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Die historische Seidenstraße als Vorlage
1877 veröffentlichte Freiherr Ferdinand von Richthofen einen fünfbändigen Reisebericht über seine mehrjährigen Forschungsreisen nach und durch China. Darin benutzte er den Begriff »Seidenstraße« zum ersten Male. Er bezeichnete damit Handelsrouten, auf denen chinesische Seide aus dem Han-Reich (206 v.u.Z. bis 220 u.Z.) nach Zentralasien transportiert worden war.
Obwohl der Kartograph nicht einmal alle Verkehrsverbindungen betrachtet hatte, übernahmen andere Forscher und Wissenschaftler diese Bezeichnung für ein in Wahrheit ganzes Geflecht von Handelsrouten und trugen damit ihren Teil zum Mythos über den sagenhaften Reichtum im Osten bei. Wie eben auch zu Narrativen über die Verbreitung von Religionen, von politischen und militärischen Allianzen.
Was wir im Allgemeinen unter dem Begriff »Seidenstraße« verstehen - nämlich eine Route, eine Verkehrsverbindung von A nach B und dergleichen -, trifft sowohl zu, ist aber auch irreführend. Tatsächlich existierte eine Vielzahl von Transportwegen zwischen Asien, Zentralasien und Europa, auf denen Waren gehandelt wurden und über die sich Kulturen und Religionen ausbreiteten. Sie waren das Band, das geopolitische und geostrategische Allianzen begründen half. Erste historische Belege und archäologische Beweise über den Handel von chinesischer Seide zwischen China und dem heutigen Europa reichen zurück bis 1200 v.u.Z., es war die Zeit der Shang-Dynastie (1766-1046 v.u.Z.) In Ägypten fand man eine in Seide gehüllte Mumie, die dreitausend Jahre alt war. Das bedeutete, dass bereits damals Handelswege von Fernost nach Ägypten existierten.
Historiker datieren die Erfindung der Seidenproduktion auf 3000 Jahre v.u.Z. und gehen davon aus, dass mit der Domestizierung des Kamels als Reit- und Lastentier ein interkontinentaler Handel möglich wurde. Mit den Persern und später den Turkvölkern traten Vermittler zwischen Ost und West in die Geschichte.
Schriftliche Aufzeichnungen über den Verlauf der Routen liegen aus der Zeit der Han-Dynastie vor. Angefertigt hatte sie der chinesische Gesandte Zhang Qian (gestorben 113 v.u.Z.), der im Auftrage des Kaisers nach Zentralasien reiste, um mit - im heutigen Gebiet Usbekistans und Afghanistans lebenden - nomadischen Stämmen Allianzen gegen die »Hunnen« - eine Gruppe zentralasiatischer Reitervölker - zu schließen. Aus seinen Berichten wissen wir, dass der Handel über viele Handelsstationen, Oasen-Städte, kulturelle, religiöse und politische Zentren lief. Es ist anzunehmen, dass ein Ballen Seide mehrere Jahre unterwegs war, zwischendurch den Eigentümer mehrmals wechselte, bevor sich in Rom die aristokratischen Damen damit schmücken konnten.
Diese traditionelle Han-Dynastie-Route verlief von der damaligen chinesischen Hauptstadt Chang'an (heute Xi'an), über Wuwei, durch den Hexi-Korridor, über Dunhuang und Turpan in der Wüste Gobi, nach Urumqi in der heutigen Provinz Xinjiang und weiter durch das kasachische Grasland. In der Oasenstadt Dunhuang teilte sich die Route nach Süden und nach Norden, beide führten um die Wüste Taklamakan herum. Die eine ging weiter über Kaschgar, Samarkand, Buchara nach Mali im heutigen Iran. Von dort zogen die Händler nach Teheran, Bagdadad bis nach Rom und später Venedig.
Die andere Route führte über Kaschgar südlich über das Karakoram nach Islamabad im heutigen Pakistan.
Während der Han-Dynastie entwickelte sich der Handelsaustausch mit den Völkern Zentralasiens und mit Europa geradezu sprunghaft. Er war natürlich auch ein Instrument außenpolitischer Bemühungen. Deshalb tauschte man nicht nur Waren - Seide, Jade, Porzellan -, sondern auch Waffen, mit denen sich militärische Bündnisse und freundschaftliche Allianzen bilden ließen. Der Handel vollzog sich nicht auf einer Einbahnstraße, es flossen nicht nur Gold und Silber aus dem Römischen Reich ins Reich der Chinesen. Nach Europa kamen etwa auch Pferde asiatischer Rassen und Obstsorten aus Europa nach Asien, beispielsweise die Wassermelone (Xigua, was »Westmelone« bedeutet) und die Tomate (Xihongshi, das heißt »rote Frucht aus dem Westen«).
Die etwa vierhundert Jahre der Han-Dynastie gelten als die klassische Ära der antiken »Seidenstraße«. Zu jener Zeit existierten am Mittelmeer, in Mesopotamien, in Persien, in Zentralasien und in China große Imperien, die die Handelsrouten absicherten. Mit dem Erstarken verschiedener nomadischer Völker und dem Verschwinden von Imperien wurde der Verkehr auf der »Seidenstraße« zunehmend unsicherer und gefährlicher. Belegt ist dies beispielsweise durch eine Reise des chinesischen Mönchs Zhang Qian, die er im Jahre 147 v.u.Z. im Auftrage des chinesischen Kaisers nach Zentralasien antrat. Er kehrte erst nach dreizehn Jahren zurück und verlor alle 98 Mitglieder seiner Delegation.
Die Geschichte der »Seidenstraße« spiegelt sehr gut die These wider, dass dem Handel stets Kulturen und Religionen folgen. Schon vor der Zeitenwende breiteten sich griechische und persische Religionen nach Zentralasien aus - die Säulen von König Ashoka, der im 3. Jahrhundert v.u.Z. das erste indische Großreich begründete, weisen Inschriften in Griechisch und Aramäisch auf. Vom Westen nach Osten kamen die griechischen Götter und die persischen Religionen, später auch der Buddhismus, das Christentum sowie der Islam. Umgekehrt erschien im Westen das Gedankengut der chinesischen Philosophen und das Wissen der Chinesen von der Herstellung des Papiers und des Schießpulvers.
Der griechische Historiker Herodot (480-429 v.u.Z.) erwähnte die Kontakte, und in chinesischen Museen kann man griechische Kunstwerke bewundern, die in Gräbern in den Wüstenoasen Turfan und Dunhuang gefunden wurden. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch Alexander der Große, der griechische König und Heerführer, der 336 v.u.Z. bis nach Indien marschierte und mit dessen Herrschaft das Zeitalter des Hellenismus in Europa begann. Zu jener Zeit verbreitete sich über die »Seidenstraße« auch der Buddhismus bis nach China.
Der Untergang der Han-Dynastie und des Römischen Reiches führten zu einem deutlichen Rückgang des Handels auf der »Seidenstraße«. Es gab praktisch nur noch Tauschhandel - barter trade genannt - zwischen den Oasen und nomadisierenden Stämmen des zentralasiatischen Graslandes. Erst während der Tang-Dynastie (618 bis 907 u.Z.) konsolidierte sich die Macht Chinas wieder, und der Handel nahm wieder zu.
Von außerordentlicher Bedeutung für die weitere kulturelle Entwicklung Chinas war die Reise des chinesischen Mönchs Xuan Zhang nach Westen. Zwischen 630 und 643 reiste er über den chinesischen Teils der »Seidenstraße« durch Afghanistan, Indien bis nach Sri Lanka und zurück über den Seeweg nach Südchina. Er sammelte buddhistische Schriften, die bis dahin in China noch nicht bekannt waren. Xuan Zhang brachte 657 Texte mit, die er im Auftrage des Kaisers übersetzte. In der Folge verbreitete sich der Buddhismus rasant, was von der daoistischen Führungsschicht in China akzeptiert wurde. Die buddhistischen Grotten in Kuche, Turpan oder Dunhuang lassen uns heute die Aktivitäten auf der »Seidenstraße« erahnen. Die mehreren Hundert Höhlentempel nahe der Stadt Dunhuang, bekannt als Mogao-Grotten, gehören zum Weltkulturerbe.
Im 9. Jahrhundert erschien der Islam auf der Weltbühne. Es entstanden im westlichen Teil der »Seidenstraße« verschiedene Kalifate, die sich zwar gegenseitig bekämpften, aber trotzdem den Warenaustausch förderten.
Die Ausbreitung des Islams nach Osten wurde gestoppt durch eine kriegerischen Auseinandersetzung zwischen einer islamischen und einer chinesischen Armee 751 u.Z. bei Taras, im heutigen Kirgisistan gelegen. Es war der Höhepunkt eines Jahrzehnte andauernden Konfliktes zwischen Arabern und Chinesen. Und es war, wie sich aber erst später erweisen sollte, eine der Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte: Dadurch zog der Islam in die Turkvölker, weshalb heute Zentralasien zur islamischen Welt zählt.
Die Schlacht, die von zeitgenössischen Chronisten nahezu unbeachtet blieb, weil sie militärisch eher unbedeutend war, führte nicht nur zur Abgrenzung der beiden Reiche und Welten, sondern auch zum Ende des Handels. Im 10./11. Jahrhundert konsolidierte sich der westliche Teil der »Seidenstraße« so weit politisch, dass zumindest dort der Handel reaktiviert werden konnte. Wegen der mongolischen Eroberungen in Europa konnte er sich allerdings nicht durchgehend entwickeln. Das änderte sich erst mit der Herrschaft von Dschingis Khan (1162-1227), der durch die Festigung seines Reiches die »Seidenstraße« wieder sicherer machte.
Die Mongolen restaurierten die alten Mauerbauten, die schon seit Jahrhunderten China gegen die westlichen Reitervölker schützten, und reaktivierten die Karawansereien, in denen Händler sicheren Schutz fanden.
In jener Zeit bereisten Händler wie Marco Polo und Francesco Pegolotti, Missionare wie Johannes Plano di Carpine oder Wilhelm von Rubruck diese Route und brachten wundervolle Berichte nach Europa. Ihre Schilderungen begründeten den Mythos der sagenhaften »Straße in den Orient«, von mit Palmen gesäumten Oasen, goldenen Tempeln, von schönen Haremsdamen und Moscheen mit leuchtenden Kuppeln.
Während der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368) lebten viele Nicht-Asiaten aus Europa im mongolisch beherrschten China. Die Gesellschaft war hierarchisch in vier Klassen eingeteilt: in Menschen mit farbigen Augen, in Mongolen, in Nordchinesen und in Südchinesen. Die Stellung Marco Polos am chinesischen Hofe war keine außergewöhnliche Besonderheit, er gehörte schließlich zur ersten Klasse, zu den...
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