I. THEIL.
[] I. KAPITEL.
Von Tanga nach Aruscha.
Inhaltsverzeichnis Die Massai-Expedition. - Reisevorbereitungen. - Anwerbung der Mannschaft. - Die Spitzen der Karawane. - Aufbruch von Tanga. - Ein Tag aus dem Karawanenleben. - Unruhen im Wadigo-Land. - Durch die Umba Nyika. - Kisuani. - Aruscha.
Am 16. November 1891 langte ich mit dem deutschen Postdampfer in Tanga, Deutsch-Ostafrika, an. Vor meinen Blicken erhob sich die üppige Tanga-Insel aus der tiefblauen Fluth, dahinter lugten auf hoher Uferrampe die braunen Hütten des Städtchens zwischen schlanken Kokospalmen hervor und tauchte der breite Bau des Forts auf, wie ein weisser Klecks in der Landschaft erscheinend. Im Hintergrunde ragten die bläulichen Berge Usambára's; alte liebe Bekannte. Betrat ich doch nicht als Fremdling den Boden Afrikas, war es doch das vierte Mal, dass ich mein Glück im dunklen Welttheil versuchte.
Einmal hatte ich Westafrika befahren und den Riesenstrom des Kongo bis in's Herz des Kontinents, bis Stanley-Falls, verfolgt, zwei Mal hatte ich in Ost-Afrika der Erforschung Usambára's und der Länder bis zum Kilimanjaro mich gewidmet. Diesmal freilich stand eine grössere Aufgabe vor mir, galt es doch die weiten gänzlich unerforschten Massai-Gebiete zwischen Kilimanjaro und Victoria-Nyansa zu durchziehen, welche nach den spärlichen Berichten als wasserarme, von feindlichen Stämmen durchstreifte Wüsten dargestellt wurden. Da mir jedoch die Haupterfordernisse des Reisenden: Kenntniss der Sprache und Kenntniss des Landes zu Gebote standen, so blickte ich mit Vertrauen in die Zukunft. Die Weltsprache Ostafrikas, das Kiswahíli, spreche ich völlig fliessend und afrikanische Erfahrung besass ich zur Genüge; so fehlten nur sorgfältige Ausrüstung und tüchtige Mannschaft, um das Gelingen des Unternehmens - die Gunst des Schicksals vorausgesetzt - wahrscheinlich zu machen.
Was die Ausrüstung anbelangt, so kann ich mich nicht zur Ansicht Jener bekennen, welche behaupten, in Ostafrika bekomme man »Alles«. Allerdings man bekommt mehr oder weniger Alles, aber schlecht und theuer, so dass ein Reisender, der sich in Europa ausrüstet, selbst wenn er das Vorzüglichste wählt, immer noch billiger wegkommt. Ein Zelt wie das von Benjamin Edgington in London, welches mir während zwei Reisen Obdach gewährte, ein Feldbett, Feldtisch, Feldstuhl und Blechkoffer wie die von Silver in London, gehören nicht zu dem »Alles«, welches man in Ostafrika erhält.
Selbst die Provisionen, die man noch am ehesten an Ort und Stelle beziehen kann, zog ich vor, aus Europa mitzunehmen, da eine sorgfältige, gegen alle Fälle gesicherte Verpackung draussen kaum durchführbar ist. Die Firma Wilhelm Richers in Hamburg lieferte sie mir in durchwegs vorzüglicher Qualität und zu sehr mässigen Preisen. Dieselben wurden genau nach meiner Angabe in längliche Holzkisten verpackt, deren jede ungefähr dasselbe enthielt, so dass der Verlust einer Kiste keinen unersetzlichen Schaden verursacht hätte. Alle hatten einen verlötheten Blecheinsatz, der erst geöffnet wurde, wenn die Kiste in Verwendung kam und den wohlverstauten Inhalt vor Verderben schützte.
So wurden denn alle die Kisten und Ballen der Expedition in Tanga ausgeladen, daneben auch drei Kameele, die ich für etwaige Wüstenwanderungen aus Aden mitgenommen und welche ihre Treiber, braune untersetzte Araber aus Yemen, mit grosser Sorgfalt unterbrachten. Auch 15 kohlschwarze Sudanesensoldaten, die ich in Massaua angeworben, fanden ein vorübergehendes Heim in einer Negerhütte, während mir selbst in den wohlbekannten Räumen des Usagarahauses gastliche Aufnahme geboten wurde.
Noch am Abend meiner Ankunft stellten sich schwarze Freunde, meist Getreue von meinen früheren Reisen ein, darunter auch der brave Kihara wadi Mwamba, der 1888 die schweren Stunden der Gefangenschaft bei Buschiri mit Dr. Meyer und mir durchgemacht. Alle erfuhren von meinen neuen Plänen und erklärten sich unbedenklich bereit, bei der Massai-Expedition wieder einzutreten. Auch meine treue Reisegefährtin von der Usambára-Fahrt, die Halbaraberin Ranïe binti Abedi, meist »Kibibi« genannt, liess nicht lange auf sich warten.
Nachdem ich mich noch einige Tage in Tanga aufgehalten und dem späteren Engagement der Mannschaften vorgearbeitet, begab ich mich nach Sansibar, um ein wichtiges Geschäft, den Ankauf der Tauschwaaren zu besorgen. Während mehrerer Tage durchschlenderte ich mit Sapojee, dem gewandten Parsi der Ostafrikanischen Gesellschaft, die Bazars, um »Merikani« und »Kaniki«, »Mishanga kuta« und »Mutinarok«, alle die verschiedenen Baumwollstoffe, Glasperlen und sonstigen Artikel anzukaufen, welche im Innern Afrika's das Geld ersetzen. In Sansibar traf ich auch einen Landsmann aus Transleithanien, den ungarischen Sportsman Herrn von Inkey, der eben auf einer Jagdexkursion begriffen war und mich bat, die Expedition bis zum Kilimanjaro begleiten zu dürfen, was ich ihm gerne zugestand.
Bald jedoch kehrte ich wieder nach Tanga zurück, harrte doch meiner eine wichtige Aufgabe, ja die wichtigste, welche meiner Ansicht nach ein Expeditionsführer in Afrika zu lösen hat: die Anwerbung der Mannschaft. Es ist allerdings in Ostafrika die Möglichkeit geboten sich die Sache bequem zu machen: man braucht nur mit einem indischen Agenten einen Trägervertrag zu schliessen, in welchem sich derselbe verpflichtet, die Mannschaften bis zu einem gewissen Tage zu stellen. Dann kann man die Zwischenzeit bequem im Lehnstuhl verträumen, in der Ueberzeugung, am bestimmten Tage seine Leute bereit zu finden. Dieser Vorgang scheint ungemein einfach und wurde auch thatsächlich bis in die neueste Zeit von Gouvernements-Expeditionen sowie von Privaten eingeschlagen. Dabei war es fast ausschliesslich der indische Kaufmann Sewah Haji, der mit den Aufträgen der Europäer beehrt wurde. Dieser ist nicht etwa ein indischer Grosshändler im Stile Sir Taria Topan's, dessen Handelsbeziehungen bis ins Herz des Kontinents reichen und der die bedeutendsten Araber wie Tippo-Tip als seine Agenten bezeichnen kann, sondern er hat eigentliche kaufmännische Geschäfte fast ganz aufgegeben. Seine Firma ist jetzt ein Dienstvermittelungs-Bureau in grossem Stile, er ist Träger- und Arbeiter-Agent, d. i. ein Mann, der durch die Unerfahrenheit und Bequemlichkeit der Europäer und den Unverstand der Afrikaner Reichthümer sammelt. Diese gestatten es ihm, zeitweise Reisen nach Europa zu unternehmen, wo er von Jenen, die ihm ihr Geld in den Rachen geworfen, zum Frühstück eingeladen wird.
Für Alle, für Deutsche, Engländer, Franzosen und für den Kongostaat wirbt Sewah Haji Träger an. Aber er lässt sich auch dafür bezahlen. Während er selbst dem Küstenmann höchstens 10 Rps. pro Monat, dem Mnyamwesi und Msángo gar nur einige Ellen Baumwollstoff giebt, muss der Europäer 15-20 Rps. monatlich bezahlen! Durch kleine Beträge, die Sewah den Schwarzen in ihrer arbeitsfreien Zeit vorschiesst und dann wucherisch verzinst, weiss er sich stets Leute an der Hand zu halten. Durch hohe Bezahlungen gewinnt er einflussreiche Karawanenführer, dafür werden die Anderen in ihren hart verdienten Löhnungen um so mehr verkürzt. Ausser den Vorschüssen, die mit Zins und Zinseszins bis ins Unendliche anwachsen, werden ihnen noch allerlei »Gebühren« abgezogen, besonders wenn es sich um naivere Inlandleute handelt. Schliesslich ist der arme Afrikaner froh, wenn er nur einige Rupies oder etwas weissen Baumwollstoff bekommt, ja er freut sich noch, wenn man ihm eine rothe Mütze oder sonst einen Plunder als »Bakschisch« schenkt. Er führt ja keine Bücher, während der Inder alles schwarz auf weiss hat und Unzufriedene auffordert, nur immerhin auf die Station zu gehen und sich über ihn zu beschweren. Der Begriff »Station« ist jedoch in Ostafrika noch so innig mit dem Begriffe »Prügel« verbunden, dass Jedermann es sich dreimal überlegt dahin klagen zu gehen, wenn er seiner Sache nicht ganz sicher ist.
Es ist jedoch begreiflich, dass die Mannschaften unter solchen Umständen dem Unternehmen wenig Lust und Liebe entgegenbringen und besonders wenn der europäische Gebieter, den sie am Abmarschtage zum ersten Mal sehen, ihnen nicht zusagt, einfach davonlaufen. Geschieht dies in der Nähe der Küste, so muss Sewah Haji selbst, sonst seine Agenten in Tabora und Mwansa freilich Nachschub leisten und der Karren wird mit Mühe und Noth im Gange erhalten, doch mit unendlichem Aerger und Verzögerungen muss der Reisende die Mussestunden an der Küste büssen.
Da ich während der Dr. Meyer'schen Expedition 1888 das Sewah Haji'sche Trägerelend gründlich ausgekostet, so beschloss ich mich nie mehr mit diesem oder einem andern Agenten einzulassen, sondern meine Leute selbst zu engagiren. Schon 1890, während der Usambára-Expedition, war mir dies trefflich gelungen, und obwohl »Kenner« mir diesmal versicherten, dass bei der herrschenden »Trägertheuerung« und dem »Trägermangel« Sewah Haji absolut nicht zu umgehen sei, wollte ich dies dennoch versuchen.
Von einschneidender Wirkung für das Gelingen einer Expedition ist die Wahl guter Karawanenführer. Für mich war dies um so mehr der Fall, als ich beschlossen hatte, keinen europäischen Begleiter mitzunehmen, sondern allein zu reisen. Vor Allem brachte mich zu diesem Entschluss der Umstand, dass ich, wie ich offen gestehe, mich in Afrika unter Schwarzen am wohlsten fühle. Doch würde dieses, mehr persönliche Moment, mich selbstverständlich nicht abgehalten haben einen Europäer mitzunehmen, falls ich dies im Interesse der Expedition für nothwendig gehalten hätte. Ich bin jedoch zu der Ansicht gelangt, dass man Europäer in Afrika nur da verwenden soll, wo...