Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es klopfte. Helena machte sich nicht die Mühe aufzustehen. Wenn es Friedemar war, dann würde er sich auch ungebeten Zutritt verschaffen. Ihr Verlobter hatte nicht die Angewohnheit zu bitten - ihm wurde gegeben.
»Gott zum Gruße, Helenchen.«
Sie drehte sich nicht um, sondern sah angestrengt auf ihre Schürze hinunter.
»Wohlan, hast du gedacht, noch vor mir ein Mittel gegen die Blattern gefunden zu haben, um damit den großen Reichtum einzuheimsen? Dabei habe ich dir schon immer gesagt, dass ein Weib nicht denken soll. Schau dir die Küche an! Haben hier neuerdings die Säue ihren Stall?«
»Warum bist du nur so widerlich geworden? Ich habe dir nichts getan! Lass mich in Ruhe!«
»Dich in Ruhe lassen? Liebst du mich nicht mehr?«
Helena starrte wütend in das Herdfeuer. »Was soll ich denn denken, wenn du mich seit unserer Verlobung so herablassend behandelst?«
»Helena, verzeih. Du weißt, dass ich dich liebe.«
»Daran habe ich geglaubt, aber nur bis wir einander versprochen wurden.« Sie beobachtete, wie die Flammen um den letzten Fetzen Papier kämpften. »Seit wir Kinder waren, habe ich dich gemocht. Vielleicht noch mehr, seit wir beide unsere Eltern an die Blattern verloren haben, aber vor allem habe ich dich bewundert, weil dein Leben danach so anders verlief als meines . Oft habe ich dich heimlich beobachtet. Auf dem Feld, im Hof nebenan und bei den Patienten deines Ziehvaters. Wie du ihm schon früh zur Hand gehen konntest und er viel Freude an dir hatte, während ich mich damit zufriedengeben musste, im Haus meiner Großmutter zu wirtschaften.«
»Ja, natürlich«, höhnte Friedemar. »Bis heute darf ich die Drecksarbeit für ihn erledigen, dazu bin ich gut genug.«
»Trotzdem war ich neidisch, dass er dir als wohlhabender Medicus jeden Wunsch erfüllen konnte. Ich habe davon geträumt, dieses Leben eines Tages mit dir teilen zu dürfen. Dieser Versuchung wäre ich beinahe erlegen, wenn du nicht dein wahres Gesicht gezeigt hättest. Seit ich dir von dem Mittel gegen die Blattern erzählt habe, bist du wie ausgewechselt.«
»Wie kommst du darauf, mein Helenchen? Schließlich war ich es, der meinen Ziehvater dazu überredet hat, dich ein wenig in die Geheimnisse der Medizin einzuweihen. Und was ist mit dem Geld, das ich dir im Winter gegeben habe, damit du dich in anderen Dörfern nach diesen Geschichten umhören konntest? Also gib zu, dass dein Erfolg auch mein Verdienst ist.«
»Nein, das tue ich nicht. Und es gibt auch keinen Erfolg zu verzeichnen. Wir tragen kein Mittel gegen die Blattern in uns. Ich habe mich geirrt. Meine Großmutter ist tot, verstehst du?«
»Nun, irgendwann musste auch dieses alte Weib sterben.«
»Wie kannst du nur so herzlos sein! Friedemar, sie ist von den Blattern dahingerafft worden! Und das, obwohl sie nach meiner Theorie nie daran hätte erkranken dürfen. Offenbar gibt es doch keinen Schutz vor der Seuche! Es ist allein Gottes Wille, der die Menschen krank macht oder sie gesund erhält.«
»Unsinn. Es muss einen anderen Zusammenhang geben . Du hast bestimmt irgendetwas übersehen. Wir müssen die Fälle noch einmal durchgehen und miteinander vergleichen. Und nächste Woche nach unserer Hochzeit wirst du in dein neues Reich ziehen. Sei doch froh, wenn du diese Hütte hier verlassen kannst! Deine Großmutter hat es in ihrem ganzen Leben zu nichts weiter gebracht als zu drei Schweinen, zwei Klappergäulen und ein paar Kühen, die ständig kränkeln, anstatt Milch zu geben. Willst du denn enden wie dieses alte Weib? Bald bist du die Herrin in einem stattlichen Haus, kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
Helena schüttelte langsam den Kopf. Nein, das konnte sie nicht. Ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken an die Hochzeit, die sie in den letzten Tagen so gut verdrängt hatte.
»Vielleicht sollten wir .«, hob sie an, »die Hochzeit . verschieben? Ich meine, jetzt durch den Tod meiner Großmutter . Sie ist ja noch nicht einmal beerdigt.«
»Natürlich hast du keine Vorstellung von deinem zukünftigen Leben«, sprach Friedemar ohne Rücksicht auf ihren Einwand weiter. »Du wirst dich um die Hauswirtschaft und meine zukünftigen Erben kümmern, während ich meinen Pflichten nachkommen werde. Dazu gehört auch, dass ich ein Gegenmittel finden werde und niemand anderer, schon gar nicht du! Denn in meinem Haus herrschen andere Sitten!«
Zunächst ließ sich Helena von ihrer aufsteigenden Verzweiflung lähmen, doch dann gewann die schiere Fassungslosigkeit die Oberhand. Sie fuhr herum und funkelte ihren Zukünftigen an, dessen Gestalt sich durch seinen dunkelgrünen Umhang kaum von der rußgeschwärzten Wand abhob. Sein kantiges Gesicht war zur Hälfte unter einem Dreispitz verborgen, der einen gespenstischen Schatten über seine Augen legte. Aus tiefen Höhlen sahen sie ihr entgegen, undurchsichtig wie die eines Verbrechers.
»Wenn du glaubst«, stieß sie hervor, »wenn du glaubst, mich halten zu können, mich am Herd festzubinden, dann irrst du dich gewaltig. Du müsstest mich schon einsperren!«
»Aber Helenchen! Was redest du denn da? Ich würde dich niemals zu etwas zwingen. Du bist im Moment etwas verwirrt, der Tod deiner Großmutter hat dir offensichtlich sehr zugesetzt. Ich brauche dich! Ich möchte, dass du bei mir bist und meine Frau wirst. Helena, bitte.«
Erstaunt betrachtete sie den Mann, den sie einmal sehr gemocht hatte. »Du bittest mich?« Es war, als hätten seine Worte die kümmerliche Liebesglut in ihr neu entfacht.
»Ja, ich bitte dich. Ich bitte dich, bei mir zu sein und meine Frau zu werden. Mir nächste Woche in der Kirche das Jawort zu geben. Helena, hörst du mir zu?«
»Ich . Glaubst du, wir werden wirklich glücklich miteinander? In letzter Zeit denke ich, wir sind doch zu verschieden. Dir gehen Ruhm und Reichtum über alles, und du würdest deinem Ziehvater gerne das Wasser abgraben. Du tust alles nur des Ruhmes und des Geldes wegen. Ich hingegen habe nach einem Heilmittel gegen die Seuche gesucht, weil ich den Menschen helfen wollte.«
»Dagegen sage ich auch nichts, ganz im Gegenteil. Das ist doch sehr lobenswert.«
»Aber ich würde gerne .«, setzte Helena zur Verdeutlichung an und fasste ihren ganzen Mut zusammen, »in eine medizinische Lehre gehen, ich möchte lernen, Krankheiten zu besiegen, und vielleicht eines Tages Arbeit als .« Weiter kam sie nicht. Friedemar brach in hämisches Gelächter aus. »Ach, Helenchen, du bist schon ein törichtes Weib. Glaubst du, wenn du dich für die siechende Menschheit aufopferst, wirst du den frühen Tod deiner Eltern besser verkraften? Indem du nach dem Beruf eines Mannes trachtest, werden sie auch nicht wieder lebendig.« Er lachte abermals auf. »Doktor Helenchen! Du weißt doch, wie das ein paar Dörfer weiter bei dieser Dorothea Erxleben endete. In Schimpf und Schande!«
»Ach, das weißt du so genau? Sie starb vor vierzig Jahren als angesehene Quedlinburger Bürgerin!«
»Eine Pfuscherin war sie, nichts weiter!«
»Bläst du auch in dieses Horn? Haltlose Vorwürfe wie dieser waren der Grund, warum sie für ihr Studium kämpfte. Sie wurde mit königlichem Privileg an der Universität zugelassen und hat als erste deutsche Frau in der Medizin promoviert. Sie hat es allen gezeigt! Und ganz nebenbei hat sie für den Haushalt gesorgt, acht Kinder großgezogen und eine gute Ehe geführt. Dorothea Erxleben hat gezeigt, dass so etwas möglich ist. Und das werde ich auch können!«
»Übermut ist ein schlechter Gefährte«, beschied ihr Friedemar. »Wenn du glücklich werden willst, so lerne mir, deinem zukünftigen Eheherrn, zu dienen. Das ist mein guter Rat an dich.«
Sie starrte auf die Küchenwand aus dicken, verrußten Steinen und sah vor ihrem inneren Auge das von der Krankheit entstellte Gesicht der Großmutter vor sich; als ob sich ein Schwarm dicker, kleiner Käfer auf ihr niedergelassen hätte. Kein Stück Haut war verschont geblieben, weder Lippen noch Augenlider. Die vertrauten Gesichtszüge waren verzerrt, es war, als ob ihr der Teufel eine Fratze schnitt. »Gegen die Blattern kann ich nichts tun, aber ich will in Zukunft Leben retten, wo es in meiner Macht steht«, flüsterte Helena.
»Ein weiblicher Medicus«, stöhnte Friedemar, »der als Frau ein eigenständiges Leben führen will. Der Herrgott möge dich vor diesem Wahnsinn beschützen. Komm, Helenchen, wende dich treu an meine Seite und übergib mir dein Notizbuch, du bist doch ein vernünftiges Mädchen.«
»Das Buch existiert nicht mehr«, gab Helena tonlos von sich und zeigte auf die Flammen.
»Wie bitte?« Er stürzte ans Herdfeuer und stocherte mit dem Schürhaken in der Glut, ungläubig und wie besessen. Immer und immer wieder stach er in das knisternde Feuer, bis er plötzlich innehielt. Gedankenverloren betrachtete er einen Moment lang die Eisenstange. Dann drehte er sich langsam zu ihr um.
»Ohne das Buch bist du für mich noch wertvoller geworden, Helenchen. Jetzt wirst du mich heiraten müssen.« Er kam langsam auf sie zu. »Dein Wissen ist nun deine Mitgift.«
Sie erhob sich mit zitternden Knien, darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen. Sie stand nun direkt vor ihm und sah ihm fest in die Augen. »Ich möchte nur noch einmal die Großmutter sehen.«
Friedemar verzog den Mund. »Gib dir keine Mühe. Du bist jetzt mein Kapital, und darauf weiß ich gut aufzup.«
Mit zwei schnellen Schritten gelangte Helena zur Tür. Sie stürzte hinaus in die Stube, in der ihre Großmutter aufgebahrt lag. Es reichte nur für einen flüchtigen Blick des Abschieds, sie durfte nicht anhalten. Dann rannte sie aus dem Haus, hinüber zur...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.