Schweitzer Fachinformationen
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Alice kurbelt das Fenster im Fond des Chryslers einen Spaltbreit herunter. Sie hofft, die kalte Luft wird sie wecken, sie schütteln, sie spüren lassen, was für ein unglaubliches Glück sie hat. Sie weiß, dass Frauen lange und hart um solche Einladungen konkurrieren.
Diors Gästeliste hatte die Konversation in ihrem Salon bereits hinreichend beschäftigt, soviel wusste sie also schon.
»Ich fürchte, Sie werden vielleicht ein kleines Stück zurückgehen müssen, Madame Ainsley.« Alice zuckt bei der neuen Anrede. »Ist das in Ordnung? Es sind so viele Wagen, ich kann Sie nicht näher heranfahren.«
»Natürlich, kein Problem.« Alice springt aus dem Chrysler mit eigenem Chauffeur, eine der Vergünstigungen für die Ehefrau des britischen Botschafters in Frankreich, und beginnt, über das Pflaster zurück zum Dior-Stadthaus zu stöckeln.
In ein paar Minuten wird sie von Dutzenden vermögender, gut vernetzter Frauen umringt sein. Jetzt kann sie sie sehen, wie sie in Grüppchen wie gepeinigte Insekten nach draußen schwärmen, rauchen, sich gegenseitig gratulieren, im Schulterschluss der eng verbundenen Gemeinschaft, in die sie sie aufnehmen wollen. Aber als Alice näher kommt, spürt sie nur den konkurrierenden Schwarm Frauen, die von allem mehr wollen. Das Beste.
Alice geht durch die schwarze polierte Flügeltür und hält ihre Nase in die Luft: frische Farbe. Die Wände des Salons müssen über Nacht für die heutige Modenschau neu gestrichen worden sein. In der Empfangshalle hält sie inne, streicht mit den Händen über ihre dunkelblaue Wolljacke. Eine nervöse Energie pulsiert um sie herum. Viel wird über die neue Kollektion geschrieben werden, und Alice spürt, wie diese Nervosität auch sie überkommt. Warum ist sie so ängstlich? Sie dreht sich um und blickt in einen der riesigen, makellosen Wandspiegel und versucht, ihre eigene Frage zu beantworten, um sich sofort eine andere zu stellen. Wie kann es sein, dass ein Mädchen, das immer in alten Gummistiefeln und einem verschmutzten Dufflecoat am glücklichsten war, bei Dior in Paris in einem Modellkleid des Designers steht? Sie prüft, ob ihr dunkler Kurzhaarschnitt akkurat sitzt. Die dezente Nude-Farbe ihres Lippenstifts. Ihre klassischen Perlen.
Alice wird zu einem schmalen, goldenen Stuhl in der ersten Reihe geführt, sie fühlt, wie jedes Augenpaar sie mustert und zweifellos darüber urteilt, ob sie die richtigen Accessoires zu dem Dior-Look gewählt hat. Fast kann sie schmecken, wie Neid die Luft vergiftet, den jede Frau ausströmt, die glaubt, dass Alice den Platz in der ersten Reihe zu leicht erhalten hat. Was wissen sie schon? Schnell nimmt Alice ihren Platz ein, erleichtert, dass sie ihren eigenen Catwalk durch den Raum geschafft hat. Sie lächelt und hofft, dass es echt aussieht. Ihre Nachbarinnen müssen ihre Plätze noch einnehmen, so überfliegt sie das Programm, dabei hebt sie alle paar Minuten ihren Kopf, in der Hoffnung, einen flüchtigen Blick auf die berühmten Dior Mannequins in ihren weißen Backstage-Overalls zu erhaschen, bevor sie heraustreten auf den abschüssigen, feinen, cremefarbenen Teppich vor Alice, der an diesem Morgen ihre Bühne ist.
Sie fragt sich, welcher der Entwürfe in ihrem Programm wohl zuerst an ihrem Speisetisch sitzen wird. Sie wendet die Augen von den grellen Scheinwerfern und dem Kronleuchter über ihrem Kopf, mit jeder Minute steigt die Hitze weiter ihren Hals hinauf, und die Schau beginnt noch immer nicht. Stühle füllen sich weiter, es werden immer mehr Menschen rund um den Raum und an den Fenstern, wo es nur Stehplätze gibt. Dicker Zigarettenrauch kratzt hinten in Alices Hals, und sie muss sich auf die hübschen Wolken elfenbeinfarbener Rosen und Nelken konzentrieren, um ruhig zu bleiben. Sie zieht ihre Handschuhe aus, fühlt die Hitze auf ihren Handflächen, und wird sich panisch bewusst, dass sie jetzt nicht weglaufen kann, der Weg zum Ausgang ist versperrt von Frauen, die immer noch durch die Tür drängen. Jemand reicht ihr einen Papierfächer - sie lässt ihn aufschnappen, gierig nach ein wenig Erleichterung auf ihren Wangen - und ein kleines hartes Fruchtbonbon. Nie mehr wird sie den Fehler begehen, pünktlich zu sein.
»Madame Ainsley, wie wunderbar, Sie wiederzusehen«, eine große Frau faltet sich in den Platz links von Alice, sie hat ihre Ankunft viel besser geplant als Alice. »Ich bin Delphine Lamar, wir haben uns bei dem Begru¨ßungscocktail vor ein paar Wochen getroffen. Ihre erste Dior-Schau?« Sie zieht eine Augenbraue hoch. Etwas in Alices Haltung macht diese Tatsache deutlich.
»Ja, beeindruckend, nicht?« Alice ist dankbar, dass sich jemand an ihren Namen erinnert, es waren so viele neue Gesichter in den letzten Wochen.
»Es dauert ein bisschen, bis man sich an den Zirkus gewöhnt hat. Lohnt sich natürlich, aber kommen Sie das nächste Mal etwa vierzig Minuten zu spät, dann sind Sie genau rechtzeitig.« Sie schenkt ihr ein ermutigendes Lächeln. »Sagen Sie, was macht Ihre Suche nach einem Hausmädchen? Es war schwierig, kann ich mich erinnern, wenn Sie immer noch suchen, kann ich Ihnen vielleicht helfen.«
»Vielen Dank. Alle, die ich gesehen habe, sind hervorragend qualifiziert und erfahren, wahrscheinlich könnte ich jede von ihnen einstellen und würde nicht enttäuscht werden, aber ich habe einfach noch mit keiner eine besondere Verbindung gespürt. Vielleicht bin ich zu pingelig, aber .«
»Keiner könnte Ihnen das vorwerfen, nicht in Ihrer Stellung.«
»Vielleicht.« Alice erwidert ihr Lächeln, dankbar, dass Delphine sie nicht töricht findet, weil sie sich eine emotionale Verbindung zu der Frau wünscht, mit der sie die meiste Zeit innerhalb der Residenz verbringen wird.
»Hier«, sie nimmt ein winziges ledernes Notizbuch aus einer Handtasche, die nicht viel größer ist, und schreibt einen Namen und eine Nummer auf und gibt sie Alice. »Marianne kommt auf beste Empfehlung der Ehefrau eines anderen hochrangigen Diplomaten. Ihr Mann hat seine drei Jahre in Paris absolviert, und jetzt werden sie in den Nahen Osten versetzt. Sie können Marianne nicht mitnehmen. Aber Sie müssen sich sehr beeilen. Sie beten sie an, und andere werden sie auch haben wollen. Ich würde sie mir selbst schnappen, wenn ich eine Stelle zu vergeben hätte.« Sie beugt sich ein bisschen näher zu Alice. »Ich habe sofort an Sie gedacht. Marianne ist zur Hälfte Britin und wird Ihre Vorlieben und Bedürfnisse verstehen, ohne dass Sie alles besonders erklären müssen.«
»Vielen Dank«, Alice nimmt die Nummer dankbar entgegen. »Ich sehe sie mir an, sobald ich kann.«
Delphines Aufmerksamkeit wird durch die Ankunft eines anderen Gastes abgelenkt, und sie überlässt Alice den Gesprächen über Shopping in Mailand und Skifahren in St. Moritz und die Must-haves der Garderobe. Hälse werden gereckt, damit Frauen über die Hüte vor ihnen sehen können, es ist ein ständiges Auf und Ab von den Sitzen, um spät ankommenden Freunden zuzuwinken und selbst gesehen zu werden.
Erst etwa eine halbe Stunde später, als Name und Nummer des ersten Modells angekündigt werden, tritt eine barmherzige Stille ein, und Alice spürt, dass sie wieder normal atmen kann.
»Marianne, danke vielmals, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, ich freue mich.« Alice bedeutet ihr, den Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches zu nehmen. »Kann Patrice Ihnen einen Kaffee bringen?«
»Vielen Dank. Ich hätte bitte lieber Tee, English Breakfast, wenn Sie haben?« Sie lächelt, sie weiß, selbstverständlich hat Alice ihn.
»Natürlich«, Patrice nickt und verschwindet nach hinten durch die Tür der Bibliothek und lässt die beiden Frauen allein.
»Madame Lamar sagte, Sie seien zur Hälfte Engländerin?«
»Ja, meine Mutter lernte meinen Vater in London kennen, als er geschäftlich dort war, und sie haben kurz darauf geheiratet. Dadurch habe ich lange Zeit auf beiden Seiten des Kanals verbracht. Ich bin die perfekte Mischung aus beiden Kulturen, hoffe ich. Immer pünktlich, sehr britisch, und nie Angst, Nein zu sagen, typisch Französisch.« Marianne gestattet sich ein kurzes Lachen, um Alice zu zeigen, dass sie sich nicht allzu ernst nimmt. »Ich habe Ihnen einige Referenzen mitgebracht.«
»Sie klingen schon jetzt, als könnten Sie mir hier eine große Hilfe sein.« Alice betrachtet Marianne genauer, während diese in ihrer Handtasche nach den Papieren sucht. Sie sitzt ganz vorn auf der Stuhlkante, eigentlich gar nicht auf der Sitzfläche. Ihr Rücken ist völlig gerade und vermittelt Engagement, die Schultern entspannt, vielleicht nicht leicht einzuschüchtern, und ihre Hände liegen hübsch gefaltet in ihrem Schoß. Sie sieht natürlich aus und angenehm ungezwungen. »Sie sind mir ja Jahre voraus, Marianne. Können Sie mir noch einen anderen wichtigen Rat geben, wenn es darum geht, zwischen beiden Nationalitäten zu vermitteln?«
»Nach meiner Erfahrung sind Franzosen nicht zu Selbstironie fähig und werden es bei Ihnen nicht verstehen. Aber sie erwarten auf jeden Fall, dass Briten kalt sind und vielleicht ein wenig reserviert, deshalb ist es immer wunderbar, sie damit zu überraschen, nichts dergleichen zu sein. Sicher ist es auch das Beste, nicht dem hinreichend bekannten Vorurteil zu verfallen, dass die Franzosen eine zweifelhafte Moral haben und zu Arroganz neigen«, sie macht eine Pause und fügt hinzu, »obwohl die meisten es ehrlicherweise tun.«
Die Tür zur Bibliothek geht wieder auf.
»Ah, unser Tee.« Aber es ist ihr Mann Albert, der unerwartet zu ihnen stößt, nicht Patrice.
»Oh,...
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