Schweitzer Fachinformationen
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Der November ist bekannt als ein trister Monat, in dem in der Regel nicht viel passiert. Jedenfalls nicht viel Erfreuliches. Es regnet oft, ein ungemütlicher Wind fegt um die Häuser, über die Brücken und Boulevards, Regenschirme schlagen um, man bekommt nasse Füße und oft genug einen Schnupfen. Die Menschen sitzen mit müden Gesichtern in der Metro, und alte Leute sterben öfter als in anderen Monaten - das ist in Paris auch nicht anders als in anderen Städten. Man versucht, irgendwie durchzuhalten, sich von einem dunklen Tag zum nächsten zu hangeln, bis der Dezember naht - und mit ihm die Vorfreude auf Weihnachten, dieses wunderbare Fest der Liebe und der Lichter, das ganz Paris in ein Märchen aus Zuckerwatte und Silberglanz verwandelt.
Lange Zeit habe ich Weihnachten geliebt. Unser Baum, den Papa wie jedes Jahr hinter der verschlossenen Tür des Salons schmückte, konnte mir nicht groß genug sein, und bereits im Laufe des Novembers strich ich durch die von Lichterketten erhellte Stadt, die geschmückten Straßen und Geschäfte, und fing an, Ausschau nach Geschenken zu halten.
Doch seit drei Jahren ist das Fest aller Feste, dieser friedliche Endpunkt des Jahres, auf den alles zuzulaufen scheint, der Familien zusammenführt und Verstrittene versöhnt, weniger schön und verheißungsvoll für mich. Ehrlich gesagt, hasse ich Weihnachten, und das hat seinen Grund.
Aber dieses Jahr im November passierte etwas, das meinem Leben - buchstäblich - eine neue Richtung gab.
Ich bekam zwei Briefe. Der eine enthielt eine schlechte Nachricht, der andere eine traurige. Und doch bescherten mir diese beiden Briefe auf den seltsam verschlungenen Wegen, die das Leben manchmal nimmt, am Ende und völlig unerwartet das schönste Weihnachtsfest meines Lebens.
Ich erinnere mich noch genau an jenen verregneten Montagmorgen, als ich fröstelnd die vier Stockwerke zu den Briefkästen hinunterlief, um wie jeden Vormittag gegen zehn nach der Post zu schauen. Ein kleines Ritual, eine willkommene Unterbrechung meiner einsamen Arbeit - wie das Zubereiten des morgendlichen Kaffees oder der nächtliche Blick aus dem Fenster meiner Mansardenwohnung, die an der Place Sainte-Marthe liegt, einem verträumten Platz in der Nähe des Canal Saint-Martin.
Sobald es wärmer wird, erwacht dieser kleine, etwas abseits gelegene Platz zum Leben. Dann sitzen die Gäste im Restaurant Galopine mit seiner taubenblauen Fassade, vor dem La Sardine stehen bunte Tische und Stühle und das Bistro Sainte-Marthe mit seiner roten Markise ist von jungen Leuten bevölkert, die bis spät in die Nacht draußen schwatzen. Das Stimmengewirr, in das sich ab und zu ein helles Lachen mischt, steigt zu mir hoch in den vierten Stock, wo ich bei offenem Fenster am Schreibtisch sitze und arbeite. Es stört mich nicht. Im Gegenteil. Es ist ein angenehmes Hintergrundgeräusch, das mich irgendwie beruhigt und mir das Gefühl gibt, ins Leben eingebettet zu sein, während ich da oben in meinem Rapunzelturm hocke, mich auf meine Übersetzung konzentriere und nach Worten und Sätzen suche, die dem Originaltext gerecht werden.
In der kalten Jahreszeit, wenn es stiller wird und der Platz mit seinen alten Laternen, den Bänken und der einsamen Litfaßsäule allmählich im Winterschlaf versinkt, bringt mich der nächtliche Blick aus dem Fenster zum Träumen. Die Bäume unter meinem Fenster rascheln leise, ein letzter Passant geht über das im goldenen Licht verschwimmende Pflaster, die Schritte verhallen, und dann gehört der kleine Platz ganz mir.
Mein alter Freund Cedric Bonnieux, ein Kolumnist, der mit seinem Lebensgefährten Augustin direkt am Canal Saint-Martin wohnt und jedem als Erstes auf die Nase bindet, dass er von seiner Wohnung am Quai de Valmy aus direkt auf die Brücke von Amélie Poulain schauen kann, sagt immer, dass die Place Sainte-Marthe «überhaupt nicht schick sei» und so «fuuurchtbar aus der Zeit gefallen». Dabei schaut er mich dann immer etwas vorwurfsvoll an, als wolle er sagen: «Wie kannst du nur dort leben?», und zupft an seinem bunt gemusterten Etro-Schal.
Und er hat wohl recht. Die Place Sainte-Marthe ist eine Welt für sich. Nur eine knappe Viertelstunde vom Canal entfernt, der mit seinen malerischen Eisenbrücken und den vielen Cafés und Bistros schon längst eine sehr angesagte Gegend ist, wo die Leute gern bis spät in der Nacht ausgehen und am Wasser sitzen, liegt dieser kleine Platz hinter dem Park des alten Hôpital Saint-Louis verborgen, fast wie aus einem Traum. Besonders abends, wenn die Nacht sich sanft über die Place Sainte-Marthe senkt und die Laternen angehen, ist dieser Platz für mich einer der schönsten von Paris. Er passt zu mir, denn auch ich bin etwas aus der Zeit gefallen und nicht besonders schick. Sonst hätte ich mir wohl einen glanzvolleren Beruf ausgesucht. Einen aus der ersten Reihe, wo man sichtbar ist. Ich meine, wer denkt schon an die Übersetzerin, wenn er ein Buch aus einer anderen Sprache liest? An die Herausforderung, sich fremde Worte zu eigen zu machen und sie dann zu beheimaten in der eigenen Sprache. Neue Bilder zu finden, die am Ende und im besten Fall genau das transportieren, was der Autor sagen will, und dies alles, ohne dass der Leser überhaupt realisiert, dass er eigentlich ein englisches, spanisches, oder gar finnisches Buch liest. Weil es so klingt, als wäre es in seiner Sprache geschrieben.
Übersetzen ist wie Balletttanzen eine hohe Kunst. Wir scheinen mühelos durch die Lüfte zu fliegen mit unseren Sprachgebilden, drehen uns mit einem Lächeln auf der Fußspitze, landen sanft und geräuschlos im nächsten Satz. Einer gelungenen Übersetzung merkt man die Anstrengung nicht an, hat der alte Monsieur Lassalle einmal zu mir gesagt. Er ist der Verleger der Éditions Lassalle, einem kleinen Verlag in Saint-Germain, für den ich mittlerweile fast ausschließlich fremdsprachige Romane übersetze, und ich kann ihm da nur zustimmen. Denn nur durch diese Leichtigkeit, diesen fein abgestimmten Pas de deux zwischen zwei Sprachen, wird ein fremdes Buch erst zum Lesegenuss. Wir Übersetzer sind diejenigen, die die Brücke schlagen zwischen den Sprachen, die Wanderer zwischen den Welten. Und ich bin stolz und glücklich, wenn mir das immer wieder gelingt. Wenn ich eine Übersetzung abgebe, steckt jedes Mal auch ein Teil von mir darin. Auch wenn das in der Regel niemand bemerkt.
Manchmal, bei einem eher bedeutenden Werk der Literatur, macht sich jemand vom Feuilleton vielleicht die Mühe, zu erwähnen, dass die Übersetzung ganz hervorragend sei und die Übersetzerin kongenial. Doch in den meisten Fällen werden unsere Namen schlicht und ergreifend vorne im Buch unter dem Titel genannt und rasch überblättert:
«Aus dem Finnischen übersetzt von Joséphine Beauregard.»
Joséphine, das bin ich, und meinen etwas hochtrabenden Namen verdanke ich dem Umstand, dass meine Mutter immer noch von den glanzvollen Zeiten der Grande Nation träumt und eine glühende Verehrerin von Napoleon Bonaparte ist. Als ehemalige Zahnärztin hat sie nicht nur auf die Zähne ihrer Töchter geachtet (dank täglicher Mundspülungen und der Zahnspangen, die wir als Kinder tragen mussten, sind unsere Zähne tatsächlich makellos), sie hat uns auch alle nach den Heldinnen der napoleonischen Zeit benannt. Doch während meine beiden älteren Schwestern ihren großen Namen gerecht geworden sind - Eugénie ist eine angesehene Herzchirurgin, die ständig zu irgendwelchen wichtigen Mediziner-Kongressen eingeladen wird, und Pauline, die wahrscheinlich nicht mal nachts ihre Perlenkette ablegt, ist nach dem Jurastudium in die Fußstapfen von Papa getreten, dessen gut gehende Anwaltskanzlei sie eines Tages übernehmen wird -, bin ich mit meinem schlecht bezahlten Übersetzerjob wohl die Versagerin in unserer Familie.
Als ich Maman damals erklärte, dass ich Sprachen studieren wolle, um Bücher zu übersetzen, starrte sie mich nur ganz fassungslos an. «Als Beruf?», fragte sie entsetzt. «Du meinst doch nicht als Beruf, oder?»
«Natürlich als Beruf», gab ich gereizt zurück. «Was denkst du denn?»
«Aber davon kann man doch nicht leben, Kind! Warum studierst du nicht etwas Vernünftiges wie deine Schwestern. Du könntest doch wenigstens Apothekerin werden. Oder geh in den diplomatischen Dienst. Papa hat doch gute Verbindungen ins Ministerium. Mit deinen Noten kannst du alles werden.»
«Genau», sagte ich trotzig und verließ den Salon.
Später hörte ich, wie sie Papa im Schlafzimmer ihr Leid klagte.
«Übersetzerin!», stöhnte sie. «Kannst du denn nicht mal mit ihr reden, Antoine?»
«Nun ja, es ist doch ihre Entscheidung, Isabelle», lenkte Papa vorsichtig ein. «Letztlich.» So brillant Papa vor Gericht ist, zu Hause geht er Konflikten lieber aus dem Weg. «Natürlich hätte ich sie auch lieber in der Kanzlei gesehen.» Es klang ein bisschen enttäuscht. «Aber unsere Kleine ist eben anders als Eugénie oder Pauline. Nicht so durchsetzungsstark. Eine Traumtänzerin.»
«Du sagst es. Umso wichtiger ist es, dass sie etwas Vernünftiges macht.»
«Aber wenn es doch ihr Herzenswunsch ist .»
«Was heißt schon Herzenswunsch. Ich bitte dich, chéri! Übersetzen ist eine brotlose Kunst. Das weiß doch jeder.»
«Sie liebt eben die Literatur .»
«Franchement, Antoine. Wir alle lieben die Literatur. Unsere Regale sind voll mit Literatur. Aber muss man gleich einen Beruf daraus machen? Da kann sie ja gleich zum Zirkus gehen und Trapezkünstlerin werden.» Ich konnte geradezu sehen, wie sie...
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