Schweitzer Fachinformationen
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Globalisierung und Europäisierung, Digitalisierung und wirtschaftlicher Strukturwandel sowie gewandelte Leitbilder haben Arbeitsmärkte und hiermit auch die Arbeitsmarktpolitik nachhaltig verändert. Dieses Lehrbuch verfolgt einen innovativen Ansatz, indem es über die Beleuchtung der Strukturen, Akteure, Institutionen und Prinzipien des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik hinaus aktuelle Wandlungsprozesse und Zukunftsherausforderungen thematisiert. Durch die Verbindung von politikwissenschaftlichen mit soziologischen Perspektiven wird ein fundierter, interdisziplinär angelegter Überblick geboten, der ein tieferes Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Flexibilisierungsprozessen und der Governance von Erwerbsarbeit ermöglicht.
Arbeit ist essenzieller Bestandteil des menschlichen Lebens. Zu jeder Zeit in der Menschheitsgeschichte wurde Arbeit verrichtet, wenngleich die Art und Weise, die individuellen und kollektiven Bedeutungszuschreibungen sowie die soziale Einbettung und gesellschaftliche Organisation von Arbeit historisch einem starken Wandel unterworfen waren (für einen vertieften Einblick in die Geschichte menschlicher Arbeit seit der Antike vgl. Bahrdt 1983, Mikl-Horke 2007:17ff. sowie die Beiträge in Kocka/Offe 2000). Die Zentralität von Arbeit für das menschliche Leben hängt zuvorderst damit zusammen, dass Menschen ohne Arbeit ihre Existenz und ihr Überleben nicht sichern und zahlreiche ihrer Bedürfnisse nicht befriedigen können, sie also gewissermaßen immer wieder aufs Neue gezwungen sind, Arbeit zu verrichten. Doch was ist Arbeit überhaupt, und wie lässt sie sich von anderen Tätigkeiten abgrenzen?
Aus soziologischer Perspektive kann Arbeit zunächst ganz allgemein verstanden werden als "jede zweckhafte Tätigkeit, die der Befriedigung materieller oder geistiger Bedürfnisse dient. Die Tätigkeit selbst kann dabei in körperlicher, manueller Arbeit und/oder in geistiger Arbeit bestehen" (Mikl-Horke 2017: 24). Es handelt sich daher um alle Formen von Tätigkeiten, die zweck- und zielgerichtet sind und in irgendeiner Form nützlich für andere sind. Arbeit wird in vielen Kontexten in Interaktion mit anderen geleistet und ihr liegen häufig Kooperation und Arbeitsteilung zugrunde (ebd.). Daher ist Arbeit als Tätigkeit eine Form sozialen Handelns, das nach Weber verstanden werden kann als "menschliches Verhalten [.], wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden" (Weber 2010[1922]: 3). Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass sämtliche Formen sozialen Handelns auch Arbeit sind. Machen zwei Freund:innen eine Fahrradtour oder gehen ins Kino, wird kaum jemand ernsthaft behaupten, dass es sich hierbei um eine Form von Arbeit handelt. Folgerichtig wird Arbeit zumeist von Formen der Freizeitgestaltung, des Müßiggangs oder des Spiels abgegrenzt (Hoose 2016: 52).
Diese Unterscheidung löst jedoch nicht automatisch alle Probleme, Arbeit begrifflich präzise zu fassen, denn es gibt zahlreiche Tätigkeiten, bei denen erst der Kontext der Handlung und die Intention der Handelnden darüber entscheiden, ob wir von Arbeit oder eher Freizeitgestaltung oder Spiel sprechen (Flecker 2017: 16f.; für eine detaillierte soziologische Verortung des Begriffes Voß 2018). Ob sich eine Gruppe von Jugendlichen nachmittags zum Fußballspielen verabredet oder diese Tätigkeit professionell zum Gelderwerb ausgeübt wird, ob eine junge Frau in ihrer Freizeit zu Hause Violine spielt oder dies als ausgebildete Musikerin in einem Orchester tut - offensichtlich entscheidet erst der Handlungskontext und subjektive Sinn der Handelnden über das Verständnis von Arbeit und ihre Abgrenzung von anderen Aktivitäten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit sind hierbei häufig fließend: Das Toben mit dem eigenen Kind kann sowohl eine Form des Spielens in der Freizeit als auch einen Bestandteil der Erziehungs- und Sorgearbeit darstellen (ebd.). Arbeit oder das, was darunter in einer Gesellschaft verstanden wird, ist somit sozial und kulturell konstruiert. Daher können auch die Grenzen von Arbeit und Nicht-Arbeit interpersonal (d. h. zwischen Menschen), interkulturell (d. h. zwischen Kulturen) und intertemporal (d. h. in unterschiedlichen historischen Kontexten) ganz verschieden gezogen werden.
Deutlich wird, dass der Soziologie ein äußerst breites Verständnis von Arbeit zugrunde liegt. In modernen Gesellschaften ebenso wie im Alltag vieler Menschen ist das Verständnis von Arbeit jedoch stark geprägt von Erwerbsarbeit, also einer ganz bestimmten Form gesellschaftlicher Arbeit. Bei Erwerbsarbeit handelt es sich um Arbeit, "mit der man - sei es als selbstständige Erwerbsperson, sei es als 'Arbeitnehmer' im Rahmen eines Arbeitsvertrages - ein monetäres Einkommen erzielt, auf das die Arbeitenden und die von ihnen abhängigen Angehörigen ihrer Haushalte in aller Regel angewiesen sind" (Kocka/Offe 2000: 9). Erwerbsarbeit wird in kapitalistischen Wirtschaftssystemen auf Märkten angeboten und nachgefragt und ist abzugrenzen von solchen Formen von Arbeit, die im Haushalts- und Familienkontext (Care- bzw. Reproduktionsarbeit) oder ehrenamtlich geleistet werden. Im Gegensatz zu diesen Formen gesellschaftlicher Arbeit ist für Erwerbsarbeit der Tausch von Arbeitskraft gegen Geld charakteristisch (Pries 2019).
Gleichwohl ist Erwerbsarbeit nie losgelöst von anderen Formen gesellschaftlicher Arbeit zu denken, insbesondere der im Privaten geleisteten Care- bzw. Reproduktionsarbeit. Diese bezeichnet all jene Formen von Arbeit, die für die direkte und indirekte Wiederherstellung von Arbeitskraft notwendig sind. Reproduktionsarbeit umfasst sowohl alltägliche Tätigkeiten wie die physische Verpflegung und die Übernahme der Hausarbeit als auch die Produktion der nächsten Generation in Form von Geburt, Pflege und Erziehung der Kinder (Flecker 2017: 21). Diese lange Zeit übersehene Form gesellschaftlicher Arbeit wird seit den 1970er Jahren wissenschaftlich und öffentlich vermehrt debattiert. Dies ist feministischen und gleichstellungspolitischen Strömungen zu verdanken, denn die Entwicklung moderner Industriegesellschaften ist eng verknüpft mit dem sogenannten Male-Breadwinner-Modell, also einer geschlechtsspezifischen Aufteilung von Arbeit, in welche der Mann als Haupternährer für den Erwerb und die Frau für die Reproduktionsarbeit zuständig ist (Jürgens 2010).
Wenn von modernen Gesellschaften als Arbeitsgesellschaften gesprochen wird (vgl. bereits Ahrendt 2007 [1960]), sind dennoch zumeist im eigentlichen Sinne Erwerbsarbeits- bzw. Arbeitsmarktgesellschaften gemeint. Dies hängt mit der Zentralität von Erwerbsarbeit für den Wohlstand von Volkswirtschaften ebenso zusammen wie mit dem Einfluss auf die Sozialstruktur, die soziale Ordnung und die alltägliche Lebenswelt von Individuen. Schon soziologische Klassiker wie Marx, Weber und Durkheim stellten Erwerbsarbeit mitsamt ihren Funktionen, Herrschaftsformen, Machtverhältnissen und den hieraus resultierenden Konflikten in den Mittelpunkt ihrer Analysen, so dass sich Arbeit als soziologische Schlüsselkategorie und Nukleus gesellschaftstheoretischer Überlegungen herausbildete (Offe 1983: 38). Die hohe Bedeutung von Erwerbsarbeit manifestiert sich in ganz unterschiedlichen Sphären.
Wie dargelegt, unterliegen zunächst einmal alle Gesellschaften dem Zwang zur Arbeit, um das physische Überleben ihrer Mitglieder zu sichern. Hieraus entsteht die Notwendigkeit, Arbeit so zu organisieren, dass diese Überlebenssicherung kontinuierlich gewährleistet ist und die sich herausbildenden Strukturen stabil sind (ebd.). Gleichzeitig sind nicht nur Gesellschaften, sondern auch Individuen zumeist abhängig von Erwerbsarbeit, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die meisten Menschen müssen arbeiten. Sie und ihre Angehörigen sind auf das durch die Erwerbsarbeit erzielte Einkommen angewiesen, sofern sie nicht über Kapital oder ausreichend Vermögen verfügen (Kocka/Offe 2000: 9; Brussig 2015: 296). Hieraus folgt, dass in Industriegesellschaften die materiellen Konsum- und Teilhabechancen und somit auch der soziale Status und die soziale Position von Individuen maßgeblich durch Erwerbsarbeit geprägt werden, woran auch Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung sozialer Milieus (Beck 1986) nichts Grundlegendes ändern.
In konservativen Wohlfahrtsstaaten (Esping-Andersen 1990, Kapitel 2.2.2) wie dem deutschen verlängert sich die Bedeutung der materiellen Absicherung durch Erwerbsarbeit sogar über die gegenwärtige Erwerbsintegration hinaus: So wird im Rahmen des sogenannten Äquivalenzprinzips die Höhe der Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit und im Alter an das Maß der vorherigen Erwerbsteilhabe gekoppelt (Heinze et al. 1999). Die Herstellung von sozialer Sicherung qua Bismarck'scher beitragsfinanzierter Sozialversicherung sorgt daher für die hohe Bedeutung von Erwerbsarbeit für den Schutz vor den "Risiken der modernen Industriegesellschaft, also Alter, Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflege" (Schmid 2011: 117).
Es wäre jedoch verkürzt, die Zentralität von Erwerbsarbeit lediglich auf die materiellen Faktoren zu reduzieren. So ist sozialwissenschaftlich vielfach herausgearbeitet worden, dass Erwerbsarbeit über die genannten direkten und indirekten monetären Effekte hinaus eine zentrale gesellschaftliche Inklusions- und Integrationsinstanz darstellt, die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstwertgefühl maßgeblich beeinflusst (Böhle 2018). Jahoda sieht die positiven Folgen von Erwerbsarbeit in fünf wesentlichen psychosozialen Funktionen begründet: Auferlegung eines Zeitplans, soziale Kontakte, Teilhabe an kollektiven Zielsetzungen, Status und Identität sowie die Verpflichtung zur regelmäßigen Aktivität (1982: 59). Dass Erwerbsarbeit viele positive psychosoziale Effekte erzeugt, wird besonders deutlich, wenn die Teilhabe an Erwerbsarbeit trotz individuellen Wunsches nicht realisiert werden kann. So ist vielfach gezeigt worden, dass Arbeitslosigkeit negativ mit dem subjektiven Wohlbefinden korreliert ist und zu sozialen Exklusionsprozessen führen kann (vgl. bereits die...
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