Schweitzer Fachinformationen
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Natalia betrachtete ihr Spiegelbild auf der Bahnhofstoilette. Ihr Körper wurde von einem eng anliegenden Kleid umhüllt, das ihre schlanke Figur betonte. Es war elegant und schlicht, mit einem hohen Kragen und langen Ärmeln, die ihre Arme umschmeichelten. Es endete knapp über den Knien und ließ ihre sportlichen Beine zur Geltung kommen. Ihre Haare fielen in glänzenden Wellen über ihre Schultern und rahmten ihr ebenmäßiges Gesicht ein. Sie sah sich in die Augen. Manchmal vermisste sie die Arbeit im Krankenhaus, doch ihr jetziger Beruf brachte eine andere Art von Erfüllung. Der Job, den sie seit einigen Jahren ausübte, machte ihr auf seine eigene Weise Spaß. Sie verdiente damit nicht nur viel Geld, sondern konnte auch die ganze Welt bereisen. Normalerweise bevorzugte sie das Flugzeug, aber da ihre Zielperson den Nachtzug nahm, hatte sich ihr Auftraggeber dazu entschieden, Natalia ebenfalls damit fahren zu lassen.
In ihrer Handtasche befanden sich ein Taser und ein Kubotan - mehr brauchte sie nicht. Sie sah auf die Uhr. Der Nachtzug nach Wien würde in nicht einmal zwei Stunden abfahren. Mit einem letzten prüfenden Blick holte sie einen roten Lippenstift aus ihrer Tasche und zog ihn über ihre vollen Lippen. Sie war bereit für die bevorstehende Aufgabe - bereit, jemandem das Leben zu nehmen.
***
Der Herbst hatte Tübingen fest im Griff. Die Blätter wirbelten im eisigen Wind von den Bäumen, und die Straßen waren menschenleer, nur ab und zu huschte eine Gestalt gehetzt von einem Gebäude zum anderen, versucht, der rauen Kälte zu entkommen. Vor wenigen Stunden hatte es noch geschüttet wie aus Eimern. Allerdings war es nicht möglich gewesen, einen Regenschirm aufzuspannen, ohne dass dessen Metallstreben vom Wind verbogen worden wären. Die Menschen hielten sich lieber in den warmen Gebäuden auf, als freiwillig spazieren zu gehen. Die Tage wurden kürzer, die Nächte länger, und die Bewohner der Universitätsstadt sehnten sich nach Wärme, die sie bei einem heißen Tee in den gemütlichen Cafés fanden, während der Herbst sich kühl über der Stadt ausbreitete.
Fabian Weber packte seine letzten Sachen zusammen, um am Abend nach Wien zu reisen. Er hatte viel vor. Seiner Frau hatte er gesagt, es handle sich um eine Dienstreise. Sie glaubte ihm ohnehin jedes Wort. Wenn er mit dieser Sache durch war, würde sie ihn verstehen. Die Dokumente, die alles beweisen würden, waren das Wichtigste. Er kontrollierte, ob er alles eingepackt hatte.
Fabian sah in den Spiegel, der sich am Wandschrank in seinem Schlafzimmer befand. Zwischen den braunen Haaren waren mittlerweile viele weiße gewachsen. Es wunderte ihn nicht, bei all dem, was passiert war. Fabian würde nicht lange in der österreichischen Hauptstadt bleiben, weshalb er nur das Nötigste einpackte. Eigentlich verwunderte es ihn, dass man heutzutage noch so weit verreisen musste, um Unterlagen zu übergeben, und sie nicht einfach per Mail schicken konnte. Aber Ella Berger wollte sie im Original haben. Aus irgendeinem Grund war das von besonderer Wichtigkeit. Und nur er durfte sie ihr bringen und mit niemandem darüber sprechen. Fabian kannte sich damit nicht aus, und er vertraute ihr. Es war schließlich ihr Job, immerhin war sie eine angesehene Journalistin, während er es nie zu etwas gebracht hatte. Das Abitur hatte er noch geschafft, hatte eigentlich studieren wollen, aber dann war alles anders gekommen. Der plötzliche Tod seines Vaters hatte ihn gezwungen, schnell Geld nach Hause zu bringen. Er hatte sich immer wieder gesagt, dass er später studieren könnte, dass es nur eine vorübergehende Verantwortung war. Doch die Jahre vergingen, und aus der Überbrückung wurde eine dauerhafte Realität. Trotzdem war sein Leben irgendwie in Ordnung gewesen, bis er diesen Auftrag angenommen hatte. Dieser Auftrag, der schuld daran war, dass er letztlich nach Tübingen ziehen musste. Genau hier war seine Welt dann zusammengebrochen.
Er betrachtete das Bild auf dem Nachttisch, auf dem er, seine Tochter und seine Frau zu sehen waren. Es waren glückliche Zeiten gewesen, letztes Jahr im Frankreich-Urlaub. Der Wind am Atlantik hatte ihre Haare zerzaust, und es war nicht so einfach gewesen, ein Selfie von allen dreien zu machen. Dennoch liebte er dieses Foto, weil es einen der letzten glücklichen Momente ihres gemeinsamen Familienlebens zeigte. In den vergangenen Monaten war alles in die Brüche gegangen. Er und seine Frau lebten nur noch nebeneinanderher. Das alles war seine Schuld. Aber nun konnte er vieles wiedergutmachen. Vielleicht würde es ihn und Caroline wieder näher zusammenbringen.
Fabian Weber schloss den Aktenkoffer mit einem lauten Klicken, zog ein graues Sakko über sein weißes T-Shirt und schnürte sich geduldig die Schuhe zu. Die Stille in diesem Haus, das ihm von Tag zu Tag dunkler erschien, war fast nicht mehr zu ertragen. Vielleicht würde es ihm sogar guttun, wenn er ein wenig rauskam. Wenn er Abstand zu seiner Frau hatte und jeder für sich selbst ein bisschen nachdenken konnte. Er sah auf die Wanduhr, die das einzige Geräusch im Raum machte. Es war Nachmittag. Er würde zu Fuß nach Lustnau gehen und die Herbstluft genießen. Von dort aus würde er den Bus zum Bahnhof nehmen. Nichts brauchte er mehr als frische Luft, Luft zum Atmen. In diesem Haus erdrückte ihn mittlerweile alles. Jedes Möbelstück, jedes Bild, jedes Staubkorn presste eine schmerzhafte Erinnerung in seinen Kopf. Er musste nur einmal umsteigen. In Stuttgart würde er den Nachtzug nach Wien nehmen.
Fabian Weber verließ sein Haus, in der Hand den schwarzen Aktenkoffer, bereit, alles zu riskieren. Er war sich durchaus darüber im Klaren, dass er sein Leben aufs Spiel setzte. Aber nichts war ihm gleichgültiger als das. Er hatte nichts mehr zu verlieren, und es konnte nur besser werden.
Während er die Straße hinunterging, überkam ihn ein Gefühl der Wehmut. Er erinnerte sich an die Tage, als er gemeinsam mit seinem Mädchen durch die Parks spazieren gegangen war. Diese Erinnerungen waren Licht und Schatten in einem.
Die Straßen waren ruhig, und auch die Laternen waren bereits angegangen und warfen einen gedämpften Schein auf den Gehweg. Nur das leise Knistern von Blättern in der Dämmerung durchbrach die Stille. Fabian genoss die Kühle des Herbstes, während er langsam voranschritt. Die Gedanken an die Vergangenheit und die Ungewissheit der Zukunft vermischten sich in seinem Kopf. Doch er zwang sich, nicht darüber nachzudenken. Er konzentrierte sich nur auf den Moment, auf den Klang seiner Schritte auf dem Pflaster und das Rascheln der vertrockneten braunen Blätter unter seinen Schuhen.
Die Herbstluft füllte seine Lungen und brachte ihm Ruhe, die er seit Monaten nicht gespürt hatte. Trotz der Anspannung, die in ihm war, fühlte er eine gewisse Gelassenheit, weil er wusste, dass er das Richtige tat. Es war, als ob der Herbst ihm Mut machte, Trost spendete, eine Erinnerung daran war, dass auch nach dunklen Zeiten wieder bessere Tage kommen würden. Als er die Haltestelle erreichte, sah er schon die Lichter des Stadtbusses.
Er setzte sich in die erste Reihe, direkt hinter den Busfahrer. Die Scheiben waren beschlagen, die Luft im Bus war stickig und feucht. Mit der Hand wischte er das Kondenswasser von der Scheibe und sah nach draußen, wo die Stadt an ihm vorbeizog. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er war bereit, alles zu tun, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Kriminalkommissarin Henrietta Winter saß an ihrem Schreibtisch im Kommissariat und starrte auf den Bildschirm ihres Computers. Eine Unruhe lag in der Luft, die sie nicht zuordnen konnte. Vielleicht lag es daran, dass Christian heute noch die Stadt verlassen würde. Oder es war diese kalte Herbststimmung, die erdrückend über allem lag.
Ihr gegenüber saß Kriminalhauptkommissar Daniel Faber. Obwohl es im Büro warm war, zog er immer wieder die Schultern hoch und wickelte seine Lederjacke fest um seinen Oberkörper. Sie saß eng, was daran lag, dass Faber in den letzten Monaten viel trainiert hatte.
Henry lächelte und schüttelte den Kopf.
"Was?", fragte Daniel. "Ich weiß, dass euch Schweden das nichts ausmacht, aber ich bin ein ...", er überlegte kurz, "... thermischer Eskapist. Oder so."
"Ja ja." Henry warf ihr kastanienbraunes Haar nach hinten. Die braunen Locken waren lang geworden. "Wir Schweden." Sie malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft. "Schon klar. Wir sind alle blond und blauäugig, lieben Schnee und Eis, ernähren uns von Zimtschnecken und Köttbullar und haben alle einen Elch im Garten."
Daniels Bürostuhl knarrte bedrohlich, als er sich darin zurücklehnte. "Also zumindest das mit den Zimtschnecken stimmt ja bei dir, oder? Außerdem hast du vergessen, dass ihr alle super schwimmen könnt, wegen der vielen Seen."
Henry schnaubte gespielt. "Jetzt fang nicht wieder damit an."
Seit der Neckar-Mordserie im Sommer zog Faber sie auf, weil sie nur das Rettungsschwimmabzeichen Bronze hatte. Und selbst das hatte sie nur mit Ach und Krach erlangt, was nicht nur an ihrer panischen Angst vor Wasser gelegen hatte, sondern auch an den stechenden Schmerzen in den Ohren, die sie ab einer Tiefe von zwei Metern verspürte. Henry war stolz, dass sie ihre Aquaphobie weitgehend überwunden hatte, und erinnerte sich nur zu gut daran, wie schlimm es damals auf der Polizeischule gewesen war, das bronzene Abzeichen zu erlangen. Faber prahlte immer mit seinem goldenen Rettungsabzeichen, dabei war Henry sich eigentlich sicher, dass er es sich irgendwo auf dem Schwarzmarkt erkauft hatte. Bei seiner Kondition.
"Okay, weißt du was?", sagte sie bestimmt. "Wir schließen eine Wette ab: Wenn ich das...
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