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»Papa, ich möchte nicht, dass du stirbst.« Dieser Satz seiner Tochter und die Feststellung, dass seine Attraktivität schwindet, führt den fünfzigjährigen Erzähler zu der Erkenntnis: Sein Körper verfällt und steht in keinem Verhältnis zu seiner geistigen Kraft. Ein uraltes Problem, analysiert er. Hat die Menschheit einen größeren Feind als den natürlichen Tod? Faust schloss damals einen Pakt mit dem Teufel, um ihm zu entgehen. Heute beschäftigen sich Genetiker und Mediziner mit der Unsterblichkeit. Wie weit entfernt liegt dieses Ziel? In Reichweite des Erzählers? Zusammen mit seiner Tochter begibt sich Beigbeder auf eine Reise und lotet mit Experten humorvoll, klug und sehr persönlich die Frage nach der ewigen Jugend aus.
Romy war ausgesprochen begeistert von der Idee, in die Schweiz zu fahren und der Genomklinik einen Besuch abzustatten.
»Essen wir dann auch Fondue?«
Das ist ihr Leibgericht. Das ganze Abenteuer begann also in Genf, wo wir uns mit Professor Stylianos Antonarakis treffen würden. Unter dem Vorwand, eine Sendung zum Thema Unsterblichkeit vorzubereiten, hatte ich einen Termin bei dem griechischen Wissenschaftler bekommen, der uns erklären sollte, inwiefern Eingriffe an der Desoxyribonukleinsäure unser Leben verlängern konnten. Da ich in der Woche meine Tochter hatte, nahm ich sie mit. Die Veröffentlichung einer Reihe transhumanistischer Essays hatte mich auf den Gedanken gebracht, eine Runde mit illustren Gästen zum Thema »Stirbt der Tod?« zusammenzubringen, darunter Laurent Alexandre, Stylianos Antonarakis, Luc Ferry, Dmitry Itskov, Mathieu Terence und Sergey Brin, der Erfinder von Google.
Romy schlief zusammengesunken in einem Taxi, das den Genfer See entlangfuhr. Die Sonne setzte die verschneiten Gipfel des Jura in Flammen, von wo wie eine durchscheinende Nebellawine eine Wolke herunterperlte. Genau diese weiße Landschaft hat Mary Shelley zu Frankenstein inspiriert. Ist es ein Zufall, dass Professor Antonarakis ausgerechnet in Genf zur gentechnischen Manipulation der menschlichen DNA forscht? In der Schweiz, der Heimat der gewissenhaftesten Uhrmacher, geschieht nichts zufällig. Im Jahre 1816 hatte Mary Shelley in der Villa Diodati gespürt, was für ein Schauer-potenzial in dieser Stadt steckt. Das Friedliche, Beschauliche hier beruht nur auf vorgetäuschtem Rationalismus. Ich fand das Klischee von der ach so friedlichen Schweiz schon immer fragwürdig, vor allem nach ein paar Champagnerschlägereien im Baroque Club.
Genf - das ist Rousseaus Edler Wilder, von Calvin gezähmt: Als Helvetier weiß man, dass man jederzeit in einen Abgrund stürzen, einer Gletscherspalte erfrieren oder einem Bergsee ertrinken kann. In meiner Kindheitserinnerung ist die Schweiz das Land komplett verrückter Silvesterpartys auf dem großen Platz in Verbier, seltsamer Kuckucke, märchenhafter Chalets bei Nacht, leerer Paläste und von Nebel verhangener Täler, wo allein ein paar Gläser Williamine Birnenbrand vor der Kälte schützen. Genf, das um sein Bankgeheimnis trauernde »protestantische Rom«, scheint mir auf perfekte Weise die Lebensweisheit des Fürsten von Ligne zu veranschaulichen: »Die Vernunft ist oft eine unglückliche Leidenschaft.« Was mir an der Schweiz so gefällt, ist das Feuer, das unter dem Schnee schwelt, der verborgene Wahnsinn, die regulierte Hysterie. In einer derart zivilisierten Welt kann das Leben jederzeit aus den Fugen geraten. Schließlich trägt Genf das Wort »Gen« bereits in sich: Willkommen im Land, das seit jeher die Menschheit kontrollieren wollte. Am Ufer des Sees kündigten überall Plakate eine Ausstellung in der Fondation Martin Bodmer in Cologny an, in der es um »Frankenstein, Schöpfer der Finsternis« ging. Ich war sicher, dass die Bentleys, die lautlos um die Fontäne glitten, voller diskreter Monster waren.
»Können wir in die Ausstellung, Papa?«
»Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Das Fondue halb Gruyère, halb Vacherin im Café du Soleil war beinahe leicht. Kein Vergleich zu den gelben Fettbrocken, die man sich in Paris einverleibt. Stöhnend vor Freude tunkte meine Tochter ein weiches Stück Brot ein.
»Mench, dasch isch lange her! Mmmmmm!«
»Man spricht nicht mit vollem Mund!«
»Ich spreche ja gar nicht, ich lautmale.«
Romy verfügt über hervorragende Gene: Meinerseits entstammt sie einer langen Linie von Medizinern aus dem Béarn, und von ihrer Mutter hat sie einen äußerst kreativen Wortschatz geerbt. Bevor sie mich verließ, verwandelte Caroline oft Substantive in Verben. Jeden Tag schuf sie neue Wörter: Heute Nachmittag »pilate« ich, heute Abend »theatre« ich. Irgendwann werden ein paar von ihren Neologismen mit Sicherheit ins Wörterbuch aufgenommen, so wie es ja auch »Screenager« oder »facebooken« gibt. Als sie mit mir Schluss gemacht hat, sagte Caroline nicht »ich verlasse dich«, sondern »es wird Zeit, dass wir cutten«. Zugegeben, ein Schweizer Fondue ist kein Gericht, das die Weltgesundheitsorganisation (Avenue Appia Nr. 20, 1211 Genf 27) empfehlen würde, vor allem nicht zur Mittagszeit. Aber Romys Glück war wichtiger als unsere Unsterblichkeit. Anschließend stellten wir unsere Koffer im La Réserve ab, einem Luxushotel direkt am Genfer See. Während ich durch das Angebot der Spa- und Gesundheitsanwendungen des Hotels blätterte, das ein »Anti-Aging«-Programm mit Gendiagnostik meiner »bio-individualityT« empfahl, schlief die Kleine auf dem von Jacques Garcia ausgewählten Samtsofa ein.
In der Eingangshalle des Genfer Universitätsklinikums standen alte Strahlengeräte herum, seltsam überholte Konstruktionen, Vorläufer von Computertomografen. Seit den Sechzigerjahren ist die Nuklearwissenschaft zu winzig kleinen, platzsparenden Anwendungen übergegangen. Draußen saßen mehrere Gruppen von Medizinstudenten im Gras, drinnen hantierten andere AIPs in weißen Kitteln mit Fläschchen, Reagenzgläsern und Blutplättchen. Hier hatte es Tradition, den Menschen zu zähmen, die Fehler des Homo sapiens zu korrigieren und es sogar verbessern zu wollen, das alte Wirbeltier. Die Schweiz stand dem Thema Posthumanität nicht argwöhnisch gegenüber, man wusste, dass der Mensch von Geburt an unvollkommen ist. Das Glück glich einem sympathischen Campus, die Zukunft war ein Teen movie, der im Ärztemilieu spielte. Romy war entzückt: Im Gemeinschaftsgarten gab es ein Klettergerüst mit Schaukeln, einem Trapez und Ringen sowie ein Drehkarussell.
Im neunten Stock befand sich die Abteilung für genetische Medizin der Fakultät. In seinem flaschengrünen Polohemd wirkte Professor Stylianos Antonarakis nicht wie Doktor Faust, sondern eher wie eine Mischung aus Paulo Coelho und Anthony Hopkins. So herzlich wie der Erste und so fesselnd wie der Zweite. Als wäre er der zerstreute Professor Bienlein bei Tim und Struppi, strich sich der Präsident der Human Genome Organisation (HUGO) über den weißen Spitzbart oder putzte seine Metallbrille, während er nebenher erklärte, wie die Menschheit in Freude und Glückseligkeit landen würde. Romy war sofort hin und weg von seiner New-Age-Art: sanfter Blick, nettes Lächeln, glückliche Zukunft. Sein Büro war ein unbeschreibliches Chaos, das wahrhafte Durcheinander eines biotechnologischen Alchimisten, doch man spürte, dass die Unordnung System hatte. Auf einem Tapeziertisch lag eine riesige DNA-Doppelhelix aus Plastik. Ich schaute mir die Buchtitel an: History of Genetics Bd. 1, Bd. 2, Bd. 3, Bd. 4, Bd. 5 . Für den international anerkannten Spezialisten waren die neuen genomischen Entdeckungen bereits Geschichte. Ein ausgeschlachteter Computer war zu einem Blumenkübel umfunktioniert worden, in den ein postatomarer Dekorateur Stahlstängel gepflanzt hatte, an deren Enden Nespresso-Kapseln steckten, sodass ein Strauß entstanden war, der niemals welken würde.
»Danke, Professor, dass Sie Ihre wertvolle Zeit darauf verschwenden, uns zu empfangen.«
»Vor uns liegt die Ewigkeit .«
Seine gletscherblauen Augen passten zum hiesigen Schweizer Himmel.
»Würden Sie meiner Tochter erklären, was die DNA ist?«
»Wir kommen mit einem individuellen Genom zur Welt: Das ist ein riesiger Text aus drei Milliarden Buchstaben, multipliziert mit zwei (Ihr Vater und Ihre Mutter). Jeder von uns ist ein weltweit einzigartiges Individuum, weil unser Genom einzigartig ist, außer bei eineiigen Zwillingen. Hinzu kommen die somatischen Mutationen durch Sonne, Nahrung, Medikamenteneinnahme, Luftverschmutzung oder die jeweilige Lebensweise. Das nennt man Epigenetik. Der Alterungsprozess verläuft ebenfalls individuell verschieden. So altern manche Personen schneller als andere.«
Der Professor sprach Französisch mit einem warmen griechischen Akzent. Man wird sich wohlfühlen in der Welt nach dem Menschen, wenn sie mit Klonen von Dr. Antonarakis bevölkert ist.
»Zellen sind unsterblich. Die Menschen sind vor dreihunderttausend Jahren in Marokko aufgetaucht. Vorher war es eine andere Spezies und davor noch eine andere. Und der Most common ancestor war eine Zelle. Diese Zelle ist bei mir genauso vorhanden wie bei Ihnen beiden. Ich gebe diese Zelle mit meinem Sperma an die nächste Generation weiter, und Sie, Mademoiselle, werden dies ebenfalls eines Tages mit Ihrer Eizelle tun.«
Romy war vielleicht noch ein bisschen zu jung für einen Vortrag über Fortpflanzung. Ich beeilte mich, das Thema zu wechseln.
»Wir tragen also alle etwas Unsterbliches in uns?«
»Genau. Man kann keine neue Zelle erschaffen. Man kann Zellen um- oder rückprogrammieren, neue Gene in Zellen einschleusen oder bestimmte Gene entfernen, um so die Bestimmung einer Zelle zu verändern, aber man kann keine neue lebende Zelle erschaffen. Und man kann heutzutage auch keine neuen Bakterien herstellen, auch wenn es in zwei oder drei Jahren höchstwahrscheinlich möglich sein wird.«
»Erzählen Sie mir etwas von der Sequenzierung des Genoms.«
»Das ist inzwischen sehr einfach. Man nimmt zwei Milliliter Ihres Speichels und isoliert die DNA. Als ich vor dreißig Jahren anfing, machten wir das alles noch manuell, aber inzwischen haben wir Ihre drei Milliarden Buchstaben innerhalb einer Woche vor uns. Mit einer extrem...
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