1. Bild
Peterchens und Annelieses Schlafzimmer. In der Ecke links ein großes Bett mit bunten Vorhängen. Vorn links ein Spielzeugschrank, eine Puppenstube und ein Schaukelpferd. In der Mitte des Zimmers ein breiter, niedriger Kindertisch. Rechts vorn eine Tür hinter geblümten Vorhängen. Neben der Tür ein Kleiderschränkchen, Badewanne, Waschtischchen mit zwei Schüsselchen und eine bunte Kommode mit Bilderbüchern darauf. Im Hintergrunde breites Fenster mit Vorhängen und Blumen.
Es ist Abend. Peterchen und Anneliese werden von Minna zu Bett gebracht.
Peterchen
(am Waschtisch, im Nachthemdchen, wäscht sich mit einem großen Schwamm).
Anneliese
(sitzt auf dem Bettchen, ebenso im Nachthemdchen, und flicht sich ihr Zöpfchen für die Nacht).
Minna
(macht das Fenster zu)
So, nun machen wir das Fenster zu,
Und dann hat die liebe Seele Ruh.
Der Mond kommt gerade über die Wiese.
(dreht sich herum)
Seid ihr fertig, Peterchen? Anneliese?
Hurtig, hurtig ins Bettchen hinein;
Wenn die Mutter kommt, muß Ordnung sein!
(Sie nimmt Peterchen den Schwamm fort und trocknet ihm mit einem großen Handtuch das Gesicht ab).
Peterchen
Au, Minna! meine Nase bricht ab!
Minna
Papperlapapp! - Papperlapapp!
Peterchen
Au, jetzt hast du mein Ohr geziept!
Minna
Was das nicht alles für Sachen gibt,
Wenn man den Buben abtrocknen will!
Peterchen
(unter den Falten des großen Tuches)
Ja, aber ...
Minna
Papperlapapp! - sei still!
Anneliese
Minna, mein Zöpfchen ist fertig - - so?
(zeigt das Zöpfchen).
Minna
Schön! - Schnell ins Bettchen, du kleiner Floh!
Anneliese
(huscht ins Bett)
Ach ja, jetzt will ich mal recht schön schlafen
Und will träumen von kleinen, weißen Schafen.
Peterchen
Anneliese träumt immer von Schafen,
Und ich viel lieber von Pferden und Grafen
Und von Prinzen und von Soldaten
Und von Bonbons und Kuchen und Braten
Und von ...
Minna
(kämmt ihn)
Ja, ja, du kleiner Mann;
Von allem, was man essen kann.
Peterchen
(entrüstet)
Minna, einen Grafen ißt man doch nicht!
Minna
(hört nicht)
So, nun ist er sauber, der Wicht. -
Schnell, schnell ins Bettchen!
(legt Kamm und Bürste fort).
Peterchen
(steht und rührt sich nicht).
Minna
(dreht sich herum)
Nun? hörst du nicht?
Peterchen
Guck mal den Mond da auf der Wiese!
Guck mal den Mond, guck, Anneliese;
Er sieht aus wie ein gelbes Gesicht ...
Minna
(schiebt ihn zum Bett)
Ja, ja, nun geh nur ...
Peterchen
Nein, siehst du nicht
Minna? - Kennst du den Mann im Mond,
Der dort oben zur Strafe wohnt,
Auf dem Rücken ein Bündel Ruten?
Minna
Will Er wohl, will Er sich endlich sputen!
(Sie hat ihn bis ans Bett gebracht.)
Peterchen
Halt, Minna! da fliegt was in der Stube ...
Minna
(hebt ihn ins Bett)
Ins Bettchen, ins Bettchen, kleiner Bube!
Peterchen
Minna, ein Maikäfer, ein ganz dicker!
Minna
(legt ihn an Annelieses Seite)
Unsinn, schlaf jetzt, mach du deinen Nicker! -
So, nun ruf' ich die Mutter. - Schlaft schön!
(Sie geht hinaus.)
Peterchen
(leise)
Anneliese, ich hab' ihn gesehen!
Ganz dick ist er herumgebrumst,
Dicht an mir ist er vorbeigesumst.
Anneliese
Peterchen, ob uns der was tut?
Peterchen
Nein, Anneliese, Maikäfer sind gut.
Die tun einem nichts, die brummen nur.
(setzt sich im Bett auf)
Ich hab' keine Angst, nicht eine Spur!
Anneliese
So ein klein bißchen hab' ich doch Angst ...
Peterchen
(kühn)
Weißt du, Anneliese, wenn du dich bangst,
Dann mach' ich ihn mit dem Pantoffel kaputt.
Anneliese
Nein Peter, nicht - er ist ja gut!
Nicht totmachen, laß' ihn nur leben.
Wir wollen ihm lieber Zucker geben;
Ich habe noch in der Puppenstube.
Peterchen
Der ißt keinen Zucker, ich glaube es kaum;
Die Maikäfer sitzen oben im Baum,
Die essen Kastanien.
Anneliese
Ja, das kann sein.
Peterchen
Wie kam der bloß hier in die Stube herein?
Anneliese
Vielleicht hat er sich auf dem Weg verirrt
Und ist aus Versehen hereingeschwirrt
Und fürchtet sich nun, so ganz allein,
Ohne seine Frau und seine Kinderlein.
Peterchen
(überlegen)
Aber, Anneliese, ein Maikäferpapa,
Der bangt sich doch nicht nach der Maikäfermama;
Der fliegt nur so des Abends spazieren
Und guckt in die Fenster und in die Türen,
Ob's da für ihn was zu holen gibt.
Anneliese
Dann ist er jetzt ganz gewiß betrübt;
Er hat doch bei uns nichts gefunden, und
Minna hat ihn doch eingespunnt.
Peterchen
(nachdenklich)
Nun, man könnte ihn ja befrei'n;
Aber, wo mag er jetzt nur sein?
Ich glaube, er sitzt an dem Vorhang da ...
(springt aus dem Bett.)
Husch, husch! - Wo bist du, Maikäferpapa?
(Die Mutter kommt herein.)
Mutter
(droht)
Aber, Peterchen, sieh mal an! -
Peterchen
Mutti, da sitzt ein Maikäfer dran,
Ein ganz dicker, den lassen wir fliegen ...
Mutter
(sieht nach)
Unsinn! - Ihr sollt jetzt im Bettchen liegen
Und schlafen und an gar nichts denken.
Wer schläft, dem will ich was Schönes schenken;
Fünf Äpfelchen für jedes Kind,
Wenn beide hübsch ausgeschlafen sind.
(Sie stellt zwei kleine, bunte Körbchen mit Äpfeln auf den Tisch.)
Peterchen
Ei, Mutti, Mutti, ich danke schön!
(hängt sich ihr an den Hals - besichtigt dann die Äpfel.)
Mutter
(führt ihn zum Bett.)
Erst schlafen, morgen früh besehen!
Peterchen
Anneliese, Äpfel, zwei Körbchen voll!
Anneliese
(legt der Mutter die Ärmchen um den Hals.)
Danke schön, Muttchen!
Mutter
(küßt sie)
Mein kleiner Troll!
(legt Peterchen ins Bett, deckt beide Kinder zu.)
So, es ist schon furchtbar spät. -
Nun sprecht noch schnell euer Nachtgebet!
Anneliese
(faltet die Hände.)
Ich bin noch klein, mein Herz ist rein,
Soll niemand drin wohnen, als Jesus allein. - Amen.
Peterchen
(faltet die Hände.)
Lieber Herr Jesus, mach mich fromm,
Daß ich in den Himmel komm'. - Amen.
Mutter
(küßt beide.)
Peterchen
Mutti, meinen Hampelmann!
Anneliese
Und meine Puppe, bitte, bitte!
Mutter
(holt beides.)
So, hier zwischen euch in die Mitte.
Peterchen
Mutti, nun sing noch, eh' wir schlafen!
Mutter
(setzt sich am Bett.)
Was denn? vom Prinzen, vom Schäfchen, vom Grafen?
Peterchen
Nein, vom Maikäfer muß es sein!
Mutter
Also, das Lied vom Maikäferlein:
(Sie beginnt.)
War einst ein kleines Käferlein,
Summ - Summ - Summ,
Hatte zwei braune Flügelein,
Summ - Summ - Summ,
Und sechs Beinchen hatte es auch
Unter seinem schwarzweißen Bauch,
Summ - Summ - Summ.
Saß auf einem grünen Baum,
Summ - Summ - Summ,
Träumte einen schönen Traum,
Summ - Summ - Summ,
Träumte von Sonne, Mond und Sternen
Und von fremden Länderfernen,
Summ - Summ - Summ.
Als der dunkle Abend kam,
Summ - Summ - Summ,
Käferlein sein Ränzel nahm,
Summ - Summ - Summ,
Wollt' auf die weite Reise gehn
Und die große Welt beseh'n,
Summ - Summ - Summ.
Flog über einen breiten Bach,
Summ - Summ - Summ,
Verlor ein kleines Beinchen, ach -
Summ - Summ - Summ,
Reiste nur noch mit fünf Beinen,
Tat so bitterlich drum weinen,
Summ - Summ - Summ.
Flog es nach dem Mond geschwind,
Summ - Summ - Summ,
Kam ein großer Wirbelwind,
Summ - Summ - Summ,
Brach ein Flügelchen entzwei,
Ach, das gab ein groß' Geschrei -
Summ - Summ - Summ.
Fiel in einen tiefen Wald,
Summ - Summ - Summ,
Starb an seinem Kummer bald,
Summ - Summ - Summ,
Muß die Reis' ein Ende haben,
Sandmännchen hat's eingegraben,
Summ - Summ - Summ.
(Refr.) Muß die Reis' ein Ende haben,
Sandmännchen hat's eingegraben,
Summ - Summ - Summ.
(Während des Gesanges der Mutter ist es allmählich dunkel im Zimmer geworden. Sie wiederholt die letzten Zeilen leise, während schon die Melodie von einer Geige aufgenommen wird. - Die Mutter schweigt, und die Geige spielt weiter. Es wird allmählich heller im Zimmer, aber es ist ein anderes, etwas bläuliches Licht. Die Mutter ist verschwunden. Statt ihrer sieht man einen großen Maikäfer mit übergeschlagenen Unterbeinchen auf dem Tische sitzen. Er spielt auf einer kleinen, silbernen...