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Nicht jetzt.« Maya schob Daniels Hand sanft zur Seite. »Es kann jeden Moment klingeln.«
»Und wenn schon.« Daniel küsste Maya liebevoll in den Nacken. »Wir müssen ihm ja nicht aufmachen.«
Sie drehte sich zur Seite. »Bitte.« Unter dem Vorwand, nach ihrem Weinglas zu greifen, befreite sie sich aus Daniels Umarmung, stand augenzwinkernd auf und ging auf die offene Schiebetür zu. Sie warf einen langen Blick auf den eingedeckten Tisch im Esszimmer. Gläser, Teller, Besteck, die Kerzen, sogar die Damastservietten hatte Daniel aus den Schubladen hervorgeholt. Aus den Boxen erklang Robbie Williams, den Daniel für einen »Schmalzheini« hielt. Umso mehr wusste sie zu schätzen, dass er dessen neueste Songs heruntergeladen hatte. Für sie.
Maya wandte sich wieder Daniel zu, der sich in die Couch hatte zurückfallen lassen und seine Beine unter den Zeitungstisch ausstreckte.
»Wirklich, Danny, das hast du sehr schön gemacht.« Lachend prostete sie ihm zu.
»Zeit hatte ich ja wieder mal genug, heute«, brummte Daniel und erinnerte Maya daran, dass sie vorhin nur knapp an einem Krach vorbeigeschrammt waren.
»Ich dachte, du hättest deiner überarbeiteten Anwältin vergeben«, sagte sie mit dem aufgesetzten Blick einer reuigen Sünderin.
Daniel musste sich anstrengen, weiter beleidigt zu schauen. Er liebte Mayas Selbstbewusstsein, ihre Ironie, und er hatte großen Respekt vor ihr als Juristin. Aber dass sie sich auch an diesem Sonntag wieder nicht von ihren Akten hatte trennen können, hatte ihn mit jeder Stunde, die sie ihn hatte warten lassen, mehr und mehr verärgert.
Familienanwältin zu sein, hatte sie ihm einmal erklärt, sei nun mal ein Saisongeschäft. Nach Weihnachten und Neujahr herrsche Hochbetrieb. Dann zeigten die Dramen unter dem Tannenbaum ihre Wirkung.
Maya war dankbar für diese Stunden an den Wochenenden, in denen sie, allein in der Kanzlei, ihre Akten abarbeiten konnte. Über ihren Fällen zu sitzen, sich reinzuknien, dieses Suchen nach Widersprüchen und Lücken, dieses Kombinieren von Fakten und Paragrafen, verschaffte ihr eine große Zufriedenheit. Doch im Gegensatz zu nicht wenigen Kollegen ging es Maya auch immer um die Menschen, die ihren Rat suchten, die sie brauchten. Wirklich helfen zu können machte sie glücklich.
»Meine kleine Samariterin«, verspottete Daniel sie mitunter, wenn er wieder glaubte, ihr sei ein Fall wichtiger als er. Wenn er sich besonders vernachlässigt fühlte oder schlecht gelaunt war, weil er sich im Sender geärgert hatte, warf er ihr allerdings auch zu großen Ehrgeiz vor, über den sie Zeit und Raum vergessen konnte - und auch ihn.
Erst seine SMS »Wein ist gleich verdunstet«, ohne Kuss, ohne Gruß, hatte sie am heutigen Abend aus der Akte gerissen, die sie die letzten Stunden beschäftigt hatte. Typen wie dieser Wulf, um den es darin ging, waren genau der Grund, warum Maya sich auf Familienrecht spezialisiert hatte und mit Strafrecht möglichst wenig zu tun haben wollte. Aber Wulf war eine Erblast aus der Anwaltszeit ihres Vaters - und deshalb nahm sie dessen Fall besonders ernst. Sie wollte ihrem alten Herrn zeigen, dass er ihr seine Kanzlei zu Recht übergeben hatte.
»Ich gehe schon«, sagte Daniel, als es klingelte. Er riss die Wohnungstür auf und schaute erwartungsvoll ins Treppenhaus. Barscher, als er es eigentlich wollte, rief er: »Na, das wurde aber auch Zeit.«
Ein junger Mann mit orangefarbenem Turban und brustlangem schwarzen Bart lief die Stufen hinauf und auf ihn zu. Strahlend hielt er Daniel zwei Pizzakartons unter die Nase, den einen mit links, den anderen mit rechts. Die Rechnung klemmte zwischen seinen Lippen.
»Wie heißt diese Zirkusnummer bei Ihnen in Indien?«, fragte Daniel. Als bereute er seinen spöttischen Ton, zog er zwei Zehneuroscheine aus der Tasche, sagte: »Stimmt so« und nahm dem Mann die Lieferung ab.
Der Pizza-Kurier sagte nur: »Namaste«, verbeugte sich tief und eilte die Treppe hinunter.
»Der hatte ja Unterhaltungswert«, meinte Maya, die Daniel aus dem Wohnzimmer gefolgt war, und schloss die Tür.
»Er hat jedenfalls mehr Trinkgeld bekommen, als ich sonst gebe«, sagte Daniel, während er sich in sichtlicher Vorfreude über seine Pizza beugte.
Maya schenkte Wein nach, und sie stießen an.
»Auf nachher«, sagte Daniel mit einem breiten Grinsen, als es erneut klingelte. Mit einem entnervten »Was ist denn?«, öffnete er die Tür. Drei Stufen unter ihm stand der Pizza-Inder, der offensichtlich kein Deutsch konnte, und gestikulierte wild in Richtung Parterre.
»You come, please, Mister.«
»You crazy?«, fragte Daniel.
Der Mann eilte die Treppe hinunter und kam wieder hoch.
»I think you have some very special visitor, Sir«, sagte er grinsend.
Daniel schaute zur Wohnungstür und rief: »Schatz, komm mal!« Dann sah er wieder in den Hausflur, atmete tief durch und bemühte sich um ein freundliches Gesicht.
»Wer ist denn da?«, wollte Maya wissen.
»Die Erleuchtung«, rief Daniel über die Schulter zurück.
Maya drängte sich neben ihn ins Treppenhaus, sah Orange, sah Schwarz, sah Weiß, sah den Ehrwürdigen Mönch Siri, der aus der Kälte kam und nun direkt vor ihr stand. Über seinem rechten Arm hing ein roter Schirm.
Der Mönch faltete die Hände vor dem Herzen: »Guten Abend, liebe Maya und lieber Daniel. Im Namen des dreifachen Juwels Buddha, Dhamma, Sangha wünsche ich Ihnen alles Liebe und Gute.« Er verneigte sich tief.
»Lieber Mönch«, sagte Maya, »welch freudige Überraschung.«
Der Mönch bei uns vor der Tür, dachte Daniel, wie grotesk. Was will er hier? Und warum hat er vorher nichts gesagt?
Maya stieß Daniel an, und die beiden verneigten sich mit einem synchronen »Ayubowan« vor dem Mönch, der selbst im fahlen Licht eines Hamburger Altbauflurs eine einzigartige Würde ausstrahlte.
Daniel fand als Erster zurück in die Routine, mit der man unerwartetem Besuch begegnete: »Kommen Sie doch erst einmal herein, lieber Ehrwürdiger Mönch.«
»Wollen Sie nicht ablegen?«, erkundigte sich Maya, weil der Mönch einfach nur still in der Diele stand.
»Danke, gerne«, sagte der Mönch und reichte Maya seinen Schirm. Nach einem kurzen Zögern legte er auch seinen Schal und die dicke Oberrobe ab.
»Wir sind gerade beim Abendbrot«, erklärte Daniel, führte den Mönch ins Esszimmer und rückte ihm einen Stuhl an der Kopfseite des Esstisches zurecht. »Hätten Sie uns gesagt, dass Sie vorbeischauen, hätte ich eine Pizza mehr bestellt.«
Sehr witzig, dachte Maya, und ihr lag schon eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge. Aber der Mönch lachte tatsächlich. Maya entschied sich, höflich mitzulächeln - und dem Mönch in der Küche einen Tee zu bereiten. Teetrinken schadete nie.
Daniel hatte mit unerwarteten Situationen weniger Probleme. Der Mönch würde schon erzählen, was ihn nach Hamburg führte. Jetzt ging es erst einmal darum, sich über die ersten Minuten zu retten und vor allem die Pizzen zu zerteilen.
Mit einem großen Becher grünen Tee für den Ehrwürdigen kam Maya gerade noch rechtzeitig aus der Küche zurück, um zu verhindern, dass Daniel dem Mönch ein riesiges Stück ihrer Pizza Parma anbot.
»Entschuldigen Sie, Ehrwürdiger Mönch«, sagte sie so sanft, wie es ihr Ärger zuließ, »Daniel hat vergessen, dass Buddhisten Vegetarier sind.«
»Aber das ist doch nur Schinken«, entgegnete Daniel und fing sich von Maya einen bösen Blick ein. Er konnte so peinlich sein.
»Ha, ha«, lachte der Mönch. Er mochte Daniels Humor. Er hatte darüber schon auf Sri Lanka lachen können, als er Daniel und Maya kennengelernt hatte.
Maya aber blieb ernst.
»Daniel, bitte! Ganz bestimmt essen wir nicht vor den Augen eines buddhistischen Mönchs totes Schwein, oder?« Bei dem rein rhetorischen »Oder?« war Maya mit den Pizzen bereits Richtung Küche entschwunden.
So viel Umstand für einen kleinen Mönch wie mich, dachte der Ehrwürdige. Andererseits, das sagte der Buddha ja selbst, kommt das Leben, wie es kommt. Der Ehrwürdige fand es nur schade, dass Mayas Geschäftigkeit und Daniels Sticheleien ihm keine Gelegenheit gaben, etwas Wichtiges zu erklären.
Bei Maya lag das daran, dass sie gerade verzweifelt nach ungeschältem Reis suchte. Den aß der Mönch gern, am liebsten mit Mango-Mousse - das wusste sie noch von ihrer Zeit in Balapitiya. Hätte er mich doch nur vorgewarnt, dachte sie, während sie in der Speisekammer kramte, dann wäre jetzt auch ungeschälter Reis im Haus. Doch konnte sie den Mönch einfach bei einem Becher Tee sitzen lassen? Sah er nicht müde aus, wirkte er nicht erschöpft, gar hungrig? Und wohnten sie nach bald drei Jahren nicht schon lange genug in diesem Haus, um bei den Nachbarn mal nach etwas Reis zu fragen?
Vorne im Esszimmer schienen sich der Ehrwürdige und Daniel gut zu unterhalten. Wahrscheinlich versuchte Daniel, ihrem Gast zu erklären, dass Salsiccia kein Fleisch sei, sondern nur eine scharfe Wurst. Egal, dachte Maya und zog leise die Wohnungstür hinter sich zu.
Die alten Willers von gegenüber mögen uns wirklich, machte sie sich Mut und klingelte. Aber Nana Willer schüttelte den Kopf, auch Thorsten Möhring aus der Wohnung über ihnen konnte nicht helfen. Schließlich versuchte es Maya sogar bei den neuen Mietern unten rechts, den Montineros. Doch da war keiner da. Vielleicht mag der Mönch auch Kartoffeln, dachte Maya, als sie die Stufen wieder hochging.
»Fehlt es an was?«
Bitte nicht die Korbanek, durchzuckte es Maya. Die einzigen Mieter, die sie nicht mochte, waren die Korbaneks, Parterre unten links. So wie die, da war sie sich...
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