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München, 12. Dezember 1965, dritter Adventsonntag: Im überfüllten Herkulessaal der Münchener Residenz hält Karl Rahner den Festvortrag »Das Konzil - ein neuer Beginn«. Vier Tage zuvor, am 8. Dezember, war das Zweite Vatikanische Konzil in einer festlichen Schlussfeier im Petersdom abgeschlossen worden.
Parallel zur Schlussfeier in Rom hatte im Liebfrauendom der bayerischen Landeshauptstadt am Abend des 8. Dezember 1965 ein von Generalvikar Matthias Defregger zelebrierter Gottesdienst stattgefunden. Am 9. Dezember traf Erzbischof Kardinal Julius Döpfner aus der Ewigen Stadt ein. Die Kirchenzeitung berichtete nicht nur, wer zu seinem Tross gehörte. Sie hielt auch eine ungewöhnliche Aktion fest: »Der Kapitän der Lufthansa-Maschine hatte den Passagieren dieses Fluges eine besondere Überraschung bereitet: Bei strahlendem, wolkenlosen Himmel umflog er in geringer Höhe die Zugspitze.«46
Nach einer Pressekonferenz wurde Döpfner am Abend des 9. Dezember im Dom vom Domkapitel offiziell empfangen: »Im Presbyterium«, heißt es in dem Bericht, »hatten jene Männer aus unserer Erzdiözese Platz genommen, die nach den Worten unseres Kardinals wesentlichen Anteil am Gelingen dieses Konzils hatten: die Konzilstheologen, die Peritis aus unserer Diözese. Prälat Prof. Dr. Schmaus, Prof. Pascher, Prof. Mörsdorf, Prof. Rahner, Dr. Tilmann und P. Wulf SJ, sowie der Konzilssekretär des Kardinals, Dr. Gruber. Wenn die deutschen Bischöfe einen wesentlichen Beitrag zu diesem Konzil leisten konnten, so sagte Kardinal Döpfner, dann sei dies in erster Linie der hervorragenden Arbeit der deutschen Konzilstheologen zu verdanken.«47 Die Stimmung war offenbar euphorisch, wie auch später beim Festakt.
Karl Rahner rangiert in dieser Aufzählung unter den aus dem Erzbistum München und Freising stammenden Konzilstheologen. Er wirkte zu dieser Zeit auf dem Romano-Guardini-Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung an der Ludwig-Maximilians-Universität. Allerdings war er auf dem Konzil offiziell persönlicher theologischer Berater des Wiener Erzbischofs Kardinal Franz König gewesen. Er hatte aber auch anderen Bischöfen, ja ganzen Bischofskonferenzen zugearbeitet, allen voran den deutschen Bischöfen. Zu Döpfner war der Kontakt besonders eng. Die beiden schätzten einander gegenseitig sehr. Und so lag es nahe, dass Döpfner, soeben frisch gewählter Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Rahner um eine erste, geradezu taufrische Bilanz über das Jahrhundertereignis in Rom bat.
Rahners Vortrag geriet zum Höhepunkt des Festaktes, zu dem zahlreiche Prominenz aus den verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften, aus Politik und Gesellschaft erschienen war, darunter der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel, einige seiner Minister und Staatssekretäre, Hans-Jochen Vogel, der Oberbürgermeister von München, der Chef des Hauses Wittelsbach, Herzog Albrecht von Bayern, zahlreiche Universitätsprofessoren sowie Rektoren und Leiter katholischer Ausbildungseinrichtungen. Die »Süddeutsche Zeitung« berichtete tags darauf in einem ausführlichen Beitrag von »langanhaltendem Beifall« für den Festredner und zitierte das Schlusswort von Kardinal Döpfner: »Mir kommt es vor, als ob eigentlich jedes weitere Wort in dieser Stunde überflüssig sei.«48 In einem mit 20. Dezember 1965 datierten Weihnachtsbrief, dem der Kardinal 1000 DM (»als Aufwandsentschädigung für die letzte Sitzungsperiode und zum andern als Honorar für den Vortrag im Herkulessaal«) beilegte, schrieb Döpfner: »Ich darf bei dieser Gelegenheit meine tiefempfundene Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für alle wertvolle Mithilfe in der Konzilsarbeit, vor allem aber für Ihren hervorragenden Vortrag beim Festakt am 12. Dezember. Ihre Betrachtung des Konzilsereignisses hat nicht nur mir persönlich, sondern auch weiten Kreisen, wie ich von verschiedenen Seiten höre, zu einer nüchternen und doch zugleich sehr positiven, tröstlichen Deutung dieses Geschehens verholfen und Mut gemacht für die keineswegs leichten Aufgaben der Zukunft.«49
Der Text von Rahners Rede erschien als eigenständige Veröffentlichung im Verlag Herder. Der Matthias Grünewald Verlag brachte sie dreißig Jahre später (1995, zusammen mit zwei anderen Reden) als Tondokument auf Audio-CD heraus (»Berührt vom unendlichen Geheimnis«). Rahner zu hören ist noch einmal ein spezielles Erlebnis! In der Edition der »Sämtlichen Werke«, wo die verschiedenen Textvarianten eingehend dokumentiert sind, ist der Text in Band 21 aufgenommen.
Fünfzig Jahre nach der Eröffnung des Konzils, 2012, habe ich zusammen mit Albert Raffelt die längst vergriffene Rahner-Rede als eigenständige Publikation herausgegeben und neu zugänglich gemacht. In seinem Geleitwort schrieb ein Zeitzeuge, Kardinal Lehmann: »Es war ein Ereignis, das die bayerische Landeshauptstadt sehr beeindruckt hat. Ich bin in den folgenden Tagen im Büro geradezu überwältigt worden mit der Bitte um das Redemanuskript, das wir rasch zum Druck brachten. Ein prominenter Anrufer, der damalige Münchener Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel, sagte mir am Telefon: >Wenn das, was Karl Rahner sagte, Wirklichkeit wird, ist dies eine ganz neue Zukunft für die Kirche.<«50 Rahner hatte während des Konzils im Collegium Germanicum et Hungaricum logiert, wo ihm der Seminarist Karl Lehmann (* 1936) auffiel. Er zog ihn permanent für Dienste heran: »So hat mich Karl Rahner immer wieder um Hilfe gebeten, wenn es darum ging, Texte abzuschreiben und später zu redigieren, Kopien anzufertigen, Büromaterial zu besorgen usw. Schließlich habe ich auch mit dem Taxi in einem Koffer in ganz Rom bei den verschiedenen Niederlassungen der einzelnen Bischofskonferenzen Texte verteilt.«51 Von 1964 bis 1968 war Lehmann dann offiziell Assistent Karl Rahners - zuerst in München, dann in Münster (Westfalen).
Karl Rahner hatte, wie so oft zuvor, den Ton getroffen und die Dinge auf den Punkt gebracht. Unverhohlen warnte er vor einem falschen »Enthusiasmus«, einer naiven, weil unreflektierten Konzilseuphorie: »Das Konzil hat einen Anfang für den Aggiornamento, für die Erneuerung, gesetzt, ja sogar für die immer fällige Buße und Bekehrung: den Anfang des Anfangs. Das ist viel. Aber eben nur den Anfang des Anfangs. Alles, fast alles ist noch Buchstabe, aus dem Geist und Leben, Dienst, Glaube und Hoffnung werden können, aber nicht von selbst werden. Die Kirche hat sich zu einer Hoffnung bekannt, aber sie muss erst noch erfüllt werden. Und diese Kirche, das ist eine grundlegende Aussage aus Geist und Feuer, sind wir alle selber.«52
Ein Signalwort von Johannes XXIII. aus dessen Konzilseröffnungsansprache vom 11. Oktober 1962 ist hier aufgenommen: »Aggiornamento«. Ein gar nicht so leicht zu übersetzendes Fremdwort: auf den Tag, auf die Höhe der Zeit bringen - das war das Bestreben des Papstes gewesen. »Verheutigung«, aber nicht verstanden als eine Auslieferung an den Zeitgeist, wie nachkonziliare kritische Stimmen, meist im polemischen Sinn, geltend machten. Rahner war sich als einer der »Wasserträger« des Konzils sehr bewusst, dass die eigentliche Arbeit, nämlich die Umsetzung der mehrjährigen Beratungen, einhergehen muss mit einem tiefgreifenden Mentalitätswechsel, einem gänzlich neuen Kirchenverständnis auch. Denn das Konzil wollte keine andere Kirche. Aber es wollte, dass die Kirche anders wird: biblischer, jesuanischer, mehr auf das pilgernde Volk Gottes schauend als auf eine Priester-, Bischofs- und Papstkirche starrend.
»Der Aggiornamento, den die Kirche vorbereitet«, so Rahner weiter, »ist nicht das Bestreben, die Kirche etwas gemütlicher und ansehnlicher in der Welt einzurichten, sondern eine erste, von ferne anlaufende Zurüstung, um der Frage auf Leben und Tod von morgen standhalten zu können. Dieses Konzil ist nur ein Anfang - auch in dieser Perspektive.«53 Ungewöhnlich für den als nüchtern geltenden Jesuiten, wurde Rahner nicht nur pathetisch, sondern in einigen Passagen sogar poetisch: »Natürlich muss die Kirche ihrem Wesen und - richtig verstanden - selbst ihrer Vergangenheit treu bleiben. Nicht morgen schon wird alles anders und besser. Die heilige Kirche bleibt auch künftig die Kirche der armen Sünder, die wir alle sind, die ecclesia semper reformanda in capite et in membris. Freilich wird es lange dauern, bis die Kirche, der ein II. Vatikanisches Konzil von Gott geschenkt wurde, die Kirche des II. Vatikanischen Konzils sein wird. Ähnlich dauerte es ja einige Generationen, bis nach dem Trienter Konzil die Kirche eine Kirche der Trienter Reform geworden war. Aber das alles ändert nichts an der heiligschrecklichen Verantwortung, die...
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