, schallte der Name von unten zu ihnen herauf. Schon den ganzen Abend über waren Gäste in die Druckerei geströmt und das diesjährige Funkelfest näherte sich seinem Höhepunkt. Sepia schloss das Fenster und ging zu ihren Freunden. Alle drei trugen ihre besten Sachen, so dunkel wie der Nachthimmel.
»Da sind sie ja!« Niki zog den Kopf aus dem Beutel und richtete sich schwungvoll und mit wild zerzaustem Haar auf. In der Hand hielt sie zwei dünne Stäbchen aus glänzendem Metall.
Sanzio runzelte die Stirn. »Sternfeuer? Das kannst du doch auf dem Mondmarkt kaufen.«
»Das habe ich selbst gemacht, du Fliegenkopf!«, erklärte Niki empört und hielt ihm das Stäbchen unter die Nase.
»Selbst gemacht?« Sepia nahm eines vorsichtig in die Hand. »Und die funktionieren?«
»Wenn du meinst, ob sie fliegen können und um dich herumtanzen, dann nicht«, gab Niki zu und wurde ein wenig rot um die Nase. »Aber sie brennen!«, fügte sie stolz hinzu.
Sanzio hob eine Augenbraue. »Also sind das nur . lange Kerzen.«
Niki verschränkte die Arme. »Das war eine vertintenteufelte Arbeit! Das Pulver dafür kann man nur zu Vollmond anrühren, sonst funktioniert die ganze Sache nicht. Ich habe also insgesamt zwei Monate gebraucht, um sie herzustellen, und du willst wirklich meine Funkelfestgeschenke infrage stellen?«
»Nichts läge mir ferner!«, sagte Sanzio versöhnlich und griff dann nach seinem Mantel, der auf dem großen Sessel lag. »Wo wir schon dabei sind, Geschenke auszutauschen . das ist für euch.« Feierlich überreichte er jeder von ihnen ein sehr dünnes Büchlein.
Sepia nahm ihres in die Hand und strich über die feste dunkelblaue Pappe. Es war etwas schief gebunden und ein paar Leimflecken klebten auf dem Einband. Neugierig schlug sie das Buch auf. Alle Seiten waren leer.
»Ich habe sie selbst gemacht«, nuschelte Sanzio. »Eigentlich bin ich noch lang nicht so weit, ganze Bücher zu binden und sie sind nicht perfekt -«
»Das ist großartig! Keine Widerrede!«, unterbrach ihn Sepia lächelnd.
»Ja, für ein Notizbuch gar nicht übel«, sagte Niki, grinste breit und blätterte vorsichtig durch ihr eigenes goldgelbes Büchlein.
Jetzt zog Sepia zwei schmale Umschläge hervor. »Das hier ist von mir.«
Nervös wippte sie auf den Zehen vor und zurück und beobachtete, wie Niki und Sanzio zwei kleine Papiertiere aus den Umschlägen zogen. Nikis Tier hatte einen rot gestreiften Körper mit langen Armen und Beinen, einen Katzenkopf und Vogelschwingen. Sanzios hingegen hatte einen Eulenkopf und der menschliche Körper schillerte in vielen Grüntönen. Sepia hatte die einzelnen Gliedmaßen mithilfe von kleinen Metallnadeln verbunden, sodass sie beweglich waren wie Gliederpuppen.
»Das ist wunderschön!« Staunend bewegte Niki die weißen Flügel ihres Katzenvogels.
Sanzio steckte seine Eulenfigur vorsichtig in die Brusttasche seines Hemds und in diesem Moment rief unten jemand mit lauter Stimme: »Die Rede!«
Sofort wurde das Stimmengewirr in der Druckerei leiser.
»Wenn ihr mich fragt, könnten wir auch einfach in deinem Zimmer bleiben«, meinte Niki und gähnte. »Ich will Silbersilbe nicht zu nahe treten, aber es hätte nicht erst die halbe Druckerei abbrennen müssen, damit ihr alle eure eigenen Zimmer bekommt. Wie hast du es nur so lange mit Jenson in einem Schlafsaal ausgehalten?«
»Erinnere mich nicht daran«, antwortete Sepia und schauderte bei dem Gedanken an ihre ersten Monate in der Druckerei.
Sanzio öffnete die Tür. »Na kommt, lasst uns hören, was Silbersilbe dieses Jahr zu erzählen hat.«
Die Druckerei platzte bereits aus allen Nähten. Die Eingangstür stand sperrangelweit offen und noch immer drängten Besucher herein und verstopften den engen Flur der Werkstatt. Die drei bahnten sich einen Weg in die Küche. Der sonst so gemütliche Raum mit dem grünen Kachelofen in der Ecke war bis zum Bersten voll mit Menschen. Der große Tisch bog sich unter einer gigantischen Schale mit Bowle, Krügen voller Minzlimonade, einer riesigen Zitronentorte, Bergen von Zimtbrötchen und Platten mit gegrillten Gemüsespießen. Sepia zwängte sich nach vorn zum Buffet und schnappte sich drei Gläser Minzlimonade. Dann quetschten sie sich durch die vielen Gäste hindurch bis zu der Tür, die von der Küche in den Innenhof führte.
Der Hof war kaum wiederzuerkennen: Der übliche Berg ausrangierter Stühle, Koffer, Tintenflaschen und Druckpressen war fortgeräumt worden und die Steinfliesen glänzten blitzblank. Weiße Wimpelketten spannten sich von einer Seite zur anderen und Kerzen tauchten den Hof in warmes Licht. In einer Ecke hatte Silbersilbe sogar eine winzige Bühne aufbauen lassen und zwei Geigenbaumeister, mit denen er befreundet war, spielten schon den ganzen Abend ein fröhliches Lied nach dem anderen.
Sepia, Niki und Sanzio drängelten sich bis zum Rand des Hofes und kletterten auf einen kleinen Mauervorsprung. Von hier hatten sie eine hervorragende Sicht über die Gästeschar.
Jetzt trat der Druckermeister Aelius Atramento, genannt Silbersilbe, höchstpersönlich auf die Bühne, rückte sein tintenschwarzes Halstuch zurecht und strich seinen silbrig glänzenden Anzug glatt. Neben ihm stand Nikis Mutter Magia Perugina, die großartigste Malerin in Flohall und dazu die eleganteste Frau, die Sepia kannte. Folio Seidenhand, der berühmteste Buchbinder der Stadt, flüsterte ihr gerade etwas zu und nippte breit lächelnd an einem Glas Bowle. Wie immer trug er einen maßgeschneiderten dunkelgrünen Anzug mit goldenen Knöpfen und eine dazu passende Weste.
Einen Augenblick später klopfte Silbersilbe mit einem Löffel gegen sein Glas und die Musik verstummte. Er erhob die Stimme: »Funkelnde Grüße!«
Ein Jubeln ging durch die Menge.
»Ihr habt noch nicht gesungen!«, rief irgendwo jemand.
Silbersilbe ignorierte den Hinweis. »Der Abend neigt sich dem Höhepunkt zu und ich möchte die Gelegenheit nutzen, über das zu sprechen, was war und was kommen wird. Zunächst aber vielen Dank für die Ehre, euch alle meine Gäste nennen zu dürfen.« Wieder verfiel die Menge in tosenden Applaus. »Und das, obwohl sich mal wieder niemand von euch an das Geschenkverbot gehalten hat«, fuhr der Meister fort und nickte vielsagend zu einem Tisch...
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