Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Mitten in der Nacht kamen wir 1967 auf einem Möbelwagen in Frankfurt am Main an. Ich, Adolf Bartels, 25 Jahre alt, Pleite-Kaufmann, und meine Frau Jean, ferner unsere Sammlung antiker Bauernmöbel aus besseren Zeiten und ein Aktenkoffer voll offener Rechnungen. Das war eine beschissene Situation, denn unsere Schulden betrugen zu diesem Zeitpunkt mehr als 30.000 Mark. Aber es war nicht das erste Mal, daß ich ganz unten war. Es hatte in meinem Leben zahlreiche Höhen und Tiefen gegeben.
Ein paar Tage vorher hatte ich mittels Sozialhilfe unsere neue Bleibe, eine heruntergekommene Altbauwohnung in Frankfurt-Bornheim, gemietet. Unser Wagen, ein klappriges, feuerrotes Sunbeam-Cabrio, war dort schon vor längerem abgestellt worden, weil wir Angst vor einer Pfändung hatten und keiner diese neue Adresse kannte. Um ein Uhr nachts waren wir dann, völlig durchgeschwitzt, eingezogen. Wir hatten es geschafft! Der Versuch, uns selbständig zu machen, war zwar gescheitert, aber der Ort mit unserer Pleite gegangenen Werbeagentur lag hinter uns. Wir waren wieder in Frankfurt, der Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten für Deutschlands Habenichtse.
Die Wohnung war deprimierend. Sie befand sich im dritten Hinterhof, im Erdgeschoß. Direkt vor dem Wohnzimmerfenster prangte eine hohe Mauer aus Ziegelsteinen. Es war so dunkel in der Wohnung, daß wir sogar am Tag das Licht einschalten mußten. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse wurde das Haus sonst nur von Türken bewohnt. Aber bei den überall üblichen hohen Kautionen blieb uns keine andere Wahl. Trotzdem waren wir gut gelaunt; wir hatten den jugendlichen Glauben an eine bessere Zukunft - von jetzt an konnte es nur noch aufwärts gehen.
Als wir am nächsten Morgen aufstanden und unsere besten Klamotten anzogen, waren wir in Hochstimmung. Nach dem ruhigen Leben auf dem Dorf freuten wir uns auf die Großstadt. Kaufhausbummel, Cafés, Kinos, Kneipen, Antiquitätengeschäfte und Museen - das alles hatten wir vermißt und jetzt endlich wiedergewonnen.
"Wie bezahlen wir die 30.000 Mark Schulden?" fragte mich Jean, als wir durch Bornheim bummelten.
"Weiß der Henker", erwiderte ich und dachte einen Moment über unsere triste Lage nach.
"Das schaukeln wir schon. In einer internationalen Geschäftsstadt wie Frankfurt läßt sich immer irgendwie Geld auftreiben."
Als wir in die Berger Straße einbogen, hörten wir jemanden "He Adi!" rufen. Vor uns stand Heinz Dreckmann, ein Bekannter aus früheren Tagen. "Heinz! Immer noch in Frankfurt?" fragte ich lächelnd, als wir uns gegenseitig auf die Schultern klopften.
"Was machen die Geschäfte?"
Er war von Beruf Grafiker, Dekorateur, Schriftenmaler und Anstreicher, je nach Auftragseingang. Ein kleiner, aber drahtiger Körper, überdimensionierte getönte Brille und immer ein weißes Hemd mit Fliege - das war Heinz, der große Schaumschläger. "Ich lade Euch zum Essen ein", sagte er großspurig.
Gerade das hatten wir nötig.
"Gehen wir ins Bilka. Die haben heute den 99-Pfennig-Erbseneintopf", ergänzte er.
Wir bummelten zu dritt zum Kaufhaus. Während wir aßen, erzählte jeder dem anderen von seiner beschissenen Lage. Großzügig zahlte Heinz die Zeche, obwohl er, wie wir jetzt wußten, ebenfalls pleite war.
"Habt Ihr heute frei?" fragte Heinz.
"Ja. Komm, fahren wir in die City und trinken einen Kaffee bei Schwille", schlug ich vor.
Es war Freitag. Im Café Schwille, dem bekannten Tagestreffpunkt, wartete ich auf das Erscheinen der Abendausgabe der Frankfurter Rundschau, um die Stellenangebote zu studieren und nach meiner Kfz-Verkaufsanzeige zu suchen. Mit dem Geld vom Verkauf unseres Sunbeams hoffte ich unsere Finanzen zu regeln.
Wir unterhielten uns über die alten Zeiten und fühlten uns großartig in der langentbehrten Großstadtatmosphäre.
Dann fuhren wir mit der Straßenbahn zur Wohnung zurück; dort wartete bereits ein Kaufinteressent. In einer Viertelstunde hatten wir den Wagen verkauft.
Am folgenden Montag eröffneten wir ein Konto und zahlten das Geld ein. Dann machten wir uns an die Arbeit und schrieben all unseren Gläubigern den gleichen herzzerreißenden Brief. Jeder bekam einen kleinen Scheck und das Angebot, daß wir den Rest in Monatsraten zahlen würden. Tatsächlich erhielten wir in den folgenden Tagen von allen Gläubigern eine positive Antwort. Wir hatten Zeit gewonnen.
Das Jahr ging langsam zu Ende und seit drei Wochen schon studierte ich die Stellenanzeigen. Mein Arbeitslosengeld reichte nicht aus, und ich mußte endlich handeln. Ich träumte von einer ruhmvollen Karriere als Manager in Handel oder Industrie.
Dann sah ich die Anzeige. Kanadas größter Nähmaschinenhersteller Ontario Sewing Machine Company suchte einen Schulungsleiter. Das war etwas für mich!
Dr. Hoffmann, der Vertriebsdirektor der Firma, war ein gemütlicher, dickbäuchiger Mann. Er empfing mich mit Begeisterung, weil ich ihm am Telefon ein kreatives Verkaufsgespräch hingelegt hatte, nach dem er schon glaubte, nicht mehr ohne mich auskommen zu können.
"Dem neuen Schulungsleiter sind drei Bereiche unterstellt: Verkaufsförderung, Verkäuferschulung und das Schulgeschäft", fing er an. "Das bedeutet die Erstellung von verkaufsförderndem Material, zum Beispiel Gebrauchsanweisungen, Verkaufstrainingsunterlagen und Verkäuferwettbewerbe." Er nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, faltete die Hände zusammen und fuhr fort: "Die Schulung der Verkäufer erfolgt durch Schulungsinfos und zwei Verkaufstrainer, die laufend mit neuen Unterlagen ausgerüstet werden müssen. Dazu gehören ." - dann redete er fast eine Stunde ohne Pause.
Mir schwirrte der Schädel von den vielen Marketingphrasen, aber ich nickte begeistert.
Dann zeigte er mir die Unterlagen, die bisher von der Schulungsabteilung erarbeitet worden waren und sagte: "Auf dem deutschen Markt ist die Singer-Nähmaschine zur Zeit die Nummer eins. Aber das wird sich bald ändern."
Feierlich schloß er einen Schrank auf und holte eine Nähmaschine heraus.
"Unser Kampfmodell, die neue SuperSew 2000. Vergleichbare Maschinen der Konkurrenz kosten das Doppelte", sagte er so stolz, als hätte er sie persönlich erfunden. "In zwei Monaten kommt sie auf den Markt."
Noch einmal mimte ich Begeisterung und wurde eingestellt.
An meinem ersten Arbeitstag betrat ich erwartungsvoll das Marketingbüro. Ja, ich wollte den Erfolg, den totalen Erfolg! Als Grundlage sollte mir die Erfahrung dienen, die ich hier in dieser Weltfirma sammeln würde. Dr. Hoffmann übergab mir mein Büro.
"Ein angenehmes Arbeitszimmer mit Blick auf die Allee", sagte er.
"Sehr schick", dachte ich, als ich es betrat. Es war mit einem beigefarbenen Teppichboden, einem Schreibtisch aus Edelholz und einem weichen Sessel mit Armlehnen und Rädern eingerichtet. Der Sessel gefiel mir besonders, weil er für mich der Inbegriff eines Topmanager-Sessels war.
Dann machte Dr. Hoffmann mich mit meiner Sekretärin Fräulein Heine sowie den mir unterstellten Angestellten und den zwei Verkaufstrainern bekannt. Das waren clevere Jungs, die es galt in Schach zu halten.
Ich stürzte mich in die Arbeit, entwickelte Verkaufsförderungsprogramme und einen Jahreseinsatzplan, sichtete Aktionen der vergangenen Jahre und sprach meine neuen Ideen mit den Mitarbeitern durch.
Ehe ich mich versah, war ich ein stinknormaler 8-Stunden-Arbeitstag-Mann geworden. Die Monate vergingen, und ich wurde immer unzufriedener. Ein Grund war das Monatseinkommen. Für eine schöne Zweizimmerwohnung in der City, einen Mittelklassewagen, zweimal Urlaub im Jahr, gepflegte Kleidung und einmal pro Woche gut Essengehen reichte das Einkommen vorne und hinten nicht.
Hinzu kam, daß ich mit 25 Jahren relativ jung für meinen Job war. Die nächst höhere Position eines Marketingdirektors hätte noch einige Jahre harte, sehr harte Arbeit und eine Portion Glück bedeutet.
In unserer Freizeit verkehrten Jean und ich im Viertel rund um die Freßgaß'. Hier gab es damals viele interessante Kneipen, die heutigen Schickerialäden existierten noch nicht. Wir verbrachten unsere Abende im Jazzhaus, im Club Voltaire oder in Weils Bodega, um Frikas mit Knoblauchcreme zu essen. Unseren Kaffee aber tranken wir immer im Schwille.
Hier traf sich alles, was bunt und schillernd war: Geschäftemacher, Hochstapler, Hasardeure, Protzer, Tagträumer - und auch ganz normale Leute, um den guten Kaffee und die köstlichen Kuchen zu genießen.
Die Stammgäste saßen immer vorn am...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.