Schweitzer Fachinformationen
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Der junge Beck war ein fauler Kerl. Er haßte die Schule, denn sie bedeutete zuviel Arbeit für ihn. Die Bemühungen seiner Lehrer betrachtete er eher als Schikane. So brachte er es nicht einmal bis zur Mittleren Reife, obwohl er ein intelligenter Junge war. Nach Verlassen der Schule gammelte er eine Lehre als Verlagskaufmann bei einem Offenbacher Verlag durch. Die Abschlußprüfung schaffte er mit Ach und Krach.
Zuhause war alles Scheiße. Der Alte arbeitete als Formulardrucker im Keller der Sparkasse, verdiente nur sehr bescheidene Kohle. Träumte statt dessen von der guten alten Zeit unter Adolf, als er bei der Luftwaffe ohne Flugzeuge diente.
»Wenn die Amis mit ihren mächtigen Juden nicht eingegriffen hätten, wär ich heute Rittergutsbesitzer im Osten. Der Führer hat es uns versprochen! Als Belohnung für alle Portepeeträger. Nach dem Endsieg«, lamentierte er oft, wenn er besoffen war. Dabei bohrte sich der alte, unbelehrbare Nazi in der Nase. War er fündig geworden, hetzte er weiter: »Juden in der Nase . Parasiten, die raus müssen. Glaub ja nicht ihre Lügen, Junge! Glaub sie nicht. Von wegen Millionen tote Juden und KZ-Greuel. Die hocken alle stinkreich in Florida und verjubeln unsere Wiedergutmachung!«
Kopfschüttelnd versuchte Peter, Einwände anzubringen, erntete allenfalls eine Kopfnuß und mußte sich die idiotischen Belehrungen seines Vaters anhören.
»Weil die unser gutes Geld stehlen, zahlen wir die hohen Steuern.
Bleibt nur ein beschissener Rest. Ich hoffe, Franz-Josef wird mal rankommen. Da werden se aber gucken, die Untermenschen, jawoll! War 'ne tolle Zeit damals mit den Fackelmärschen, dem sauberen Jungvolk. Ja, und die deutschen Tugenden - sportlicher, fairer, klarer Geist in gesunden, gestählten Körpern. Jetzt werden wir von denen mit Amerikanismus vergiftet - Negermusik, Kaugummi, Jeans und Coca Cola. Wenn die uns nicht so ausnehmen würden, wär's ein gutes Leben in unserem Land. Und ich könnte mir 'nen Opel Kadett leisten.«
Das war sein Stichwort. Er schnappte sich einen Suppenteller, legte ein Kissen an die rechte Sofalehne und setzte sich in seinen imaginären Opel. Die Beine lang auf dem Sofa, trank er zuerst einen großen Schluck aus der Flasche, bevor er Motorgeräusche imitierte. »Brrrummm!« Hielt den Teller wie ein Lenkrad in beiden Händen, raste als Rennfahrer durch Kurven. »Brrrummm!« Und dann voll in die Bremse, mit dem rechten Fuß auf die linke Sofalehne.
Peter entsetzte dieses Spektakel jedesmal aufs neue. Der Alte war ein Narr, ein kompletter Idiot!
Mutters höhnischer Kommentar traf den Alten ins Mark. »Dein Schwager Walter spinnt nicht auf dem Sofa rum und träumt vom Autofahren. Der hat was im Kopf und fahrt Mercedes. Er hat einen 190er!«
Das saß. Vater schmiß wütend den Teller auf den Boden und brüllte: »Dein Bruder Walter! Ein Prolet! Macht die dicke Asche mit Plünnen und Oldiesen! Ein lausiger Altwarenschacherer, der arme Lumpensammler linkt! Und du läßt dich von seiner Penunze blenden! Sein Geld stinkt! Hätten wir nicht durch die vielen Verräter den Krieg verloren, dann wäre unsere Welt eine bessere!«
Mutter lachte an dieser Stelle immer befriedigt auf, weil ihr Stachel saß und den Alten schmerzte. Sonst war sie eher ruhig und zurückhaltend.
Mutter lebte für die Bibel. Mindestens viermal in der Woche rannte sie in einen Gottesdienst und hatte stets eine weise Bibelstelle als Lebenshilfe parat. Überall in der Wohnung hingen religiöse Drucke an den Wänden, von der Kreuzigung bis zum Verrat durch Judas war alles dabei. Von Adam und Eva bis zu Saulus. Und der kleine Peter durfte bei keiner Sonntagsmesse fehlen, wurde zum Meßdienerdienst und weiteren Laienarbeiten gezwungen. Und davon hatte er eines Tages genug.
Peter wußte genau, daß er diesen Mief verlassen mußte. An dem Tag, als er sein erstes Gehalt in Empfang nehmen konnte, zog er aus.
»Ein Esser weniger. Auch nicht schlecht«, schnauzte der Alte kalt. Mutter weinte.
Peter Beck hatte keine besondere politische Meinung. Daß die ganz Rechten auf dem falschen Weg waren, sah er beim Vater. Die Linken wußten es auch nicht besser. Das wiederum sah er an den Klugscheißern von nebenan, Arbeitern der nahen Kosmetikfabrik. Verblendete, mißbrauchte Parteimitläufer, die hart arbeiteten und trotzdem nichts drauf hatten.
Der normale Arbeitstag war nicht gerade nach seinem Geschmack. »Easy Street«, schrille Tagträume, das lag eher auf seiner Wellenlänge. Deshalb schmiß er bereits den zweiten Job - obwohl die Stelle in der Werbeagentur anfangs recht interessant schien. Erfüllung oder gar Spaß fand er nur in den Abendstunden beim Bier in der Jazzgasse oder im Club Voltaire. Unter gleichgesinnten Halbgebildeten und idealistischen Angestellten, die das Studium verpaßt hatten, aber trotzdem von einem erfüllten Leben als Kreative träumten. Unter Retuscheuren, die sich als zukünftige Maler sahen, unter Werbetextern, die von einer Schriftstellerkarriere träumten, unter wortgewandten Verkäufern, die eine Theaterkarriere planten.
Diese unausgegorenen Spinner besoffen sich mit Bier und hofften auf ein Wunder. Keiner von ihnen strebte nach Geld und Macht. Alles, was sie wollten, war ein kreatives Leben voller Ruhm. Das galt als erstrebenswert. Schließlich begegneten sie täglich denjenigen, die es bereits geschafft hatten. Die berühmten Macher jener Zeit besuchten immer wieder die Szenekneipen: von Zwerenz bis Ernsting kamen sie alle, mischten sich unters Volk, gesellten sich auf ein, zwei Bier dazu.
Peter schrieb in seiner Freizeit einige Gedichte und Kurzgeschichten, malte Aquarelle und formte Miniskulpturen aus Ton. Er konnte sich aber nicht entscheiden, wo seine wirkliche Begabung lag, kaufte sogar eine gebrauchte Kamera und verschoß eine Unmenge Filmmaterial. Dann hatte er die Idee, ein abenteuerliches Leben mit Erfahrungen à la Hemingway könne der Schlüssel zu seiner Kreativität sein.
Mit dem letzten Gehalt und einer üppigen Abstandszahlung, die sein Nachmieter ihm für drei wertlose Möbelstücke zähneknirschend zahlte, um an die preiswerte Wohnung zu kommen, machte Peter sich vor Sonnenaufgang auf den Weg. Er trampte zum Mittelmeer, hinunter nach St. Tropez sollte es gehen. Es war Mai und von Auto zu Auto wurde es wärmer.
Nördlich von Lyon nahm ihn ein pensionierter elsässischer Lehrer mit, der nach Marseille fuhr. Es war bereits dunkel gewesen, als der Mann aus einem Landgasthof an der N 83 gestolpert kam. »Riviera«, gab Peter als Ziel an, und der Mann lud ihn zur Mitfahrt ein.
»Italienische oder französische?«
»Französische natürlich. Dem Sommer entgegen.«
Der Fahrer startete den Motor des uralten, schwarzen Peugeot und begann sogleich einen lehrerhaften Vortrag über diesen Teil der französischen Mittelmeerküste.
»Der schmale Küstenstreifen zwischen Hyères und Italien heißt heutzutage Côte d'Azur. Welch wunderschöne Welt! Wurde bereits in den Wintern des 18. Jahrhunderts von englischen Marineoffizieren entdeckt. Zur Erholung für die Mittelmeerflotte. Als Nizza im 19. Jahrhundert zu Frankreich kam, entwickelte es sich schnell zum Winterquartier der Oberklasse - es liegt nämlich klimatisch ausgesprochen günstig. Der nördliche Adel folgte bald, besonders der englische und der russische. Die Zarenfamilie baute sogar eine eigene Kathedrale in der Stadt - St. Nicolas - mit sechs Kuppeltürmen. Es entstand in der Gegend ein richtiges kleines Rußland, mit vielen Kirchen und Villen.«
Der Lehrer roch ziemlich nach Alkohol, hatte wohl zum Abendessen einen Wein zuviel genossen.
»So richtig los ging es an der Côte doch erst Anfang dieses Jahrhunderts?« fragte Peter.
Der Alte nickte, schnappte sich eine Cognac-Flasche aus dem Handschuhfach und bat Peter, sie zu öffnen. Er möge ruhig auch davon trinken. Peter entkorkte die Flasche, gönnte sich einen kräftigen Schluck und reichte sie an den Spender weiter. Der soff die noch zu einem Drittel gefüllte Flasche ohne abzusetzen leer. Peter fühlte sich nun gar nicht mehr wohl. Was wußte er denn, wieviel sein Chauffeur bereits intus hatte.
»Richtig, junger Freund. Der Hochadel folgte: Bayernkönig Ludwig, Queen Victoria, Frankreichs Kaiserin Eugenie, Belgiens Leopold und so weiter. Und weil Lord Brougham Anfang des 19. Jahrhunderts wegen der Cholera in Cannes festsaß und dort blieb, erweiterte sich die Gegend, die als >in< galt, nach Westen. Der Geldadel kam hinzu: Stahlbarone, Industrielle, Fabrikanten. In der Belle Epoque Anfang letzten Jahrhunderts wurde dann der Mythos Côte d'Azur geboren.«
»Spielplatz der Reichen, Berühmten und Mächtigen«, ergänzte Peter mit glänzenden...
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