Schweitzer Fachinformationen
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Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, ist kein Wind günstig.
Seneca
Sie haben Ihr Ziel erreicht, wiederholte die Uschi aus dem Handy nun schon zum dritten Mal. So ein Quatsch, dachte Hanna genervt und machte es endgültig aus. Sie hatte noch einige Kilometer auf der Landstraße vor sich. Warum sie vorm Losfahren die Route überhaupt eingegeben hatte, wusste sie selbst nicht. Schließlich kannte sie den Weg ganz genau, auch wenn sie ihn lange nicht mehr gefahren war.
Hanna blickte in den Rückspiegel. Balu wurde immer unruhiger. Zum x-ten Mal versuchte er sich mit seinem großen, altersschwachen Körper auf der engen Rückbank zu drehen. Es war entsetzlich heiß. Die Klimaanlage in Hannas uraltem Mini pustete längst nur noch warme Luft ins Auto.
Seit fast drei Stunden waren die beiden nun schon unterwegs. Dabei lagen zwischen ihrer Haustür in Hamburg-Ottensen und dem Örtchen Klanxholm nur etwa 130 Kilometer. Doch der Ferienverkehr auf der A7 war mehr als schleppend gewesen. Es war Samstag, und das hieß Bettenwechsel in Dänemark. Dicht an dicht bahnte sich die Blechkolonne ihren Weg gen Norden. Ab der Rader Hochbrücke war es dann nur noch im Schneckentempo vorangegangen. Statt dort den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen und die Segel- und Containerschiffe auf dem Nord-Ostsee-Kanal zu beobachten, hatte Hanna wehmütig in die vollgepackten Familienkutschen gestarrt, die links an ihr vorbeikrochen. Selbst bei dem Anblick plärrender Kinder, die sich ums Tablet stritten, wurde ihr warm ums Herz. Wie gern wäre sie auch in diesem Jahr mit Lena in die Bretagne gefahren. Doch ihre Tochter hatte es vorgezogen, mit ihrer Clique Inselhopping in Griechenland zu machen. Und das ausgerechnet in diesem Sommer, nach allem, was passiert war.
Im Rückspiegel sah Hanna, wie Balu sich die Lefzen leckte und einfach nicht zur Ruhe kam. Die Hitze machte ihn fertig. Nach einem eher verregneten Juni gab der Sommer seit einigen Tagen alles. Fast so, als wollte er sich für den holprigen Start entschuldigen. Dabei hatte Hanna kein Problem mit dem Grau-in-grau der letzten Wochen gehabt. Es passte wesentlich besser zu ihrer Stimmung als das unendliche Blau, das sich nun über ihr wölbte. Eben, auf der kleinen Fähre in Missunde, mit der sie die Schlei überquert hatten, hatte für einen kurzen Moment ein angenehmes Lüftchen geweht. Doch längst war es im Auto wieder heiß und stickig. Wenigstens, dachte Hanna, waren die Schweißperlen, die ihr gerade die Wirbelsäule hinunterliefen, einzig und allein der Temperatur geschuldet und hatten nichts mit den Hitzewellen zu tun, die sie seit Kurzem von Zeit zu Zeit ergriffen.
Balu begann zu winseln. Es nützte nichts, ihr alter Golden Retriever brauchte eine Pause. Hanna fuhr rechts ran auf den Grünstreifen. Sie machte den Motor aus, schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem rhythmischen Klicken der Warnblinkanlage. Dann schnallte sie sich ab und drehte sich zu Balu, der mitbekommen hatte, dass sie angehalten hatten, und nun aufrecht saß und hechelte.
Hanna stieg aus. Der Jerseystoff ihres gelb-weiß geringelten Sommerkleides klebte an Po und Oberschenkeln. Sie reckte die Arme in die Höhe, ging ins Hohlkreuz und gähnte einmal herzhaft. Dann zog sie das Haargummi aus ihrem Pferdeschwanz, schüttelte den Kopf hin und her und band sich anschließend ihr dunkelblondes Haar wieder zusammen. Die Strähnen, die nicht halten wollten, klemmte sie hinter die Ohren.
Hanna sah sich um. Auf der Landstraße war trotz der Hochsaison jetzt nicht viel Verkehr. Hier hatte sich nichts verändert, dachte sie. Nur ein paar Windräder und Maisfelder waren dazugekommen. Sie ging ums Auto auf die Beifahrerseite und öffnete die Tür. Nachdem sie den Sitz vorgeklappt hatte und Balus verschwitzten Rücken tätschelte, zwängte er sich schwerfällig aus dem Wagen. Längere Strecken mit ihm war sie sonst immer mit Bens Kombi gefahren. Darin hatte Balu jede Menge Platz, die Klimaanlage funktionierte einwandfrei, und auch sonst war im Gegensatz zu ihrem Oldtimer alles in Schuss. Doch nie und nimmer hätte sie Ben um Hilfe gebeten und ihn gefragt, ob sie für die nächsten Wochen die Autos tauschen könnten. Eher wäre sie mit Balu per Anhalter an die Schlei gefahren.
Neben dem Grünstreifen war ein Knick. Dahinter erstreckte sich ein riesiges Weizenfeld. Balu stand völlig regungslos an der Autotür und starrte vor sich hin. Er war jetzt 13, hatte Arthrose in der Hüfte, und in letzter Zeit fraß er nicht mehr viel. Bereits Anfang des Jahres hatte der Tierarzt zu Hanna gesagt, sie solle sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Balu nicht ewig leben würde. Da war gerade die Sache mit ihrem Vater passiert. Hanna war in der Praxis in Tränen ausgebrochen und hatte den Arzt schluchzend angefleht, ihrem Hund irgendwelche Vitamine und Aufbaukuren zu verschreiben.
«Komm, alter Junge, hier ist ein bisschen Schatten, setz dich dahin.» Hanna sah Balu an und machte eine Kopfbewegung Richtung Knick. «Ich hol dir was zu trinken.» Sie ging hinters Auto und öffnete den winzigen Kofferraum. Sie steckte den Kopf hinein und kramte in einer IKEA-Tasche nach Balus Napf.
Dann ging alles ganz schnell. Hanna hörte quietschende Reifen, ein Jaulen. Ihr Herz fing an zu rasen. Sie stieß sich den Kopf, fluchte laut, und als sie endlich wieder aufrecht stand, sah sie vor sich auf der Fahrbahn einen lindgrünen Landrover Defender, vor dem Balu lag. Die Fahrertür stand offen, und ein Mann in ihrem Alter kniete vor dem Hund, der leise winselte. Hanna ließ den Napf fallen und lief zu den beiden.
«Er war plötzlich da», sagte der Mann. «Es tut mir so leid.»
Hanna hörte kaum, was er sagte. Sie kniete sich hin und streichelte vorsichtig über Balus Kopf. Tränen liefen ihr über ihre Wangen. «Hey, was ist passiert, alter Freund . ganz ruhig, alles ist gut.»
«Nicht weit von hier wohnt eine Tierärztin», sagte der Mann. «Ich fahre euch hin.»
Hanna blickte ihn kurz an, blieb aber stumm und wandte sich wieder ihrem Hund zu. Unter ihren Händen spürte sie, dass Balu aufstehen wollte. «Langsam, mach langsam.» Es dauerte einen Moment, bis er sein Hinterteil hochgehievt hatte. Schließlich stand er mit zittrigen Beinen vor Hanna, humpelte Richtung Grünstreifen und legte sich dort in den Schatten. Hanna und der Landrover-Fahrer folgten ihm.
«Ich kann mich nur entschuldigen», wiederholte der Mann. «Ich habe ihn einfach nicht gesehen.»
Hannas Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals. Sie atmete tief durch und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. «Es ist nicht Ihre Schuld», sagte sie mit brüchiger Stimme und hob den Napf auf. «Ich hätte besser aufpassen müssen.»
«Kommen Sie, ich helfe Ihnen.» Der Fahrer nahm Hanna den Napf ab. «Wo haben Sie Wasser?»
Hanna deutete auf den offen stehenden Kofferraum.
«Mein Angebot steht.» Er stellte Balu den gefüllten Napf vor die Nase, der langsam zu trinken begann. «Ich fahre Sie und Balu gern zur Tierärztin.»
Hanna hatte sich zu Balu gekniet. Sie tastete vorsichtig seinen Körper ab, zwischendurch wischte sie sich mit dem Handrücken immer wieder Tränen von ihren Wangen. «Ich weiß nicht . ja, vielleicht ist das eine gute Idee . Ich .» Sie wollte noch etwas sagen, verlor aber den Faden, als plötzlich ein Polizeiwagen mit geräuschlosem Blaulicht hinter dem Landrover hielt. Ein Beamter mit verspiegelter Pilotensonnenbrille und lichtem Haar stieg aus.
«Moin, Thies», krähte der Polizist in breitem Norddeutsch und ging auf die drei zu. «Wat ist denn hier passiert? Du stehst ja mitten auf der Straße und hast nicht mal Warnblinker an!»
«Moin, Sheriff, ich bin auch gleich wieder weg. Es gab einen kleinen Unfall. Aber wir regeln das gerade.»
Als der Polizist den Grünstreifen erreicht hatte, nahm er seine Sonnenbrille ab und musterte Hanna, die inzwischen aufgestanden war und sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Dann blickte er zwischen ihr und ihrem Mini mit Hamburger Kennzeichen hin und her und schüttelte schweigend den Kopf.
«Mein Hund brauchte eine kurze Pause», versuchte Hanna die ganze Sache rasch zu erklären. «Und dabei ist er blöderweise auf die Straße gelaufen.»
«Soso, und weil dem Hündchen heiß war, dachten wir uns: Och, macht ja nix, halt ich mal schnell direkt an der Straße an.» Nun lächelte der Beamte süffisant. «Wissen Sie, gute Frau, hier nennen mich zwar alle Sheriff, aber wir sind hier weiß Gott nicht im Wilden Westen. Solche Sperenzien können Sie sich vielleicht in Hamburch erlauben, aber hier garantiert nicht.» Er machte mit der Hand eine Trinkbewegung. «Haben wir vielleicht schon einen Lütten gezwitschert? So einen schönen Aperol Spritz auf der Terrasse vom Ferienhäuschen?»
«Haben wir nicht!», sagte Hanna entschieden, der die Sache allmählich zu bunt wurde. «Ich habe keinen Tropfen Alkohol im Blut und würde jetzt gern zum Tierarzt fahren.»
«Nun lass doch gut sein, Sheriff», mischte sich der Fahrer ein.
«Nee, Thies, Augenblick noch.» Er drehte sich zu dessen Auto. «Hast du einen Schaden am Wagen?»
«Nein, nein, es ist gar nichts passiert.»
«Gut. Dann hätte ich von Ihnen, gute Frau, gerne Führerschein und Fahrzeugpapiere.»
Ich zeig dir gleich 'ne gute Frau, dachte Hanna und hätte ihrem Ärger über die Kleingeistigkeit dieses Dorfpolizisten am liebsten lauthals Luft gemacht. Doch statt ihre Wut rauszubrüllen, atmete sie tief durch, holte ihre Handtasche vom Beifahrersitz und kramte nach ihren Papieren, mit denen der Sheriff dann zu...
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