Schweitzer Fachinformationen
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Allen Zweiflern an der Relevanz einer speziell auf Frauen fokussierten Herzmedizin sei empfohlen, sich einmal mit einer betroffenen Frau zu unterhalten. Wenn man sich öffnet für die Schilderungen ihres Leidensdrucks und Leidenswegs und auch ihrer Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, wird der Ansatz einer geschlechtssensiblen Medizin vielleicht weniger befremdlich. Ich möchte hier einen Fall skizzieren, der typisch für viele Berichte ist und der mir sehr naheging.
Im Dezember 2020 stellte sich Gisela im Frauenherz-Zentrum vor. Die 55-jährige Patientin hatte sich jahrelang wegen Luftknappheit, immer wiederkehrenden Drucks im Brustraum und Herzstolpern an verschiedene Ärzte und Ärztinnen gewandt. Ihre Beschwerden konnte sie sehr detailliert schildern: eine lähmende Kraftlosigkeit, die sogar das Stehen und Sitzen anstrengend machte; dazu kamen Schmerzen bei Bewegungen, aber auch durch passive Erschütterungen, zum Beispiel beim Autofahren, sowie Wassereinlagerungen und eine Lichtempfindlichkeit, die einen normalen Alltag zusätzlich erschwerte. Phasenweise nahmen die Beschwerden etwas ab, dann kamen sie mit großer Wucht zurück. Gisela fiel es sichtlich schwer, von diesem Leidensweg zu berichten. Eindrücklich schilderte sie den Druck in der Brust, der sie vor allem abends überfiel, im Ruhezustand, also beim Lesen oder Fernsehen. Es war ein Druck, der ihr den Atem nahm und Angst vor einem Herzinfarkt oder einer anderen schweren Erkrankung auslöste.
Gisela hatte bereits zahlreiche Untersuchungen hinter sich, die alle keinen wegweisenden Befund ergaben. Zum Beispiel zeigte eine Magenspiegelung nur eine diskrete Magenschleimhaut-Entzündung und ein Lungenfunktionstest einen altersentsprechenden Befund. Eine Computertomografie des Herzens sowie eine Herzkatheter-Untersuchung hatten eine relevante Verkalkung der Herzkranzgefäße ausgeschlossen, und auch verschiedene Ultraschall-Darstellungen des Herzens und anderer Organe waren unauffällig.
Diese Negativ-Befunde bei weiterbestehendem Leidensdruck brachten natürlich keine Beruhigung, sondern verunsicherten die Patientin emotional und psychisch: »Bilde ich mir das Ganze nur ein?« und »Soll ich es lieber auf sich beruhen lassen?«. Denn die Reaktionen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, so berichtete sie, bestanden zunehmend in Ungeduld und genervtem Achselzucken. Obwohl sie noch nicht alt und bis auf ein gewisses Übergewicht fit war, verließ Gisela daraufhin über Monate das Schlafzimmer nicht mehr. Eine häusliche Sauerstoffgabe, die ein Arzt mehr aus Verzweiflung verschrieben hatte, schien subjektiv etwas Linderung zu bringen.
Die Patientin stellte sich nun in Begleitung ihres Ehemannes und mit einer Sauerstoffflasche im Gepäck im Frauenherz-Zentrum vor. Die Gespräche waren anfangs geprägt von Selbstvorwürfen und Zweifel - schließlich hatten sich ja bereits viele Ärzte mit ihren Beschwerden auseinandergesetzt und immer nur festgestellt, dass doch alles in Ordnung sei. Mehrfach sprach sie von ihrer Sorge, ihrer Familie unnötig zur Last zu fallen, weil sie ja offenbar nicht am Herzen, sondern »im Kopf« krank sei. Die gravierendste Erfahrung ihrer Ärzte-Odyssee war das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Gisela berichtete unter Tränen vom Augenrollen der Mediziner, dem Getuschel des Praxis- und Krankenhaus-Personals und der oft offen zur Schau gestellten Verwunderung oder sogar genervten Verärgerung bei jeder erneuten Vorstellung mit der Bitte um Hilfe.
Die Erinnerung an Giselas Berichte bei unserem ersten Kennenlernen macht mich heute noch wütend und fassungslos. Was muten Ärzte solchen Patientinnen zu! Mit wie viel Unsicherheit und Scham wegen ihrer Schmerzen und Ängste werden diese Frauen alleine gelassen! Wie schnell wird eine psychische Erkrankung angenommen oder eine hysterische Persönlichkeit unterstellt, anstatt wirklich unvoreingenommen alle körperlichen Aspekte zu überprüfen, um die richtige Diagnose zu stellen!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich gibt es Patientinnen, deren gesundheitliches Problem eher auf der psychischen Ebene liegt - was übrigens genauso ernst genommen werden muss wie organische Erkrankungen. So kennen wir zum Beispiel die Herz-Neurose, eine psychiatrische Erkrankung, bei der betroffene Personen fälschlicherweise davon überzeugt sind, an einer schweren Herzerkrankung zu leiden, und verschiedene Symptome beklagen. Diese Menschen müssen mittels Psychotherapie behandelt werden - aber erst, nachdem mit allem(!) Wissen der heutigen Medizin eine körperliche Ursache der Beschwerden ausgeschlossen worden ist.
Bei den ersten Untersuchungen im Frauenherz-Zentrum zeigten sich bei Gisela im Herzultraschall und im 24-stündigen Blutdruckprofil gute und altersentsprechende Befunde. Auch die Wiederholung einer Herzkatheter-Untersuchung bestätigte den unauffälligen Befund der Herzkranzgefäße, den sie bereits bekommen hatte: keine nennenswerte Verkalkung. Und genau an dieser Stelle hatten die bisher eingeschalteten Kardiologen ihre Suche nach der Ursache der Beschwerden beendet und die Patientin unter »Nervensäge« einsortiert. Die Einheitsmedizin, die nicht auf geschlechtliche Unterschiede achtet, war hier am Ende ihres Lateins. Aber bei diesen Beschwerden und diesem Leidensdruck darf sich kein Arzt mit einem unauffälligen Befund zufriedengeben. Es müssen durch weitere Untersuchungen spezifische Erkrankungen abgeklärt werden, die sich häufig bei Frauen finden lassen. In diesem Fall brachte uns der Einsatz eines Spezialtests (mehr darüber in den Abschnitten 2a und 5d) im Anschluss an die Kontrastmittel-Darstellung der Herzkranzgefäße auf die richtige Spur: Diese Patientin litt seit Jahren unter einer Störung der koronaren Mikrozirkulation. Das bedeutet, dass das Blut nicht problemlos durch die kleinen und kleinsten Blutgefäße im Herzmuskel floss. Dazu muss man wissen, dass gerade das Herz für seine anspruchsvolle, ununterbrochene Tätigkeit viel sauerstoffreiches Blut benötigt. Deshalb zweigen von der Hauptschlagader die beiden Herzkranzgefäße ab und transportieren das Blut in den Herzmuskel (siehe Abbildung 1). Die dann immer kleiner werdenden und sich verästelnden Blutgefäße haben schließlich einen Durchmesser von einem halben Millimeter und weniger und verteilen das Blut in alle Bereiche des Herzgewebes.
Abbildung 1
Aus der Hauptschlagader gehen die beiden Herzkranzgefäße nach links und nach rechts ab, um sich dann wie die Zweige eines Baums immer weiter zu verästeln und über kleine und kleinste Blutgefäße das sauerstoffreiche Blut in den Herzmuskel zu bringen. Dabei teilt sich das linke Herzkranzgefäß rasch in zwei kräftige Gefäße auf und versorgt so das linke Herz, die Vorderwand des rechten Herzens und große Teile der Trennwand zwischen beiden Herzen mit Blut. Das rechte Herzkranzgefäß durchblutet vor allem das restliche rechte Herz und die Hinterwand des linken Herzens. Interessanterweise ist diese Verästelung über den gesamten Herzmuskel wie ein Fingerabdruck einzigartig, also bei jedem Menschen individuell ausgeprägt.
Bei einer Störung der koronaren Mikrozirkulation funktioniert die Feinabstimmung im Herz nicht mehr. Ein Vergleich macht das komplexe Geschehen vielleicht verständlicher. Stellen Sie sich ein Wehr an einem Fluss vor. Der Wärter öffnet das Wehr zu den angrenzenden Kanälen, wenn deren Pegel zu niedrig ist und die anliegenden Felder zu vertrocknen drohen. Dann bekommen die Kanäle eine größere Menge Wasser. Bei starkem Regen und drohender Überflutung wird das Wehr geschlossen und der Zufluss unterbunden. Wenn die Zuständigen alles richtig machen, kommt es nie zu einem »Zuwenig« oder einem »Zuviel«; die Kanäle und Felder bekommen immer die optimale Menge an Wasser. Eine Mikrozirkulationsstörung im Herzen kann man damit vergleichen, dass der Schleusenwärter seine Arbeit nicht ordentlich macht und Chaos anrichtet. Die kleinsten Herzkranzgefäße weiten sich, wenn es eigentlich gar nicht erforderlich ist, und verengen sich, wenn zum Beispiel im Rahmen einer sportlichen Aktivität eigentlich mehr Blut benötigt wird. So kommt es mal zu einer Überversorgung oder (gravierender) zu einer Unterversorgung des Herzmuskels mit Blut. Als Folge können verschiedene Beschwerden wie Luftknappheit, Herzstolpern oder Druck in der Brust auftreten.
Giselas Freude und die Dankbarkeit waren natürlich groß. Endlich gab es eine Diagnose und die Gewissheit, nicht »verrückt« zu sein. Zudem war es eine Erkrankung, die mit Medikamenten gut zu behandeln ist. Wir begannen mit einer milden Therapie, die die Gefäße zu einer entspannteren und vor allem wieder zielgerichteten Arbeit anregt. Bereits nach wenigen Tagen konnte die Patientin wieder nach Hause gehen. Nach ihrer Heimkehr berichtete sie in einer Mail von einer deutlichen Verbesserung ihres Zustands:
Guten Morgen, Herr Prof. Becker,
unsere Worte können die Dankbarkeit, die wir empfinden, nicht fassen!
Diese Mail schreibe ich, um Ihnen mitzuteilen, dass alles im Positiven eingetreten ist, was Sie prognostiziert haben:
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