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Ja, ich lernte mein Handwerk von der Pike auf. Aber an der noblen Otto-Falckenberg-Schule an der Maximilianstraße hatten manche Führungskräfte einen Pik auf mich. Mehr als einmal wollte ich alles hinwerfen. Ich brauchte keine hohe Kunst, um glücklich zu sein, mir hatte es auch im Büro gefallen. Diese Gewissheit ließ mich vieles gelassener sehen als andere, die alles auf diese Karte setzten, nach dem Motto: Entweder ich werde Schauspielerin oder ich bring mich um. Ja, in meinem Beruf gibt es viele dramatische Charaktere. Hin und wieder denk ich mir, dass ich so was auch gerne mal spielen würde. Vergeistigt, abgehoben, klares Hochdeutsch. Gern auch mal gekünstelt. Natürlich könnte ich es. Aber nach so vielen Jahrzehnten als bodenständige, warmherzige, taffe, dialektsichere Schauspielerin, wie ich häufig gesehen werde, besetze ich nicht nur ein Fach, sondern eine ganze Schublade. Und so sind meine Rollenangebote meistens anders. Schauspieler werden nach Typen besetzt. Bei mir war das Etikett spätestens nach der Rumplhanni fertig geschrieben. Aber wie gesagt . ich könnt auch anders, wie ich es in drei intensiven Jahren an der Otto-Falckenberg-Schule gelernt habe.
Zu Beginn wusste ich nicht, worauf ich mich einlasse. Herr Nowak hatte diese Ausbildung empfohlen, das genügte mir. Ja, ich wusste nicht einmal, dass Hunderte von Bewerbern auf sehr wenige Plätze hofften. Ich wollte einfach etwas lernen, besser werden. Im Weltall wurde zur selben Zeit ein ganz anderes Stück uraufgeführt: die erste Mondlandung im Jahre 1969. Was gar nicht so weit hergeholt ist. Denn ein bisschen wie auf dem Mond sollte ich mich in den nächsten Jahren tatsächlich fühlen.
Mit Herrn Nowak studierte ich verschiedene klassische Rollen ein, darunter das Gretchen aus Goethes Faust und Maria Stuart von Schiller. Außerdem schrieb ich selbst ein Stück, in dem ich fünf verschiedene Personen darstellte, die in einem Biergarten aneinandergeraten: ein älteres Ehepaar, ein Hippiepärchen und eine Kellnerin. Was mir einfach großen Spaß machte, hatte mehrere Ebenen, freute sich Herr Nowak in seiner Interpretation: Generationenkonflikt, Dramatik und schließlich ein Happy End, für das ich mich mit meinem letzten Satz entschied: Die Hippies bezahlten die Rechnung für die Alten, die zechgeprellt hatten. Im Gegensatz zu den klassischen Stücken spielte ich meine Eigenkreation im Dialekt. Nun . was heißt hier im Gegensatz? Ich weiß nicht, wie mein Hochdeutsch seinerzeit klang. Wahrscheinlich kräftig bairisch eingefärbt. Darüber machte ich mir keine Gedanken. Es ist ja noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Ich wollte auf die Schauspielschule, um zu lernen. Dass die Sprache dazugehörte, war mir klar. Unter anderen Begriffen wie Theaterwissenschaft, Fechten, Jazztanz, Gesang konnte ich mir noch nicht allzu viel vorstellen.
Ja, ich war wirklich auf dem Mond gelandet. Circa zwanzig junge Frauen und Männer saßen in einem großen Raum, die Kandidaten dieses Prüfungstages. Könnte man Angst riechen - man wäre schreiend weggelaufen. Oder hätte gekämpft. Gegen das Lampenfieber zum Beispiel. Manche starrten an die Wand, andere flüsterten vor sich hin, wieder andere wirkten wie kurz vor einer Ohnmacht. Gelegentlich hörte ich dramatische Andeutungen: Wenn die mich nicht nehmen, spring ich von der Brücke, häng ich mich auf, dreh ich durch.
Hm. Wenn die mich nicht nehmen, dachte ich, gehe ich zurück ins Büro. Was war mit meinen Mitbewerbern los? Es handelte sich doch nur um eine Aufnahmeprüfung. Unsere Eignung sollte festgestellt werden. Das war doch kein Grund, aus dem Fenster zu springen!
Mein Name wurde aufgerufen. Ich betrat die Bühne, im Zuschauerraum saß ein Dutzend Menschen. Einer fiel mir auf, weil er einen roten Schal trug. Ich führte ein knallrotes Kleid mit weißen Streifen vor, die Stöckel an meinen Schuhen konnten sich sehen lassen, und meine Haare waren hochtoupiert. So fühlte ich mich auch: großartig. Ich begann mit einem klassischen Monolog, merkte dann aber, dass die Stöckel mich störten. »Entschuldigung. Ich muss noch mal anfangen, weil das mit den Schuhen auf dem Boden hier nicht geht«, brach ich ab.
Leichte Irritation im Publikum. Ich zog die Schuhe aus und fing noch einmal an auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Als solche bestehen sie aus Holz, und da kann schon mal was passieren.
»Entschuldigung. Ich müsste jetzt noch mal neu beginnen. Ich hab mir nämlich einen Schiefer eingezogen.«
»Schiefer eingezogen?«, hörte ich es aus dem Zuschauerraum flüstern.
»Spreißel in den Fuß getreten«, übersetzte jemand.
Drei, vier andere lachten. Ohne mich besonders zu beeilen, zog ich den Schiefer aus der Fußsohle. Schließlich wollte ich ihn im Ganzen erwischen, sonst müsste ich ja noch einmal neu ansetzen. Beim dritten Anlauf klappte alles. Ich spielte die klassischen Rollen und kündigte an, dass ich abschließend etwas Selbstgeschriebenes präsentieren wollte.
»Bitte.«
Ich verwandelte mich in meine fünf Figuren, und schon nach wenigen Worten lachte jemand schallend, andere folgten. Am Ende erhielt ich reichlich Applaus und hatte das Gefühl, meine Sache gut gemacht zu haben. Die Bestätigung kam etwas später per Post. Von einhundertfünfzig Bewerbern wurden in diesem Jahr zwölf genommen, und ich gehörte dazu.
»Ein Telegramm hätten sie schicken sollen!«, freute sich mein Vater. »Dann hätte ich das meiner Tochter selbst aushändigen können.«
Herr Nowak drückte mir lange die Hand. »Meine Monika. Ich wusste es. Von Anfang an wusste ich es.« Dann hatte er was im Auge und musste mal ins Bad.
Immer noch gut drauf: mein Lehrer und Förderer Hubert Nowak 2019.
Es war Brauch, dass die Neuen kurz nach ihrer Aufnahmeprüfung für die Schülerinnen und Schüler der höheren Klassen und alle Lehrkräfte spielten. Da mein selbst geschriebenes Stück so gut angekommen war, zeigte ich es abermals. Natürlich im Dialekt.
Wieder erntete ich viele Lacher und kräftigen Applaus. Nach mir hielt ein Mann mit Koteletten eine Rede. Lang und breit lobte der Intendant der Münchner Kammerspiele den Ruf der Schule, nannte Namen von Rang und hob die Bedeutung einer fundierten Ausbildung hervor, die es in dieser großartigen Form kaum woanders gäbe. Man gewann den Eindruck, Deutschland wäre ein Entwicklungsland ohne diese Schule, die eine Elite junger Menschen darauf vorbreitete, unsere Klassiker, Goethe, Schiller, aber auch internationale wie Shakespeare am Leben zu erhalten. Denn hatten wir angehenden Schauspieler nicht alle eine bedeutende Aufgabe? Waren wir nicht dazu auserkoren, die Menschen da draußen aufzuklären, aufzurütteln, ihnen Zugang zu Bildung möglich zu machen? Da sei kein Platz für . schaute er zu mir? »Dialekt«, sagte der Mann mit Koteletten. »Und Dummheit«, fuhr der Mann fort. Und redete weiter, und es kam mir so vor, als würde er nur noch zu mir, nein, über mich sprechen. Er schien nicht einverstanden damit zu sein, dass eine wie ich an dieser herrlichen, einzigartigen, niveauvollen Schule studierte. Die Lacher im Publikum, die mich eben noch so glücklich gemacht hatten, wurden mir nun zum Verhängnis. Denn Lacher, so donnerte August Everding, seien kein Qualitätskriterium. Ganz im Gegenteil. Und damit ich das auch wirklich verstand, pickte er mich heraus, piekte in mich hinein, forderte mich auf, zu ihm zu kommen.
»Nora«, rief er. »Wer hat das geschrieben?«
Völlig perplex stand ich vor ihm. Ich war so erschrocken und eingeschüchtert, dass sich der Vorhang senkte. Ich konnte nicht sprechen.
»Nora oder ein Puppenheim«, wiederholte er drohend.
Ich starrte ihn an. War das ein Verhör?
»Dachte ich mir«, feixte er und war noch immer nicht zufrieden. »Cocteau«, piekte er, fixierte mich. »Lebt der noch?«
Selbst wenn ich gewusst hätte, wer Cocteau war, ich hätte nicht antworten können. Gnadenlos vorgeführt und zutiefst gedemütigt starrte ich auf den Boden. All meine Spielfreude und die Freude über das Lachen meiner Mitschüler waren verflogen, ja mehr noch: Allein dass ich mich darüber gefreut hatte, schien zu beweisen, dass ich nicht hierhergehörte, wie es der Mann mit den Koteletten eben dargelegt hatte, als er die Ideale der Otto-Falckenberg-Schule pries, einer Institution, an der nur die Besten der Besten eine Chance bekämen.
Als ich wieder auf meinem Platz saß, wusste ich nicht, wie mir geschehen war. Ich fühlte mich wie ein Lämmchen auf der Schlachtbank.
»Wer ist Cocteau?«, flüsterte ich dem neben mir Sitzenden zu.
Und erhielt nicht nur die Antwort, sondern auch Trost. Viele Schauspielschüler kamen zu mir und versuchten, mich aufzumuntern. »Das macht der immer«, hörte ich. »Jahr für Jahr pickt der sich jemanden raus, und diesmal hat es eben dich erwischt.«
Es traf mich nicht nur in diesem Jahr, sondern jedes Mal, drei Jahre lang. August Everding konnte mich nicht ausstehen - oder das, was ich repräsentierte. Ich glaube, es war für ihn schon eine Zumutung, dass diese elitäre Schule in München beheimatet war, da, wo dieser schreckliche Dialekt gesprochen wurde. Den es auszumerzen galt. Ja, deswegen war ich hier. Ich wollte lernen. Aber ich wollte meine Sprache nicht töten, sondern eine neue dazulernen. Ich wollte nicht weniger werden, sondern mehr. Weniger war ich doch von Haus aus schon, als Einzige ohne Abitur. Eine Außenseiterin von der Realschule. Viele meiner Mitschülerinnen und -schüler...
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