Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Bernd Kleiner kaufte den 220 SB für sechstausend Mark. Eigentlich wollte der Besitzer neuntausend. Als Bernd ihn aber bei der Rundumkontrolle bat, die Motorhaube zu öffnen, und routinemäßig den Ölstab rauszog, war der milchig, schleimig. Der junge Mann gab zu, daß der Motorblock einen Riß hatte und Wasser zog.
Bernd Kleiner kaufte den sechzehn Jahre alten Mercedes trotzdem. Schließlich handelte es sich um ein altes, fünfsitziges Cabrio, und der Preis war günstig genug bei den zu erwartenden Reparaturkosten. Im Fachhandel warnte man ihn vor Druckproblemen, es wäre leichtsinnig, einen neuen Block einzubauen. So suchte er auf Autofriedhöfen herum und erwarb dort für ein paar hundert Mark das passende, alte Ersatzteil. Für insgesamt zweitausend Mark machte er die Schleuder wieder fahrbereit: ein cooler, silberner Dampfer mit rissigem Leder, gecracktem Holzfurnier, schlechtem Lack. Aber mit dem geilen Stern vorne drauf!
Die Heizung war defekt. Für jemanden, der zum Mittelmeer wollte, war das kein Thema.
Nach der Weitervermietung seiner Wohnung packte er zwei Koffer, einen Seesack und sein Metzler-Schlauchboot mit Zubehör, rief morgens ein Taxi und fuhr mit dem ganzen Krempel zur Werkstatt. Er stopfte alles in seinen Wagen und startete direkt von dort aus in Richtung Spanien.
Es war März und kalt. Er schaltete das vergammelte Radio auf AFN. Die hatten immer gute Musik. Gerade lief »Stairway To Heaven« von Led Zeppelin: »And a new day will dawn . And the forests will echo with laughter.«
Vollgetankt rauf auf die Autobahn, Kleiner mit schwarzer Sonnenbrille, blödsinniger Prinz-Heinrich-Mütze und dem schmalen Oberlippenbart, den er noch stehen ließ. Er ging auf Nummer sicher.
»And it makes me wonder«, dröhnte der Refrain.
Er fühlte sich schwach, am Ende. Er, der immer der Größte, der Geilste, der Erfolgreichste sein wollte, hatte Scheiße gebaut. Einen Menschen kaputt-, sich kaputtgemacht. Nun war er auf der Flucht. War nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn kriegten.
Vor Jahren, am SPD-Wahlstand, war er auf Ronski getroffen. Bei der Demonstration. Diesen korrupten Parteischergen, der Baudezernent werden wollte.
Trotz der langen Zeit hatte Ronski Kleiner jetzt wiedererkannt. Wußte nicht mehr seinen Namen, aber daß er zu den Sympathisanten der Organisation gehörte. Die Polizei war bestimmt schon auf seiner Spur.
Sein Alter - zum Glück erlebte seine Mutter das nicht mehr - würde sicherlich triumphieren. Recht hatte er, als er damals sagte: »Du bist ein Lügenbaron, ein Tunichtgut. Wirst schlimm enden!«
Es wurde langsam dunkel. Er schaltete die Scheinwerfer ein. Bog bei Mannheim Richtung Saarbrücken und Metz ab. Es wäre wohl günstiger gewesen bis Mulhouse zu fahren, um südlich von Dijon auf die französische A7 zu kommen. Aber er wollte so schnell wie möglich raus aus Deutschland. Rüber, hinein in die französische Provinz. Fühlte sich dort sicherer. Das Wetter blieb gut. Kein Regen.
Die ganze Sache kratzte ihn total auf, hielt ihn hellwach.
Der AFN soff ab. Er bekam jetzt 'nen französischen Sender rein, der guten Modern Jazz spielte.
Mensch, war er fertig - total im Arsch!
Es kühlte inzwischen auch im Auto stark ab. Abwechselnd klemmte er mal die linke, mal die rechte Hand unter eine Arschbacke, um sie aufzuwärmen.
Er erreichte Saarbrücken und kurz darauf die Grenze. Die Kontrollen waren lasch.
»Ist okay«, rief man und »Au revoir!«
Endlich in Frankreich! Er tankte und ging pissen. Raste weiter nach Westen. Dann südlicher nach Nancy, Richtung Dijon. Allmählich wurde er müde. Merkte es zuerst an den Augen.
Er wollte sich wachhalten und begann zu singen: »Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten .«
Dijon las er auf dem Schild. Er war immer noch wach und jagte weiter durch die Nacht, Richtung Lyon. Nach dem Überfall am Mittwoch hatte er genau zwölf Tage Fluchtvorbereitung benötigt, bis er im Wagen saß. Wahnsinn!
Den ganzen Scheiß hatte er sich nicht nur für die lausigen einundzwanzigtausend Märker eingebrockt. Ronski im Auftrag der Organisation einen Denkzettel zu verpassen, war ja in Ordnung. Aber ihn fast totzuschlagen und obendrein die Gruppe zu beklauen - was war er nur für ein Idiot! Dumme Sau. Wie konnte er nur? Wie konnte er nur? Als ideeller Vollstrecker sich so gehenzulassen. Das war wie Verrat. Mader, der Kapo, würde es ihm nie verzeihen.
Wie weit muß der menschliche Wurm sein Tun eigentlich selbst verantworten? Vielleicht ist das ganze Leben total vorprogrammiert? Wenn du dich halbtot strampelst, ist das nur der Ablauf einer riesigen Robotermaschinerie? Dein harter, persönlicher Einsatz nur der vorab festgelegte Ablauf eines gigantischen, allmächtigen Gesamtplans?
Als er von einem Kleinmotorrad mit HH-Nummernschild überholt wurde, sah er auf dem Tacho, daß er nur neunzig fuhr. Er gab mehr Gas, steigerte auf Tempo hundertvierzig und zog nach ein paar Minuten an dem Hamburger vorbei. Jetzt überholte ihn keiner mehr. Um drei Uhr früh.
Er dachte plötzlich an die »gute, heile Welt« von damals. Wie schnell doch aus einem Gewinnertyp ein Loser wurde. Damals war er Besitzer einer erfolgreichen Werbeagentur. Und er dachte natürlich an Renate, seine damalige Frau. Alles gelaufen, aus und vorbei.
Renate war ein verwöhntes, bildhübsches Einzelkind, von Zuhause schwer verhätschelt. Ihm machte es Spaß, ihr alles zu ermöglichen, was immer ihre kleine, weiße Stirn gebar. Wie im Rausch kaufte sie die Hauseinrichtung zusammen - Geschmack hatte sie ja, allerdings einen teuren.
Er schwamm ganz oben, machte echte, große Kohle. Aber das reichte ihm nicht. Irgendwann traf er Minke. Der schwärmte von den wahren Aufgaben des Lebens, der Bewegung. Minkes Kumpel Mader war ein Schulfreund von Baader.
»Du mußt bei uns mitmachen«, schlug Minke vor. Na ja, zuerst half er der Organisation mal hier und mal da ein bißchen, mit Werbematerial und anderen Spenden. Über die Jahre wurde er vom Sympathisanten zum aktiven Mitglied. War ja auch eine starke Sache.
Dann kam der geschäftliche Big Kill, sozusagen aus dem Nichts heraus. Auf der Internationalen Textilmesse stellte ihm Schwerdtfeger aus Bremen, das war Kleiners größter Kunde, seinen besten Freund Engelmann aus Hamburg vor: »Größter Schwimmbad- und Saunahändler Norddeutschlands.« Ein fetter, stets lustiger Machertyp mit großer Schnauze und Millionenumsätzen.
Bisher bastelte Engelmann seine Werbung in Heimarbeit. Mit einem Dorfphotographen und der kleinen Vorstadtdruckerei. Als er Kleiners imponierende Arbeitsmappe sah, war er aus dem Häuschen. Kleiner erklärte ihm die Grundregeln des Einzelhandelsmarketings.
Engelmann, ein begnadeter Starverkäufer, sagte nur: »Sie sind der absolute Werbefritze. Genau der, den ich seit langem suche. Die Ergänzung zu meiner Verkaufsarbeit.«
Er bot Kleiner seinen Werbeetat an.
»Circa anderthalb Millionen fürs nächste Jahr«, stellte er in den Raum und wartete auf seine Reaktion.
Kleiner nickte cool dazu.
»Wie teilt sich der Betrag auf?«
»Ein Drittel für Anzeigen in Tageszeitungen, eins für Werbung in Schwimmbad- und Saunazeitschriften. Der Rest geht drauf für Farbprospekte und Messestände.« Und brüstete sich weiter: »Das macht mich im nächsten Jahr zum größten Händler Norddeutschlands.«
Kleiner wußte nicht, daß Engelmann nichts weiter war als ein großmäuliger Schwimmbadvertreter, der gerade einen Konkurs überlebt hatte und nun eine neue GmbH auf den Namen seiner Frau aufzog - mit ein paar tausend Mark Schwarzgeld, einem protzigen, viel zu teuer angemieteten Schau-Firmengebäude und einem ahnungslosen Partner, der das Erbe seiner Frau für einen dreißig prozentigen Anteil verjubelte: für einen Direktortitel, ein hübsches Büro und einen verlogenen Händedruck des betrügerischen geschäftsführenden Gesellschafters. Der umgehend die Hälfte der Partnereinlage in die Schweiz verschob, um noch Kohle zu haben, wenn der Laden in Schieflage geriet.
Engelmann bestellte bei Kleiner halbseitige und für später ganzseitige Anzeigen. Klotzte wie ein Wilder. Hatte sich aber zu dem Zeitpunkt schon längst übernommen. Zahlungsfähig blieb er nur, weil er ans Eingemachte ging, die Casheinlage seines Partners mußte dran glauben. Walter Samson war als technischer Direktor bei den Kunden für Installations- und Servicearbeiten zuständig und ahnte nicht einmal, was in Wirklichkeit geschäftlich lief.
Am Anfang gab Engelmann Bernd immer Akontozahlungen, er schuldete ihm von Monat zu Monat mehr Geld. Mit...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.