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Siedlerkolonialismus in Palästina; Unterstützung des Siedlerkolonialismus durch Europa und die USA; Die Anfänge der palästinensischen Nationalbewegung 1897-1947/48: Widerstand gegen Siedlerkolonialismus
1897 fand in Basel/Schweiz der Gründungskongress für die zionistische Bewegung unter der Ägide seines ideologisch-programmatischen Vaters Theodor Herzl statt. Die Ziele der neuen zionistischen Bewegung waren für jeden unübersehbar klar. Palästina sollte in einen jüdischen Staat transformiert werden. Für die palästinensische Gesellschaft, für die indigene Bevölkerung, gab es dort keinen Platz. Sie gehörten zu den »Barbaren«, gegen die der jüdisch-zionistische Staat eine Mauer bilden sollte. Auf der einen Seite der neue Staat, der sich als Teil des kolonialistischen Westens, der »Zivilisation«, verstand; auf der anderen Seite die arabische Welt, die Welt der »Barbaren«. Dorthin sollten alle Palästinenser in einem »Bevölkerungstransfer« gebracht werden.
Die kolonialistische Programmatik, die Herzl in seinen entscheidenden Schriften, »Der Judenstaat« von 1896 sowie dem utopischen Roman »Altneuland« von 1902, entwickelte, ist für jeden aufmerksamen Leser deutlich entfaltet. Im Kapitel »Der Plan« in »Der Judenstaat« wird klar ausgedrückt, dass es um die Schaffung eines Staates mit voller Souveränität geht und dass dieser Staat »unter dem Protectorate der europäischen Mächte« stehen soll.
Herzl war sich bewusst, dass die zionistische Bewegung die Unterstützung mächtiger europäischer Staaten brauchte. Er versuchte, diese Unterstützung zu bekommen, zuerst im Deutschen Reich. Als er damit gescheitert war, konzentrierte er seine Anstrengungen auf Großbritannien. Dort war er letztendlich, auch wenn sich der Prozess relativ lange Jahre hinzog, erfolgreich.
Noch ehe es zu dieser vollen Unterstützung des zionistischen Projektes kam, erfolgte die erste klare palästinensische Kritik an den Plänen Herzls aus Jerusalem und zwar durch Yusuf Diya-addin al-Khalidi. Am 1. März 1899 schrieb er einen Brief3 an den französischen Oberrabbiner Zadok Kahn, der ein enger Freund Herzls war. Dieser leitete den Brief weiter.
Wie argumentierte Yusuf al-Khalidi? Er begann taktisch sehr klug, indem er darauf hinwies, dass Juden wie Araber in Abraham einen gemeinsamen Vorfahren hätten und deshalb Cousins seien. Und er gestand der zionistischen Bewegung auch zu, dass sie historische Rechte auf Palästina hätte. Allerdings, und dann ging er zur zentralen Kritik über, existiere eine neue Realität in Palästina, und Herzl und die zionistische Bewegung hätten keine Alternative, als sich mit dieser zu konfrontieren.
Palästina sei Teil des Osmanischen Reiches, vor allem aber sei es nicht von Juden, sondern von anderen Menschen bewohnt. »Diese Realität . bietet dem Zionismus keine Hoffnung auf Realisierung« seiner Ziele. Yusuf al-Khalidi empfahl Herzl deshalb, anderswo nach einem Ort zu suchen, an dem die zionistischen Pläne umzusetzen wären, denn nur dies sei die einzig »rationale Lösung der jüdischen Frage«. Sein Brief endet mit einem dringenden Appell: »Aber, im Namen Gottes, lasst Palästina in Ruhe.«
Zwei Dinge sind erwähnenswert und werden oft übersehen, wenn auf den Brief al-Khalidis Bezug genommen wird. Al-Khalidi macht Herzl darauf aufmerksam, dass es auch in Palästina, wie überall in der Welt, Fanatiker gäbe, die die Juden hassen würden. Er verweist dabei in erster Linie auf fanatische orthodoxe und katholische Christen, aus deren Sicht Palästina nur ihnen gehören würde. Außerdem würden diese Christen keine Chance auslassen, auch Muslime gegen die Juden aufzuhetzen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die wohl größte Fehleinschätzung des sonst fast prophetischen Briefs al-Khalidis. Er warnt nämlich Herzl, dass keine Großmacht bereit sei, mit Waffen und Soldaten für die Schaffung eines jüdisch-zionistischen Staates in Palästina zu kämpfen. Dies treffe insbesondere auch auf die den Juden am meisten gesonnenen Staaten wie Großbritannien und die USA zu.
Theodor Herzl schickte folgende Antwort4 an Yusuf al-Khalidi: Sein Hauptargument ist, dass »die indigene Bevölkerung realisieren müsse, welche wunderbaren Brüder sie bekäme, genau wie der Sultan treue Bürger erhielte, die diese osmanische Provinz, ihr historisches Vaterland, zur Prosperität bringen würden.« Außerdem weist er darauf hin, wie »friedlich (die Juden) seien und dass sie einfach nur in Ruhe gelassen werden wollten. Es bestehe deshalb absolut kein Grund, sich vor ihrer Einwanderung zu fürchten.«
Interessant, wie er auf das Argument al-Khalidis bezüglich der Existenz einer indigenen Bevölkerung eingeht. Zum einen nennt er sie schlicht »die nicht-jüdische Bevölkerung«. Zum zweiten weist er entschieden zurück, dass irgendjemand vorhabe, »sie zu vertreiben.«
Ganz im Gegenteil, so Herzl: der Preis ihres Landbesitzes würde sich innerhalb von Monaten vervielfachen. Schließlich betont Herzl, dass die heiligen Stätten in Jerusalem der ganzen Welt gehörten, den Muslimen genauso wie den Christen und den Juden. »Der universelle Frieden, auf den alle guten Menschen hofften, würde sein Symbol in der brüderlichen Einheit an den heiligen Stätten finden.«.
Zum Vorschlag Yusuf al-Khalidis einer »rationalen Lösung der Judenfrage« antwortet Herzl mit Erstaunen und einer impliziten Drohung: Einerseits meint er, dass die zionistische Bewegung kein Problem haben würde, einen anderen Ort für die Realisierung ihrer Pläne zu finden. Allerdings weist er darauf hin, dass der Sultan und das Osmanische Reich enorme Vorteile hätten, würden sie die zionistische Bewegung willkommen heißen. Dabei weist er nicht zuletzt auf die Möglichkeit hin, dass die Pforte eben damit ihre finanziellen und ökonomischen Probleme lösen könne.
Wie ist dieser Brief zu interpretieren? Wir können uns nur der Bewertung5 von Rashid Khalidi anschließen:6 »Herzl unterschätzte seinen Briefpartner.«7 Yusuf al-Khalidis Brief zeigt deutlich, dass er sehr genau verstanden hatte, dass es keineswegs um die Einwanderung einer begrenzten Zahl von Juden ging, sondern vielmehr um die Transformation des gesamten Landes in einen jüdischen Staat. Die Antwort Herzls ließ für al-Khalidi deshalb nur zwei Folgerungen zu: Entweder wollte ihn der zionistische Führer täuschen, indem er die wahren Ziele der zionistischen Bewegung zu unterschlagen versuchte. »Oder aber er meinte, Yusuf al-Khalidi und überhaupt alle Araber Palästinas seien es nicht wert, ernstgenommen zu werden.«8
Rashid Khalidi kritisiert die selbstgefällig-herablassende Einstellung kolonialer Europäer des 19. Jahrhunderts, die meinten, sie könnten die Palästinenser bestechen und gleichzeitig an der Nase herumführen bezüglich der zionistischen Pläne und des zionistischen Denkens. Entscheidend ist, dass diese Haltung und die davon geprägte Politik bis heute andauern. Sie bestimmt nach wie vor die Ideologie und Politik Israels und der sie unterstützenden Staaten wie die USA und die europäischen Länder.9
Zum Schluss betont Herzl, dass dies zweifellos die letzte Chance für Istanbul sei und er spreche in diesem Brief als Freund der Türken. Sein letzter Satz enthält schließlich eine vage implizite Drohung: »Erinnert Euch daran!«
Im Rückblick lässt uns eine Inschrift in Salzburg innehalten und fragen, wie anders sich die Geschichte Palästinas hätte entfalten können ohne den virulenten Antisemitismus in Europa, nicht zuletzt in Österreich-Ungarn.
In dieser Inschrift lesen wir nämlich: »In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu. Ich wäre auch gerne in der schönen Stadt geblieben. Aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden.«10 Herzl schrieb diese denkwürdigen und historisch so bedeutsamen Sätze über seine kurze Arbeit in Salzburg im Sommer 1885.
Ilan Pappe zeigt einen weiteren - und meist systematisch ausgeklammerten - Ursprung des Zionismus auf, wenn er auf die evangelikalen Christen und ihre ideologischen und politischen Aktivitäten hinweist, die um ihre Unterstützung einer Rückkehr der Juden nach Palästina kreisten.11 An dieser Stelle kann aus Platzgründen nicht weiter darauf eingegangen werden. Entscheidend für unsere Analyse ist die Entwicklung der Agitation der zionistischen Bewegung und Herzls, nicht zuletzt durch ihre Lobbyarbeit in Großbritannien, die über eine längere Periode hin zur Balfour-Erklärung führte. Ilan Pappe betont die zentrale Rolle eines britischen Papiers aus dem Jahre 1915, »Die Zukunft Palästinas«, ein Memorandum12 verfasst von Herbert Samuel. In diesem Memorandum fasste Samuel im Auftrag der zionistischen Bewegung deren Ansprüche zusammen. Sie sollten »die Basis für die Diskussion der zukünftigen Politik Großbritanniens gegenüber Palästina werden.«13
1918 hatte Großbritannien ganz Palästina militärisch besetzt. Im Anschluss daran einigte es sich mit seinen Verbündeten aus dem Ersten Weltkrieg und mit dem Völkerbund, dass es im Rahmen eines zu errichtenden Mandates frei über die Zukunft des...
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