Schweitzer Fachinformationen
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Jerusalem und Gaza, Palästina und Israel haben, wieder einmal, weltweit die Schlagzeilen dominiert. Gewalt auf dem Haram asch-Scharif, dem drittheiligsten Ort für Muslime weltweit, Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und der schwer bewaffneten israelischen Grenzpolizei am Damaskus-Tor in Jerusalem wegen Polizeiabsperrungen trotz Ramadan, Demonstrationen im Stadtteil Scheikh Jarrah gegen die drohende Vertreibung der Bewohner aus ihren Häusern, schließlich »Raketen«-Beschuss auf Israel aus dem Gaza-Streifen und eine brutale Bombardierungskampagne der israelischen Armee gegen Gaza.
Worum ging es, worum geht es bis heute?
Geht es um den Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung und um ihren Kampf um Freiheit und ein Leben in Würde? Oder geht es um Israels »Recht auf Selbstverteidigung« gegen den Beschuss aus dem Gaza-Streifen, Selbstverteidigung durch einen Angriffskrieg, der zuerst und vor allem die Zivilbevölkerung dort trifft? Die Antwort auf diese Frage durch die Regierungen in Berlin und Wien war unmissverständlich. In Wien wurde die israelische Flagge auf dem Bundeskanzleramt gehisst, in Berlin war ausschließlich die Rede vom Selbstverteidigungsrecht Israels. Bei seinem Blitzbesuch in Israel konzentrierte sich der deutsche Außenminister Maas allein auf den israelischen Standpunkt. Die Menschen im Gaza-Streifen schienen für ihn nicht zu existieren.
In einem Buch, konzipiert für Leser im deutschen Sprachraum, vor allem in Österreich und Deutschland, kommt man nicht umhin, den ganz besonderen Umgang Deutschlands und Österreichs (vor allem auf der Ebene der politischen Eliten) mit Palästina und Israel an den Anfang zu stellen.
Der Konflikt in der nahöstlichen Region scheint bei uns zwei Dimensionen anzunehmen:
1.) die reale Situation vor Ort: Sie wird vor allem von den politischen Eliten, und zumindest in deren öffentlichen Erklärungen, systematisch verdrängt bzw. ausschließlich aus der Sicht des israelischen Establishments wahrgenommen.
2.) der hegemoniale Diskurs in Österreich und Deutschland: Er besteht aus einem Narrativ, mit dem die Wahrnehmung der Situation und der realen Entwicklungen vor Ort verzerrt oder sogar völlig verhindert wird.
Die reale Situation vor Ort, und hier sind sich die Spezialisten weltweit einig, ist bestimmt von einem seit 1967 andauernden Besatzungsregime, von Siedlerkolonialismus, ethnischer Säuberung und einem spezifisch nahöstlichen System der Apartheid.
Im europäischen Diskurs, insbesondere im deutschsprachigen, wird dagegen, gerade in Krisenzeiten, diese real existierende Besatzung schlicht übersehen. Der Gaza-Streifen mit seinen 2 Millionen Bewohnern, die gesamte Gesellschaft dort, wird »uminterpretiert« zur »Hamas«, also zu »Terroristen« und »radikalen Islamisten«. Unsere Regierungen und politischen Eliten werden dabei nicht müde zu betonen, dass sie unverbrüchlich auf der Seite Israels stehen und gegen jede Art von Antisemitismus entschieden vorgehen. Dies gelte vor allem, wenn dieser neue Antisemitismus, wie immer wieder hervorgehoben wird, von Muslimen - ob Staatsbürger, Migranten oder Asylsuchende - demonstriert wird. Während sie, wie sie immer wieder herausstreichen, eine Form des Rassismus bekämpfen, entwickeln sie eine andere Form des Rassismus, nämlich Islamophobie, und scheinen sich dessen noch nicht einmal bewusst zu sein. Gleichzeitig übersehen sie immer wieder großzügig, dass Antisemitismus zuerst und vor allem Teil der Ideologie der extremen Rechten ist. Sie vergessen, dass die Vernichtung der europäischen Juden1 das Werk des rechtsextremistisch-faschistischen Nazi-Regimes und seiner Unterstützer war, als dessen Erben sich heute wieder extremistische Rechte in Deutschland verstehen. Muslime tragen dafür keine Verantwortung.
Dieses Buch versucht, Aufklärung zu leisten, indem es den Blick auf die Realitäten im historischen Palästina lenkt, also in dem 1948 errichteten Staat Israel und in den palästinensischen Gebieten Gaza, Ost-Jerusalem und West Bank, die sich seit 1967 unter israelischer Besatzung befinden.
Was also passierte im Mai 2021, zuerst in Jerusalem, danach in Gaza und Israel und schließlich im gesamten Territorium zwischen Mittelmeer und Jordan, das seit 1967 unter ausschließlicher israelischer Kontrolle steht?
Ausgelöst wurden die Ereignisse im Mai 2021 von einem präzedenzlosen Vorgehen der israelischen Polizei und Grenzpolizei (in Jerusalem wird nicht die israelische Armee eingesetzt, sondern die Grenzpolizei, deren Uniformen wie Armee-Uniformen aussehen) am Damaskus-Tor, also einem der Tore, durch die man in die Altstadt gelangt. Vor allem Jugendliche versammeln sich auf dem großen Treppen-Rondell vor dem Tor an den Abenden des Fastenmonats Ramadan, um dort zu feiern. Völlig überraschend wurden die Treppen gesperrt und keiner durfte sich dort aufhalten. Die gesamte Polizeiaktion machte keinerlei Sinn und wurde von den Jugendlichen als inakzeptable Schikane verstanden. Es kam Abend für Abend zu zunehmend gewaltsameren Zusammenstößen, bis die Polizeiführung sich eines Besseren besann und das Damaskus-Tor wieder frei gab.
In der Zwischenzeit hatten sich auch auf dem Haram asch-Sharif permanente Spannungen entwickelt, vor allem nach den abendlichen Gebeten, die nach dem Fastenbrechen abgehalten werden und zu denen täglich Zehntausende pilgern, die Frauen in den Felsendom (as-sakhra), die Männer in die Aqsa-Moschee. Die palästinensischen Gläubigen sahen sich immer wieder von den israelischen Sicherheitskräften provoziert, ob Grenzpolizei oder Geheimdienst, und immer wieder kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die schließlich das gesamte Terrain des Haram asch-Scharif inklusive des Inneren der Aqsa-Moschee in ein Schlachtfeld verwandelten. Viele Palästinenser wurden verletzt, zum Teil sehr schwer.
Parallel dazu spitzte sich eine schon seit Jahren schwelende Krise im Stadtteil Scheikh Jarrah, knapp zwei Kilometer nördlich vom Damaskus-Tor, zu. Dort sollen palästinensische Bewohner aus ihren Häusern verdrängt werden. Sie sind ausnahmslos Flüchtlinge von 1948, die damals aus ihren Dörfern und Städten von der israelischen Armee vertrieben wurden. In Scheikh Jarrah leben sie seit den 1950er-Jahren auf der Basis eines Abkommens zwischen Jordanien und der UN-Hilfsorganisation UNRWA. Extremistische israelische Siedler wollen an ihrer Stelle dort einziehen, also mitten hinein in ein palästinensisches Stadtviertel. Sie argumentieren, dass Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Land in dieser Gegend gekauft hätten. Ihre Ansprüche versuchen sie gerichtlich durchzusetzen. Im Mai 2021 sollten die Palästinenser ihre Häuser räumen und Platz für die Siedler machen, so der Beschluss israelischer Gerichte.
Eine breite Solidaritätsbewegung mit täglichen Demonstrationen bildete sich heraus. Schon seit Jahren demonstrieren jeden Freitag linke jüdische Israelis in Solidarität mit den Palästinensern, darunter auch bekannte Namen wie der Schriftsteller David Grossmann. Im Mai 2021 nun entwickelte sich dies zu einer permanenten Solidaritäts-und Widerstandsbewegung mit einer breiten Beteiligung junger Palästinenserinnen und Palästinenser, in der Mehrzahl aus Jerusalem und aus Israel.
Die Zusammenstöße am Damaskus-Tor, die konstanten Probleme auf dem Haram während des Ramadan und schließlich die drohende Vertreibung palästinensischer Familien in Scheikh Jarrah eskalierten bis Ende des Ramadan zu einem explosiven Gemisch aus Empörung und Bereitschaft, die Verschärfung der israelischen Besatzung nicht länger hinzunehmen.
Diese Entschiedenheit, nicht länger zu schweigen und der israelischen Unterdrückung untätig zuzuschauen, erfasste schließlich die Gläubigen im Haram asch-Scharif, die sich dort nach dem Gebet für ihre Landsleute in Scheikh Jarrah einsetzten. Amira Hass dokumentierte in Haaretz die Entwicklungen auf dem Haram am Freitag, dem 7. Mai, dem letzten Freitag im Ramadan, einem ganz besonderen Tag, an dem jeder, dem es irgendwie möglich ist, nach dem Fastenbrechen zum Haram pilgert. Ihr Interviewpartner berichtet: »Die Atmosphäre war ruhig, angenehm, von überall her waren Familien gekommen, aus dem Norden, aus Jerusalem und aus der West Bank. Die Spannung entstand an einem der Tore zum Haram, wo sich israelische Polizisten in großer Zahl versammelten und die Menschen auf dem Haram in Angst vor einem Angriff gegen sie versetzten. Jugendliche warfen leere Plastikflaschen, um zu signalisieren, dass die Polizei abziehen sollte. Diese attackierten jedoch und begannen sofort, mit Lärm- und Gummigeschossen zu feuern. Muslimische Geistliche riefen die Polizei über Lautsprecher auf, nicht in den Haram einzudringen und forderten Mäßigung. Aber all dies war vergeblich. Innerhalb kürzester Zeit waren über 200 Menschen verletzt worden, durch Gummikugeln vor allem, die von den Soldaten oft gezielt auf Kopf oder Gesicht abgeschossen wurden. Amira Hass zitiert ihren Interviewpartner: »Ein Soldat, der auf mich feuerte (der junge Mann war klar als Journalist ausgewiesen), war etwa 50 m von mir entfernt. Ich hatte meine Kamera in der Hand, sah ihn direkt an. In dem Moment, in dem er schoss, drehte ich mich um, und wurde deshalb auf dem Rücken, unterhalb meiner Schulter, getroffen. Dies war gezieltes Schießen auf mich, nicht ein zufälliger Schuss«. Obwohl er durch den Schuss eine gebrochene Rippe hatte, blieb der junge Mann bis zum nächsten Morgen, mit fast allen Menschen, die dort abends zum Gebet gekommen waren und die wegen der Polizeigewalt den Haram nicht mehr...
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