Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Samstag, 29. November
Detlef Konopke bereute es immer häufiger, sich dieses Viech überhaupt zugelegt zu haben. Nero war mehr als ein Hobby, mehr als eine ihn erfüllende Aufgabe, die er nach seinem vorzeitigen Ruhestand gesucht hatte. Nero war eine Vollzeitbeschäftigung - 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Der Hund hatte für Detlefs Geschmack einen viel zu ausgeprägten Bewegungsdrang, wollte überall herumwühlen und hinscheißen, aber es hatte ja unbedingt dieser kleine verzogene Jack Russell Terrier sein müssen. Weil er doch so niedlich sei und nicht so groß und man ihn deswegen doch auch ganz wunderbar in einer Stadtwohnung halten könne. Und man hätte dann auch endlich einen echten Grund, täglich eine große Runde spazieren zu gehen, wo besonders Detlef ein paar Kilo weniger nicht schaden würden. Bei dem Gedanken an Utes Redeschwall klingelten Detlef immer noch die Ohren. Aber da Ute immer Recht behielt und er so wenigstens seine Ruhe hätte, war Nero vor einigen Wochen auf direktem Wege aus dem Tierheim am Biberweg in ihre Dreizimmerwohnung am Leibnizplatz eingezogen. Hinterlistig, wie der kleine Rüde nun mal war, hatte er sich bei den Probespaziergängen und diversen Kennenlerntreffen von seiner allerbesten Seite gezeigt. Aus guter Haltung käme er, sei an eine Wohnung gewöhnt und nur deshalb im Tierheim gelandet, weil sein Besitzer plötzlich und unerwartet einen Schlaganfall erlitten hatte. Doch kurz nach seiner Ankunft bei den Konopkes zeigte Nero sein wahres Gesicht - oder eher seine wahre Schnauze.
Angewidert stülpte Detlef Konopke den dunkelgrauen Hundekotbeutel über die frischen Ausscheidungen seines Vierbeiners und steuerte auf direktem Weg in Richtung des nächsten Mülleimers. Eine kurze Analyse der Hundekacke blieb Detlef allerdings nicht erspart, denn die gehörte zu Neros täglichem Gesundheitscheck mit anschließender Berichtspflicht bei Ute. Kein Durchfall, kein Blut, eher eine beeindruckende Wurst in Form eines Zapfens. Das Tier war gesund. Wo steckte der kleine Racker eigentlich schon wieder? Die Sicht wurde minütlich schlechter, Nebelschwaden hüllten den Weg entlang des Flussufers zunehmend ein und die feuchte Kälte, die von der Oker emporstieg, ging Detlef durch Mark und Bein. Da half weder seine geliebte Steppjacke noch die etwas dickere Jeans, die er extra für seine Abendspaziergänge angeschafft hatte. Auf eine Mütze hatte er bewusst verzichtet. Diese würde zwar seine mittlerweile eiskalten Ohren wärmen, ihn aber einfach total bescheuert aussehen lassen.
Orientierung gaben die roten Signallichter des höchsten Bauwerks der Stadt, das sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses in den dunklen Abendhimmel erhob. Von den Einheimischen »Langer Heinrich« oder liebevoll einfach nur »Schorni« genannt, verursachte der weiße, fast zweihundert Meter hohe Schornstein des Braunschweiger Heizkraftwerks Mitte jedes Mal Heimatgefühle bei Detlef, wenn er ihn über die Autobahn fahrend schon aus großer Distanz erblickte. Heute ließ er ihn im wahrsten Sinne des Wortes einfach links liegen.
Rot wie Schornis Signallichter waren auch die kleinen LEDs des auffällig blinkenden Hundehalsbandes, das Ute extra gekauft hatte, um Nero auch im dichtesten Gestrüpp irgendwann ausfindig machen zu können, vorausgesetzt, dieses Halsband kam tatsächlich zum Einsatz. Detlef war es peinlich, mit einer bellenden Discokugel Gassi zu gehen, und so hatte er dem Hund heute schnell das braune Ledergeschirr umgelegt und ihn wie immer an dieser Stelle abgeleint. Ein fataler Fehler, wie sich nun herausstellte.
»Nero! Bei Fuß! Komm jetzt her!« Detlef war genervt und rief quer über die Wiese. Hatte er dort in Richtung Ringgleis ein Rascheln gehört? Immer wieder rieb er sich die kalten, steifen Finger und grüßte gequält, aber freundlich die ältere Dame, die ihm mit Elfi, einer kleinen schwarzen Promenadenmischung, entgegenkam. Den Namen der Hundehalterin kannte er nicht, aber natürlich den der Hündin. So was blieb nicht aus, wenn man sich täglich mindestens einmal über den Weg lief.
»Na, ist uns der Nero mal wieder ausgebüxt?«, erkundigte sich Elfis Frauchen neugierig.
»Ja, der ist schneller als der Blitz«, stöhnte Detlef.
»Der wird schon auftauchen. Irgendwann tauchen sie alle wieder auf. Am Ende sind wir doch ihre Rudelanführer und geben ihnen ihr Fressen, nicht wahr?«
»Wenn Sie das sagen. Einen schönen Abend noch.« Detlef stand der Sinn nicht nach Hunde-Small-Talk, und so würgte er Elfis Frauchen ab und verließ den Weg in Richtung der abschüssigen Uferböschung. Irgendwo hier musste der Köter sich doch verstecken. Ausgerechnet in diesem dornigen Buschwerk.
Unbeholfen stakste Detlef durch das feuchte, schmierige Gras und kam dabei beinahe ins Straucheln. »Verdammt noch mal! Ab morgen gehst du an der Leine! Hast du mich verstanden? Nero! Kommst du jetzt! Sofort! Neeeroooo!« Als letzter Trick halfen jetzt wohl nur noch Leckerlis. Aber auch die hatte Detlef nicht dabei, natürlich nicht.
Polizeikommissaranwärter Mads Johannsen vermisste Braunschweig schmerzlich. Vor allem aber vermisste er Jan. Er wusste noch immer nicht, was das zwischen ihnen nun genau war, aber immer dann, wenn Mads' Zeit es zuließ, folgte er seinem Herzen, packte seine Siebensachen und verließ das triste Studentenwohnheim in Nienburg an der Weser, um seiner alten WG in der Katharinenstraße einen Besuch abzustatten. Sein Zimmer war schon wieder vermietet, exakt zwei Tage nachdem Mads Braunschweig verlassen und zum nächsten Theorieblock an die Polizeiakademie zurückgekehrt war. Der Wohnungsmarkt war angespannt und insbesondere das Univiertel sehr begehrt. Nun hatte Thao aus Vietnam sich für ein Auslandssemester eingemietet und veranstaltete exotische Kochevents in der großen Wohnküche. Wegen der intensiven Essensgerüche, die sich deswegen nicht nur dort, sondern gelegentlich in der ganzen Wohnung und im Extremfall auch im Treppenhaus verbreiteten, war Mads froh und dankbar, nicht auf der Gästecouch übernachten zu müssen. Die stand nämlich in eben jener Wohnküche und damit unmittelbar neben Thaos Street-Kitchen-Refugium. Dann doch lieber eng umschlungen mit Jan unter dessen Bettdecke. Wenn er ehrlich zu sich war, kam er genau deshalb her. Aber so richtig eingestehen konnte er sich das noch immer nicht. Bei all der WG-Romantik hielt Mads konsequent an seinen Sportgewohnheiten fest, und so gehörten Joggen und Radfahren auch an den Wochenenden in Braunschweig zum Pflichtprogramm. Während Jan es heute Abend vorzog, Thao bei den Vorbereitungen für selbst gemachte Frühlingsrollen zur Hand zu gehen, hatte Mads sich seine Laufschuhe angezogen und war auf dem Weg nach draußen.
»Wo rennst du denn heute lang?«, erkundigte sich Jan interessiert durch die offene Küchentür.
»Ich weiß es noch nicht so genau, einmal kreuz und quer.«
»Okay, aber sei bitte pünktlich zum Essen wieder da! Und verlauf dich nicht bei dem Wetter da draußen!«, entgegnete Jan und tauchte zum Abschied mit einem breiten Grinsen im Türrahmen auf. »Ich würde ja mitlaufen, aber Thao .«
»Schon gut, ich komme auch allein zurecht«, antwortete Mads und versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Wenn er schon mal in Braunschweig war, wollte er sein Sportprogramm eigentlich gerne gemeinsam mit Jan durchziehen.
»Nero, was hast du denn da schon wieder?« Detlef Konopke fasste sich an den kahlen Hinterkopf, hob dann mahnend den Zeigefinger und betrachtete zerknirscht das völlig verschmutzte Fell seines Terriers, das nur noch wenige Spuren der weißen Färbung erkennen ließ. Ute würde ihm die Hölle heißmachen, wenn er mit Nero so nach Hause kam, und natürlich würde es Detlef sein, der ihn trotz aller tierischen Widerstände abbrausen durfte. Aufgeregt und schwanzwedelnd lief der kleine Hund hin und her und gab den Blick auf das Erdloch frei, das er halb verborgen unter einem Busch ausgebuddelt hatte. Kopfschüttelnd kramte Detlef in der Jackentasche nach seinem Smartphone. Gott sei Dank gab es die Taschenlampenfunktion, äußerst praktisch, wenn man im Dunkeln unterwegs war. Ob während der heimlichen nächtlichen Heißhungerattacken vor dem Kühlschrank, weil Ute ihn mal wieder auf Diät gesetzt hatte, oder - und das war die wichtigere Variante - bevor er die Nachttischlampe anschaltete und sie dadurch um ihren Prinzessinnenschlaf brachte. So war er schon mancher Schimpftirade entgangen.
Der Schein der digitalen Taschenlampe war erstaunlich hell und Detlef leuchtete zunächst das Erdreich ab, das Nero rund um den kleinen Krater aufgewühlt hatte. Der Terrier kläffte unentwegt und sprang kurzerhand in das Erdloch zurück. »Was hast du denn bloß?« Detlef richtete das Licht direkt auf Nero, der schon wieder wühlte, konnte aber nicht erkennen, was ihn in solche Aufregung versetzt hatte. Von Neugier gepackt ging Detlef schließlich in die Hocke, vernahm das laute Knacken seiner rechten Kniescheibe und reckte sich, um besser sehen zu können. Aber auch diese Verrenkung brachte ihn nicht weiter. Sollte er Neros Buddelei einfach ignorieren oder zum letzten Mittel der Wahl greifen und sich allen Ernstes hinknien? Wenn seine Hose auch noch dreckig würde, bräuchte er den Heimweg gar nicht anzutreten. Grasflecken zogen in der Regel nicht nur eine von Utes Predigten nach sich, sondern auch die Reinigung. Krampfhaft überlegte Detlef, was er tun sollte, und entschied sich schließlich - Utes drohenden Meckereien zum Trotz -, seiner Neugier nachzugeben. Erleichtert, dass zumindest das Ziehen im Meniskus in wenigen Sekunden vermutlich beendet sein würde, ließ er sich endgültig auf die Knie sinken und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.