Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kalte Schützengräben
Über unseren Köpfen tut sich was. Wir hören das widerhallende, in die Länge gezogene Klagen des dicken Packeises. Es klingt, als würde ein Idiot in einer leeren Kathedrale auf der Orgel spielen. Dieses zutiefst beunruhigende und geistlose Geräusch wird noch vom leise knarrenden Klicken der Antag-Maschinen untermalt, die draußen in der Dunkelheit die Stellung halten. Warum machen sie uns nicht einfach kalt?
Sie verstecken sich in den Zellen und Waben des alten Archivs - das ich mittlerweile in Gedanken Käfer-Karnak nenne, weil es mich irgendwie an antike ägyptische Tempel erinnert. Nach Milliarden von Jahren übermittelt Käfer-Karnak immer noch die Geschichte der Käfer jedem, der auf den Eismondtobak reagiert. Ich könnte auf Empfang gehen, wenn ich wollte, aber der wird wesentlich besser, wenn ich mich dazu mit meinem Antag-Kontakt kurzschließe, und der scheint momentan abgelenkt zu sein.
Vielleicht wartet sie darauf, dass ihre Kameraden sich darüber einig werden, wie nützlich wir sind. Daumen hoch oder runter. Haben sie eigentlich Daumen? Vielleicht halten die Antags uns für Lockvögel. Möglicherweise ist ihnen schon mal was Ähnliches passiert - vielleicht erst vor Kurzem. List und Tücke. Sie verhalten sich auffällig vorsichtig.
Ob sie wohl ebenso große Schwierigkeiten hat, mich zu hören. Ja, wir sind verwandt, aber das heißt noch lange nicht, dass wir auch zusammenpassen.
Und damit uns bei alledem nicht langweilig wird, verschärfen unsere Ersatzdruckanzüge noch die Situation, indem sie uns nach wie vor durch den Wolf drehen. Mit Drähten und Klingen schneiden sie in unserem Innern durch Fleisch und Knochen - vermutlich, um uns schneller und reaktionsstärker zu machen.
Was von der Eisstation noch übrig war, ist mittlerweile wahrscheinlich verschwunden. Nachdem unsere Samen damit fertig waren, Oscars auszuscheißen, und wir uns davongemacht haben, müssen vom Kasten noch weitere Samen heruntergefallen sein und auch noch den Rest zerstört haben.
Mit diesen Samen lässt sich eine Menge Gewicht einsparen, wenn man Waffen an Orte im Sonnensystem transportieren will, wo an Rohstoffen kein Mangel herrscht - Orte wie Titan, der über und über mit Methan, Ethan und Silen bedeckt ist und auf dem es mehrere Vorkommen von natürlich entstandenen Wachsen, Ölen und Plastikmaterialien gibt.
Aber auch bei einem Rohstoffüberfluss zählt unter Zeitdruck nur größtmögliche Effizienz. Die Station war bereits vorverarbeitet, und die Samen haben sich vermutlich wie hungrige Mastiffs hineingefressen. Was wohl mit den Leichen passiert ist? Vielleicht sind sie auch zu Bestandteilen von nagelneuen Waffen geworden. Wie kann man noch menschlich bleiben, wenn man es mit derart teuflischem Erfindungsreichtum zu tun bekommt?
»Antag-Bewegung voraus«, sagt Jacobi.
Aus dem dritten und vierten Gefährt hört man aufgeregte Gespräche in russischer Sprache - sie klingen unglücklich und schrill. Litwinow schüttet vor den Truppen in den Transportern voller Dissidenten sein Herz aus. »Wir werden nichts tun!«, ruft er auf Russisch und gleich darauf auf Englisch. »Wir sind jetzt hier, und wir haben keine andere Wahl mehr. Wenn wir umkehren, werden unsere Leute uns umbringen.«
Ich betrachte Jacobis sichelförmig beleuchtetes Gesicht, das hinter der Helmkante gerade noch zu erkennen ist. Dann lasse ich den Blick zu Joe in der Hängematte neben ihr weiterwandern. Unsere Anzüge knarren in den Schlingen. Hier sind wir zu sechst. Wie viele Russen stecken in den letzten beiden Oscars? Keine volle Besatzung. Keinesfalls sechs. Möglicherweise nur drei und damit nicht genug, um richtige Teams zu bilden, die den Stress miteinander teilen und die Panik bezwingen können.
Da wir nicht zusammen gekämpft haben und nicht genug Zeit hatten, einander kennenzulernen, haben sie keinen großen Eindruck bei mir hinterlassen. Abgesehen von Litwinow natürlich und denjenigen, die auf dem Roten gestorben sind . und Uljanowa, die auf der anderen Seite unseres Oscars leise vor sich hinsingt.
Eine ganze Weile vergeht. Im zweiten Oscar meldet Borden eine lockere Formation weicher Ziele. Sie sind organisch. »Sieht wie ein Fischschwarm aus«, sagt sie. »Ob die wohl von hier stammen?«
Niemand antwortet. Keiner von uns kann es bestätigen oder verneinen. Wir schließen unsere Helmplatten, aktivieren die Visierdisplays und konzentrieren uns auf die Streitkräfte vor uns. Ich sehe keine weichen Ziele oder irgendetwas anderes, das sie mit organisch gemeint haben könnte - wabbelig und lebendig. Stattdessen kommen weitere Maschinen in Sicht, zwölf an der Zahl. Sie sind länger und dicker als die Oscars und werden von Spähern eskortiert, wie wir sie noch nie gesehen haben - Robotfalken mit gezackten Schwingen von zehn Metern Spannbreite, ausgestattet mit Blitzerwaffen und Behältern voller Schneidewerkzeuge. Schlachtervögel, schießt es mir durch den Kopf.
»Die Oscars werden gleich wie Hummer aufgeknackt«, ertönt DJs Stimme aus Litwinows Schiff.
»Halt's Maul!«, sagt Ischida, die selbst ein halbes Krustentier ist.
Die Diskussion im vierten Gefährt hat sich inzwischen zu einem Streit ausgewachsen, in den sich nun auch die Besatzung des fünften einmischt. Die Russen verlieren den Zusammenhalt. Litwinow ist nicht bei ihnen und hat nicht genügend Einfluss auf sie.
Es tut weh, ihnen zuzuhören.
Uljanowa singt immer noch leise vor sich hin. Aber dann öffnet sie die Augen und sieht mich direkt an.
Sie lächelt.
Reflexartig lächle ich zurück. Verdammt.
Joe tippt sich an den Helm und dreht sich in der Hängematte zu mir herum. Er blickt mich forschend an. Hat er es mitbekommen? Ich versuche mich zu fassen.
Uljanowa hat sich wieder abgewandt.
»Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Mitstreiter und wir am gleichen Strang ziehen«, sagt Joe.
Ich möchte keine weitere Instauration erleben, keinen Guru-Moment mehr. Nicht hier und nicht jetzt. Aber was für eine Rolle spielt die Starshina bei dieser Sache?
Wir sehen zu, wie sich die Falken mit den Zackenflügeln in dem dichten Eispudding auffächern, sich vor und hinter uns postieren, um alle Fluchtwege zu blockieren. Bestenfalls bedeutet das nur, dass die Antags sehr, sehr vorsichtig sind. Das würde mich nicht überraschen, angesichts unserer gemeinsamen Geschichte. Und ich finde unsere neue Beziehung ja selbst merkwürdig.
Sie tun alles, um uns von Verteidigungsmanövern oder Angriffsversuchen abzuhalten. Aber was sollten wir mit unseren fünf Oscars auch schon gegen ihre zwölf großen Schiffe ausrichten? Vielleicht so tun, als hätten wir kapituliert, und dann zuschlagen, sobald sie in ihrer Wachsamkeit nachlassen?
Wer weiß schon, was vor unserer derzeitigen Waffenruhe hier auf dem Titan passiert ist? Sicher hat es jede Menge Fallen und Kriegslisten gegeben.
»Worauf zum Teufel warten die?«, stößt Jacobi hervor.
Das Gleiche frage ich mich auch. Wir leisten keinen Widerstand. Wie werden sie uns hier rausschaffen, sich um uns kümmern? War das nicht der Deal? Wie lange können sie und wir es uns noch erlauben, hier herumzuhängen?
Was halten sie von den neuen Menschenschiffen, die von der Oberfläche herabtauchen und zweifellos alles vernichten wollen?
Schließlich fange ich ein paar verwirrende Gedanken meines Antag-Gegenübers auf. Ihre Schiffe im Orbit werden angegriffen. Genau wie auf dem Mars sind wir alle ins Visier geraten. Die Unterstützer der Gurus wollen die Menschen genauso aufspüren und vernichten wie die Antags. Und auf dem Mars haben wir viele Hinweise gefunden, dass die Antags in ganz ähnliche Fraktionen zerfallen sind.
Frage.
Wieder die Stimme des Archivverwalters. In der Regel ertönt sie, wenn Entscheidungen anstehen. Im Moment fallen mir jedoch keine relevanten Fragen ein. Außerdem befassen sich die Käfererinnerungen nicht mit gegenwärtigen Situationen und ihren möglichen Folgen. Oder etwa doch? In der Stimme des Verwalters liegt eine gewisse Dringlichkeit. Vielleicht weiß er etwas oder ist tief in meine Gedanken eingedrungen und schlau genug, um seine eigenen Vermutungen anzustellen.
Aber was? Ich wähle einfach eine der zahllosen Fragen aus, die mir durch den Kopf schwirren. Wenn wir Titan verlieren .
»Gibt es noch weitere Archive wie dieses?« Ich fühle, dass DJ meine Frage gutheißt.
Unbekannt. Soweit ich beurteilen kann, was du weißt, wird es schon bald einen massiven Einsatz von Kräften geben, die diesen Mond zerstören sollen.
»Wissen wir bereits genug, um allein zu überleben?«
Unbekannt.
»Wo sind die Archive, von denen du weißt?«
Darüber gibt es kein gesichertes Wissen. Auf den kalten Monden in den staubigen Zonen könnte es noch welche geben. Oder vielleicht haben es unsere Ingenieure geschafft, ein paar Archive auf größeren Welten fern der Sonne zu errichten. Damals, bevor unsere eigenen Kriege uns fast ausgelöscht hätten.
Aha, denke ich. »Die Antag erlaubte uns einen kurzen Blick auf etwas, das sie als >Sonnen-Planet< bezeichnet. Ist das einer der Orte, die du meinst?«
Kann sein. Vielleicht war das die letzte Welt, auf der unsere Art gelebt hat, bevor wir ausstarben. Seither sind viele Millionen Sonnenzyklen vergangen, aber möglicherweise hat diese...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.