Schweitzer Fachinformationen
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Am Abend stand das zweite Ausgehviertel der Stadt auf dem Plan. Am Vortag waren sie nach Janines Ankunft direkt losgezogen, nun wählten sie wie in alten Zeiten gemeinsam aus, was sie anziehen wollten. Janine war immer die hübschere der beiden gewesen, was es für Ines oft schwergemacht hatte. Zwar mochte sie ihre langen, dunkelbraunen Haare und die fast schwarzen Augen; mit ihren kantigen Gesichtszügen und der knabenhaften Figur haderte sie jedoch stets. Normalerweise trug sie fast immer Röhrenjeans, dazu je nach Jahreszeit T-Shirt, Sweat-Shirt oder ein Herrenhemd. Nun überredete Janine sie zu einem schmalen, langen Rock mit hohem Schlitz, den Ines kürzlich erstanden und noch nie getragen hatte, und einem Top dazu.
»Ich hab doch gestern gesehen, wie die Mädels hier ausgehen!«
Ines lachte. »Da will ich gar nicht mithalten!« Selbst im tiefsten Winter - was mitunter Minusgrade bedeuten konnte - trugen die Liverpoolerinnen bei ihren Ausgehtrips häufig quasi nichts. Knappeste Röcke und Oberteile, keine Strumpfhosen, die bloßen Füße in hochhackigen Sandalen. »Als Krankenschwester kann ich dir nur sagen: Das ist ungesund.«
»Dazu muss man nicht Krankenschwester sein«, gab Janine trocken zurück. Sie hatte sich ein gestreiftes Hemd von ihrer Freundin ausgeliehen und es um die Taille geknotet, darunter blitzte ihr spitzenbesetzter BH auf. »Aber ich find's schön, dass man als Frau das Gefühl hat, alles geht.«
Wieder fuhren sie mit dem Bus in die Stadt, als Grundlage für den langen Abend holten sie an einem Imbiss Fish and Chips, stilecht mit Essig und viel Salz, aßen die Mahlzeit auf den Treppen vor der St. Luke's Ruine.
»Das ist so toll, wie gut du mit der Sprache klarkommst«, beneidete Janine ihre Freundin.
»Das gerade war doch ein Pakistani, die versteht man doch immer gut«, entgegnete Ines. »Mit den Liverpudlians habe ich manchmal noch Schwierigkeiten, glaub mir. Weißt du, wie man den Dialekt nennt?«
Janine schüttelte den Kopf, bevor sie mit dem Holzgäbelchen ein weiteres Stück des panierten Fischfilets abbrach.
»Scouse - genauso wie einen Eintopf, der hier entstanden ist, eine Art Labskaus.«
Janine hatte Mühe, die Panade nicht hervorzuprusten, so sehr musste sie lachen. »Das passt!«
»Aber ich weiß selbst nicht«, sinnierte Ines mit Blick auf eine Horde Jugendlicher, die dem nächsten Pub zuströmte, »Englisch-Leistungskurs, all die Urlaube in Großbritannien - das hat bestimmt geholfen, die Sprachprüfung am LIPA zu bestehen, manchmal denke ich aber, so richtig gelernt habe ich es erst hier, durch das tägliche Leben.«
»Glückspilz!«, befand Janine. »Jetzt zeig mir noch mehr Nachtleben.«
Ines führte sie zunächst kreuz und quer durch das Karree zwischen Seel Street und Bold Street, dann nahmen sie ein Nachtisch-Guinness im >Pogue Mahones<, schauten in den >Empire-Pub< gegenüber hinein, wo eine Kommilitonin von Ines Songs zur akustischen Gitarre sang, und verbrachten längere Zeit bei einem Konzert einer Indie-Band im >Heebie Jeebie's<.
Es war Mitternacht, als sie den Club verließen, und noch immer schienen die Leute in die Innenstadt hineinzuströmen.
»Fast alle sagen, dass es besser war, als noch überall die Sperrstunden galten«, sagte Ines und dirigierte die Freundin durch eine schmale Gasse auf die Wood Street. »Die Pubs haben um elf zugemacht, dann gab es den großen Rush auf die Clubs und es wurde wie wild losgefeiert, weil ja um zwei Uhr definitiv Schluss war. Hier -«, sie hatten fast wieder die St. Luke's-Ruine am Kopf der Straße erreicht, »soll es immer eine richtige Schlange gegeben haben, und das, obwohl man von außen überhaupt nicht erkennen konnte, dass hier was ist. Kein Schild, nur diese Tür.« Sie wies auf den schmalen Einlass an der Seite des riesigen Backsteingebäudes und steuerte darauf zu.
»Zweimal Nicht-Mitglieder«, verlangte sie von dem etwa 60-jährigen Mann mit dem ausgeprägten Bauchansatz hinter der Holztheke. Sein Haar war dunkelblond, von grauen Strähnen durchzogen, die blauen Augen strahlten sie an:
»Ines«, bei ihm hörte es sich sehr seltsam an. »Das ist ja schön. Du siehst toll aus. Kommt John noch?« Er zwinkerte ihr zu.
Janine stieß sie in die Seite, Ines tat beleidigt: »Da hab ich mich extra für dich hübsch gemacht .«
Sie stellte ihre Freundin dem Chef Thomas Duncan vor.
»Den Club hat sein Vater gegründet, als richtigen Mitglieder-Club. Der muss eine wahre Legende in der Stadt gewesen sein. Hat bis ins hohe Alter immer um zwei die Leute mit einem Lolly und guten Wünschen verabschiedet«, erzählte Ines. »Ich hab ihr gesagt, was ich über deinen Dad weiß«, wandte sie sich auf Englisch an Thomas.
Er nickte und zeigte ein trauriges Grinsen. »Waren andere Zeiten damals. Geht mal rein, ich lad euch ein, ist eh noch nichts los.«
Das war noch untertrieben. An der Bar unterhielten sich zwei Angestellte, und an einem Tisch in dem Raum, der an ein amerikanisches Diner erinnerte, saßen drei Männer und eine angetrunkene Frau. Von nebenan, von der Tanzfläche, drangen die Klänge von >Walking On Sunshine< hinüber, Musik, die kaum zu der Atmosphäre passen wollte. Ines sah den Club mit Janines Augen: die großen, fast leeren Räume mit dem schmutzig-klebrigen Fußboden, die Risse in den Kunststoffbänken, die bespritzten Wände. Thomas müsste von Grund auf renovieren, dachte sie. Aber das würde einiges kosten. Und wenn schon an Samstagabenden nichts hereinkam .
Sie bemühte sich, ihre Gedanken nicht zu zeigen, holte an der Theke zwei Bier und erzählte Janine mehr davon, was sie über das frühere Liverpooler Nachtleben wusste. Zwei junge Frauen schauten in der Zwischenzeit herein, verschwanden jedoch gleich wieder. In einer Pause zwischen zwei Musikstücken hörte man von vorn, am Einlass, Thomas mit jemandem reden. Plötzlich wurde seine Stimme so laut, dass sie sogar das einsetzende >Sugar Coated Iceberg< übertönte, das Scouse dabei so ausgeprägt, dass auch Ines kaum etwas verstand. Auf jeden Fall warf er einen Gast mit etlichen Verwünschungen hinaus.
»Wollen wir gehen?«, fragte Ines ihre Freundin.
Die stimmte zu.
»Ihr habt das gerade mit angehört, nicht wahr?«, vermutete Thomas am Einlass. Er sah noch immer wütend aus. »Tut mir leid.« Mit einer Handbewegung versuchte er, den Vorfall wegzuwischen. »Ein dummer Streit unter Kollegen. Ihr wollt doch noch nicht gehen? Jetzt wird's endlich was!«
Tatsächlich betrat gerade eine Gruppe von sieben Leuten um die 40 in bester Partystimmung den Eingangsbereich. Thomas kassierte den Eintritt.
»Also, ihr zwei Hübschen, darf ich euch noch ein Bier spendieren?«
Zögernd blickte Ines Janine an, die entschlossen nickte. »Gern! So schnell werde ich ja nicht wieder herkommen.«
Thomas schien hocherfreut, er ging mit ihnen an die Bar und orderte zwei Flaschen Becks, eilte zurück an seinen Platz, weil weitere Neuankömmlinge hörbar waren. Die beiden Freundinnen stellten sich an den Rand der Tanzfläche, wippten zunächst im Takt mit zu den alten Hits, begannen schließlich zu tanzen. Sehr viel schneller, als Ines es erwartet hätte, füllte sich der Raum, und die Stimmung war großartig. Jeder tanzte mit jedem, es fühlte sich an wie eine große Familie von Musikbegeisterten - und damit so, wie sie es bei ihrem früheren Besuch erlebt hatte.
Als sie zwischendurch verschwitzt und erschöpft in den Nebenraum zurückkehrten, nahm sie das schäbig gewordene Interieur kaum mehr wahr. Janine strahlte vor Begeisterung, sie hatte drei Lieder lang mit einem attraktiven Südländer getanzt und geflirtet und holte nun noch einmal Bier für die Freundin und sich.
Wenn man hier noch immer so feiern konnte, dann lebte das alte Ausgeh-Liverpool nach wie vor, dachte Ines betrunken und glücklich. Sie würde einen Song darüber schreiben. »Zwei Uhr früh im >Cabin Club<, früher ging es raus auf die Straße, mit einem Lolly von Daddy.« Sogar eine Melodie hatte sie im Kopf, Oasis zum Trotz, die nebenan in voller Lautstärke den >Wonderwall< errichteten. Hoffentlich würde sie sich am nächsten Tag daran erinnern.
*
Der Sonntag begann spät und verkatert mit einem langen Spaziergang durch den Sefton Park, um den Kopf wieder freizubekommen. Dann zeigte Ines Janine die altehrwürdigen Museen am nördlichen Rand der Innenstadt sowie die prachtvolle Zentralbibliothek mit ihrem kreisrunden Lesesaal und der Dachterrasse, von wo aus man einen wunderbaren Blick über die Stadt hatte.
Abends gingen sie indisch essen und sahen sich einen Film im >FACT< an. Da Janine skeptisch war, wie viel sie verstehen würde, entschieden sie sich für eine eher schlichte Liebesgeschichte, bei der man die Handlung erahnen konnte.
Ines merkte, wie ihre Gedanken immer wieder abschweiften: zu ihrer Musik, aber auch zu John, den sie am nächsten Tag im Institut wiedersehen würde.
Zunächst musste sie am Morgen Abschied von Janine nehmen. Ihr hatte es in Liverpool so gut gefallen, dass sie auf jeden Fall wiederkommen wollte. Aber sie nahm ihrer Freundin auch das Versprechen ab, sie bald in Berlin zu besuchen.
Danach hetzte Ines in die Stadt, um pünktlich zu ihrem ersten Kurs am LIPA zu gelangen. >Selbstvermarktung und Vertragsgestaltung< stand auf dem Plan, kein einfaches Thema direkt nach dem Wochenende. Aber der Dozent Edward Bunter, ein skurril wirkender kleiner Mann, der stets einen Anzug mit...
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