Schweitzer Fachinformationen
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Weiß getünchte Wände, dunkle Holzdecke, großzügige, mit Rundbögen versehene Sprossenfenster und über allem die angenehm kühle Luft eines alten Gemäuers. Sämtliche Stühle waren besetzt, und die Blicke auf den großen Tisch an der Front des Saals gerichtet, auf dessen mahagoniroter Platte ein festlicher Kranz und eine Ledermappe mit goldenem Stadtwappen lagen.
Trotz der vielen Menschen herrschte im Trauzimmer der Kaiserburg andächtige Stille. Ein jeder wartete auf den Beginn der Zeremonie. Die einzigen Geräusche verursachte Paul Flemming, dessen Schritte in dem hohen Raum widerhallten, während er die geeignete Position für seine Fotos suchte. Dafür fing er sich einen nicht sehr freundlichen Blick der Standesbeamtin ein. Sie nahm gegenüber dem Brautpaar Platz, das Paul als Fotograf engagiert hatte. Um nicht aus dem Rahmen zu fallen, trug Paul - was selten vorkam - dem Anlass entsprechend einen dunklen Anzug, darunter ein frisch gebügeltes weißes Hemd und sogar eine Krawatte.
Nach dem nächsten mahnenden Blick der Standesbeamtin entschied er sich schließlich für einen Standort und ging leicht in die Hocke, um das Objektiv auf Augenhöhe mit den angehenden Eheleuten zu bringen. Ein wirklich hübsches Paar! Er schlank und rank mit vollem, dunklem Haar und markanten Gesichtszügen. Sie eine wahre Augenweide im schneeweißen, elegant geschnittenen Kleid, das platinblonde Haar hochgesteckt und mit Blümchen geschmückt, in den Händen der Brautstrauß.
Die Wolken gaben die Sonne frei und setzten glamouröse Spitzlichter auf das Gesicht der Braut. Ideal!, dachte Paul und betätigte den Auslöser. Dabei hätte es diesen Effekt gar nicht gebraucht: Ihre großen, ausdrucksvollen blauen Augen strahlten vor Freude, und ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen. Paul hoffte, dass dem Bräutigam klar war, was er an ihr hatte.
Ja, gewiss, denn er wirkte absolut verliebt und war wirklich herzlich und charmant, wie Paul schon bei der Auftragsvergabe festgestellt hatte. Was das Paar in seinen Augen noch sympathischer machte, war die erfreuliche Tatsache, dass die beiden seine Preisgestaltung ohne Wenn und Aber akzeptiert hatten, anstatt zu versuchen, ihn herunterzuhandeln, wie es die meisten Kunden taten.
Joana und Marc hießen die zwei. Wie Paul vom Vorgespräch wusste, lag ein Altersunterschied von fünf Jahren zwischen ihnen. Marc, der Ältere der beiden, hatte die Dreißig knapp überschritten. Beim Blick durch den Sucher seiner Kamera erinnerte sich Paul an seine eigene Eheschließung mit Katinka, die ähnlich gestrahlt hatte wie Joana. Auch der Rahmen hatte diesem entsprochen: Ihre standesamtliche Trauung hatte damals im Fischbacher Pellerschloss stattgefunden. Einige Nummern kleiner als die Kaiserburg, aber ebenso würdevoll erhaben und von höfischer Eleganz. Im Gegensatz zu heute hatte es bei Pauls Trauung allerdings den lieben langen Tag geregnet.
Die Standesbeamtin erhob das Wort. Durch die Kamera verfolgte Paul, wie die Braut nach der Hand des Bräutigams griff und sie fest drückte. Auch im Publikum rührte sich etwas. Aus den Augenwinkeln nahm Paul wahr, wie die ersten Taschentücher gezückt und Tränen der Rührung von den Wangen getupft wurden. Eine junge Frau in der ersten Reihe kam mit dem Trocknen gar nicht nach, so ergreifend empfand sie diesen besonderen Moment.
Nach der Ansprache der Standesbeamtin und dem Verlesen der Heiratsurkunde folgte der Höhepunkt der Zeremonie, für den Paul doch noch einmal die Position änderte. So konnte er auch die Trauzeugen ins rechte Bild setzen, bei denen sich feuchte Filme über die Augen legten. Dann konzentrierte er sich wieder auf das Paar. Für die Übergabe des Rings ging er sogar noch ein Stück näher heran, um die Emotionalität besser einfangen zu können. Und das gelang ihm, denn die Porträts der überglücklichen Eheleute drückten tiefste Zufriedenheit aus. Das Lächeln der Braut war so hinreißend, dass Paul gleich dreimal den Auslöser betätigte. Ein letztes Mal tauschte er seinen Platz, um sich zwischen Standesbeamtin und Brautpaar zu platzieren, denn so konnte er den feierlichen Augenblick des Kusses aus nächster Nähe im Bild festhalten. Dieser fiel innig und hingebungsvoll aus, als sollte er ein Leben lang vorhalten.
Für den Sektempfang verlagerte sich die Gesellschaft auf den Burghof, wo Kellner eines Cateringservices bereits mit Tabletts bereitstanden und neben Perlwein auch schmackhaft aussehende Kanapees reichten. Der rötliche Sandstein der Burganlage bot einen besonders reizvollen Hintergrund. Auch das Wetter meinte es gut mit den Jungvermählten: Die Septembersonne heizte die Luft an diesem Vormittag noch einmal bis über die Zwanzig-Grad-Marke auf.
Paul machte weitere Aufnahmen, unter anderem von den Eltern und Schwiegereltern sowie Kindern aus der Verwandtschaft, die Luftballons in Herzform hielten, bevor er sich selbst ein Glas Sekt und zwei Häppchen gönnte. Eine willkommene Stärkung, denn die eigentliche Arbeit lag noch vor ihm: Während sich die Gäste auf den Weg zum Mittagessen in einem Restaurant in der Altstadt aufmachen sollten, wollten Joana und Marc die einzigartige Kulisse der Kaiserburg nutzen, um sich von Paul für die Hochzeitsfotos in Szene setzen zu lassen. Dafür hatten sie sich die Burggärten ausgesucht, die zu dieser Jahreszeit noch in vollem Grün standen.
Für Paul waren die Gärten kein unbekanntes Terrain, weil er dort schon etliche Fotoshootings realisiert hatte. Wie er wusste, waren um 1540 an Nord- und Westseite der Burganlage Bastionen errichtet worden, auf denen später der Burggarten angelegt wurde. Auf der großen Bastion lockte ein Rosenquartier mit seiner Blütenpracht, umrahmt von einer schön gepflegten Baumzeile. Von dort aus führte ein Weg zum Südteil des Gartens, der von einem akkurat geschnittenen Baumrondell aus Feldahorn umspannt wurde. Außerdem gab es den Maria-Sibylla-Merian-Garten in unmittelbarer Nachbarschaft zum Heidenturm, der mit seiner Pflanzenvielfalt an die bedeutende Nürnberger Künstlerin und Naturforscherin erinnerte.
Welches Hintergrundmotiv es am Ende sein sollte, wollte die Braut spontan entscheiden. Nach einem weiteren ausgiebigen Kuss ließ Joana ihren Mann mit einer ausgelassenen Gesprächsrunde allein, fasste die Frau, die vorhin so hemmungslos geweint hatte, an der Hand und kam mit trippelnden Schritten auf Paul zu.
»Marie und ich gehen schon mal vor«, rief Joana ihm fröhlich zu. »Wir schauen, wo es am schönsten ist.«
»Augenblick«, sagte Paul und wollte das Sektglas abstellen. »Ich komme mit.«
»Nein, nein, trinken Sie in Ruhe aus. Meine Brautjungfer und ich wollen uns erst mal allein umsehen.« Schon hatte sie sich abgewandt. Fünf Meter weiter drehte sie sich noch einmal um: »Bringen Sie meinen Mann mit, wenn Sie nachkommen!«
»Geht klar!«, rief Paul ihr nach, nippte an seinem Glas und bediente sich noch einmal bei den Kellnern. Er ergatterte ein dünn geschnittenes Baguettescheibchen mit köstlichem Flusskrebsmousse und eines mit einer würzigen Kräuterkäsemischung. Während er aß, gesellte sich ein älteres Ehepaar zu ihm. Die beiden erkundigten sich, ob er Interesse hätte, auf ihrer Silberhochzeit zu fotografieren - es lief beruflich gerade wirklich gut für ihn.
Einen weiteren Sekt und drei Zusatzhäppchen später löste sich die Hochzeitsgesellschaft allmählich auf. Nachdem sich Bräutigam Marc aus einer Gruppe von Arbeitskollegen gelöst hatte, nahm Paul seine Kameratasche und ging auf ihn zu: »Dann wollen wir mal!«
Marc stimmte zu. Auf dem recht steil ansteigenden Weg über holpriges Kopfsteinpflaster spürte Paul die Wirkung des Alkohols bei sich selbst ebenso wie bei seinem Begleiter, der leicht torkelte.
Der Burggarten, in dem sich um diese Zeit außer ihnen niemand aufhielt, begrüßte sie mit dem Duft spätblühender Blumen und dem Konzert einiger Singvögel. Nachdem sie den Rosengarten menschenleer vorfanden, schlenderten sie weiter zur zweiten Bastion, wo sie Braut und Brautjungfer anzutreffen hofften. Doch auch dort waren weder Joana noch Marie zu sehen.
»Dann sind sie wohl gleich in den Merian-Garten gegangen«, vermutete Marc. »Joanas Lieblingsort.«
So wird es sein, dachte sich Paul und folgte ihm in den nächsten Gartenabschnitt.
Ihre Stimmung war noch immer arglos und entspannt. Paul spürte nicht die geringste Sorge. Auch die Gartenanlage wirkte absolut friedlich und strahlte eine erholsame Ruhe aus.
Paul ging vor, während Marc immer wieder stehen blieb, sich um die eigene Achse drehte und Joanas Namen rief. Kurz kam es Paul in den Sinn, dass Braut und Brautjungfer ihnen vielleicht einen Streich spielen wollten und sich irgendwo versteckt hatten. Wahrscheinlich würden die zwei jeden Augenblick hinter einem Busch hervorkommen und laut »Buh!« rufen. Zuzutrauen wäre es der lebenslustigen Joana, glaubte Paul und musste unwillkürlich lächeln. Kein Grund zur Sorge, dachte er und schritt gemütlich weiter.
Umso heftiger fiel die Wirkung des Anblicks aus, der sich ihm inmitten der bunten Parzellen bot.
»O mein Gott!«, entfuhr es Marc, der nach Pauls Arm griff und fest zudrückte.
Paul starrte auf den gekiesten Weg zu seinen Füßen und konnte kaum fassen, was er sah: Bäuchlings hingestreckt lag Brautjungfer Marie flach auf dem Boden. Regungslos und wie tot.
Nach dem ersten Schreck löste sich Marc von Paul und ging neben ihr in die Hocke. Er fasste nach ihrem Handgelenk, dann rüttelte er an ihr, bis sie Lebenszeichen zu erkennen gab und leise zu husten begann.
Paul dagegen ließ seine Blicke weitergleiten. Mit einem Mal hatte er ein ganz mieses Gefühl. Was war hier...
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