Die Flüchtlinge.
Motto:
Wo ich sei, und wo mich hingewendet,
Als mein flücht'ger Schatten Dir entschwebt?
Schiller.
1. Sophia Botta.
Anders sah es aus in der Herrlichkeit Doorwerth, aber nicht besser. Die Gefahr wuchs von Stunde zu Stunde. Die Engländer, welche Windt nie anders als »saubere Alliirte« nannte, drohten ein Lazareth in das Kastell zu legen. Fort und fort hörte man in der Ferne kanoniren, sah den feurigen Flug der Bomben und die Flammen in Brand geschossener Magazine. Der Herzog von York that mit seiner Armee sein Möglichstes, um Holland zu decken, aber von den Zinnen und Warten des Kastells erblickte man täglich ganze Säulen flüchtender Soldaten, welche die Wege nordwärts einschlugen. Die Nachrichten vom Kriegsschauplatze jagten einander bald verbürgt, bald unverbürgt. Grevecoeur, der Schlüssel zu dem Bosch (Herzogenbusch) ist über, hieß es; dann sollte der Bosch auch über sein; dann wurde die Nachricht wiederrufen, unter dem fernher vernehmlichen Donner des gröbsten Geschützes. »Die Carmagnolen haben fünf Brücken über die Maas geschlagen - die Menge und Tapferkeit der Franken macht jeden Widerstand unmöglich, was flüchten kann aus Städten und Orten, das flüchtet - die Franken sind nahe vor Nymwegen - in die Werke von Nymwegen haben sich sechstausend Engländer geworfen - die zurückgedrängte englische Armee will sich wieder bei Gorkum setzen - die in großer Zahl ausgewichenen Bataver haben ein Comité gebildet, und durch dasselbe mit der französischen Republik über Vertragsbedingungen unterhandelt - die Franken sollen die Städte der neuen batavischen Republik mit Truppen besetzen - die Regierungsform soll provisionell bleiben, wie sie ist - die entlassenen Beamten sollen wieder in ihre Stellen einrücken - die Geflüchteten sollen zurückkehren - Holland soll die französische Republik anerkennen, soll sein Bündniß mit England brechen, sich mit Frankreich verbinden und an England, Preußen und Oesterreich den Krieg erklären - des Statthalters und seiner Partei soll in keiner Weise mehr gedacht werden.« - So drängten sich und wirrten die Nachrichten durcheinander, als schon der October herbeigekommen war.
Ludwig und Leonardus waren als Führer in das berittene Corps eingetreten, das der Erbherr errichtet hatte; Angés mit dem Kinde blieb in Windt's Schutz gestellt in Doorwerth, und für Frau Windt war es ein großer Trost, eine weibliche Seele als Freundin zur Seite zu haben, die ihr manchen Beistand leistete.
Windt bot Alles auf, mehr und mehr Lebensmittel in das Kastell zu schaffen, denn es kam ihm im Geiste vor, als wenn der bedrohliche Zustand sobald nicht enden werde. Man sah ihn häufig, von einem oder zwei Reitknechten begleitet, in seiner kleidsamen Offiziersuniform durch die Fluren und die nächstgelegenen Ortschaften reiten; Graf Ludwig hatte dem redlichen Freund seine Isabella geschenkt, halb aus Liebe zu Windt, halb aus Liebe zur Isabella, deren Leben er dadurch besser zu sichern hoffte, als wenn er das treue Pferd der Gefahr beim Heere aussetzte - und überall war Windt willkommen; seine Anordnungen wurden genau befolgt, die Bauern liebten ihn, weil er sie von dem Rentmeister befreit, der sie gedrückt und geschunden hatte, um sich zu bereichern, und weil Windt sie menschenfreundlich behandelte. Jeden Morgen fast saß Windt am Schreibpulte und schrieb Briefe an seine Herrin, oft in fliegender Hast und Hetze, Alles bunt durcheinander, aber sie wollte und mußte Alles wissen. Doorwerth und dessen guter Verkauf bildete jetzt einen Theil ihrer noch übrigen Lebenshoffnungen.
»Ich bin im Handgemenge mit den Engländern!« schrieb Windt unter Andern in seiner eigenthümlichen, raschen und keinerlei Umstände machenden Weise, die sein ganzes Wesen an Tag legte: »Gestern war ein hoher Offizier hier, um das Kastell mit Allem, was dazu gehört, für verwundete Offiziere in Besitz zu nehmen, so wie sie die Kirchen in Helsum, Renkum und Velp Renkum, niederländisch Renekom, Dorf zwischen Helsum und Wageningen; Velp, Dorf ohnweit Arnhem und Rosendael .für Kranke in Besitz genommen, letztere liegt bereits voll davon, ebenso wie ganz Rosendael, wo ein Lager aufgeschlagen ist und alles Holzwerk, jung und alt, zerstört wird. Der Offizier war genau unterrichtet, wem die Herrlichkeit gehört, wie viele Einwohner sie zählt; der Bürgermeister von Wageningen, wo auch Alles voll liegt, hat ihn mir auf den Hals zu laden gesucht. Der Donner soll diesem Bürgermeister, den ich kenne, dafür auf den Kopf fahren! Sobald ich hinüber komme, will ich ihm sagen, was er wissen soll. Ich war gestern in der Stadt und sprach mehrere Engländer und balgte mich bis zum Säbelziehen mit ihnen herum. Wer meine Dispute mit den Engländern angehört hat, kann sich eine Vorstellung vom babylonischen Thurmbau machen, sie haben mich indessen besser verstanden, als ich mich selbst verstehe. In Arnhem hat man mich zum Bürgergardehauptmann gewählt. Gehorsamer Diener! Erst kommt Doorwerth und dann kommt es noch einmal, und dann kommt Arnhem noch lange nicht.«
»Ihre Excellenz sind sehr besorgt um das hier befindliche Silber. Dies kann ich nicht eher bergen, als bis ich mich selbst bergen muß, denn es ist höchst gefährlich, Werthsachen wegzusenden und selbst zu bleiben; nichts wegzusenden und Vertrauen zu zeigen, ist das einzige Mittel, um sich bei den Carmagnolen in Achtung zu setzen; selbst von dem Meinigen sendete ich weder Kleider, noch Waffen fort. Geld habe ich ohnehin nicht fortzuschaffen, Geld gibt es nicht. Der schurkische Rentmeister hat die Renten bis Petri des nächsten Jahres voraus eingetrieben und mir nichts zurückgelassen, als für mehr als 1000 Gulden unbezahlter Rechnungen. Ich bin froh, dieses Ungeziefer los zu sein, die Bauern sind auch froh. Ohne Zweifel wird er sich Ihrer Excellenz in Hamburg vorzustellen frech genug sein, aber die geringste Höflichkeit, die ihm in Hochdero Hotel zu Theil wird, nehme ich für mich als die höchste Beleidigung. Wenn er kommt, lassen Ihre Excellenz ihn durch den Büttel aus den Thoren der Stadt bringen!«
»Was aus Doorwerth, was aus der ganzen Republik Holland werden will, weiß Gott allein! Ich bin ein gehetztes Wild, voll Angst und Trübsal, Mühe und Arbeit, Last und Hast, und Ihre Excellenz sind jetzt für ein wenig Silber besorgt, aber nicht für mich. Ich bitte meine arme Schwester, die ängstlich besorgt um mich ist, zu trösten. Es ist immer noch möglich, so gefährlich es auch aussieht, daß wir diesseit des Rheines noch einige Zeit von den Franken befreit bleiben, obgleich General Pichegru darauf gewettet haben soll, den Winter in Nimwegen zuzubringen und seine Armee diesseits des Rheines Winterquartiere aufschlagen zu lassen.«
»Heute habe ich den holländischen General-Quartiermeister von hier aus bis auf den halben Weg nach Nimwegen gebracht, es sieht übel aus auf den Straßen, es ist eine bitterböse Zeit; wo man hin hört und sieht, vernimmt man nichts und hört man nichts, als von Raub und Plünderung, Mord und Brand, Krankheit und Theurung. Das Pfund Butter kostet in diesem so butterreichen Lande 1 Gulden.«
»Gestern ist die Frau Landgräfin zu Hessen-Philippsthal, Ulrike Eleonore, welche die Belagerung von Hertogenbosch treulich mit ihrem tapferen Gemahle ausgehalten, durch Arnhem gekommen. Sie wird mit dem Landgrafen nach Bückeburg gehen, zur gnädigen Frau Schwägerin, der trefflichen Fürstin Juliane.«
Diesen Brief konnte Windt erst Abends vollenden. Er schrieb: »Rundum uns her ist ein fürchterliches Getümmel; so eben komme ich, 7 Uhr Abends, aus einer Bataille mit Irländern zu Pferde nach Hause, die in Wolfsheese und längst der Doorwerth marodirten und ein Zetergeschrei unter dem armen Volke erregten. Ich jagte ihnen aber, unterstützt von meinen Leuten, ihre Beute wieder ab; allein es wird zu arg mit dem Rauben der sauberen Alliirten; Bauern, die ihre Habe vertheidigen, werden aufgehenkt und ihre Häuser werden in Brand gesteckt. Die Irländer namentlich haben stets Hunger wie die Pierrots in der Pantomime. Und wenn diese Feinde der Ordnung aus dem Lande sind, dann wird dasselbe Spiel von den Carmagnolen begonnen werden, wobei, wie eben auch in der Pantomime, höchst wahrscheinlich die Pierrots von den Harlekinen Prügel bekommen.«
»Ueberall ist der Teufel los; Gott lasse mich nur jetzt nicht krank werden, sonst ist hier Alles verloren! Fort und fort Kanonendonner auch jetzt, indem ich dies schreibe, in der Richtung nach Nimwegen hin. Vorgestern kam der Herzog von York nach Arnhem; Prinz Friedrich zu Hessen lag mit seinem Regiment in Rosendael und wohnte wahrscheinlich dem gestrigen Treffen bei. Ich ritt stracks nach Arnhem, um beim Herzoge Schutz zu suchen; er war aber nicht zu sprechen; gestern ritt ich wieder hinüber und war so glücklich, Sauvegarden für die Ortschaften von ihm zu erhalten, es wäre auch sonst kein Einhalt mehr zu thun gewesen, und ich bin des Reitens und...