Schweitzer Fachinformationen
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"Araaaance, arance fresche dell'Etna!" Carmines Marktschreiersingsang hallt durch die barocke Altstadtgasse Palermos mit ihren abblätternden Fassaden - lang gezogenes Falsett wie klagende arabische Musik. Jalousien öffnen sich. Schwarz gekleidete Witwen treten auf Balkons mit Kanarienvögeln. Lassen am Strick den paniere, den aus Weiden geflochtenen Einkaufskorb, hinunter. Auf dem bunt gerosteten, dreirädrigen Ape-Lastwagen türmen sich Pyramiden von Blutorangen. Der Parfümduft der Agrumenblätter mischt sich mit der brütenden Sommerhitze und dem Duft von in Knoblauch gebratenem Schwertfisch, der aus einer Trattoria mit Neonlicht und flimmerndem Fernseher dringt. Sicilia eterna, es gibt dieses entschleunigte, dieses ewige Sizilien tatsächlich. Aber wer ein paar verwirrend chaotische Altstadtviertel oder die sinnbetörende Hektik des Fischmarkts für die volle sizilianische Realität nimmt, hat definitiv den Anschluss an die Gegenwart verpasst.
Hupende Studentinnen in knappen Jeans und mit hüftlangen rabenschwarzen Locken, die auf ihrer Vespa einen "Mafia-No-Grazie"-Aufkleber platziert haben, sind weder Vorzeige- noch Alibifrauen, sondern schlichtweg Normalität. Die Großmuttergeneration der nonna hatte noch gezaudert, außer zum Kirchgang die Straße zu betreten. Aktivismus wie Fahrradfahren und Wandern (escursionismo) gilt plötzlich unter jungen Sizilianern als hip. Im Naturschutzgebiet Riserva dello Zingaro im äußersten Nordosten erproben einheimische Gruppen ihr neues Trekking-Schuhwerk - streifen vorbei an aufgelassenen Thunfischfangstationen, gelb blühender Wolfsmilch und türkisblauen Buchten. Und renovierte Landgüter locken als agriturismi zivilisationsmüde Norditaliener ebenso wie auf Biokost eingeschworene deutsche Familien an. "Nero d'Avola" ist zum heimischen Kultwein avanciert - Topwinzer veredeln die Trauben durch Reifung in Tonamphoren.
Im einzig wirklich touristischen Ort der Insel, in Taormina mit dem millionenfach fotografierten Ätnablick, sprießen wie zur Belle Epoque die Fünf-Sterne-Nobelherbergen aus dem Boden. Zahlungskräftige Gäste sind oft die Wochenendurlauber aus den nahen Großstädten. Umgekehrt mischen sich kaum Urlauber unter die quirlig-laute movida, die in Sommernächten Catanias lavagetünchtes Centro storico durchtobt. Hier feiert man ausgelassener als in der melancholischen Metropole Palermo. Provinzstädtchen wie Comiso oder Acireale verblüffen durch die Fülle eleganter Modeboutiquen - Mann ist mit dunklem Anzug und Krawatte in Sizilien am einheimischsten angezogen. Oder mit rosa T-Shirt als tifoso von Palermo Calcio - seit Jahrzehnten mischt endlich wieder ein sizilianisches Team in Italiens Profifußballliga mit.
Ein weinerlicher Süden, der sich als Opfer sieht, dem außer organisierter Kriminalität, Auswanderung und Armut kaum Alternativen bleiben, dieses Bild stimmt nicht mehr. Vittimismo als Geisteshaltung ist passé. Selbst die Krake Mafia ist zum Wirtschaftsmotor und zur cineastischen Attraktion mutiert. Seit die Provinz Palermo auf Reisemessen mit Betrieben wirbt, die den pizzo (Schutzgeld) verweigern, wirkt die Bedrohung eher tourismusfördernd. "Wir sind Anti-Mafia" als Reiseerlebnis! Die Schiebermütze der sonnenverbrannten Landarbeiter und sizilianischen Gangster ist knatschbunt gestreift als freche Hollywood-Kopfbedeckung zurückgekehrt. Selbst die Baristinnen am Airport tragen mit anmutiger Lässigkeit ihre coppola.
Sicilia est insula - an dem lateinischen Paukersatz ist was dran. 25 709 km2, die größte Insel des Mittelmeers; und eine sehr besondere dazu. Sie liegt näher an Libyen und Tunesien als an Mailand. Und ist zu potent, zu kulturträchtig, zu modern, um sich hinter Provinzialität und mediterraner Grenzlage zu verstecken. In Syrakus improvisierten antike Griechen die ersten Komödien, die Tempel Agrigents faszinieren durch die Harmonie der Proportionen. Carpaccio oder Sashimi: Starköche aus Trapani oder Ragusa jetten nach Tokio, um Japaner in die Geheimnisse der cucina siciliana einzuweihen. Dolce donna mia . am Hof des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. reifte das Italienische zur Literatursprache. Programmierer und Softwareentwickler im Etna Valley haben sich längst ins Computerenglisch eingeklinkt. Und in der Jugendstilkulisse des gigantischen Teatro Massimo in Palermo wird nach Jahren des Verfalls wieder geschmettert: Bellini, Wagner, Puccini. Die Jugend kokettiert derweil ganz unbekümmert mit ihrem orientalischen Kulturerbe - "Arab revival" nennt man es hier. Fernsehköchinnen schwärmen von den islamischen Wurzeln der cassata. A la longue werden sich durch die maghrebinischen Umwälzungen auch für Sizilien andere Optionen ergeben, als auf Lampedusa Flüchtlinge aufzunehmen - ohne tunesische Gastarbeiter würde der Export-Fischerhafen Mazara del Vallo schon jetzt nicht mehr funktionieren.
Un ponte sullo stretto - auch ohne das umstrittene Brückenprojekt über die Meerenge von Messina nach Reggio di Calabria sind die über 5 Mio. Sizilianer und Sizilianerinnen längst näher an Europa gerückt. Als Richter und Dichter, Automechaniker und Barbesitzer, Carabinieri und Filmemacher haben sie Italien längst im positiven Sinn unterwandert. Und doch scheint Sizilien manchmal ein Kontinent für sich zu bleiben. Anderen Rhythmen, Regeln und Farben zu folgen. Intensiver zu sein. Nirgendwo leuchten Kirschen und Feigenkakteen, Schlangengurken und schwarz polierte Auberginen bunter. In keiner Oper wird so laut geschrien wie in der Cavalleria Rusticana. Wo hallt die Trauermusik der Osterprozessionen scheppernder durch Bergstädtchen, schleppen sich Kinder als Nonnen und Mönche hinter Passionskarren durch die Karfreitagnacht? Spanier und Hellenen, Albanier und Franzosen, Normannen und Nordafrikaner - sie haben Festungen und Dome, Sagen und Speisen, Musik und Gesichter hinterlassen. Multikulturell ist diese Insel seit Jahrtausenden . eine Überfülle historischer Anschaulichkeit.
Die sprießende Vegetation mit violetten Kaskaden von Bougainvillea, stacheligen orangen Opuntienfrüchten, silbergrauen Oliven und knorrigen Johannisbrotbäumen in den Küstenregionen steht als scharfer Kontrast zum schwefelreichen, menschenleer wirkenden Landesinneren. Wogende Kornfelder, verwachsene Wanderpfade und Schafherden in der Macchia. Üppig auch die Vielfalt der Strände: vom feinen Sand der Nordküste, der das Fischerstädtchen Cefalù am Fuße der Kalksteingipfel der Madonie rahmt, bis zum Lavagries der Äolischen Insel Lipari. Blaue Grotten zu Füßen Taorminas oder die Vulkanklamm der Gola d'Alcantara. Sizilien ist das sinnenfreudige Konzentrat des Südens!
Sizilianer feiern die Freundschaft, lieben das Gespräch, können sich wie Andrea Camilleris Commissario Montalbano stundenlangen Gastmählern hingeben. Bella figura, verschwenderisches Trinkgeld, demonstrativer Müßiggang, das unermüdliche Taxieren und Kommentieren mit erotischem Unterton sind Konstanten der sicilianità. Und die Freude am persönlichen Kontakt. Das kann manchmal sehr schnell gehen. Die Freundin, die den Orangenverkäufer Carmine mal eben fotografieren wollte, sah sich unvermutet einer Fülle weiterer spontaner Fotomodelle gegenüber - anche a me, warum nicht auch mich, drängte sich plötzlich Rosario, der hagere Padrone der Trattoria ins Geschehen und stemmte stolz ein Tablett mit cannoli, frisch gefüllt mit kandierten Früchten und Schafsricotta in die Luft .
800-580 v. Chr.
Gründung vieler phönizischer und griechischer Städte an den Küsten Siziliens
241 v. Chr.-468 n. Chr.
Nach dem 1. Punischen Krieg bleibt Sizilien für nahezu 700 Jahre eine römische Provinz
827-1061
Sizilien unter arabischer Herrschaft, Palermo wird 901 Hauptstadt
1061-91
Die Normannen erobern Sizilien. In den 150 Jahren normannisch-staufischer Herrschaft bildet sich eine Hochkultur, die arabische, byzantinische und europäische Traditionen verbindet
1266
Nach dem Tod des Stauferkaisers Friedrich II. setzt der Papst das französische Anjou-Geschlecht als Könige von Sizilien ein
1282-1700
Sizilien unter der Herrschaft der spanischen Krone
1734-1860
Herrschaft der in Neapel regierenden Bourbonen
1860
Die Eroberung Siziliens durch Garibaldi ist Auftakt zur Einigung Italiens
Um 1870
Beginn der Auswanderung nach Amerika, zehn Jahre später Beginn der organisierten Mafiakriminalität
1943-47
Mafiaterror, Schwarzhandel und Separatisten stürzen Sizilien fast in einen...
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