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Freitag, 1. Jänner
Er taumelte durch eine eisige Winterlandschaft. Durst! Nein, nicht nur unter der sengenden Wüstensonne konnte man austrocknen, sondern auch im ewigen Polareis. Wasser! Oder gab es in dieser frostigen Einöde etwa gar so etwas wie Bier?
Er musste wo dagegen gerannt sein. In seinem Gesicht spürte er einen Schlag. Thomas Korber wachte auf. Es war dunkel. Er saß im Freien auf einer Bank. Vor sich nahm er undeutlich die Umrisse einer Frau wahr. Jetzt sah er auch ihre Hand, die ihm einen weiteren Klaps auf die Wange gab.
»Au! Was . was tun Sie da?«, fragte er verwirrt.
»Ich habe versucht, Sie aufzuwecken. Gott sei Dank ist es mir gelungen«, antwortete die Frau.
Korber schaute sich um. »Wo bin ich?«
»Sie sind im Wasserpark bei der Alten Donau. Sie müssen hier auf der Bank eingeschlafen sein. Das ist sehr gefährlich, immerhin hat es einige Minusgrade. Sie hätten erfrieren können«, erklärte ihm die Frau.
Korber fühlte sich träge, und seine Füße waren etwas taub. »Unsinn«, murmelte er.
»So reden alle Betrunkenen, aber wenn Sie wieder nüchtern sind, werden Sie feststellen, dass ich recht habe. Wissen Sie noch, wie Sie hierher gekommen sind?«
Korber tastete sein Hirn nach Erinnerungen ab. »Welcher Tag ist heute?«, wollte er wissen.
»Neujahr! Aber noch relativ früh am Morgen. Sieben Uhr«, gab die Frau Auskunft.
Neujahr! Korber beutelte sich einmal ordentlich ab, suchte weiter nach Eindrücken, die ihm seine jetzige Situation begreiflich machten. Er war in der vorigen Nacht gemeinsam mit Tausenden anderen Menschen auf dem Silvesterpfad in der Wiener Innenstadt unterwegs gewesen. Nach dem Konsum verschiedener heißer alkoholischer Getränke unterschiedlichster Stärke bei den zahlreichen Ständen im Freien hatte er nach Mitternacht noch einige Lokale aufgesucht. Von da an ließ sein Gedächtnis nach. Einen Streit hatte es gegeben, aber wo und mit wem? Wohl am ehesten mit dem Taxifahrer auf dem Nachhauseweg. Er musste frühzeitig aus dem Taxi ausgestiegen sein. Denn das nächste Bild in seinem Kopf zeigte ihn, wie er auf der Floridsdorfer Brücke über die Donau in Richtung seines Heimatbezirks wankte. Wahrscheinlich war er dann in den gleich nach der Brücke gelegenen Park abgebogen, um sich ein wenig von der Anstrengung zu erholen. Dabei hatte ihn auf einer Bank der Schlaf übermannt - ein sanfter, heimtückischer Schlaf, der schlimm für ihn hätte enden können.
»Ich war auf dem Heimweg von einer Silvesterfeier«, antwortete Korber schließlich vorsichtig.
»Und dabei wohl schon sehr unsicher auf den Beinen«, stellte die Frau mitleidlos fest.
»Wie kommen Sie zu so einer Behauptung?«
Sie deutete mit dem Zeigefinger auf seine Knie: »Sie haben da ein Loch in der Hose, und geblutet haben Sie offensichtlich auch ein bisschen. Sie müssen gestürzt sein. Ihre Hände sehen ebenfalls schmutzig und aufgeschunden aus.«
Korber wurde die Sache unangenehm. »Hören Sie, wer sind Sie eigentlich?«, protestierte er. »Und wie reden Sie mit mir? Ich muss mir das nicht gefallen lassen! Ich werde jetzt gehen!«
Die Frau blickte ihn mit einem entwaffnenden Lächeln an. »Ich bin eine gütige Fee«, sagte sie nur. »Und Sie bleiben da!«
»Ich habe schon bessere Witze gehört«, schnauzte Korber sie an. Er nahm alles, was er im Augenblick an Kraft besaß, zusammen und stand auf. Er fühlte sich zwar gar nicht wohl und hatte immer noch das taube Gefühl in den Füßen, aber er musste hier weg. Vielleicht gab es in Bahnhofsnähe ein Lokal, das bereits offen hatte.
Er machte ein paar Schritte, doch irgendetwas haute nicht hin. Er kam nicht so recht von der Stelle. Hilflos rutschte er in seinen Schuhen hin und her, bis er schließlich am Boden lag. Entgeistert sah er, wie ihm die Frau triumphierend seine beiden Schnürsenkel entgegenhielt. »Die habe ich sicherheitshalber einmal ausgefädelt, damit Sie keine Dummheiten machen«, teilte sie ihm mit.
»Und Sie wollen eine Fee sein?« Korber schüttelte den Kopf.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf!« Sie reichte ihm ihre Hand. »Wir gehen gemeinsam zu meinem Wagen, der ist jetzt das bessere Transportmittel.«
Korber schaute sich die Dame einmal etwas genauer an, so gut er mit seinem Brummschädel dazu in der Lage war. Sie war etwas kleiner als er, unter ihrem dicken Mantel wahrscheinlich relativ schlank und trug das Haar offen. Auf ihrer spitzen Nase saß eine Brille, die das Gesicht zusammen mit dem schmalen Mund streng wirken ließ. Das Alter traute er sich nicht zu schätzen. Es lag wohl so Mitte der 40. Sexuell strahlte sie auf ihn keine sonderliche Attraktivität aus. Sie wirkte eher wie eine übereifrige Krankenschwester.
Krankenschwester? Panik überfiel Korber. »Wollen Sie mich etwa ins Spital bringen?«, fuhr er die Frau genervt an.
»Nein«, beruhigte sie ihn. »Das habe ich nicht vor. Sie kommen ja einigermaßen zurecht.«
Der ironische Unterton in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen. »Dann fahren Sie mich bitte nach Hause«, ersuchte er sie. »Ich wohne nicht weit, in Groß Jedlersdorf.«
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht! Wir fahren zuerst zu mir. Das ist näher, gleich vorn auf der Floridsdorfer Hauptstraße.«
»Sie werden mich jetzt auf der Stelle meiner Wege gehen lassen«, forderte Korber.
»Wohnen Sie allein?«
»Ja«, brummte er.
»Dann ist das höchst unvernünftig, Herr Korber«, mahnte sie ihn.
»Woher . woher wissen Sie meinen Namen?«, stotterte er verblüfft.
»Stand in Ihrem Ausweis. Sie haben ja geschlafen wie ein Murmeltier«, erklärte sie. »Ich heiße übrigens Christa Wohlfahrt. Und ich werde Ihnen jetzt sagen, warum das unvernünftig ist. Männer wie Sie haben für gewöhnlich nicht viel zu essen in ihrem Kühlschrank, dafür jede Menge alkoholischer Getränke im Haus. Sie würden Ihre beginnende Verwahrlosung nur weitertreiben. Das wäre kontraproduktiv. Ich muss zumindest versuchen, Sie ein wenig zu stabilisieren. Mit einem ordentlichen Frühstück.«
Korber fühlte sich immer noch miserabel. Wenngleich er es vorgezogen hätte, seinen irritierten Magen im nächstbesten Gasthaus mit einer Flasche Bier zu beruhigen, folgte er Christa Wohlfahrt brav zu ihrem Auto. Irgendwie schien es ihm im Augenblick die beste Option zu sein, die er hatte.
*
Markus König erwachte an diesem Neujahrsmorgen zeitig, so wie an jedem anderen Tag auch. Er hatte am Vortag nicht viel gefeiert. Es war gegen seine Gewohnheit. Wenn es ein lebendes Beispiel für nüchternes Pflichtbewusstsein gab, dann war er es.
Das neue Jahr steckte schließlich voller Herausforderungen. Schon in einigen Tagen würde seine Theatertruppe, die Alpengeister, ein zweiwöchiges Gastspiel im Floridsdorfer Haus der Begegnung beginnen. Da musste er, der wegen seines väterlichen Einsatzes für die Schauspieler und wegen seines Familiennamens liebevoll »Alpenkönig« genannt wurde, dazusehen, dass alles lief wie am Schnürchen.
König ließ seine Gedanken kreisen, während er ein paar Liegestütze machte. Die Proben zum Stück Der Bauer als Millionär von Ferdinand Raimund gingen in die Endphase. Richtige Koordination und professionelles Zeitmanagement waren deshalb jetzt von äußerster Wichtigkeit. Eine wesentliche Eigenschaft der Alpengeister bestand nämlich darin, dass sie allesamt von auswärts, also außerhalb Wiens, kamen. Entweder stammten sie aus einem anderen Bundesland - Niederösterreich, Burgenland oder der Steiermark - oder sie waren als gebürtige Wiener mittlerweile ins nördliche Umland der Hauptstadt - Gerasdorf, Korneuburg oder Wolkersdorf - gezogen. Die Disziplin eines derart zerrissenen Haufens wurde mit jedem Gastspiel erneut auf die Probe gestellt - am meisten die Disziplin und Durchsetzungskraft von Markus König.
Ihre Aufführungen der Zaubermärchen des österreichischen Dramatikers Ferdinand Raimund aus der Biedermeierzeit waren allerdings weithin bekannt und beliebt. Vor allem im Raum Wien kam es immer wieder zu Engagements des halbprofessionellen Ensembles. Es gab ein Basisrepertoire an Stücken - Der Verschwender, Der Alpenkönig und der Menschenfeind, Der Diamant des Geisterkönigs, oder so wie jetzt Der Bauer als Millionär - mit dem die Schauspieler so vertraut waren, dass man keine langen Probenzeiten einplanen musste. Im Wesentlichen wurden nur einige Änderungen an der Inszenierung vorgenommen und ein paar zusätzliche technische Tricks eingeübt. Das funktionierte meistens hervorragend und vereinfachte die Organisation.
Der Bauer als Millionär war dabei immer noch eines der populärsten Volksstücke beim Wiener Publikum. Es mochte offenbar auch in der Gegenwart diese Mischung aus überirdischem Spektakel, Besserungsstück und volkstümlicher Komik, die Raimunds Zaubermärchen ausmachte. Da war einerseits die Feenkönigin Lakrimosa in die Bredouille geraten, da sie ihre Macht nur dann wiedergewinnen sollte, wenn ihre Tochter noch vor dem 18. Geburtstag einen armen Mann zum Gemahl nahm. Da war andererseits der Bauer Fortunatus Wurzel, der dadurch zum Spielball verschiedener Mächte wurde. Zum Ziehvater von Lakrimosas Tochter Lottchen ausersehen, wurde er vom Neid reich beschenkt und quasi zum Millionär gemacht. Der Reichtum ließ ihn hochmütig werden: Nicht eher möchte er der Heirat Lottchens mit dem armen Fischer Karl zustimmen, bis er so alt und schwach war, dass...
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