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Ein Haus bekam ich vor die Nase gesetzt, ein Haus ums andere, bis mein Blick zugemauert war und ich eine Geschichte erfand, um etwas sehen zu können, sagte er, schaute mich unverwandt an. Seine Augen glänzten und ließen auf einen nicht unerheblichen Alkoholkonsum schließen, obwohl -
Wenn ich es nüchtern betrachte, sehe ich schon lange nichts mehr, fuhr er fort, und ich vermute, dir geht es nicht anders, oder?
Was für eine Geschichte, fragte ich, wich einer Antwort aus, sein Blick war mir unangenehm, er führte mich auf mich selbst zurück, ich fühlte mich durchröntgt. Als drehten sich meine Augen um hundertachtzig Grad und wiesen hinein in meine Gedankenvierwände, was sah ich - Mauern? Ein Haus bekam ich vor die Nase gesetzt, ein Haus ums andere, murmelte ich, und weißt du, setzte er fort, ich habe es zunächst nicht einmal bemerkt.
Was für eine Geschichte, setzte ich erneut an, war irritiert.
Die Geschichte nimmt hier ihren Anfang, hier in dieser Bar, in der wir uns täglich treffen und in der wir beinahe jeden beim Namen nennen können. Betritt einmal eine fremde Person das Lokal, ist das schon ein Ereignis, nicht? Lass uns Fremde sein! Wir gehen uns viel zu selten fremd, sind mit der Gewohnheit so intim geworden, dass wir uns ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen können. Sind also neu in dieser Bar, nein, besser noch Neuankömmlinge in der Stadt, als solche verirren wir uns zwar leicht, aber sorgt nicht die Orientierungslosigkeit mitunter für die schönsten Blickerlebnisse? Wie oft schon haben wir uns dem Erkunden des Unbekannten hingegeben, stolperten von einem O ins nächste, schrieben Postkartengrüße an die Daheimgebliebenen - Das müsst ihr euch unbedingt ansehen! Ergriffen von der historischen Gewachsenheit eines Orts, schmunzelnd über Anekdoten aus dem alltäglichen Leben, die irgendein Hotelportier von sich gab: Wissen Sie, an dieser Stelle befand sich früher ein Bordell, freilich davor schon eine Schlosserwerkstatt.
Ich ließ ihn reden, starrte auf das Bier in seiner Hand, sah, wie er das Glas an die Lippen führte, ich trank. Während ich wieder abstellte, fuhr er fort:
Wir schauen uns um in der Bar, nur ein Menschenleben ist es her, da hatte hier noch der Obst- und Gemüsehändler Guido Passemani sein Geschäft. Der Urgroßvater des jetzigen Barbesitzers muss ihn gekannt haben, gehörte dem das Haus doch seit dem Ersten Weltkrieg. Die Passemani waren ein weiteres Mal in dieser Straße vertreten, mit einem Trödelladen nur ein paar Häuser weiter, Innstraße 9. Das Haus dort bietet Stoff für mehr als einen Roman.
Er sah mich durchdringend an, als wartete er auf ein Wort von mir, dann glitt sein Blick den Boden entlang, plötzlich:
Pferdeäpfel müssen hier einst gelegen haben, jede Menge Fallobst, er lachte, ich wusste nicht, was er meinte.
Noch heute befindet sich über uns ein Gasthof, erstmals wird er 1521 erwähnt, und früher war es eben üblich, im ersten Stock die Gäste einzuquartieren, währenddessen zu ebener Erde die Pferde untergestellt wurden. Aber Schwemme hin, Obsthändler her, am aussagekräftigsten an dieser Bar ist, dass der eigentliche Betrieb am Gehsteig vor dem Lokal stattfindet. Ein Gedränge herrscht dort wie auf einem Marktplatz! Als spielten die Gäste täglich wieder das Stück vom Platzmangel jener mittelalterlichen Siedlung namens Anbruggen hier auf der linken Innseite.
Seine Sätze in mir, ich ertappte mich dabei, dass ich sie vor mich hin flüsterte, die Geschichte nimmt hier ihren Anfang -
Hier in diesem Gewölbe, in einer Bar, deren Tür hinausführt auf eine Straße, die es schon gab, als Innsbruck noch nicht existierte. Und nun lass deiner Phantasie freien Lauf, schau dir an, wie eine Stadt entsteht, auch andere sind so entstanden, jede ein Räderwerk, eine Terzine. Ja, mir kommt es manchmal so vor, als hätte auch Dante bei der Konzeption seiner Commedia die Geburt einer Stadt vor Augen gehabt. Ein Name um den anderen taucht auf, schon ist er wieder verschwunden, doch hinterlässt er eine Geschichte, oft nur einen Vers - eine Häuserzeile lang. Und so wenig wie Dante einfach drauflos schrieb, legt man eine Stadt an, ohne sich vorher eine Struktur zurechtzulegen. Sehr schön lässt sich das an Paris erkennen, aber auch an unserer Stadt. Hätten wir einen Stadtplan zur Hand, könntest du sehen, dass der Straßen- und Gassenverlauf der Altstadt zwei Kreuze von unterschiedlicher Größe bildet. Diese Kreuze sind einander fächerförmig zugeordnet, wobei das kleinere im größeren aufgeht, in dessen Prägung eine beinahe deckungsgleiche Entsprechung findet. Ob Paris oder Innsbruck, Häuser erzählen dir stets vom Bauplan einer -
Also, ich bitte dich, du kannst doch Paris nicht mit Innsbruck vergleichen. Jede Stadt geht ihren eigenen Weg, die unsere seit Jahrhunderten in die falsche Richtung, dabei ist sie längst wieder bei ihren Wurzeln angelangt als Posten in der tiefsten Provinz. Mir war alles zu eng hier, angefangen von der Wortarmut der Heimischen, in der die Borniertheit Feste feiert, bis hin zum kulturellen Programm. Innsbruck mit Wien, Paris oder Florenz zu vergleichen, ist völlig absurd, fluchte ich in mich hinein, warf meinem Gesprächspartner über die Schulter zu: Du verallgemeinerst.
Tu ich das? Bringst nicht eher du durch deine Verdrossenheit mit den hiesigen Verhältnissen einen allgemeinen Nenner ins Spiel, bei dem jeder Vergleich von vornherein hinkt? Was erwartest du? Ein Apfel wird nicht zur Birne, Innsbruck nicht zu Paris. Aber beide Städte werden kultiviert von politischen, sozialen und kulturellen Strömungen, von Handlungsweisen und Zeitphänomenen; sie berichten von Seuchenspitälern und Armenvierteln, zeugen vom Aufblühen der Gewerbe, von der Verwaltung einer Stadt - diesbezüglich hat das Haus, in dem wir uns befinden, einiges zu bieten.
Ich musste mich hart am Riemen reißen, ein Apfel wird nicht zur Birne, was sollte das?
Du trauerst wie ich und viele in dieser Bar den Chancen nach, die du verpasst hast, und wälzt deinen Frust darüber ab auf eine Stadt in der selbstgefälligen Annahme, dass ihr Schweigen deine Ansichten bestätigt. Aber es liegt nicht an ihrer Stummheit, sondern an deinen Ohren, dass du nichts hörst. Und ist es nicht ein Widerspruch zu verdammen, was man längst nicht mehr sieht?
Was willst du eigentlich von mir, kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Und überhaupt: Was soll eine Bar schon von der Verwaltung dieser Stadt erzählen?
Er verzog keine Miene, ich griff zum Glas, es rutschte mir beinah aus der Hand -
Ist deine Verdrossenheit nicht Ausdruck des Unwissens, deiner Blindheit?
Er schaute an mir vorbei Richtung Tür, vor der die Stadt nur zu erahnen war, weil das Auge sie dort wusste und der Dunkelheit Fenster ausbrach wie einer Mauer.
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Stell dich auf die Innbrücke! Dort drüben auf der rechten Innseite, ursprünglich Prämonstratenser Chorherrenland, die heutige Altstadt. Denk dir an ihrer Statt Felder, herrliches Bauland, auf das man im 12. Jahrhundert vom linksseitigen Ufer aus sehnsüchtig blickt. Dort, an der alten Handelsstraße, über die seit langem der Nord-Süd-Verkehr fließt, entsteht im Lauf der Jahre die Ansiedlung Anbruggen, die ihre Geburt mehr oder weniger Herzog Heinrich von Bayern verdankt. Der hat im Konflikt mit den Andechsern deren Burg Ambras kurzerhand abfackeln lassen und somit die Burgherren bewogen, sich schon aus rein strategischen Gründen vom südlichen Talrand an den nördlichen zu verlegen. Freilich, was als taktischer Plan aufgeht und aus natürlichen Gegebenheiten vor Angreifern feit, wird der neu gegründeten Siedlung zum Problem: Sie hat den Fluss vor der Tür und hinterm Haus ein Gebirge, ist somit an einer Ausweitung gehindert, die Anbrugger stehen im wahrsten Sinn des Worts mit dem Rücken zur Wand.
Das ist in dieser Stadt nichts Außergewöhnliches.
Stehst du gut auf der Brücke, hörst du das Ächzen der Bohlen? Pass auf, dass du nicht unter die Räder kommst! Vom frühen Morgen bis spät abends donnern mit Sand, Kalk und Holz beladene Wagen an dir vorbei, denn nachdem die Andechser den Chorherren von Wilten einen Flecken Land - und mehr war's letztlich nicht - auf der rechten Innseite abgekauft haben, geht es Schlag auf Schlag. Was muss das für ein Hämmern gewesen sein dort drüben in der heutigen Altstadt, was für ein Feilschen um die besten Bauplätze. Wie gesagt, das erhaltene Grundstück ist nicht groß, nur eine etwas breitere Straße lässt es zu, sie ist heute eine der Touristenattraktionen der Stadt schlechthin. Jährlich zoomen abertausende Kameras die Häuser in Fotoalben, wollte man den Vorgängerbauten ebenso viel Aufmerksamkeit schenken?
Anfänglich bestanden die Häuser dort aus einem Erdgeschoß und einer Etage darüber, wurden zudem unterteilt in vorderen und hinteren Stock, waren also von der Straße aus nach rückwärts in die Länge gezogen, was bis heute so geblieben ist. Im Obergeschoß befanden sich die Stuben, eine im vorderen, eine im hinteren Stock, dazu je eine Diele, ferner die Küche. Darunter, zu ebener Erde im vorderen Hausteil der Ladenbereich, im hinteren der Steingaden, ein gemauerter Vorratsraum, an den sich ein Keller anschloss; rückseitig ein Stall. Die ausdrückliche Nennung des Begriffs Steingaden in den Quellen erklärt doch schon einiges, findest du nicht?
Mag sein.
Erklärt er vielleicht die Brandkatastrophen? Denn bis auf die Steingaden sind die Behausungen aus Holz, erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fängt man an, die Häuser ganz...
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