Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Am Nachmittag war eine leichte Brise aufgekommen. Vielleicht gibt es bald Regen, dachte Gwendal. Das würde den Pflanzen guttun. Die Trockenheit der letzten Tage hatte manchen der empfindlichen Kräuter zugesetzt, trotz verstärkter Bewässerung. Er atmete tief durch, ließ den bunten Schwall aus Düften tief in sich hineinströmen. Er saß auf den Stufen der mittleren Treppe, die zu den Gärten hinabführte. Der auf ihn einströmende Duftreigen wurde überstrahlt von einem intensiven Aroma, das an Kamille erinnerte. Gwendal wusste genau, woher dieser Duft kam. Schon vor drei Wochen hatte das Mutterkraut, bekannt als Falsche Kamille, auf den Terrassen des Kräutergartens zu blühen begonnen. Gwendal schloss die Augen, schmeckte dem nach, was ihm der Wind zutrieb. In diesem Duftnotenpotpourri war deutlich der Vanilleton der Prachtnelken auszumachen. Gwendal liebte diese Momente. Er begab sich nachts gerne in die Kirche, um seiner Gitarre rockige Töne zu entlocken. Aber mindestens so gerne, wenn nicht sogar noch lieber, setzte er sich in die Weite der Klostergärten und genoss die Umgebung. Dabei wurde er eins mit der üppigen Pracht der Bäume, Blumen und Kräuter rings um ihn. Er liebte diese Geschenke Gottes. In den Gärten fühlte er sich auf besondere Art verbunden mit der Schöpfung. Die Farbenpracht der Blüten, der Duftzauber der Kräuter, das waren für ihn Gebete, belebend wie himmlischer Gesang. Er schaute nach rechts. Von dort strahlte ihm die gelbe Pracht des Johanniskrauts entgegen. Er wandte sich der Pflanze daneben zu. Er streckte die Hand aus. Behutsam strich er über die leuchtend blaue Blütenähre. Gwendal hatte den Lippenblütler an viele Stellen des Kräutergartens pflanzen lassen. Ysop ist stark mit Öldrüsen versehen. Den Geruch, den er zu verbreiten vermag, ist intensiv. Dieser Geruch hält Fressschädlinge ab, Schnecken, Kohlweißlinge und viele andere. Das kommt Pflanzen zugute, die neben dem Ysop wachsen. Ein treuer Wächter. Ein Beschützer. Aber dass die bedauernswerte Celine hier zu Tode kam, gleich neben dir, das hast auch du nicht verhindern können, mein aufrechter Hüter. Noch einmal ließ er die Hand über die kleinen Blüten gleiten, dann stand Gwendal schweren Herzens auf. Es gab viel zu tun. Er machte sich auf zum Gebäudekomplex des Klosters. Schon am Vormittag hatte Gwendal zu einer Besprechung gebeten. Er war zwar nicht der Vorstand des Klosters. Doch der Prior war hochbetagt, fühlte sich meist schwach und hatte vor einem halben Jahr ersucht, dass Gwendal sich verstärkt um die Führung des Klosters kümmere. Die anderen hatten zugestimmt. Zur einberufenen Besprechung waren fast alle verfügbaren Mönche eingetroffen. Nur der Prior und Bruder Emanuel hatten gefehlt. Zudem waren alle in Eulenberg beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geladen. Bis auf zwei konnten es sich alle einrichten. Zunächst hatten sie gemeinsam ein kurzes Gebet für die am Vortag Verstorbene gesprochen, danach ein paar Minuten in Stille verhalten.
»Ja, ich bin überzeugt, dass unsere gute Celine sicher nicht wollte, dass wir unsere Planungen einfach abbrechen. Sie wäre die Erste, die uns mit der Begeisterung, die wir alle an ihr so schätzten, mit Fröhlichkeit in der Stimme aufforderte, alles zu tun, damit der neue Klosterladen genauso festlich eröffnet wird, wie wir das vorhatten.« Es hatten nicht alle sofort zugestimmt. Doch nach einer Weile waren auch die wenigen Zweifler davon überzeugt, dass Celine Brimisch das genauso gewollt hätte. Also hatten sie sich schnell darauf geeinigt, den erforderlichen Tagesgeschäften wie gewohnt nachzugehen. Stift Eulenberg war nicht nur Zuhause für eine Gruppe von Benediktinermönchen. Das Kloster war auch ein wichtiger Arbeitgeber, ein gern gesehener Wirtschaftsfaktor in der Region. Dazu war es erforderlich, dass das Kloster Geld einbrachte. Neben dem, was das Gesundheitsangebot im Ottilienzentrum abwarf, und ein paar geringen Einnahmen aus Pachten für kleinere Liegenschaften, war es vor allem der neue Klosterladen, bei dem man in Eulenberg künftig auf entsprechende Umsätze hoffte. Also durften sie da nicht lockerlassen. Die Eröffnung würde wie geplant stattfinden. Auch der Tag der offenen Tür sollte abgehalten werden. Wie das Fest aussehen könnte, das sie ursprünglich geplant hatten, darüber wollten sie später beraten. Es blieb ja noch Zeit.
»Gott zum Gruße, Pater Gwendal, ich bin gleich für Sie da.« Brigitte Grundtners Stimme war zwar zu vernehmen. Aber sie selbst war nicht zu sehen. Gleich darauf tauchte die etwas pummelig wirkende Frau hinter einem hoch aufgetürmten Stapel Kartons auf. In der Hand hielt sie eine offene Schachtel. Darin waren Kräuterbücher zu erkennen. Schon bei der Vormittagsbesprechung hatte Gwendal Brigitte Grundtner gefragt, ob sie sich ab sofort um die Geschicke des Klosterladens kümmern könnte. Um Einrichtung, Ausstattung, Warenangebot und alles, was für die Eröffnung notwendig wäre. Die Frau Anfang 50 hatte schon mitgeholfen und Celine in einigen Bereichen unterstützt. Brigitte Grundtner war im alten, um vieles kleineren Klosterladen tätig gewesen. Eine überschaubare Aufgabe. Aber jetzt hätte sie einen weitaus aufwendigeren Bereich vor sich.
Sie wäre auf sich alleine gestellt, müsste voll anpacken und alleinverantwortlich Entscheidungen treffen. »Trauen Sie sich das zu, Frau Grundtner? Selbstverständlich werde ich Sie unterstützen, soweit es meine Zeit zulässt.« Ein wenig hatte Brigitte Grundtner gezögert. Schließlich hatte sie zugestimmt.
»Wenn es Ihnen recht ist, dann bestelle ich gleich eine größere Lieferung von Kräuterbüchern nach. In erster Linie Ihre Bücher, Pater Gwendal. Denn die werden uns die Besucher am Tag der offenen Tür förmlich aus der Hand reißen. Alles, was Sie machen, mögen die Leute besonders. Sie sind unser Wundermann.«
»Es gibt nur einen Star, wegen dem die Leute in Scharen nach Stift Eulenberg strömen.« So hatte es vor einiger Zeit eine junge Frau ausgedrückt. Irina Stuck, die ein paar Monate in der Verwaltung tätig war. »Ich bin so froh, dass ich mit Ihnen zusammenarbeiten darf«, hatte Irina hinzugefügt und ihm sogar einen Kuss auf die Wange gedrückt. Er musste lächeln, wenn er daran dachte. So wie Irina Stuck und auch Brigitte Grundtner seine Rolle empfanden, sah er das selbst keineswegs. Er fühlte sich als nichts Besonderes. Zugegeben, er war ein wichtiges Rad im großen Getriebe, sorgte dafür, dass alles einigermaßen reibungslos ablief. Das schon. Aber Star war er keiner. Und schon gar kein Wundermann. Aber dass Irina Stuck ihn damals bei dieser leicht peinlichen Begebenheit mit »Pater Majoran« angeredet hatte, daran erinnerte er sich gerne. Das hatte ihn gerührt. Pater Majoran, so riefen ihn meist die Kinder im Ort. Dieser Spitzname war anlässlich eines seiner vielen Seminare aufgekommen. Denn er pflegte meist für die Teilnehmer bei Kursabschluss mit seinem beliebten Malzbiergulasch aufzuwarten. Er servierte es gerne mit Kümmel und Majoran. Und manchmal gab es hinterher Majoran-Birnenmus. Plötzlich spürte er einen Stich im Herz. Majoran! Mit Schreck fiel ihm ein, dass die tote Celine gestern ausgerechnet ein Büschel Majoran in der Hand gehalten hatte. War das ein Zufall? Oder gab es gar eine Verbindung zu ihm, zu seinem von Kindern und Seminarteilnehmern liebevoll genannten Spitznamen? Warum hatte er nicht gleich an diese Möglichkeit gedacht? Hatte er das absichtlich verdrängt?
»Und wir könnten in den Ausschreibungen und in der Werbung extra den Hinweis platzieren, dass Sie die gekauften Bücher persönlich signieren, Pater Gwendal. Das wäre ein effektvoller Anreißer.«
Anreißer? Signieren? Wovon sprach die Frau da? Er schüttelte sich, wischte alles beiseite, was ihm eben durch den Kopf gegangen war. »Lassen Sie uns das später durchdenken, Brigitte.«
»Wie Sie meinen, Pater.« Sie wuchtete den offenen Karton auf einen der Tische.
»Was ist das?« Gwendal kam erstaunt näher. »Das sieht hübsch aus.« Auf dem Tisch lag ein Stück Papier. Oder war der rechteckige Gegenstand aus Metall? Das Stück schimmerte jedenfalls goldfarben. Kräutersymbole waren darauf zu erkennen.
»Haben Sie das selbst gemacht?«
»Ja, das wollten wir für die Eröffnung verwenden. Das war Celines Idee. Sie hat auch eines angefertigt. Es wäre wohl Celines Entwurf geworden, der infrage gekommen wäre. Sie hatte das bessere Blatt.«
Da fiel ihm ein, weswegen er gekommen war.
»Sie wollten mir noch helfen, Celines Sachen durchzuschauen.« Die Polizei hatte gestern kurz in den Sachen der Toten gestöbert. Wir sind die Profis, wir schauen uns das an, hatte die Kontrollinspektorin großspurig hinausposaunt. Aber sie hatten sich nur wenige Minuten Zeit dafür genommen. Und mitgenommen hatten sie fast gar nichts. Und Gwendal wollte sich gewiss nicht dem Hallelujahsingen widmen, wie die Frau Kontrollinspektorin empfohlen hatte, sondern Celines Zimmer gründlich durchsuchen. Vielleicht hatte die Polizei einiges übersehen, das zur Aufklärung des rätselhaften Vorganges beitragen könnte. Brigitte Grundtner ging voraus. Er folgte.
Nicht alle, die von außen kommend im Stift Eulenberg einer Arbeit nachgingen, wohnten hier. Die meisten kamen ohnehin aus der unmittelbaren Umgebung, wo sie auch wohnten. Celine Brimisch war aus dem Burgenland gekommen. Sie hatte vorgezogen, ein Zimmer im Gästehaus zu bewohnen, ehe sie sich etwas Eigenes suchte. Der große Raum war geschmackvoll eingerichtet. Dennoch wirkte er unordentlich. »Das waren garantiert diese Rüpel von der Polizei«, bemerkte Brigitte Grundtner. »Alles durcheinandergeworfen. Celine pflegte stets gründlich aufzuräumen.« Vermutlich hatte die Mitarbeiterin recht.
»Dann schauen wir...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.